Nr.  S27 
Donnerstag,  den  19.  Mai  1921 
Adend-Ausgabk 
35.  Jahrgang 
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rrlchelnt  iLgltch  nwtaud, 
Sonntag*  u.  nach  getertagte 
nur  einmal.  «e,ng«t>»i»- 
wScheall.  8.85  A,  monatL 
IO  A  voraus-ahlbar  fett 
In»  Hau«. 
Reda  ttton: 
^ehlandstraße  ii,  l.  Stock. 
Berantworllicher  RedaNe«! 
Johanne«  Reitze,  Hambne, 
V  r  p  c  h  11  ton: 
8«tziandflraß«ii.Srdges<hoß. 
tzlnchhandlung:  Erdgeschoß, 
Anchdruckerei-Konlor: 
tzehlandstraße  11,  i.  Stock. 
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jtevwe  die  «tfgetpeUen. 
KamburgerKhsV 
ohne  verbtndiichleit. 
Uegiernngsltildnng 
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Martin  Kalander 
Roman  von  Gottfried  Keller. 
Die  Kage  in  Overschlesten. 
Sämtliche  Blättermeldungen  aus  Oberschlesien  deuten  darauf 
hin,  daß  trotz  des  Korfanthschen  RückzugSangebotz 
keine  Entspannung  der  Lage  eingetreten  ist.  ES  haben 
sich  neue  Ausschreitungen  der  polnischen  Insurgenten  er -
eignet.  Auf  dem  Kattowitzer  Güterbahnhof  wurden  mehrere 
Möbelwagen  vollständig  auSgeranbt.  In  Königshütte 
wurde  das  Depot  für  Flüchtlingsbekleidung  von  Polen  an  S  • 
geplündert. 
Die  „Vossische  Zeitung"  berichtet  von  zwei  Verord -
nungen  Korfantys,  in  denen  er  sich  Regierungs» 
gewalt  anmaßt  und  die  eine  offene  Brüskierung 
der  Enteutekommission  bedeuten.  In  der  einen  Ver -
ordnung  wird  die  Ausfuhr  von  Zahlungsmitteln  aaS 
dem  von  Insurgenten  besetzten  Gebiet  bei  schwerer  Strafe  ver -
boten.  In  der  zweiten  Verordnung  werden  die  Generaldirektoren 
der  Gruben,  die  sich  außerhalb  Oberschlesiens  befinden,  aufgefor- 
dertz  dorthin  zurückzukehren  zwecks  Wiederaufnahme  des  Betriebes, 
widrigenfalls  die  Mitglieder  des  polnischen  Vollzugsausschuffes 
selbst  zu  Maßnahmen  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  greifen 
werden. 
Im  Hauptbahnhof  von  Beuthen  find  in  der  Nacht  durch  pol -
nische  Aufrührer  18  Lokomotiven  unter  den  Augen 
der  französischen  Wache  weggeführt  worden. 
Infolge  eines  gleichartigen  Vorganges  im  Hauptbahnhof  von 
Kattowitz  haben  die  Kattowitzer  Eisenbahner  es  ab -
gelehnt,  den  sogenannten  Entente-Zug 
Oppeln  zu  befördern. 
UKW.  und  Oberschleste«. 
Trotzdem  auch  nicht  eine  authentische  Nachricht,  nicht  eine 
tatsächliche  Meldung  dem  zugrunde  gelegt  werden  kaun,  fahren 
die  putschsüchtigen  Bolschewisten  fort,  den  Einfall  Korfantys  tn 
eine  revolutionäre  Erhebung  umzulügen.  Ihre  Preffe  entblödet 
sich  nicht,  die  Arbeiterschaft  fortgesetzt  mit  dem  hanebüchensten 
Schwindel  zu  überhäufen,  die  verbürgten  Meldungen  über  den 
Einfall  der  nationalistischen  Insurgenten  mit  dem  Chaudrnisten 
Korfanty  an  der  Spitze  in  solche  von  bolschewistischen  Ausitanden 
umzudrehen.  Darüber  hinaus  gehen  sie  auch  zur  tatlu^n 
Demonstration  ihrer  Lügenmethodcn  über.  In  Frankfurt  a.  M. 
wurde  eine  öffentliche  Protestkundgebung  gegen 
p  i  e  Vergewaltigung  Oberschlesien»  von  den  «om- 
nm  nisten  gestört.  Die  Kommunisten  drangen  gegen  die  Redner, 
tribüne  vor,  wobei  es  zu  Tätlichkeiten  und  Schieße- 
r  ei  c  n  kam.  Nachdem  die  Schutzpolizei  die  Täter  vertrieben 
und  einige  Verhaftungen  vorgenommen  hatte,  konnte  bu  Ver -
anstaltung  fortgesetzt  werden. 
traurig,  weil  ich  auch  weiß,  daß  Du  einer  großen  EnttÄrschung 
entgegensteuerst,  und  das  tragen  wir  in  unserm  Alter  nicht  mehr 
so  leicht  wie  früher!" 
