Nr. 303. Mittwoch, den 30. Dezember 1014. 28. Jahrgang. Hamburger Echo. Das »Hamburger <#rtio" erlernt täglich, außer Iliontage. »lbonnrmrntSVreiS durch tie Post bezogen ohne Bringegeld monatlich x 1,20, vlerteljährlich * 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 A frei ins Hous. Einzelnummer in der Erpeditton und den Ailialtn 5 4. SonnlagSnummer mit »Nene Welt« 10 4, bei den Straßenhändlern 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich * 2,70, für dar Ausland monatlich A 4,_ Redaktion: A t... Ex P ed itto w Fehlandstrabe 1L L Stock. ’V amDur 9 do Fehlandftraße 11. Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur I. Reitze in Hamburg. Anzeigen die ftebengefpallene Pelnzetl« oder deren Raum tu *. Arbeitvmart«. LtermierungH- und Familtenanzeigen 20 4. Anzeigen-Annahme Aehlandstr. 11. Erdgeschoß (bis 5 Ilhr nachmittagitf. in den Filialen, sowie in allen Annoneen-BureauS. Platz- und Datenvorschristen ohne Verbindlichkeit, Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung: Erdgeschoß. Buchdruckerei-Kontor: l. Klock. Fehlandstr. 11. Burgfriede und KlaflsenUampf, Von Konrad Haenisch. n ausländischen Parteiblättem wird es der deutschen Sozialdemokratie zum schweren Vorwurf angerechnet, daß sie bei dem Beginn des Krieges der Parole des so - genannten Burgftiedens zugestimmt und in allen diesen Kriegs - monaten — soweit es auf sie ankam — diesen Burgfrieden streng innegehalten hat. Das bedeute, so heißt es, ein grund - sätzliches Aufgeben des Klassenkampfes und seiner Ziele, das bedeute eine runde und nette Kapitulation vor den herrschenden Gewalten, vor „Wilhelm II. und seiner Regierung". Schaffen wir zunächst darüber Klarheit, worin der vielerörterte „Burgfrieden" denn in der Praxis eigentlich besteht, was sein Wesen ist und wo seine Grenzen liegen. Das ist um so not - wendiger, als in letzter Zeit auch in einigen bürgerlichen Blättern sich eine Diskussion über Art und Tragweite des „Burgfriedens" angesponnen hat. Das Wort des deutschen Kaisers aus den letzten Ilüitagen: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Teutsche", das er dann bei der Eröffnung des Reichstages am 4. August feierlich wiederholte, sollte und konnte natürlich nicht bedeuten, daß nunmehr für alle Zeiten alle Parteiunterschiede und Partei- gegensätze in Deutschland aus der Welt geschafft seien. Daran hat nicht einmal die Regierung selbst gedacht. Sagte doch am 2. Dezember im Reichstag Herr v. Bethmann-Hollweg, nachdem er an jenes Kaiserwort erinnert hatte: „Wenn der Krieg vorüber ist, werden die Parteien wiederkehren. Denn ohne Parteien, ohne politischen Kampf kein politisches Leben auch für das freieste und einigste Volk." Wer auch für die Dauer de? Krieges selbst haben die politischen Parteien und hat besonders die Sozialdemokratie keineswegs zu existieren aufgehört. Ihr ganzer politischer Apparat, ihre Organisaffonen und ihre Sekretariate, ihre Bil- dungsausschüffe und ihre parlamentarischen Vertretungen in Reich, Staat und Gemeinde; alles das besteht und funktioniert vor wie nach. Die Zeitungen der Sozialdemoü'aiie haben zum TeU während des jkriegszustandes an Abonnenten sogar gewonnen. Auch die wirtschaftliche Rüstung des Proletariats, das Gewerk- schasts- und Genoffenschaftswesen, ist durchaus intakt geblieben. Ebensowenig wie von ihren bewährten Waffen hat die moderne Arbeiterbewegung selbstverständlich von ihrem Programm irgend etwas aufgegeben. Heute wie stets ist sie der Ueber - zeugung, daß alle politischen Kämpfe in letzter Linie Klasfen - kämpfe, daß alle politischen Parteien im Grunde genommen Sachwalterinnen bestimmter Klassenintereffen sind. Heute wie stets sind wir