Nr.  i». 
Mittwoch,  den  12.  Januar  1916. 
30.  Jährig. 
LamdurgerEcho 
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Die  -eutfthe  Sozial-emokratie  in  ihrer  großen  Rrißs. 
Von  Dr.  Paul  Lensch. 
in. 
Die  historische  Stellung  Deutschlanüs. 
sdas  Hauptbollwerk  der  Reaktion  und  des  Mili- 
tarismuS  soll  der  Träger  des  historischen  Fort- 
schritts  sein?  Und  von  seinem  Schicksal  soll  nun 
gar  noch  das  Schicksal  der  Demokratie  und  des  internationalen 
Sozialismus  abhängen? 
Und  dann:  sagen  das  Gleiche  nicht  auch  von  ihren  Ländern 
die  französischen,  die  englischen,  die  italienischen  und  vielleicht 
auch  noch  die  russischen  Sozialdemokraten?  Ist  das  nicht 
wirklich  bloß  eine  in  allen  kriegführenden  Ländern  wieder -
kehrende  Phrase,  mit  der  man  lediglich  die  eigene  Preisgabe 
internationaler  Grundsätze  beschönigen  will? 
Und  hat  nicht,  selbst  wenn  man  davon  absieht,  dieselbe 
Phrase  int  Munde  eines  französischen  oder  englischen  Sozia -
listen  viel  mehr  Berechtigung,  als  im  deutschen?  Englische 
Demokratie,  französische  Freiheit  sind  ebenso  weltbekannt,  wie 
deutsche  Bedientenhaftigkeit.  In  jenen  beiden  Ländern  herrscht 
das  Parlament,  das  eine  ist  eine  ganze,  das  andere  eine  halbe 
Republik.  Beide  haben  der  Welt  wenn  auch  nicht  die  Freiheit, 
fo  doch  Freiheiten  in  reicher  Fülle  gebracht,  uns  es  hat  schon 
seinen  Grund,  wenn  Frankreich  und  England  allenthalben 
ebenso  geliebt  und  verehrt  werden,  wie  Deutschland  gehaßt 
und  verabscheut  wird. 
Wir  kennen  das  Register,  und  trotzdem  bleibt's  dabei:  das 
Schicksal  der  Demokratie  und  des  internationalen  Sozialismus 
ist  an  das  Geschick  des  Deutschen  Reiches  geknüpft.  Inder 
Weltrcvolution  von  heute  vertritt  Deutsch -
land  das  revolutionäre,  England-Rußland 
das  reaktionäre  Prinzip. 
Das  gilt  es  nun  allerdings  zu  beweisen. 
Zunächst  eine  Gegenfrage.  Warum  gibt  es  weder 
in  Frankreich  noch  in  England  Sozialismus? 
In  Frankreich  betrug  die  Anzahl  der  organisierten  Partei- 
^M'.tLlikdLr,  ^ric^c  etwa  7ü  OOQ,_bic  Zahl  der  zahlenden 
Gewerkschafter  wird  kaum  je  über  400  000  gestiegen  sein. 
Tie  französischen  Gewerkschasten  waren  vor  dem  Kriege 
syndikalistisch  und  standen  in  einem  sehr  frostigen,  wenn  nicht 
direkt  feindlichen  Verhältnis  zur  Partei.  In  England  liegen 
die  Dinge  anders.  Dort  gibt  es  mehrere  sozialistische  Gruppen, 
die  aber  weder  den  Umfang  noch  den  Charakter  kleiner  Sekten 
abgestrcift  haben.  Kleine  Wochenblättchcn,  die  aus  den 
Finanzschwierigkeiten  selten  herauskommen,  sind  ihre  Organe. 
