Nr. 158. Freitag, den 10. Juli 1914. 28. Jahrgang. Hamburger Echo. Das -Hamburger Scho' erscheint täglich, außer Montags. «donnementspretS (IntL .Die Neue Welt' und .Die arbeitende Jugend') durch die Poft bezogen ohne Bring-geld monatlich a 1,20, vi«teljLhrlich ^ 8,S0; durch die »olporteure wochentl ch Sa^ frei in» Haus. kinz. Nr. d A. SonntagS-Rummer mit illustr. Beilage ,Tte Reue Welt' 10 *. Kreuzbandsendungen monatlich A 2,70, für daS Ausland monatlich A 4,—. Redaktion: Fehlandstraße 1L L Stock. Hamburg 36 Fehlandstraße 1L Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur: I. Reitze in Hamburg. Anzeigen die siebengespaltene Petiizeile oder deren Raum 49 *. ArbeitSmarlt, LtermictungS- und Jamiltenanzeigen 20*. Anzeigen Annahme Fehlandstr. 11. Erdgeschoß (bis 5 Uhr nachmittags), in den Filialen, sowie in allen Annoncen-BureauS, Platz, und Datenvorschristen ohne Berbindlichkeit, Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. 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Einer offiziösen Meldung nach wird zurzeit eine Ab - änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in Erwägung gezogen. Sie steht im Zu - sammenhang mit der Frage einer gesetzlichen Neu - regelung des Zugabewesens, über die der preußische Handelsminister den beteiligten Reichsressorts und preußischen Ministerien neue Vorschläge unterbreitet hat. Diese Frage spielt bereits eine Reihe von Jahren; sie ist auch schon an den Reichstag gebracht worden. Bei ihrer Prüfung muß man davon ausgehen, daß die ganze Entwick - lung des modernen Wirtschaftssystems beruht auf dem Prinzip der freien Konkurrenz, des „freien Spiels der Kräfte". In feiner extremen Durchführung duldet dieses Prinzip keine Beschränkung der Freiheit des Profitmachens; es ist in seinem Wesen ein durchaus anarchisches, darauf gerichtet, daß der wirtschaftlich Stärkere den Schwächeren rücksichtslos nieder - wirft. Es haben sich aber doch im geschäftlichen Leben feste Regeln herausgebildet, deren Verletzung als „unlautere Kon - kurrenz" empfunden wird. Der Interessengegensatz und -kampf zwischen den einzelnen Unternehmergruppen brachte es mit sich, daß man, und zwar in erster Linie zum „Schutze der wirtschaftlich Schwachen", der kleinen und mittleren selb - ständigen Gewerbetreibenden, durch gesetzliche Bestimmungen eine gewisse „Gleichheit der Konkurrenz" herbeizuführen und so dem „unlauteren Wettbewerb" entgegenzuwirken suchte. Solche Bestimmungen sind auch im Deutschen Reiche erlassen worden. Die Sozialdemokratie hat stets zugegeben, daß sie ein berechtigtes Ziel verfolgen, soweit sie darauf gerichtet sind, unwahre, irreführende Angaben über Herstellung, Bezug und Preisverhältnisse der ausgebotenen Waren zu verbieten und so ebensowohl die Käufer wie reelle Geschäftsleute vor Schädigung zu schützen. Aber die sogenannte Mittelstandspolitik ist dar - über weit hinausgegangen. Sie hat dem Begriff des un - lauteren Wettbewerbs Gewalt angetan, ihm zugunsten be - stimmter Erwerbsprivilegien eine völlig willkürliche Erweiterung gegeben. Unsere Mittelstanvspolitiker, die Zünftler und ihre Protektoren, die auf das Programm der „Mittelstandsrettung" eingeschworenen Gewerbetreibenden ver - schreien als „unlauteren Wettbewerb" jedes wirtschaftliche Unternehmen, das ihren Sonderintereffen zuwiderläuft: den Hausierhandel, das Detailreisen, die Wander - lager und mehr noch die Großbetriebe für den Detailhandel, die Warenhäuser und die Konsumvereine. Unter dem Vorwande, „unlauteren Wettbewerb" verhindern zu wollen, bekämpfen sie sogar die normale Entwicklung des Wirtschaftslebens. Daß zum Beispiel gerade das Konsum - vereinswesen mit Großeinkaufsgesellschaft und Eigen - produktion eine sozialökonomische Notwendigkeit ist, daß 'es alles in allem, einen erheblichen kulturellen Fort - schritt darstellt, daß es dazu dient, die Konsumenten vor Be - trug, Schwindel, Täuschung, Uebervorteilung zu schützen, kann vernünftiger- und gerechtermaßen nicht bestritten werden. Aber die Mittelstandspolitiker zetern unausgesetzt, daß den „soliden Geschäftsleuten" durch diese Unternehmungen solidarischer Selbsthilfe „unlauterer Wettbewerb" bereitet werde. Wes - halb? Lediglich deshalb, weil die nur auf Kosten der Kon - sumenten zu betreibende Profitmacherei des Zwischenhandels eine starke Beeinträchtigung erfährt. In neuester Zeit nun ist, ebenfalls von mittelständlerischer Seite, eine Bewegung in Fluß gebracht worden, die darauf hinausgeht, im Rahmen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 ein Verbot beziehungsweise eine Regelung des Zugabewesens zu erreichen. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß unsern Lesern Wesen und Art der Zugabengewährung im allgemeinen bekannt sind. Geschäftsinhaber kündigen in Reklameanzeigen an, daß sie ihren Kunden ein nach der Höhe des Einkaufswertes sich bemessendes „G e s ch e n k", Nahrungsmittel, Genußmittel, Gebrauchsartikel der verschiedensten Art, Bücher, Gutscheine für unentgeltliche photographische Aufnahmen, Versicherung gegen Unfall usw. als „Zugabe" machen. Es kann und soll nicht bestritten werden, daß sich auf diesem Reklamegebiete Mißstände herausgebildet haben. Diese sind nun aber von einigen Handelskammern, Gewerbevereinen, Innungen usw. zum Anlaß genommen worden, ein generelles gesetzliches Verbot des Zugabewesens überhaupt zu fordern. Nach einem dem Reichstage in letzter Session zu - gegangenen, nicht mehr zur Erledigung gelangten Anträge des Abgeordneten Malkewitz und Genossen sollte der Reichs - kanzler ersucht werden um baldtunlichste Vorlage eines Gesetz - entwurfs, durch den das Gesetz gegen den unlauteren Wett - bewerb vom 7. Juni 1909 durch folgende Bestimmung ergänzt wird: »Wer im Einzelverkehr für sich selbst ober als Vermittler den Käufern von Waren Zugaben ober in Waren bestehende Geschenke gewährt ober in öffentlichen Bekanntmachungen ober in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt jinb, in Aussicht stellt, wirb mit Gelbstrafe bi» zu ein= hunbertfünfzig Mark ober mit Haft bestraft. Unbebeutenbe Kleinigkeiten, beten Gewährung allgemein üb - lich ist, sowie der übliche Rabatt werben nicht als Zugaben und Geschenke im Sinne dieser Vorschriften angesehen/ Gegen die in dieser Richtung gehenden Bestrebungen hat sich eine starke Opposition erhoben. So hat unter andcrm Reichsgerichtsrat Dr. Lobe auf Veranlassung des deutschen Zentralverbandes für Handel und Gewerbe ein um - fassendes Gutachten erstattet. Lobe kommt zu dem Resümee: 1. daß die meisten Stimmen eine neue gesetzliche Regelung ablehnen; 2. baß im Interesse bes Publikums eine so einschneibende Regelung und Beschränkung der freien gewerblichen Tätig - keit, wie solche der Antrag Malkewitz und Genossen beab - sichtigt, sich nicht rechtfertigen ließe; 3. daß die Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Bürger - lichen Gesetzbuches völlig ausreichen, um das kaufende Publikum gegen Schaben zu schützen; 4. baß man burch einen weitergehenben gesetzlichen Eingriff in eine unerträgliche polizeiliche Bevormunbung hinein - geraten würbe; 5. baß bie durch die Zugabe gewährte Nebenleistung an und für sich nichts Unlauteres, den Konkurrenten rechtswidrig Schädigendes an sich habe; 6. baß insbesondere die Zugaben als allgemeine Geschäfts - unkosten — genau wie bie Zeitungsreklame — zu rechnen und geeignet sind, erhöhten Absatz der Hauptware sowie Herabsetzung bet Verlriebskoslen auf anbertn Gebiete, zum Beispiel bessere Ausnützung der Geschäftsräume, der Ar - beitskräfte, Ermöglichung billigen Einkaufs usw., zu be - wirken, so daß damit im Effett keine Erhöhung des Waren - preises gegenüber den Konkurrenzbetrieben einzutreten 1 braucht, ebensowenig wie eine Verschlechterung der Qualität der Ware; 7. daß diese Form des Wettbewerbs Bei der nun einmal be - stehenden Freiheit des Gewerbebetriebes ertragen werden müsse; und 8. daß das Verlangen nach völligem Verbot bet Zugaben einet mittelalterlichen Ansicht entspringt unb einen Eingriff in bie bestehende Gewerbesreiheit bedeute. Weiter meint Reichsgerichtsrat Dr. Lobe, daß „bie Zugaben neben ihrer üertriebförbernben Natur zugleich eine ref[amcforbernbe Eigenschaft besäßen unb gegenüber bet Wort- unb Schriftreklame deshalb einen wesentlichen Vorzug hätten. Die Zeitungsreklame böte dem Kunden außer der Bekanntschaft mit dem Geschäft und der Ware keinen eigenen selbständigen Genußwert; bie Nebenleistung (Zugabe) bagegen gäbe eine un - mittelbare Leistung an ben Sunben, was die große Beliebtheit der Wertreklame beim Publikum erkläre". Wir geben dieses Gutachten lediglich zu dem Zwecke sach - licher Information wieder und nicht etwa, weil wir mit dem Zugabewesen sympathisieren. Wir stehen ihm grundsätz - lich abweisend gegenüber. Jedenfalls können wir in ihm nicht die Tendenz entdecken, den Interessen der Konsu - menten Rechnung zu tragen. Wenn wir uns trotzdem gegen das erstrebte gesetzliche Verbot erklären, so aus dem Grunde, weil wir uns von solchem Verbot eine Wahrung der Kon - sumenteninteressen dem Zwischenhandel gegenüber nicht ver - sprechen können. Benachteiligt werden die Konsumenten von diesem Handel in jedem Falle, mit ober ohne Zugabewesen. ES kommt hinzu, daß die ganze Propaganda gegen diese neueste Form des sogenannten „unlauteren Wettbewerbs" ganz und gar nicht dem Motiv entsprungen ist, Konsumenten - interessen zu schützen, sondern lediglich der Absicht, be - stimmten Sonderinteressen im Handel unb Verkehr Rechnung zu tragen, sogenannten „Mittelstanbsbetrieben" die Konkurrenz zu erleichtern. Welche Vorschläge ber preußische Hanbels- minister ber Reichsgesetzgebung zu machen gebenft, ist noch nicht bekannt geworben. Er hat Erhebungen veranstaltet bei Handelskammern und Kleinhandelsausschüssen. Wie es heißt, soll hauptsächlich das Zugabewesen im M a r - garinehandel in Betracht kommen. Die Interessen des Haupt- und Zwischenhandels sind für uns natürlich nicht maßgebend. Uns kann es nur auf bie Wahrung ber Konsumenteninteressen ankommen. Wer sich ihrer ernsthaft unb ehrlich annehmen will, ber muß energisch alle bie Bestrebungen unterstützen, bie barauf ge - richtet finb, bie Konsumentenvereinigungen, bie Konsumgenossenschaften usw. zu förbern. Die Arbeiterklasse zumal hat nicht ben geringsten Anlaß, sich einzusetzen für bie Art Bekämpfung bes „unlauteren Wettbewerbs", wie bie MittelstanbSretter sie betreiben. Ge - hören biese „staatserhaltenben" Elemente boch zu benen, bie es sich zur Aufgabe gemacht haben, die organisierte Arbeiterschaft an ber Bekämpfung verderblicher Kon - kurrenz auf dem Gebiete des Arbeitsmarktes zu ver- hinbern. Da läßt man ben denkbar bösartigsten unlauteren Wettbewerb durch sogenannte „Arbeitswillige", durch wirt - schaftliche Freibeuter, Lohndrücker, Organisationsfeinde gelten. Diesen das ganze sozialöko-tomische Leben schwer schädigen - den „freien Wettbewerb" verteidigt man. Unb bie unlauteren Elemente werden