davon durchdrungen, daß die tiefste Quelle aller gesellschaftlichen Uebel das Privateigentum an den Arbeitsmstteln ist, daß die auf diesem Privateigentum, auf dem wirtschaitlichen Kampf aller gegen alle sich aufbauende kapitalistische Pro - duktionsweise — einen so ungeheuren gesellschaftlichen Forffchritt sie einst bedeutete — keineswegs das letzte Wort aller wirt - schaftlichen Entwicklung ist, daß sie vielmehr selbst in ihrem Vorschreiten immer mehr die Bedingungen schafft für neue und höhere Formen des Produktionslebens: für den Sozialis - mus. Für jenen Sozialismus, dessen Kommen die ganze Mensch - heit erlösen wird, dessen Verwirklichung aber nur das Werk der zum Bewußtsein ihrer großen historischen Mission erwachten Arbeiterklasse fein sann. Den deutschen Sozialdemokraten möchten wir sehen, der während des Krieges oder gar durch den Krieg zu einem Aufgeben dieser seiner Grundanschauungen gekommen wäre! Gewiß haben viele von uns in diesen weit- geschichtlichen Tagen manches Neue gelernt, haben, um den Modeausdruck zu gebrauchen, in mehr als einer Beziehung „umlernen“ müssen. Die Widerstandsfähigkeit und die An- Passungsfähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft erscheinen uns heute größer als früher, und auf der anderen Seite ist manche frühere Illusion über die Kraft und die unmittelbare Mons- fähigkeit des sozialistischen Proletariats durch die Ereignisse heute grausam zerstört worden. Manches, was wir früher sehr nahe sahen, erscheint uns heute wesentlich ferner gerückt. Das Alles aber berührt das Programm, das Alles berührt die Grundanschauungen der Sozial - demokratie in keiner Weise. Ganz im Gegenteil! Haben doch gerade die furchtbaren, die namenlos entsetzlichen Er - lebnisse dieser letzten Monate uns allen deutlicher als je irgend etwas früher Dagewesenes zum Bewußtsein gebracht, welche schauerlichen Gefahren für die Menschheit und für ihre Kultur die auf Privateigentum und Konkurrenzwirtschaft gegründete kapitalistische Produktionsweise in ihrem Schoße birgt. Und hat auf der anderen Seite die Summe der Erscheinungen, die man „Kriegssozialismus“ nennt, doch gezeigt, daß in gefahrvollen Situationen selbst der bürgerliche Staat nicht mehr auskommt ohne Maßnahmen, die dem Arsenal der sozialistischen Wirt - schaftsprinzipien entnommen sind. Mag die praktische Anwendung dieser Prinzipien noch so zaghaft, noch so verspätet, noch so unzulänglich und noch so unvollkommen sein! Zusammengefaßt: Weder von ihrem Programm und von ihren Endzielen, noch von ihrem politischen Apparat hat die Sozialdemokratie dem „Burgsrieden“ zuliebe irgend etwas preiv- gegeben. Sie hat nicht ihre Seele geopfert, um den Körper zu retten, nicht die Form erhalten, aber den Geist preisgegeben, wie um den 4. August herum mancher glaubte, noch auch hat sie mutwillig und ohne Not jene Waffen zerbrochen oder zer - brechen (affen, ohne die niemals die sozialistische Seele Gestalt annehmen, ohne die niemals der sozialistische Geist zur Tat und zur Wahrheft werden kann. Was wir für die Kriegszeit dem „Snrgfrieoen" geopfert haben — und zwar nicht irgend einem äußeren Zwange ge - horchend, sondern aus freiem Entschluß und im wohlverstandenen Interesse des Proletariats selbst — das sind allein die Formen und Me - thoden des politischen Kampfes. Daß diese Formen und Methoden andere sein müssen im tiefen äußeren Frieden, andere, wenn die Welt durchtost ist vom Lärm der Waffen: das sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Haben doch auch früher schon bei weniger ungeheuren Verschiebungen der Situation die Formen und Methoden unseres Kampfes sich geändert. Sie waren vor dem Sozialistengesetz andere