Ueber  die  englischen  Gewerkschaften  bedarf  es  keiner  weiteren 
Worte.  Sic  sind  weltbekannt.  Sie  sind  in  mehr  denn  1000 
selbständige  Vereine  zersplittert,  deren  Mitglieder  vom  Sozia -
lismus  oder  gar  von  internationaler  Solidarität  kaum  je  etwas 
gehört  haben.  Im  Grunde  sind  sie  Kleinbürger,  meist  ohne 
eine  Spur  geistiger  Interessen.  Eine  Arbeiterpresse  kennen 
sie  nicht  und  sind  weder  imstande  noch  willens,  eine  solche  zu 
halten.  Als  die  Arbeiterpartei  vor  einigen  Jahren  sich  eine 
große  tägliche  Zeitung  in  London  schuf,  den  „Daily  Citizen", 
da  mußte  sie  sich  ihre  hoch  bezahlten  Redakteure  direkt  aus 
einem  bürgerlichen  Blatt,  der  berüchtigten  „Daily  Mail", 
holen.  Aus  ihren  eigenen  Reihen  konnte  sie  augenscheinlich 
die  Posten  nicht  besetzen.  Das  Blatt  ist  im  Kriege,  nachdem 
es  Millionen  verschlungen,  eingegangen.  Ueber  kein  Land  sind 
den  deutschen  Arbeitern  so  abgeschmackte  Märchen  erzählt 
worden,  wie  über  England.  Als  ich  daher  in  meiner  Schrift 
über  das  englische  Weltreich,  die  im  Herbst  erschien,  ein  un -
geschminktes  Bild  der  dortigen  Verhältnisse  gab,  da  fiel  der 
gute  Bernstein  über  mich  her  mit  einem  rührenden  Zorn  und 
verteidigte  England  wie  eine  Löwin  ihr  Junges.  Die  Tatsache 
aber  konnte  er  nicht  aus  der  Welt  schaffen,  daß  die  an  Kultur 
und  politischer  Freiheit  älteren  Länder,  Frankreich  sowie  Eng. 
land,  bar  sind  jeder  spezifischen  Arbeitcrkultur,  daß  eine  sozia- 
listische  Bewegung  von  Bedeuütng  in  ihnen  überhaupt  nicht 
existiert,  daß  vor  allem  aber  die  geistige  und  auch  die  materielle 
Entwicklung  der  Arbeiterklasse  seit  geraumer  Zeit  schon  nicht 
mehr  vom  Fleck  kommt. 
Die  deutsche  Arbeiterklasse  hatte  es  nicht  so  gut  gehabt  wie 
die  französische  oder  gar  englische.  In  mühseligem  Kampfe 
hat  sie  sich  erst  die  immer  wieder  bedrohten  fundamentalsten 
Rechte  erobern  müssen;  bis  noch  vor  25  Jahren  stand  sie  als 
geächteter  Paria  rechtlos  da.  Seit  jener  Zeit  erst,  seit  dem 
Füll  des  Sozialistengesetzes,  konnte  sie  sich  etwas  freier  ent -
falten.  Und  in  diesem  Vierteljahrhundert  hat  sie  Leistungen 
vollbracht,  die  einzig  dastehen  in  der  Geschichte  und  die  Eng -
lands  Arbeiteraristokratie  nicht  in  der  vierfachen  Zeit  fertig -
gebracht  hat,  von  der  französischen  zu  schweigen.  In  die  Ein -
zelheiten  einzugehen,  ist  an  dieser  Stelle  nicht  nötig.  Ilber  die 
Tatsache  ist  unbestreitbar  und  verlangt  ihre  Erklärung.  Sic 
ist  nicht  mit  den  armseligen  Redensarten  abzumachen,  mit  denen 
jetzt  französische  und  englische  Arbeiterführer  die  deutsche  Ar -
beiterbewegung  herabzusetzen  suchen.  Hier  kommt  vielmehr  ein 
Stück  deutscher  Vergangenheit  zutage,  die  man  in 
ihrem  Zusammenhang  überschauen  muß  und  deren  Erkenntnis 
uns  erst  den  Blick  für  die  historische  Stellung  Deutschlands  in 
der  Gegenwart  erschließt. 