In  unserm  Alter?  Woher  sind  wir  att,  wenn  wir  es  wärt 
wollen  sein!  lind  was  die  Illusionen  betrifft,  so  tun  sie  nicht  weh, 
so  wenig  wie  bunte  Serfenblasen,  die  uns  an  dar  Rase  platzen! 
Dies  sagte  er  mehr  zum  Scherz,  um  den  ernst  gewordenen 
Ton  der  Fran  abzulcnkeu,  der  ihm  unbequem  wurde.  Denn 
unter  den  zahlreichen  Gegnern  de»  so  ausgedehnten  UnterrichtS- 
wesens  Halle  noch  nicht  ein  einziger  Mann  gewagt,  sich  tn  dreier 
Weise  zu  äußern.' 
„Lassen  wir  jetzt  die  Geschichten,  die  Dick  nicht  freuen,"  nahm 
er  wieder  das  Wort,  „und  kommen  wir  auf  die  Kinder  zu  reden, 
deren  Hochzeit  Du  vorhin  gedachtest!  Ich  wollte  Dich  schon  ein -
mal  fragen,  warum  man  die  jungen  Frauen  nie  mehr  sieht? 
Ober  ist  die  eine  ober  andere  in  meiner  Abwesenheit  gekommen? 
Früher,  im  Anfang,  trafen  sie  gern  ellva  bet  uns  zusammen, 
wenn  sie  die  Männer  in  die  Stadt  begleiteten,  das  ist  auch  fett 
geraumer  Zeit  nicht  mehr  geschehen." 
Marie  Sal  an  der  wurde  noch  viel  ernster,  als  sie  ,chon  ge- 
wesen  war,  sagte  aber  nur: 
„Ick  tvcife  nicht,  was  es  ist,  eS  fallt  nur  auch  auf.  Aus  ihren 
knappen  Brieschen  ist  schon  lange  nichts  mehr  zu  entnehmen,  was 
sie  näher  angeht.  Ick  ixnhte.  Du  wüßtest  mehr  von  ihnen,  weil 
Du  ja  mit  den  Schwiegersöhnen  verkehrst,  die  sich  noch  weniger 
hier  sehen  lassen."  _  ,  .  .  ,  _.  u 
JSi  hat  auch  aufgehort  bet  nur!  Ich  habe  mich  rhrer  Dienst- 
leistungen  in  ihren  Bezirken  vertraulich  bedient;  als  ich  aber 
wahrvalim,  daß  sie  zu  viel  Brimborium  dabei  machten  und 
namentlich  jede  unbedeutende  Geschichte  zu  einer  Reise  und  Lust- 
barkeit  benutzten,  hielt  ich  eS  als  Schwiegerpapa  für  meine  Pflicht, 
diese  Art  Verkehr  einzuftellen.  llebrigens  alles  ohne  üble  Slach- 
rede.  denn  eS  srnd  immer  noch  junge  Leute!"  .  . 
Frau  Salander  seufzte  erst  jetzt  ein  weniges,  als  sie  sagte, 
sie  wisse  dock  etwas  mehr  als  der  Mann,  obschon  nichts  Erkenn- 
bares,  und  wolle  nicht  länger  damit  zurückhalten.  Sie  fuhr 
also  f^  cinem  t)al6en  Jahre  ist  weder  Setti  noch  Nelli  mehr 
hier  gewesen;  von  guter  Hand  habe  ich  jedoch  vernommen,  daß  sie 
[40]  
„Das  letztere  ist  gut,  es  wird  den  Uebermur  unseres  üppigen 
Haiidwerkerstanbes  dämpfen!  Die  Axt  im  Haus  erspart  den 
Zimmermann!"  bemerkte  Frau  Marie. 
Martin  machte  ein  ebenso  rätselhaftes  Gesicht  wie  seine 
Frau,  da  er  nicht  wußte,  wie  es  gemeint  war;  denn  bet  genannte 
Stand  war  just  übel  dran. 