als während der Herrschaft dieses Gesetzes, und nach 1890 waren sie wiederum andere. Gewiß: Massenversammlungen und Straßendemonstrationen veranstalten wir heute nicht, unsere Flugblattagitation stockt und die Sprache unserer Zeitungen klingt heute wesentlich anders als vor dem 1. August. Die Fragen, die damals die öffentliche Diskussion beherrschten und die Spalten unserer Blätter füllten, die Fragen der Klassen - justiz und der Aenderung des Strafgesetzbuches, Steuerfragen und Fragen der Neugestaltung der deutschen Zoll- und Wirt - schaftspolitik: sie alle sind heute ganz in den Hintergrund getreten. In den Parlamenten werden — unter ausdrück - licher Zustimmung der Sozialdemokraten — die Debatten auf das äußerste beschränkt; wie alle Parteien, so legen auch wir in der öffentlichen Besprechung von Maßregeln und Miß - ständen uns die durch die Kriegslage von selbst gebotenen Be - schränkungen auf. Wahlkämpfe finden wohl hier und dort statt, wie jüngst bei bayerischen und auch einzelnen preußischen Gemeinderatswahlen, bei denen die Sozialdemokratie sick mit Ehren schlug, aber der Ton der Wahlaufrufe unterscheidet sich sehr wesentlich von dem sonst gewohnten. Bei den Ersatz - wahlen zu den Einzellandtagen und zum Reichstag fehlt es an einem öffentlich bemerkbaren Wahlkampf fast ganz, ohne Gegenwehr überlassen die übrigen Parteien der bisherigen Mandatsinhaberin auch künftig die Vertretung. Genosse Stubbe wird demnächst ebenso ohne Gegenkandidaten in den Reichstag einziehen wie vor ihm Genosse Oskar Geck und der nationalliberale Herr Dr. Stresemann. Wer aber diese zeitweilige Aenderung in den äußeren Formen und in den Methoden des politischen Kampfes für Selbstentmannung ansieht, für ein Aufgeben des Klassen- kampsgedankens und des sozialistischen Prinzips, der beweist damit nur, daß er es ist, der Form und Inhalt, der Körper und Seele nicht voneinander zu unterscheiden vermag. Es ist nichts anderes als die alte, aber ewig wieder neue Ver - wechselung zwischen Prinzip und Taktik, die niemand un - ermüdlicher bekämpft, die niemand erbarmungsloser verspottet hat, als der Genosse Liebknecht — der alte Liebknecht! Von i h m stammt das bekannte Wort: „Aendern sich die Ver - hältnisse vierundzwanzigmal am Tage, so ändere ich ebenso oft meine Taktik. . . " Ist also die Tätigkeil der Sozialdemokratie in diesen Tagen des „Burgfriedens" nur verändert, keineswegs aber ausgeschaltet: worin besteht sie? Um es mit einem Worte ganz knapp, wenn auch keineswegs erschöpfend zu kenn - zeichnen: an die Stelle der äußeren OrganisationS- und Agitationsarbeit ist in hohem Maße das getreten, was man gern die „positive" Arbeit nennt. Man mißverstehe uns nicht! Niemandem kann eS ferner liegen als uns, auf der einen Seite die Erfolgsmöglichkeiten dieser sogenannten „positiven" Arbeit allzu hoch einzuschätzen und auf der andern Seite den außerordentlich hohen Wert der auch praktischen, auch positiven Kleinarbeit in Agitation und Organisation etwa zu unterschätzen. Ebensogut wissen wir, daß und in wie hohem Maße auch vor dem Kriege schon neben der AgitationS- und Organisatiottstätigkeit von der Sozialdemokratie wichtige „praktische", „positive" Arbeit im eigentlichen Sinne des Wortes geleistet worden ist. Es handelt sich für uns hier nur darum, klar und scharf herauszuheben, was das wesentliche, das kennzeichnende Moment der sozialdemokratischen Arbeit während des Krieges ist. Und das ist eben das völlige Ueberwiegen dieser prak - tischen" Arbeit gegenüber der sonst gewohnten Arbeit in Agi - tation und Organisation! Daß wir uns die sozialdemokratische Aktion während des Weltkrieges früher alle ganz anders v o r g e ft e 111 