Von  allen  großen  Völkern  Europas  tat  keines  einen  so  tiefen 
Fall  wie  das  deutsche.  Das  Zeitalter  des  aufkommenden  Kapi -
talismus,  das  17.  Jahrhundert,  zeigt  Deutschland  in  voller  91ttf- 
lösung  und  Ohnmacht.  Die  Verschiebung  der  Welthandelsstraßen 
durch  die  Entdeckung  neuer  Seewege,  die  für  England  und 
Frankreich  den  Beginn  reichster  Entwicklung  bedeuteten,  brachte 
über  Zentraleuropa  einen  vollen  Rückfall  in  Naturalwirtschaft 
und  Armut.  Der  dreißigjährige  Krieg  gab  den  Rest.  Die  Re -
formation,  die  für  Englands  geistigen  Aufstieg  unerhörte  Be -
deutung  hatte,  verdorrte  in  Deutschland  und  war  für  die  Be -
freiung  der  Persönlichkeit  fast  völlig  ergebnislos  geblieben.  Erst 
in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  begann  wieder  der 
Aufstieg.  Sein  wirtschaftlicher  Träger  war  freilich  das  Bür -
gertum,  aber  sein  politischer  war  der  deutsche  Fürstenstand,  was 
die  Bedeutung  des  deutschen  Fürstentums  erklärt,  die  es  sich  bis 
in  unsere  Tage  zu  erhalten  verstanden  hat.  Seinen  Aufstieg 
konnte  das  deutsche  Bürgertum  freilich  nur  int  Schatten  und 
unter  der  lässigen  Duldung  eines  übermächtigen  Auslands  neh -
men.  Unter  allen  europäischen  Völkern  war  im  19.  Jahr -
hundert  keines  so  gering  geachtet,  wie  das  deutsche.  Seine  poli -
tische  Machtlosigkeit,  begründet  auf  der  nationalen  Zerrissen -
heit,  war  die  stillschweigende  und  selbstverständliche  Voraus -
setzung  für  die  Machtpolitik  Englands,  Rußlands  und  Frank -
reichs.  Denn  diese  drei  Mächte,  die  sich  jetzt  zur  Vernichtung 
Deutschlands  die  Hand  gereicht  haben,  hatten  von  der  politischen 
Ohnmacht  Zentraleuropas  seit  Jahrhunderten  den  größten  Nutzen 
gehabt.  Gegen  diese  Mächte  aufzukommen,  hieß  in  wirtschaft -
licher  Hinsicht  für  Deutschlands  entstehende  Arbeiterklasse  im 
Hungerlohn  arbeiten,  in  politischer  Hinsicht  aber,  eine  Macht 
gegen  die  andere  ausspielen.  Der  ganze  Jammer  deutscher  Aus -
landspolitik  und  wirtschaftlichen  Elends  liegt  hierin  begründet. 
In  dem  jungen  Preußen  besonders  kam  ein  richtiger  Proletarier 
unter  den  Bourgeoisie  floaten  Europas  in  die  Höhe,  ein  „puer 
robustus  et  malitiosus",  ein  starker  und  böswilliger  Bursche, 
wie  Hobbes  einmal  das  Proletariat  bezeichnet.  Diese  gesckicht- 
lich  gegebenen  Bedingungen  entwickelten  in  dem  führenden 
Staaie  Norvdeutschlands  ganz  bestimmte  Erscheinungen.  Zu -
nächst  den  Zwang,  die  bescheidenen  Kräfte  des  Landes  durch  O  r  - 
ganisation  zu  vervielfachen.  Er  führte  als  erster  Staat 
die  allgemeine  Wehrpflicht  ein,  eine  Maßregel,  zu  deren  Bei -
behaltung  er  sich  nach  den  Feldzügen  gegen  Napoleon  nur  in  öer 
Not  neuer  drohender  Kriege  entschloß,  als  sich  noch  auf  Dem 
Wiener  Kongreß  Oesterreich,  England  uitD  Frankreich  am 
3.  Januar  1815  gegen  Rußland  und  Preußen  verbündeten. 
Europa  stand  damals  dichr  vor  dem  gleichen  Schicksal,  das  der 
Balkan  in  feinem  zweiten  Balkankrieg  erlebt  hat,  als  Die  so -
eben  Befreiten  ob  Der  Beute  einander  in  die  Haare  fuhren.  Die -
ses  Zwang  zur  Organisation  und  zur  sparsamen  Verwendung 
der  Kräfte  gab  Der  Staatsverwaltung,  ohne  Die  Das  alles  nicht 
Durchzuführen  war,  von  vornherein  eine  überragende  Bedeutung. 
Und  Diese  Organisation  übertrug  sich  auch  sehr  balD  unD  sehr 
grünDlich  auf  Das  Wirtschaftsleben. 