„Mein  Vortrag  scheint  nicht  Deine  ourchgehende  Billigung 
zu  haben!"  sagte  Martin,  abermals  vor  ihr  stehenbleibend.  .  Es 
ist  Dir  zu  vieles  darin,  nicht  wahr?" 
Aber  mit  ernster  Miene  und  prüfend  zu  ihm  aufblickend,  er- 
widerte  sie:  „Nein,  lieber  Mann!  Es  fehll  mir  im  Gegentei  noch 
etwas  ziemlich  Wichtiges  an  dem  Programm,  was  aber  vielle.cht 
nicht  dazu  gehört  und  einer  besonderen  Entschließniig  vorbehalten 
ist.  Vergesien  oder  übersehen  worden  kann  es  nicht  sein!' 
„Was  wäre  denn  das?  Vielleicht  die  obligatorische  Koch -
schule  auf  Staats-  und  Geiueindekosten?  Aber  die  gehört  >n  dos 
Programm  der  Mädcheiierzichung,  das  auch  :r.  Aussicht  ge -
nommen  ist.  Du  wirst  ohne  Zweifel  in  sie  betreffende  rrraiien- 
kom Mission  berufen  werden  und  Dich  als  meine  Gattin  nicht  wohl 
entziehen  können!" 
„Dos  meine  ich  alles  nicht!  Ich  meine  den  schrecklichen 
Kriegszug,  welchen  die  Sckiweizer  nach  Asten  oder  Afrika  werden 
unternehmen  müssen,  um  ein  Heer  von  Arbeitssklaven,  oder 
besser  ein  Land  zu  erobern,  das  sie  liefert.  Denn  ohne  Ein -
führung  der  Sklaverei,  wer  soll  penn  den  ärmeren  Louern  Lie 
Feldarbeit  verrichten  Helsen,  «er  die  Jüngunge  ernähren?  Oder 
wollt  Ihr  diese  bosolden,  bi»  sie  zwanzig  Jahre  au  und  und  .attn 
olle»  verstehen,  nur  nicht  zu  arbeiten,  den  .  ezimmerten  Lisch 
und  die  Bonk  ausgenommenr"  .  ..  ... 
„Aber  Marie!  was  soll  denn  das  heißen?  sagte  Mart.n  m.t 
rot  überlaufener  Stirne;  „Du  erwiderst  ja  mein  ehrerbietiger 
Vertrauen  heute  mit  lauter  Satiren,  und  das  von  oen  jtttcren. 
„Verzeih  mir,  Martin!  Ich  bin  nicht  vlltern  Herzens  ich 
peiß  ja,  wie  Du  in  allem  gesinnt  bist!  Ich  bin  bloß  ein  b'Bdjcii 
Zur  Erklärung  Kloyd  Georges. 
Die  in  unserer  Morgenausgabe  mitgeteilte  Erklärung 
Lloyd  Georges  zur  o  b  e  r  s  ch  lesi  s  che  n  Frage  findet 
in  der  gesamten  englischen  Presse  größte  Beachtung  und  wird  als 
ernste  Warnung  an  Frankreich  angesehen.  Wie  die 
Blätter  melden,  wird  Lloyd  George  morgen  abend  beim  Essen, 
das  der  Pilgrim  Club  zu  Ehren  des  neuen  amerikanischen  Bot -
schafters  Harvey  gibt,  wahrscheinlich  eine  wichtige  Rede  halten, 
die  hauptsächlich  die  oberschlesische  Frage  behandeln  dürfte. 
„Westminster  Gazette"  schreibt  über  den  britischen  und  ftan- 
zSsischen  Standpunkt:  Jede  Polittk,  die  sich  auf  die  Absicht  gründet, 
60  bis  70  Millionen  Deutsche  im  Zustande  bet 
Unterwerfung  z  u  erhalten,  müsse  fehlschlagen.  Frank -
reich  müsse  Deutschland  fair  Play  geben  und  die  Möglichkeit, 
zur  Ruhe  zu  kommen. 