hatten, tut hier nichts zur Sache. Wir wollen nicht konstatieren, was nach unfern Wünschen hätte sein sollen, sondern das, was tatsächlich ist. Im einzelnen zu schildern, wie sich die positive Arbeit der Sozialdemokratie während des Kriege« gestaltet hat, da« ist hier weder möglich noch notwendig. Es genügt, auf das wichtigste hinzuweisen: statt des auf internationalen Kon - gressen früher so lebhaft erörterten Massenstreiks im Kriegsfälle, begannen sofort nach de« Ausbruch de« Krieges die Arbeiterorganisationen damit, alles aufzubieten, um nützlichst große Massen zu beschäftigen. Auch der noch in Kopenhagen im Jahre 1910 besonders von englischer Seite warm empfohlene partielle Streik in den für den Rüstungsbedarf arbeitenden Industrien trat nicht ein — die Gewerkschaften bemühten sich vielmehr nach Kräften, gerade in diesen Betrieben möglichst viele Arbeiter unter - zubringen. Regierung und Arbeiterorganisationen traten sich nicht, wie man vermutet hatte, sofort in schroffster Feindschaft gegenüber, sie begannen vielmehr ein bisher in Deutschland ganz unbekanntes Hand-in-Handarbeiten, zunächst auf dem Gebiete einer großzügigen Arbeitsvermittlung. Mit Hilse der Gewerkschaften warfen die Behörden zahlreiche Arbeitskräfte aus der Industrie aufs Land, um — der Krieg brach in den ersten Augusttagen aus! — die Ernte unter Dach und Fach zu bringen. Mit ihrer großen Sachkenntnis und ihrer jahrelangen Erfahrung stehen seit Kriegsbeginn leitende Personen aus der Partei- und aus der Gewerkschaftsbewegung der Regierung zur Seite zur Bewältigung der außerordentlich schwierigen sozialpolitischen unv wirtschaftlichen Probleme, die der Krieg aufwirft, überall vorwärtsdrängeno, überall mit zäher Entschlossenheit ankämpfend gegen die kapitalistischen Widerstände. Handele es sich nun nm die hochwichtigen Fragen der Festsetzung von Höchstpreisen für Großhandel und Kleinverkauf, bandele es sich um vorläufige Beschlagnahme von Vorräten oder um definitive Enteignung wichtiger Warenmassen, handele es sich um die Frage der Höhe und der Ausdehnung der Kriegsunterstützungen, um die Schaffung neuer Arbeitsgelegenheit, um die Unterstützung der Arbeits - losen oder um sonst eine der tausend Fragen, die der Krieg teils aufgeworfen, teils brennend gemacht hat: überall sehen wir unsere Partei und die Gewerkschaften rüstig an der Arbeit! Und so wie oben, so unten! Von den Riesenstädten an bis in die letzte Dorfgemeinde Yin, in der es Sojtatoemolraten gibt, find unsere Genossen rastlos tätig in Fürsorge- und Unter: l'tützungskommis sionen, in Ausschüssen und Hilfsvereinen aller nur denkbaren Art. Unsere Genossen — und nicht zum wenigsten auch unsere Genossinnen i Auch schroffe Gegner der Sozialdemokratie erkennen, soweit sie sich nur einen Rest von Objektivität bewahrt haben, den ungeheuren sozialen und natio - nalen Wert der hier von unserer Seite geleisteten Arbeit rück - haltlos an. In Steuerfragen, in Fragen des Mietsrechts, in gewerberechtlichen Fragen: überall sind wir Sozialdemokraten massen. Auch das ist Klassenkampf — wenn auch eifrig am Werke im Dienste der von uns vertretenen VolkS- Klassenkampf in den Formen, wie die Notwendigkeiten des Krieges sie eben erheischen! — Das ist die eine Seite der Tätigkeit, die die Partei in diesen Tagen entfaltet. Die andere Seite dieser Tätigkeit besteht darin, daß die Partei wie die Gewerkschaften alles daransetzen, um sich selbst lebens- und leistungsfähig zu erhal - ten für die gewaltigen Aufgaben, die nach dem Kriege an das klassenbewußte Proletariat herantreten werden. Lebens- und leistungsfähig trotz des furchtbaren Blutverlustes, den der Krieg nicht zum wenigsten auch von