Mit  alleDem  entstanD  in  Dem  kapitalistischen  Deutschland 
ein  StaatStypuS,  der  vollkommen  verschieden  war  von  Dem 
Der  beiDen  alten  Kulturstaaten  EnglanD  unD  Frankreich.  Dort 
hatte  sich  Der  Kapitalismus  viel  früher  entwickelt  unD  in  bei -
Den  LänDern  war  Die  Bourgeoisie  Durch  Revolutionen  in  Den 
Besitz  Der  Staatsgewalt  gelangt.  Am  reinsten  rourDe  der 
Charakter  Des  kapitalistischen  Systems  in  EnglanD  aus -
geprägt.  EnglanD  rourDe  Die  Wiege  Der  „Freiheit",  und  Die 
uns  jetzt  so  geläufigen  Begriffe  von  Liberalismus  und  Demo -
kratie  entstammen  englischer  Wurzel.  Aus  der  Selbstver -
waltung  der  meist  republikanischen  religiösen  Sekten  des  17. 
und  18.  Jahrhunderts  entstanD  Der  Anspruch  auf  Selbstver -
waltung  in  Staat  unD  Gemeinde.  Der  Frühkapitalismus  ent -
wickelte  jenen  Typus  des  auf  sich  selbst  gestellten  Einzelunter- 
uehmers.  Der  im  Zeitalter  Des  Kolonialraubes  unD  Der 
SklavenjagDen,  Der  technischen  ErfinDungen  unD  geographischen 
EntDeckungen  einen  besonDers  günstigen  NährboDcn  fanD. 
Diese  inDiviDualistische  Epoche  vertrug  sehr  unwillig  jeden 
Zwang  und  auch  Der  Staatsgewalt  gegenüber  betonte  sie  zum 
ersten  Male  Die  Sphäre  Des  freien,  Der  Staatsgewalt  unzu -
gänglichen  Einzelwesens.  Der  Staat  war  Der  beste,  von 
Dessen  Existenz  man  nichts  oDer  so  wenig  wie  möglich  merkte. 
Freiheit  rourDe  Das  Losungswort,  unD  Doch  war  es  Dasselbe 
StaatSiDeal,  Das  um  Die  Mitte  des  19.  JahrhunDertS 
Lassalle,  Der  allerdings  ein  Sozialist  war,  als  die  Idee 
vom  Nachtwächterstaat  verhöhnte.  Denn  diese  „Freibeit" 
war  eine  Sache,  Die  nur  Den  Großen  unD  Starken  zugute  kam, 
Die  Schwachen  aber  um  so  rücksichtsloser  zu  BoDen  trat. 
NirgenDwo  rourDe,  wie  Der  alte  Schlosser,  Der  Historiker  unD 
Verfasser  Der  bekannten  Weltgeschichte,  sagt.  Die  Armut  Der -
artig  als  Verbrechen  behanDelt,  wie  in  jenem  Lande,  Das  so 
stolz  auf  seine  „Freiheit"  war.  Diese  Freiheit  bedeutete  nicht 
bloß  Freiheit  von  der  Wehrpflicht,  sondern  auch  Freiheit  von 
der  Schulpflicht,  Freiheit  von  der  Versicherungspfticht.  In 
alledem  ist  EnglanD  erst  sehr  spät  hinterdrein  gekommen.  Die 
Schulpflicht  wurde  erst  1876  eingeführt.  Die  Versicherungs -
pflicht  vor  zwei  Jahren;  Die  Webrpflicbt  cinzufübren  ist  man 
geraDc  im  Begriff.  Aber  was  beDeutet  Das  in  Wahrheit? 