„Pall  Mall  and  ©lobe"  erklärt,  das  französische  Volk  muffe 
verstehen,  daß  England  unbedingt  jede  Beteiligung  an  solchem 
Abenteuer  wie  dem  polnischen  ablehne,  und  es  Deutschland  über -
lassen  werde,  nach  freiem  Ermessen  mit  jedem  mutwilligen  Angxiss 
der  Polen  fertig  zu  werden.  »  ,., 
untereinander  sich  seit  länger  als  einem  Jahve  nickt  mehr  sehen, 
daß  sie  sich  sogar  zu  vermeiden  scheinen,  so  gut  sie  können,  wäh -
rend  sie  in  den  ersten  Zeiten  ihrer  Verheiratung  einander  lOc 
Woche  einmal  besuchten,  bald  int  Lautenspiel,  bald  <nn  dein 
Lindenibevg  zustrmmensaßen.  Was  ist  nun  das?  Wa-  ist  ge -
schehen?  Ick  weiß  es  nicht,  und  niemand  will  es  wiyeri! 
„Vielleicht  ist  eS  eine  Kinderei,"  meinte  Salander,  einiger -
maßen  betroffen,  .vielleicht  doch  mehr!"  setzte  er  nach  einer 
Minute  Nachdenkens  hinzu;  „am  Ende  hat  sick  der  Zwillrngs- 
wähn,  von  dem  sie  besessen  roaretu  in  eine  anbeax  Idee  ber- 
wandelt  oder  ein  Junges  bekommen,  da  sie  selbst  noch  kein  Kin. 
haben!"  . 
„Vielleicht  und  am  Ende,"  entgegnete  tue  Frau,  .Ware  tS 
ein  Glück,  wenn  sie  überhaupt  keine  Kinder  bekamen.  Es  will 
mick  eine  A-bnung  beschleichen,  als  ob  etwas  nacht  un  Ordnung 
wäre  und  die  Kinder  nicht  wagten,  sich  uns  anzuvertrauen, 
namenllich  mir,  weil  sie  nur  ihrem  Willen  gefolgt 
.In  diesem  Falle  müßte  man  doch  suchen,  dahinter  zu 
kommen  und  ihnen  zu  helfen!"  . 
.Das  habe  ich  schon  gedacht;  aber  wie,  ohne  mehr  zu  schaden, 
als  zu  nützen?"  _  _  _  ... 
„Ich  glaube,  das  Einfachste  wäre,  sie  beide  eenes  fckonen 
Tages  mit  unserer  Heimsuchung  zu  überraschen,  die  wir  den 
Leutchen  sowieso  schuldig  sind;  wir  waren  erst  einmal  bei  lebet 
Partei!  Wenn  wir  bei  gutem  Wetter  mit  einem  Morgenzuge 
nach  Unterlaub  führen,  zu  Setti  hinauswanderten  und  uns  dort 
eine  ober  zwei  Stunden  aufhielten,  so  wurden  Nur  zunE  im- 
gefichr  merken,  wie  es  dort  stobt  ober  ob  etwas  zu  erfahren  'st. 
Dann  kutschieren  nur  ans  der  Kreuzbahn  nach  Lindenberg  Hw- 
über  und  fordern  Setti  auf,  mit  uns  zu  jictti  -u  lummcru 
werden  ja  sehen,  ob  sie's  tut  und  was  sie  sagt  und  was  sich  weiter 
begehen  wird.  Abends  sind  wir  bequem  wieder  hier. 
Der  Frau  Salander  war  dieser  Vorfchlag  willkommener, 
auch  die  Besorgnis  tiefer,  als  sie  erraten  ließ.  Sie  veruiwden 
die  Fahrt  deswegen  aber  keineswegs;  an  einem  bet  nahten  Sage 
reiften  sie  nach  der  Station  bei  Unterlaub  und  gingen  zu  iHß  tn 
das  ’-ogenannte  Lautenspiel.  Als  sie  die  liebliche  Lage  de»  Hauw» 
in  dem  lichten  Buckenbestande,  der  es  zur  Hälfte  umgad  und  vom 
Finkenscklag  widerballte,  mit  neuem  Wohlgefallen  erblickten,  sagte 
Martin  Salander: 
Nichts  wäre  dem  deutschen  Volke  in  seiner  gegenwärtigen 
Lage  mehr  zu  wünschen  als  Stabilität  der  Regierungs- 
Verhältnisse.  Daß  seit  mehr  als  zwei  Jahren  der  Reichs -
präsident  ein  ruhender  Pol  in  der  Erscheinungen  Flucht  sein 
und  fast  ebenso  lange  ein  und  dieselbe  Parteigruppierung  die 
preußischen  StaatSgeschäfte  führen  konnte,  war  ein  hoch  zu 
schätzender  Vorteil.  Zentrum  und  Demokraten  haben  sich  schwer 
an  den  Volksintercssen  versündigt,  indem  sie  nach  den  Preußen- 
wahlen  mit  der  Regierung  herumexperimentierten  und  an  Stelle 
einer  Koalition,  deren  Fähigkeit  erprobt  war,  eine  parteitaktische 
Verlegenheit  setzten,  oer  sie  selber  keine  Dauer  zu  versprechen 
wagten. 