belobt und geschützt als „Stützen der Orb- nung". Leben will bet ganze Mittelstanb hauptsächlich — so be= jonbers auf bem Gebiete bes HanbelS — von ber Arbeiter - klasse. Aber ben Bestrebungen, die Älaffenlage der Arbeiter zu heben, setzen die „echten unb rechten" Mittel- jtänbler, bie gut reaktionär gesinnten, gemeinsam mit ben bös - artigsten Scharfmachern Widerstanb entgegen. * Berichtigung. Im Leitartikel der gestrigen Nummer, »Tie gelbe Gefahr", erste Spalte, Zeile 13 von oben, muh es statt „China" heißen „C h i w a". politische Uebersicht. H a m b u r g, 9. Juli. Kotonial-sripendicn. Mit merkwürdiger Befliffenheit wird in neuester Zeit auf das „Studium unserer Kolonien" durch sorgsam ausgesuchte und später für die Agitation zu verwendende Leute hingcwirkt. Vor wenigen Tagen wurde mitgeteilt, daß dreißig Arbeiter unter Führung eines Zentrumsagitawrs nach den Kolonien gehen sollen, um dort „Studien zu machen". Heute wird aus Berlin tele - graphiert: Herr und Frau Krupp v. Bohlen und Halbach haben der Deutschen Kolonialgesellschaft 17 500 zur Verfügung gestellt, um mit dieser Summe die von der Deutschen Kolonialgescllschaft veranstaltete freie Reise nach Deutsch-Ostafrika umfangreicher und nutzbringender zu gestalten. Dem Wunsche der Geber entsprechend hat die Deutsche Kolonialgesellschaft daraufhin die Reisegesellschaft nach Teutsch- Ostafrika um sechs aus Arbeiterkreisen stammende Mit - glieder vermehrt, so daß sie nunmehr aus 37 Personen besteht. Die Führung hat Herr Bezirksamtmann Dr. Karstedt über - nommen. Der Eifer, die Kolonialbegeisterung in Arbeiterkreisen durch Reise st ipendien zu fördern, ist mindestens verdächtig. Und daß sich auch die Firma Krupp an dieser Art Wohltätigkeit beteiligt, macht die Sache keineswegs harmloser. Wir fürchten, daß mit der Wurst nach dem Schinken geworfen werden soll und daß sehr bald eine sehr große Forderung für die Kolonien kommen wird, eine Forderung, für deren Bewilligung von langer Hand her Stimmung gemacht werden soll. Tic Kascrncndrauicn in der Statistik. Zum Luxemburg-Prozeß liefert Genosse P i n k a u in der „Chemniyer Volksstimme" einiges beachtenswerter Zahlen - material. Nach der amtlichen Statistik betrug die Zahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche im Heere: 1907/08 380 1908 09 371 1909/10 410 1910/11 425 Da auch das Militärjahr nicht mehr als 365 Tage hat, haben wir für jeden Tag mindestens ein .Kasernendrama — „Drama" im groben staatsanwaltsinne mit Mord und Totschlag. Wes - wegen klagt nun eigentlich der Herr Kriegsminister? Worin steckt die unwahre Bebauptung, die die Genossin Rosa Luxem - burg ausgestellt haben soll? Wortn liegt die Beleidigung, die sie zu Unrecht den Offtzicren oder sonst jemand im deuischcn Heere angetan hat? Ueber die Ursachen der Selbstmorde gibt die Mttitärstattstik in 5536 Fällen nähere Auskunft. In 4587 von diesen Fällen hängt die Selbsrmordursache unmittelbar mit dem D i e n st zu - sammen. Besonders hoch ist die Zahl der Selbstmorde jeweils im Januar. Tas „Militärwochenblatt" von 1894, Seite 74, bemerkt zu dieser Tatfachet ..Daß diese Steigerung besonderen dem Mili - tär eigenen Einflüssen unterworfen ist." An gleicher Stelle ge - steht das „Militärwochenblatt", daß die Selbstmorde im deutschen Heere fast doppelt so hock (genau 1,8 mal so hochl sind, wie die Selbstmorde in der männlichen Zivilbevölkerung von 20 bis 30 Jahren. In Frankreich betragen die Selbstmorde beim Militär nur 13 mal soviel, wie die selbiimordc in den ent - sprechenden Altersklassen der Zivilbevölkerung. Die meisten Soldatenselbstmorde fallen in da> erste Tienstjahr und in diesem wiederum in die er >te n sechs Monate.