Es  beDeutet,  und  vor  allem  das  letzte,  den  Zusammenbruch 
Des  ganzen  bisherigen  Gesellschaftssystems,  es  bedeutet 
die  Kapitulation  Des  alten  StaatStypuS 
Des  Frühkapitalismus  vor  Dem  neuen,  in 
DeutschlanD  entstandenen  kapitalistischen 
System.  Denn  dort  hatte  sich  inzwischen  nicht  nur  Die 
Konzentration  Der  Staatsgewalt,  sonDern  auch  Die  Des  Kapi -
talismus  angebahnt,  währenD  Das  große  Prinzip  Der  Organi -
sation  alle  Zweige  des  öffentlichen  Lebens  erfaßte.  Damit 
war  etwas  völlig  Neues  geboren,  ein  Prinzip,  Das 
Dem  in  England  herrschenden  direkt  entgegengesetzt  war,  und 
eine  Zeitwende  kündigte  sich  an,  nicht 
weniger  welthistorisch  wichtig,  als  Die,  an 
Deren  Schwelle  EnglanD  vor  300  Jahren 
gestanden  hatte.  War  damals  in  England  ein  neuer 
Menschentypus  von  weltgeschichtlicher  Beoeutung  entstanden: 
die  auf  sich  selbst  gestellte  „freie"  Einzelpersönlichkeit,  s  o  ist 
jetzt  die  Geschichte  an  der  Arbeit,  einen 
neuen  Typus  allmählich  herauszuarbciten: 
den  sozialen,  gesellschaftlichen,  den  organi -
sierten  Menschen.  Für  diesen  höheren  Ent- 
wicklungStypus  die  Bedingungen  zu  schaffen, 
das  ist  diegefchichtlicheLeistung,  die  Deutsch -
land  zu  vollbringen  im  Begriffe  ist. 
An  anderer  Stelle  wird  eingehender  noch,  als  es  hier  mög -
lich  ist,  dieser  Geoanke  ausgeführt  und  begründet  werden. 
Für  heute  muß  es  genügen,  auf  die  Früchte  hinzuroeisen,  an 
denen  man  bekanntlich  ein  System  erkennen  soll.  Und  diese 
Frucht  ist  der  bisherige  Verlauf  des  Krieges.  Wer  imstande 
ist,  wie  dieses  kleine  Deutschland  mit  seinen  65  Millionen 
Menschen  und  seinen  Verbündeten  Den  Krieg  gegen  Die  größten 
Weltreiche,  Die  je  Die  Geschichte  gesehen  hat,  zu  führen,  einen 
Krieg,  in  Den  runD  eine  MilliarDe  Menschen  verwickelt  ist.  Der 
muß  eine  Kraftquelle  in  sich  haben,  Die  etwas  Neues  unD  bei -
nah  Geheimnisvolles  Darstellt.  Diese  geheimnisvolle  Kraft 
entfließt  ihm  aus  seiner  sozialen  Organisation. 
Und  es  liegt  allerDingS  im  Interesse  Der  gesamten  Kulturent -
wicklung,  Doß  Dieser  neue  und  höhere  EntwicklungStypuS  gesell -
schaftlicher  Organisation  nicht  wieder  vernichtet  wird.  In 
Diesem  Kriege  ist  DeutschlanD  Die  von  unten  auf  DrängenDe 
Kraft,  seine  sozialen  und  selbst  nationalen  Verhältnisse  sind 
noch  vollkommen  blutfrisch  und  in  vollster  Entwicklung  be- 
grisfen.  In  keinem  Lande  der  Welt  aber  hat  Die  roieDcrum 
hier  von  unten  ausdrängenDe  Kraft,  Die  Arbeiterklasse, 
in  kurzen  Jahren  eine  Derartige  Stellung  im  öffentlichen 
Leben  sich  errungen,  rote  in  DeutschlanD.  Das  hat  seinen 
tiefsten  Grund  darin,  daß  in  einem  Lande,  das  seine  ganze 
Existenz  nur  der  rationellen  Organisation  seiner  Kräfte  ver -
dankt,  auch  die  Klasse  schnell  zur  Bedeutung  kommen  muß. 
Die  ihrer  ganzen  sozialen  Struktur  nach  der  spezifische  Träger 
des  Organisationsgedankens  ist:  Das  Proletariat.  So  ist  es 
•  k  n  Zusoll,  daß  Die  Gewußten  Vorkämpser  einer  höheren  Enk- 
wicklungsform  Der  Gesellschaft,  eben  Die  Sozialdemokraten,  in 
keinem  Lande  stärker  vertreten  sind,  als  just  in  Dem,  Dessen 
sozialer  Typus  selber  schon  Den  vorgeschrittensten  Charakter 
aufroeift:  in  DeutschlanD. 