Im  Reiche  war  durch  die  Juniwahlen  im  vorigen  Jahre  und 
die  unverständliche  Haltung  der  Unabhängigen  eine  Umbildung 
unvermeivlich  geworden.  Die  Sozialdemokratie  hat  der  damals 
entstandenen  bürgerlichen  Regierung  eine  Lebensdauer  von 
11  Monaten  gegönnt  und  von  allen  Versuchen,  die  Macht -
verhältnisse  wieder  zu  ihren  Gunsten  zu  ändern,  abgesehen.  Das 
ging  so  lange,  bis  die  erste  rein  bürgerliche  Regierung  nach  der 
Revolution  an  ihrem  eigenen  Versagen  scheiterte 
und  die  Sozialdemokratie  sich  dem  Zwang,  wieder  in  die  Re -
gierung  einzutreten,  nicht  entziehen  konnte. 
Kaum  aber  war  dies  geschehen,  als  das  Experimentieren  der 
bürgerlichen  Mittelparteien  schon  wieder  begann.  Man  entdeckte 
sofort,  daß  der  neuen  Regierung  —  was  man  bei  der  alten 
über  sah  und  bei  der  gegenwärtigen  preußischen 
ebenso  gern  übersehen  möchte  —  die  nötige  Breite  der 
parlamentarischen  Grundlage  fehlt.  Die  soll  geschaffen  werden 
durch  Hinzuziehung  der  Deutschen  Volkspartei. 
Ueber  die  Frage  darf  man  in  aller  Ruhe  sprechen.  Gesichts -
punkte  der  auswärtigen  Politik  müßten  für  sie  entscheidend  sein. 
Alles  kommt  darauf  an,  daß  vie  jetzt  ein- 
geschlagene  Linie  der  auswärtigen  Politik 
weiterverfolgt  wird.  Deutschland  muß  die  Bestim -
mungen  des  von  ihm  angenommenen  Ultimatums  nach  besten 
Kräften  erfüllen,  solange  bis  es  mit  innerer  Berechtigung  und 
mit  Aussicht  auf  Erfolg  den  Rechtsgrundsatz  für  sich  geltend 
machen  kann,  daß  niemand  über  die  Grenze  seiner  Leistungs -
fähigkeit  hinaus  verpflichtet  werden  kann,  das  heißt,  daß  wir  in 
den  nächsten  Jahren  zu  den  höchsten  einheitlich  gerichteten  An -
strengungen  genötigt  find,  wenn  nicht  zum  Schluß  doch  alles 
umsonst  gewesen  sein  soll. 
Die  Frage  steht  danach  so,  ob  der  Eintritt  der 
Deutschen  Volkspartei  in  die  Regierung  dieser 
Politik  förderlich  oder  schädlich  ist.  Würde  sich  die 
Deutsche  Dolkspartei  geschloffen  mit  aller  Energie  und  mit  allen 
Kräften,  die  hinter  ihr  stehen,  für  jene  Aufgaben  einsetzen,  dann 
würden  die  Vorteile  ihres  Eintritts  alle  Nachteile  überwiegen. 
Kann  aber  diese  Partei,  die  am  10.  Mai  noch  fast  geschloffen  mit 
^Nein!"  gestimmt  hat,  ein  solches  Maß  von  Einheit  und 
Selbstüberwindung  nicht  aufbringen,  ist  vielmehr  zu  be -
fürchten,  daß  sie  ihren  Einfluß  in  der  Regierung  dazu  mißbrauchen 
würde,  die  durch  Den  Beschluß  vom  10.  Mai  vorgczeichnete  Politik 
xu  durchkreuzen,  dann  wäre  ihr  Eintritt  in  die  Regierung  keine 
Sicherung,  sondern  eine  Gefahr. 
Die  Regierung  wird  in  Erfüllung  ihrer  Aufgaben  vor  Maß -
nahmen  nicht  zurückschrecken  dürfen,  die  von  den  Kreisen  der 
Jnvustric  und  des  Handels  als  höchst  drückenve  empfunden  werden. 