^ Im zweiten Tienstjahre begehen nur halb >ov:rl Soldaten selbstiiiord wie im ersten; im dritten Dienstjahr nur noch ein Drittel soviel. Auch das ist ein durchschlagender Beweis dafür, daß die soldalenselbstmorde mit bin Zuiiändcn in der Kaserne unmittelbar zusammenhängen. In die Zeit des scklinim- sten Rckrutendrill-'- fallen die meisten Selbstmorde, und je näher die Entlassung rückt, desto mehr nimmt die Zahl der Selbstmorde Beim Heere ab. Lobgcsang auf den starken Mann. Ter starke Mann ist nämlich — man sollte es nicht glauben! — der preußische K r i e g s m i n i st c r v. F a l k e n h a h n . und seine Stärke bat er Bewiesen — wiederum: man sollt' es nicht glauBenI — in dem Prozeß gegen Rosa Luxem- B u r g. Wer aber brüllt den Sologesang? Ter militäri'che Mit - arbeiter der „Rhein.-Wests. Zig." natürlich, und er hat falger^er Tert: Mit denkbar größter Ruhe neht man im Kriegsiitmisterium dem Kommenden entgegen. Richk in die Tunke beit, sondern ins Licht der An i Hütung will man, um einmal gründlich aufzure. umen, nachträglich zu strafen, wo ? nötig ist, und d j e W c st e rein z u halten! 7';et*t seldzug gilt nickt der kläglickeit Figur der ftosalie 2uic ' >rg. sondern dem lichischeuni, hetzerischen 2reinen der Soziald'mp- kratic, das an den Pranger gestellt und gebranbmarkt 1”-. • den soll. Wir wollen u>ks treuen, daß tatkr.: tige, aufrechte Männer ohne Rücksicht auf die Folgen in dieses Wesvenneü hineingreiren denn sie sind nickt gar zu Bäufig bei uns, diese Persönlichkeiten, die sich so etwas getrauen! „Ins Licht der Aufklärung" also will der starke Mann und geht darum, vorsichtig die Tur hinter sich zumachend. in de t Saal des Kriegsgerichts, verborgen hinter hohen Kajernenmauern. Und dort ivird die Weste reingcmacht! Barmherziger Himmel! Tiefer Bewunderer hat dem tapfsren Falkenpavn gerade noch gefehlt! • „Leider . . .!' Eine Korrespondenz hat die in Tait d>c gesamte Presse über« gegangene Mitteilung gebracht, daß in Preußen auf bem Ver - ordnungSweg ein schärferer Sehne der Arbeitswilligen ge - schaffen werden solle. Tic „Berl. Neuest. Nackr.", eines der bekanntesten scharfmacherblätter, hat sofort an „maß - gebender Stelle" Erkundigungen eingezogen und stellt nun feit, „daß an eine auf dem Verordnungswege erfolgende Revision der Maßregeli: zum Schutze Arbeitswilliger im Sinne einer Verstärkung dieser Vorschriften nicht — und wie wir ehrlich genug sind, hinzuzufügen — leider nicht zu denken ist". Dagegen soll man nach einer Meldung der „Berl. Morgen - post" im Reicksamt des Innern damit beschäftigt fein, eine Denkschrift über den angeblichen Terrorismus gegen Arbeits - willige ausziiarbeiten, die dann dem Reichstag zugehen soll. Man sollte meinen, die Feststellungen über die in der be - kannten Denkschrift zur Zuchthausvorlage — ..Posadowskh? Anekdotenschatz" — mitgeteilten „Tatsachen" sollten vor einer Wiederholung abschrecke, i. Aber es gehört ja z..in Wesen der Bureaukratie, unbelehrbar zu fein. Das Menschlein Matthias. Erzählung von Paul Jig. [1] ^Nachdruck verboten.) Erstes Kapitel. Die Einkehr zum Gupf. Die verwunschene Hütte unter dem bewimpelten Felskegel, „Gup," genannt, lag schon im kühlen Abendschatten, während jen - seits des Rickentobels das Licht noch verlockend auf allen Matten Ipielte und die niederen Berghäuschen mit den glühenden Scheiben ausiahen wie trunken von Sonnenschein. Vor der Schwelle, nur mit Hemd und Hosen bekleidet, lauerte ein sauberer Knabe, der e,n ..’' D ' t * ,rcmne 3'. schartiges Messer zückte, womit er das Gras 3nu;ct)en den klobigen Pflastersteinen abtat. Das gemeine, müh- efflöft