Aber  zunächst  hanDelt  es  sich  bei  alleDem  nur  um  bescheidene 
Ansätze.  Von  der  Macht  und  Geschlossenheit 
der  deutschen  Arbeiterklasse  wird  es  zum 
großen  Teil  abhängen,  ob  diese  Ansätze  in 
den  Jahren  nach  dem  Kriege  wirklich  sich 
zur  Frucht  entfalten  und  halten  werden,  was  sie 
versprechen,  oder  ob  sie  verdorren  und  abfallen  werden.  Das 
führt  uns  zu  Der  letzten  Frage  unserer  Untersuchung,  Die  uns 
sogleich  wieder  in  Das  aktuelle  Parteileben  zurückführt:  wie 
steht  es  um  Die  Zukunft  Der  Deutschen  SozialDemokratie? 
Sie  ist  in  Der  Tat  Die  Frage  an  das  deutsche  Schicksal. 
Amtliche  Anegsberichtt. 
MW  UoriW  in  öer  Wimm 
Memsen. 
erfolge  im  Wkrieg. 
Amtlich.  «STB.  Grobes  Hauptquartier,  11.  Sammt  1916. 
Westlicher  Kriegsschauplatz. 
Feindliche  Vorsköste  gegen  die  nordwestlich  von  Massiges 
genommenen  Gräben  wurden  abgewiesen.  Tie  Zahi  der  dort 
gemachten  Gefangenen  erhöht  sich  ans  480  Mann. 
Cin  französisches  mit  .3,8  cm  Kanonen  ausgerüstetes 
Kampfflugzeug  wurde  bei  Wo  «  men  (südlich  von 
Tixmuiden)  durch  Abwehrfeuer  und  einen  Kampsstieger  zur 
Landung  gezwungen.  TaS  Flugzeug  ist  mit  seinen  Insassen 
unversehrt  in  unsere  Hand  gefallen.  Bei  T  o  u  r  n  a  i  wurde 
im  Lustkampsein  englischer  Doppeldecker  abgeschosseu. 
Oestlichrr  und  Balkan. Kriegsschauplatz. 
Keine  besonderen  Greignifle. 
Oberste  Heeresleitung. 
* 
Die  Eroberung  öes  Lowcen. 
WTB.  Wien,  11.  Januar.  Amtlich. 
Russischer  Kriegsschauplatz. 
Gestern  herrschte,  von  den  gewohnten  Artilleriekämpseu 
abgesehen,  auch  an  der  beßarabischen  Front  und  in  Ost» 
galizien  Ruhe.  Leit  heute  früh  richtete  der  Feind  von  neuem 
nach  heftigstem  Artilleriefeuer  vergebliche  Angriffe  gegen  den 
Raum  Toporouy—Raraneze. 
Italienischer  Kriegsschauplatz. 
Die  Lage  ist  unverändert.  In  Lüdtirol  erschienen  über 
dem  Gtsch  -  Tal  11  italienische  Flieger,  die  an  mehreren 
Punkten  erfolglos  Bomben  abwarfen. 
Südöstlicher  Kriegsschauplatz. 
Der  Low  een  ist  genommen.  In  dreitägigen  harte« 
Kämpfen  überwand  unsere  Infanterie  in  prächtigem  Zu -
sammenarbeiten  mit  der  schweren  Artillerie  und  2.  M.  Kriegs -
marine  den  erbittertsten  Widerstand  deS  FeindeS  und  die 
ungeheuren  Schwierigkeiten  deS  winterlichen  KarstgebirgeS, 
das,  wie  eine  Mauer  1700  Meter  hoch  aus  dem  Meere 
ansteigend,  feit  Jahren  zur  Verteidigung  eingerichtet  wnrde. 
586  Geschütze,  darunter  zwei  158  cm  Kanonen,  zwei  15  cm 
moderne  Mörser  und  zwei  24  crn-Mörser,  dann  Munition. 
Gewehre,  Verpstegnngö.  und  Bekleidungsvorräte  sind  die 
Beute.  Ein  Teil  der  Geschütze  ist  intakt  und  wird  gegen 
den  Feind  verwendet.  In  Nordost-Montenegro  wurde  der 
Feind,  der  gestern  knapp  vor  B  e  r  a  n  e  nochmals  Wider -
stand  leistete,  geworfen.  Der  Crt  und  die  beherrschende« 
Höhen  südwestlich  davon  sind  in  unserem  Besitz.  Rasche» 
Eingreifen  gelang  es,  die  brennende  Lim-Brücke  in  Berane 
vor  gänzlicher  Zerstörung  zu  bewahren. 