der organisierten Arbeiterschaft fordert. Wir wünschen und hoffen gewiß alle, daß nach dem Kriege die tausenderlei polizeilichen und gesetzlichen Nadelstiche, mit denen in früheren Zeiten die Arbeiterbewegung in Deutschland gepeinigt wurde, nicht wiederkehren mögen. Wir wünschen und mehr die Rede sein wird. Aber alle diese Dinge, so sehr sie unsere die Rede sein wird. Aber alle diese Dinge, so sehr sie unsere Zeit, unsere Arbeitskraft und unsere Nerven in Anspruch ge - nommen haben, sind ja doch in unserem Kämpft nie das Be - stimmende gewesen, und schr kleinmütig und kleingläubig wären die unter uns, die da etwa meinten, ohne den altgewohnten Krakeel mit der Polizei werde der Klassenkampf „einschlaftn", werde das sozialistische Prinzip „verwässert" werden. Der Klassenkainpf ist auch nicht „eingeschlafen" und das Prinzip ist auch nicht „verwässert" worden, als das Sozialistengesetz zu be - stehen anfhörte. Der Kampf der Klassen und das aus chm mit Naturnotwendigkeit herausgewachsene Endziel, die klassenlose sozialistische Gesellschaft, ergeben sich so ftlbstverstäMich aus der kapitalistischen Produktionsweise, daß eS einfach Unsinn wäre, zu glauben, Beides werde zu existieren aufhören, sobald es keine Polizeischikanen, keine militärischen Saalverbote, keine Politisch- Erllämngen der Gewerkschaften und keine Verfolgungen der freien Jugendbewegung mehr geben wird. Ganz im Gegenteil wird sich bann erst, befreit von allem nebensächlichen Beiwerk, das historische Wesen des großen Klassenkampfts zwischen Bourgeoisie und Proletariat sich zu voller Reinheit und Schärft durchringen. Romantiker mögen jenes Beiwerk für das Wesentliche halten, wie ja auch vor einem Vierteljahrhundert beim Falle des Aus - nahmegesetzes mancher in unseren Rechen das Auchören des frisch-fröhlichen Kampfes gegen die politische Polizei aufrichtig bedauerte. Aber, wie gesagt: dieses Beiwerk ist eben nur — Beiwerk de« Klassenkampfts und durchaus kein erfreuliches Beiwerk. Der Klassenkampf selbst, der politische wie der wirtschaftliche Klassenkampf, bleibt, auch wenn dieses Bei - werk fällt. So wenig wie vor dem Kriege werden, das wissen wir alle, nach dem Kriege Löwe und Lamm friedlich in einem Stalle mit - einander hausen. Solange es eine .Klassengesellschaft gibt, roirb es auch Klassenkämpft geben. Niemals werden innerhalb der kapitalistischen Wirtschastsweift Produzent und Konsument, Kleinhandwerker und Großindustrieller, Bourgeois und Arbeiter sich zu dauernder .Harmonie vereinigen können. Dieser Kamps der Klassen ist ebensowenig „Schuld" der einen oder der andern Klasse, wie er eine Erfindung gewissenloser „Hetzer" ist. Er ist der Geschichte ehernes Muß. . . . Und für diese großen Klassenkämpft der Zukunft, für die nach dem Kriege unabweislich einsetzenden gewaltigen Kämpf» für eine großzügige Sozialreform auf der einen Seite und für die Demokraftsierung Preußens und Deutschlands als Bor bebingung der endgültigen Befreiung des ganzen Volkes auf der andern Seite — für diese großen Kampfe der Zukunft müsset wir die wirtschaftlichen und die politischen Organisationen bet Arbeiterklasse aufrecht unb schlagkräftig erhalten. Auch rnbero wir dies tun in ben harten Tagen des Krieges, treiben mit Klassenkampf, bereiten wir neuen Klaffenkampf vor. Klassen kampf aber nicht nur zum Nutzen beS Proletariats, sondern in letzter Linie zum Heile unb Segen beS ganzen beut« scheu Volkes! Denn niemals ist unser sozialistischer Klaflenkampf ein antinationaler, ein oa ter l anbSf ei nbIi d)er Klassenkampf gewesen. Indem wir die ungeheuren Massen des arbeitenden Volkes durch diesen Kamps für die soziale und politische Kultur unseres Vaterlandes, für