schien ihn fuchsteufelswild zu machen; er stocherte tuckltch an dem Unkraut herum und wetzte die Klinge am Gestein, bas; os knir'ckte. Tie Äugen mochte er bei dieser Arbeit schon brauchen. Er starrte und horchte lieber hinab in das „LochS wo der Bach unterm Blätterdickicht von Tag zu Tag mächtiger rauschte, oder hinüber auf die jenseitigen Weiden, auf das von langer Winterhaft tammligc Vieh, dessen tolle Sprünge bei abgerissenem, windverwehtem Gebimmel den Beschauer wider Willen ergötzten. Auch den Hüterbuben konnte er erkennen. Der sprang unb hupfte wie ein Kobold zwischen den Kühen umher, KPlug Purzelbäume vor Uebermut, jodelte trotz einem erwachsenen °°er ließ seinen schnurrigen Lockruf erschallen: „Choom tmidli, wadli, toäbli — hoi, Bläß, hoi, hoi!" Von Zeit zu Zeit Leibeskräften durch das Schallrobr seiner Hände: „Matthias Bo—hi — a—bi-cho," worauf sich dann jedesmal über de, Jäters Haupt ein kleinem Mädchenkopf am Fenster zeigte unb m ' t 5L e ," fo durchbringender stimme herrisch hinuntergebot: „Cha .... ^ ei J cr “ fene .selbst gab keine Antwort, er stieß nur eine uHe über Frida, das Bäschen, aus, die seine Knecht- schäft so schadenTroh ,n die Welt hinauskreischte. Beinahe hätte er einen Kotklumpen auTgehoben, um die äffische Fratze zu zeich- nen. wäre dann für ihn auch nicht gut abgelaufen Er mußte ben Zorn verbeißen. Balb blickte er nur noch burch Tränen hinüber, wo sich bie vielen weißen unb braunen Flecke ber Herbe tm Golbiggrunen bewegten, ober hinunter ins Tal, wo bie Häuser dis zum Giebel in ein Blütenmeer versunken schienen. Was mochte bas für ein lieblicher Frühling sein unten im Trauben- mb Kirsckenlanb, zumal weiter vorn am See, von bem hinter pügelrütfcn gerade noch ein slußbreites, alle Sehnsucht aiifreizen- >es Band zu sehen war. Wenn bann gar noch ein Segelschiff irubet glitt, so hielt es das Herz in ber Brust nicht mehr aus. Matthias hauste wie ein Gefangner tn biefer Lergeinsamkeit. Aber seine Gebanken konnten sie nicht in Ketten legen. Darum führte er, trotz seiner Jugenb, ein richtiges Doppelleben. Zehn - mal am Tage schreckten ihn scheltende Stimmen von heimlichen Talfahrten auf oder seine Hüterin fuhr ihm ungestüm in bie Haare, um ben Zwiespalt zu schlichten, Seib unb Seele wieder orbentlich zu versammeln. Wozu mußte er jetzt Gras jäten, bas boch gleich toieber nach - wuchs? Er sollte bloß nicht in ber Stube sein, nicht sehen unb hören, was sie brinnen trieben unb tuschelten. Alle waren sie toieber gegen ihn. Daraus konnte er am besten merken, baß ein Besonberes im Schwange war. Als Konrab, ein weit über» Maß hinausgeschossener Zwölfte an ber Schulgrenze, den alle ben „Großen" nannten, mit einem Rückentragkorb, ebenfalls barfuß und nur um eine Flickeiiwesie reicher als Matthias, aus bem Hause kam, stieß diesen die Neugier, daß er schüchtern fragte: „Was mußt Du holen?" „Den Sonntagsbraten, was sonst!" entgegnete jener unwirsch, unsäglich erhaben. Tann pfiff er im Vollgefühl glücklicher Los- gebundenheit zuerst etlichemal schneidend, markerschütternd durch die Finger, wie um das Echo zu uzen unb bas bißchen Welt ba unten auf sein Kommen vorzubereiten. Ferner mußte bas für allerlei Einkäufe erhaltene Gelb nachgezählt unb auSgetistelt wer - ben, wo fick etwa ein Fünfer zu Eigeuzwecken abzwacken lasse. Dazu brauchte er all feine Grütze. Die Mutter rechnete gut unb scharf. Der mißvergnügte Jäter hingegen spionierte behutsam werter: „Hei, Du, so sag'» boch: was gibt's benn morgen zu Mittag?" Er lauerte vergeblich, ber Große ließ sich auf nicht» weiter ein. Mit einigen füllenhaften Sätzen war er schon fort, frisch, feberleicht