Bei  Ipek  wurden  wieder  13  serbische  Geschütze  mit 
viel  Munition  auSgegrabeu. 
Der  Liellverlretet  deS  Chefs  beS  Generalstabes: 
v.  Höfer,  Feldmarschalleutnant. 
Der  Lowcen  genommen! 
Unsere  österreichisch-ungarischeu  Berbündeten  konnten  heute  einen 
großen  Erfolg  melden: 
In  Äiontenegro  ist  der  Lowcen  genommen.  In 
dreitägigem  harten  Kampfe  überwand  die  Insanierie  im  Zusammen -
wirken  mit  Artillerie  und  Kriegsmarine  den  I-eind  und  daS  l'co  Wclcr 
ansteigend!  Karstgcbirge.  26  Geschütze,  4  Mörser,  Munition  und 
Material  wurden  erbeutet.  Auch  Berane  und  die  Höhen  südwestlich 
davon  sind  im  Besitz  der  Ocstcrreicher  und  Ungarn. 
Tie  Einnahme  der  Lowcen  ist  nicht  mit  von  großer  militärischer, 
sondeni  auch  von  höchster  politischer  Bedeutung.  Dlilitärisch  besagt 
die  Erkämpsung  deS  Lowcen  nicht  nur  die  Sicherung  deS  AdriabaienS 
Aocche  bi  Eattaro,  sondern  die  Oesinnng  cincS  neuen  Em'alltorcS  iw 
Montenegro,  dessen  Hauptstadt  Cetinje  wohl  kaum  noch  gehalten 
werden  kann:  dem  König  der  Schwarzen  Berg«  und  seiner  Armee  droht 
daS  Schich'al,  landsiüchtig  werden  zu  müssen  wie  der  Serbenkönig 
Peter  und  der  Slest  seiner  Truppen.  Dazu  kommt,  daß  die  Boche 
bi  Catiaro,  der  schönste  und  geräumigste  Hasen  an  der  Adria,  nun 
auch  zum  sichersten  wird.  Der  Lowcen  ist  nämlich  jener  Berg,  an 
dessen  Fuß  Eattaro  liegt;  in  wenig  Höhe  zieht  sich  gucr  vor  seine« 
Hang  die  montenegrinische  Grenze  und  beginnen  die  montenegrinische« 
Batteriestellungen,  bie'  bisher  für  den  österreichischen  Hafen  und  seine 
Umgebung  eine  ständige  Bedrohung  waren  und  für  die  österreichisch- 
ungarische  Marine  die  Benutzung  der  wundervollen,  gegen  die  Leeseite 
leicht  zu  verteidigenden  Bucht  gefährlich,  jedenfalls  schwierig  machten. 
Politisch  wirkt  die  Eiiinahnie  deS  Lowcen  doppelt:  auf  Montenegro 
und  auf  Italien.  Ten  Bioutcnegrincrn  wird  sie  den  Gedanken  nabe- 
legen,  schleunigst  Frieden  zu  schließen,  um  einer  Katastrophe  zu  ent -
gehen,  selbst  unter  dauernder  Preisgabe  des  Lowcen,  dessen  einziger 
Wen  in  der  beherrschenden  Stellung  über  Eattaro  besteht.  Für  die 
Montenegriner  selbst,  die  ja  niemals  ans  eigene  Faust  mit  Oesterreich- 
Ungarn  Krieg  iühren  werden,  macht  der  Perlnst  der  kahlen  Berghänge 
nichts  anS;  wenn  sie  den  Lowcen  befestigt  haben,  fe  nur  auf  Drängen 
NußlandS  und  —  Italiens!  Schon  zu  Zeiten  deS  Dreibunds  hat 
der  sonst  gar  nicht  besonders  freigebige  iialiernsche  flöiiig  seinem  morste- 
ne  grinischen  Schwiegervater  Geschütze  geschenkt,  die  auf  und  am  Lowcen 
emgebaut  wurden.  Natürlich  wurde  btt  den  Montenegrinern  auch  bie 
Hoffnung  erweckt,  daß  Cattaro  mit  seiner  Bucht  nach  der  Niederwerfung 
Oesterreichs  ihnen  zusallcii  werde.  Tatsächlich  aber  wollte  Italien  wie 
daS  übrige  Taliiiaiien  auch  Eattaro  für  sich.  Zn  den  letzten  Tagen 
noch  verlangte  die  italienische  Presse  mit  großem  Lärm  die  Entlendung 
von  italienischen  Truppen  nach  Montenegro,  um  den  Lowcen  zu 
schützen.  Dasür  ist  cS  nun  zu  spät!  Wie  so  viele  andere  Hoffnungen 
Haden  die  Jtalicner  auch  die  begraben  müssen,  Eattaro  vom  Rücken 
her  zu  gewinnen.  Mit  der  einzigen  einigermaßen  denkbaren  Möglichkeit, 
einen  Hafen  an  der  Ostküste  der  Adria  für  Italien  zu  gewinnen,  ist 
eS  eiidgültig  vorbei.  