seine wissenschaftliche und künstlerische Kultur zu gewinnen suchten, stärkten wir eben dieft Kultur in einem früher ungeahnten Maße, gaben wir ihr erst das breite, sichere und unerschütter - liche Funbament, dessen sie bedurfte, um in den Stürmen dieses Weltkrieges bestehen zu können. Nicht zum wenigsten bet Klasftnkamps bet Sozialdemokratie ist es gewesen, Der unser deutsches Volk körperlich, geistig und sittlich zu den ungeheuren Leistungen tüchtig gemacht hat, die es heute vollbringt. Die nationalen Interessen im richtig verstandenen Sinne unb die Interessen des proletarischen Klassenkampfts münden eben schließlich durchaus in dasselbe Bett. So hat der proletarische Klaffenkampf, so sehr er den Krieg an sich verabscheut und so wenig er gewillt ist, a 11 e Schuld an den gräßlichen Ereignissen unserer Zeit nur bei den Gegnern Deutschlands zu suchen, doch die ungeheure nationale Kraft- entfaltung dieser Tage überhaupt erst ermöglicht. Auf der andern Seite aber ist er, nun der Krieg einmal da ist, auf Tob unb Leben daran interessiert, daß diese Kraftanstren - gung jetzt auch restlos ihr Ziel erreicht: die volle Aufrecht - erhaltung der politischen Unabhängigkeit Deutschlands Ruß - land gegenüber und seiner wirtschaftlichen Machtstellung und Unabhängigkeit gegenüber dem englischen Kapitalismus. Diesem einen großen Ziele haben sich in den Tagen des „Burg - friedens" alle anderen Erwägungen unterzuordnen. Nicht weil die Regierung es verlangt, nicht weil ein Zensor es so haben will (mit äußeren Gewalten ist die Sozialdemokratie schließlich noch immer fertig geworden), stehen wir zum Burg - frieden! Nicht deshalb halten wir ihn, weil uns plötzlich das politische Rückgrat gebrochen ist, weil wir Sozialdemokraten etwa seit dem 4. August mit einem Male alle schweifwedelnde unb stumme Hunde geworden sind! (Das sclbstverständlichc Recht zum eigenen Urteil, bas Recht selbständiger ernster Kri - sis überall da, wo das Gemeinwohl sie erfordert, lassen wir uns auch heute nicht unterbinden!) Nein — aus freiem, wohl - erwogenem Entschlusse heraus halten wir ben Burg- frieben, wir tun es, weil Pflicht unb Gewissen es uns gebieten, weil bas Interesse unserer Klaffe es erheischt, das un - trennbar verbunden ist mit dem Wohle unseres Vaterlandes! Genosse Jules Guesde, der strenge, revolutionäre Marxist, sagte neulich dem Sinne nach: „Gerade bas Wohl unb Inter - esse ber Arbeiterklasse zwingt uns, allen innerpolitischen Kampf so lange bem Kamps für bas Vaterland völlig unter« zuordnen, bis das Ziel dieses Krieges erreicht ist." Darum traten Guesde selbst unb,©embat in das französische Ministe - rium ein, darum stellte sich ein hervorragender französischer Genosse in den Dienst der Zensurbehörde, darum arbeitet unsere französische Parteileitung aufs engste Hand in Hand mit dem Ministerium ber Brianb, Milleranb und Viviani! Darum proklamierte sie sofort bei bem Ausbruch beS Krieges für Frank reich den „Burgfrieden"! Und kein gerecht denkender Sozialist wird unsere französischen Brüder deswegen verurteilen. Dasselbe Gebot der gleichen Notwendigkeit gilt aber auch für die deutsche Arbeiterklasse! In bem Sinne unb in der Begrenzung, wie wir das oben skizzierten, ist deshalb auch für die deutsche Arbeiterklasse ber Burgs rieben eine eherne Not- wenbigkeit! Nicht um ben Klassenkampf abzuschwören halten wir ehrlich unb gewissenhaft die Parole beS Burgfriedens inne, sondern um uns den Boden zu sichern, auf dem allein wir diesen Klassenkampf zu seinem siegreichen Ende führen können. Zum Heile des ganzen deutschen Vaterlandes, zum Heile des g a n z e n deutschen Volkes — zum Heile schließ - lich auch ber Menschheit 1