wie ein Pfeil von Schöpfers Bogen geschossen, unb lachenb kam ber Bescheib zurück: „Gebratene Mückenfüßle und Maikäfer am Spieß!" Der Kleine verzog das Gesicht zu einer wüsten Grimasse; da jedoch nichts im Bereich seiner Rachsucht lag, überließ er sich 'halb wieder bem bitteren Gefühl ber Verlassenheit. Wer ihn jetzt ge - sehen hätte, wäre gewiß erschrocken vor biefem Spiegel kinblicher Verzweiflung. Welcher Stachel saß in bet schmächtigen Brust, welcher Wurm nagte an ber bläßlichen Blüte? Er fuhr au8 seinem schmerzlichen Sinnen erst wieder auf, als vom Loch her ein Stimmengemurmel an sein Chr schlug. Im Nu war er an ber Hausecke. Schreckhaft große Augen starrten hinunter. Doch beim Anblick ber Leute, bie auf bem holperigen Fußweg ächzenb hin unb her schwankten, schien er schwer ent - täuscht. Ein beleibter Mann in Hemdärmeln, dem die letzten Schritte zum Rastort orbentlich sauer fielen, rief das Bumchlein an, was es ba oben um gutes Gelb zu trinken gebe. Antwort bekam ber ebensowenig. Weber durch einen Laut noch burch ein Zeichen verriet ber Junge, ob er hören und sprechen könne. Eine Weile gaffte er bie Ankömmlinge feinbfelig an. Diese fetten Leute, bie keuchenb, schweißtriefenb, mit aufgeknöpften Westen unb Hemben da oben anlangten, wie Fiebernde nach einem Trunk gierten unb bann mit hüpfenben Halszäpfchen fürchterlich schluckten, mochte er sowieso nicht leiben. Warum konnten solche nicht lieber unten bleiben? In seinem Zorn backte er, ben Berg mühte bas Fell jucken, daß er sie abscküttle wie lästiges Geziefer. Endlick verschwand er hurtig in bem kleinen, an bet steilen Halbe nur so Hebenbcn Schinbelhaus, vor bem zwar in Sommers - zeiten mancher fragend stehen blieb: „Was für ein Halbnarr hat dich, elende Baracke, in diese Wildnis gestellt?" aber nicht ebenso viele verleitet wurden von dem bunten Schild, darauf ein üppiges »tilleben gemalt und zu lesen war: „Einkehr zum Gupf." Drei schmale Fenster zogen Lickt unb Luft hinein, zwei Luken belebten das niedere, branbbürrc Tack, bas ben braufenben Föhnstürmen, vor benen bas Haus geschützt lag, schwerlich wibexstanben hätte. Ein ängstlicher 'Betrachter mochte bann ben Blick noch fjunbert Meter höher schicken, wo ber Gupf mit brüchigen Steinmaffen grimmig herunterbrohte, so beschlich ihn vollenb» ein Granen vor dieser Ansieblung. Vor ber Hütte weitete sich der vom Dörflein Weihnachten ausgehende Weg, ähnlich einem Bachbecken, zu einem kleinen Rundplatz, dessen obere Hälfte ein bemooster Pumpbrunnen beherrschte, während die untere mit einigen arg verwitterten, spul - st gen Tischen und Bänken besetzt war. Hinter diesen stürzte sich ein wackerer Krautgarten gleichsam kopfüber in bie Tiefe, und ein felbftgefertigter Stab- unb Lattenzaun schützte ihn vor bem gefräßigen Hasenvolk, bem bie Vorsehung zum Glück alle filetier- fünfte versagte. Mit einem Befcheibenen Hühnerstall unb zwei ber- zeit an Pflöcken grafenben Ziegen war bie ökonomische Seite bc» Anwesens vollkommen erschöpft. DaS bißchen Wiefengrüti rund - herum schien wie mit einer Schere auS Wald und Wildnis aus - geschnitten. „BaSgoite — Leute!" rief Matthiä» mürrisch, fast als wolle er sagen: „Schelme, Landstreicher!" in die Stube hinein, wobei er einen neugierigen Blick auf den Tisch warf, an dem Fran Angehr, die Wirtin, mit ihren Töchtern Marie und Frida Vorbereitungen zum sonntäglichen Mittagsmahl traf. Tie Mädchen schälten Kar - toffeln, die Mutter verlas Kopfsalat. Taran war nun rein gar nichts Besonderes, und doch kam ihm die Sache verdächtig vor. Solche Schüsseln voll? Oder sah es nur nach viel aus? Ja, wenn er wenigstens gewußt hätte, ob es morgen