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WTB.  Cosia,  11.  Januar.  Dem  Blatte  »Boeni  Izvestia" 
zufolge  warf  eiu  deutsck»eS  Fluggeschwader  von 
zwölf  Flugzeugen  am  7.  Januar  78  Bomben  auf 
Saloniki,  insbesondere  aus  die  Lager  der  Engländer 
und  Franzosen.  20  Bollkrefser  verursachten  Brände 
im  Lager.  Zwei  feindliche  Flugzeuge  wurden 
heruutergeschosseu;  daS  deutsche  Geschwader  hatte 
keine  Berluste.  
Man  muß  sich  nur  zu  trösten  wissen! 
3m  englischen  Unterhaus  gab  der  Premierminister 
ASquith  eint  kurze  Erklärung  ab,  worin  er  et  alS^au  ßer- 
ordentliche  Leistung  hrrvordob  baß  die  dritilchen  Streitkräfte 
ohne  alle  Menichenveriuste  von  Gallipoli  zii  rückgezogen  wurden. 
Bon  11  zurückgetasfetien  Geschützen  seien  10  abgenutzte  lö.Psünder 
und  alle  unbrauchbar  gemach:  worden.  Tie  NückzugSoperationc» 
würden  einen  unvergänglichen  Platz  in  der  nigstichen  «^schichte  ein- 
nehmen.  Tie  daran  beteiligten  britischen  Oisiziere  würden  eine  be -
sondere  Anerkennung  erhallen. 
Und  welche  xinerketinung»  erhält  Churchill,  der  daS  Tar- 
banellknabentener  veranlaßte?  In  den  zehn  Monaten,  die  eS  ge -
dauert  Hai,  baden  Frauzoien,  Australier,  Reusecländrr  aber  auch 
eiiglische  Truvüen  furchtbare  Perlnst»  erlitten.  Ader  auch  manche 
türkiichen  und  deutschen  Soldaten,  tue  nm  heldenmütiger  Zäbigkeit  die 
Dardanellen  verteidigten,  haben  den  Tod  gciunden.  Und  nun  gibt 
der  englische  Premierminister  eine  .kurze  Erklärung"  ab,  wonach  die 
»RückziigSoperationen  einen  unvergänglichen  Platz  in  der  englische« 
Geschichte  tinnebmen“.  Allerdings  wird  dieser  Teil  deS  Weltkrieges 
von  der  Geschichte  gewürdigt  werben  —  aber  anders,  eilS  Mr.  ASquttft 
eS  sich  denk».  
Runciman  über  den  Krieg. 
Im  englischen  Unterhaus  wurde  ein  Antrag  eiiigebracht, 
die  Negierung  müsse  alle  HillSgueUen  deS  britischen  Reiche«  und  scmer 
Bcrlündeten  gegen  Deutschland  aiiwendeii.  Hierzu  erklärte  in  der 
Debatte  der  aio  Gegner  der  Wehrpflicht  soeben  an«  dem  Ministerin« 
geschiedene  '.'idgeordncle  Runciuian:  Eiigland  hielt  die  Spannniig 
be«  Krieges  besser  au?  al«  Teuischland.  Tie  denische  Regierung 
würde  eher  durch  den  ökonomischen  Truck,  al«  durch  irgend  einen 
anderen  von  der  Zwecklosigkeit,  den  ftauipf  fortziyetzen,  überzeugt.