Gesottenes ober Ge - bratenes gab: baran konnte er bann leicht selber merken, ob bet ersehnte Besuch kam ober nicht. Aber ach! Die Basgotte bürste et danach erst recht nicht fragen; sie wäre ganz anders aufgefahren. ?en Lohn für die gute Meldung bekam er ohnehin in harten Worten. Warum er nicht gleich nach dem Begehr der Leute ge - fragt habe? „Jedesmal, wenn ein fremder Mensch vors HauS kommt, läuft der alte Lalle wie ein Narr davon. Tu bist schon neune unb unsere ivriba kaum sechse — aoer bie weiß, was sich gehört. Mack, daß Tu heut’ noch mit bem I ten fertig wirit. Du Leimsieber, sonst jag ich Dich morgen um viere aut dem Bett!" schalt die Gefürch - tete im Ausstehen, streckte hiernach aber glcickwohl ein heiteres Willtoinmensgesicht zum Fenster hinaus unb erkundigte sich sanft, treuherzig, was den Herrschaften gefällig sei. Es gab Birnensaft von der schönsten Goldfarbe, der im Gesckmack keinem Flaschen - wein nachftand, für daS Mannsvolk Treustäbter Flaschenbier, für bie Tarnen Zitronenliin^nade. Wollte man bazu einen gültigen Bissen essen, so konnte sie im Handumdrehen mn echtein Cm men - taler, schön durchzogenem Räucherspeck, biirren Landjägern unb frifchgelegtcn Eiern antworten. Im Wirtshaus zum Gupf, ob - gleich es am Ende der Welt lag, wo Füchse unb Haien sich Gutnackt sagten, war noch keiner Hungers ^storben! Derweilen schlich ber „alte Lalle unb Leimsieder" bedruckt hinaus unb nahm, ohne den Gästen weiter einen Blick zu gönnen, fein Instrument toieber zur Hand. Er hörte nur, daß der Ticke in Hcmbärmeln Wasser pumpte, sich das Gesickt wusch unb dabei die Wege, die Berge sowie den Höhendrang der Weiber laut v«i- maledcite. Tie zwei Frauen sprachen ihm Mut zu, schildttten ht höchsten Tönen die Pracht der Aussicht vom Gupf bei Sonneu- untergang und hielten dabei dock verstohlen Rat, wie sie sich retten könnten, wenn sich eben jetzt ein Block von bem uberhängenben Felsen lösen sollte. Tann kant bie Wirtin mit ben Getränken, eie tat wie beim Anblick eines schweren Unfalls ganz entsetzt, all sie die Dafck anjtalten bes Fremben bemerkte, unb stampfte mit bem Fuße: „C herjemine, Bub', hast Tu keine Augen? Lauf scknell, hol bem Herrn ein sauberes Hanbinck heraus!" Matthias rührte sich jebock nicht vom Fleck; beim er wußte, baß ber Auftrag nicht so ernst gemeint war. llcbcrbic# roinftejier erhitzte Mann gleich ab: „Nickt nötig, gute Frau. Aber sagen ric. wie kommt eS benn, baß auf ber ganzen Strecke von Weihnachten bis hierher keine einzige Sitzgelegenheit zu finden ist, außer einer traurigen Ruine, Voit ber nur noch bie Pfähle geben’ DaS ist ja eine Barbarei ohnegleichen!" Auch die hübsch rot angelaufenen Weibsbilder n sckweren Lodenrocken beklagten diesen gemeinen Uebelstand. Es waren von jener Art deutsche- Touristen, denen mehr Wanderlust im Herzen liegt, als die Beine erschwingen können. Frau Angehr breitete ihre Labsale andächtig aus, verschwieg aber dabei wohlweislich, waS sie auf die Beschwerde zu sagen wußte. Sie hätte sonst bekennen müssen, daß die erwähnte Ruhe - bank weder von einem abgestürzten Felsblock noch von einer andern Naturgewalt zertrümmert worden, der Schaden vielmehr nur durch ruchlose Menschenhände entstanden sei. Aber sie iühlte sich doch recht peinlich an einen dunklen Augenblick erinnert, wo sie in Gegenwart ihres Nettesten auf den Guggisauer Kurve rein grockste, der ihr mit seiner übertr.ebenen Fürsorge nur die Gäste feenhafte Wieso bann ju>: in seidiger Nacht die beiden Bänke ober- unb unterhalb ber Wirtschaft zusammengehauen wurden, hatte sie nie erfragen mögen. „Es ist bloß, daß eben unsereiner selber nichts uvrig Hat, sonst