Wenn  solche  Maßnahmen  von  volksparteilichen  Ministern  mit -
gemacht  würden,  dann  wird  der  Widerstand  gegen  sie  vielleicht- 
etwas  geringer  sein.  Würden  aber  volksparteiliche  Dtinister  sich 
in  der  Regierung  als  die  beauftragten  Vertreter  von  Besitz- 
interessen  fühlen,  dann  wäre  der  Konflikt  zwischen  ihnen  und 
ihren  sozialistischen  Kollegen  gegeben,  und  einer  von  beiden 
müßte  ausscheidcn.  Man  hätte  dann  statt  der 
breiten  Grundlage  nur  ein  explosives  Gemisch 
geschaffen,  das  bei  der  ersten  Gelegenheit  mit 
lautem  Knall  auffliegt. 
Darum  sei  den  Experimentatoren  Vorsicht  empfohlen.  Sie 
können  auch  nicht  vergeffen  —  denn  man  muß  mit  gegebenen 
Tatsachen  rechnen  —,  daß  in  den  sozialistischen  Maffen  ein  tief 
eingewurzeltes  Mißtrauen  gegen  die  Deutsche 
Volkspartei  besteht,  an  dem  diese  gewiß  nicht  unschuldig  ist. 
Man  späht  in  der  Haltung  der  Deutschen  Volkspartei  vergebens 
nach  Anzeichen  einer  veränderten  Politik,  die  imstande  wäre, 
dieses  Mißtrauen  zu  beseitigen,  und  darum  wird  man  eS  auch 
verstehen,  daß  die  Sozialdemokratie  nicht  gewillt  ist,  sich  wegen 
der  schönen  Augen  der  Deutschen  Volkspartei  in  innere  Kämpfe 
zu  stürzen. 
Man  hüte  sich  aber,  die  Mehnung  der  Deutschen  Volkspartei 
als  Koalitionsgenoffen  so  zu  begründen,  daß  daraus  für  Demo -
kraten  und  Zentrum  ein  unverdientes  Kompliment  wird.  Es  ist 
kein  großer  Unterschied  zwischen  Kopsch  und  Wiemer,  weil 
der  eine  bei  den  Demokraten  und  der  andere  bei  der  Deutschen 
Volkspartci  sitzt.  Wenn  Herr  Heinze  von  der  Volkspartei 
Marschau,  London  und  Amerika. 
O.  E.  (Drahtbericht.)  Warschau,  18.  Mai. 
Die  Verwirrung,  bie  die  Unterhausrebe  Lloyd  Georges  an -
fänglich  hier  hervorgerufen  hatte,  ist  bereits  gewichen.  Nach- 
richten  und  Instruktionen  aus  Paris  haben  hier  die  Organisierung 
eine»  Widerstandes  bet  öffentlichen  Meinung  veranlaßt.  Wäh -
rend  anfangs  nur  wenige  Zeitungen  heftig  aufbegehrten,  fit  jetzt 
ber  allgemeine  Ton  bet  Warschauer  Presse  scharf  und  laut.  „W  e  r 
provoziert  einen  neuen  Krieg?"  —  fragt  bie  „Gazeta 
Porairna"  —  und  antwortet:  „Lloyd  George."  Der  ober» 
schlesische  Aufstand  hat  das  europäische  Schachergeschäft  verdorben," 
schreibt  ber  sozialdemokratische  „Robotnik"  (!),  nicht  England, 
sondern  Frankreich  hat  heute  bie  Macht  in  Europa.'  Auch  bie 
national  demokratische  „Gazeta  Warszawska"  führt  eine  ähnliche 
Sprache.  Der  Grad  bet  Frondeursiimmung  wird  am  besten  da -
durch  gekennzeichnet,  baß  der  dem  Miniiterpräsrbenten  Witos  und 
dem  Außenministerium  nahestehenbe  „•Surfer  Poranny"  bie  Ab -
berufung  bei  Warschauer  englischen  Gesandten  Maxmüller  for -
dert.  In  ber  Presse  macht  sich  neuerdings  ein  lebhaftes  Wer -
be  n  um  Amerika  geltend.  Der  Außenminister  Sapieha 
ist  soeben  aus  Paris  zurückgekehrt,  wo  er  mit  Bridnb  konferiert 
hat.  Nach  einer  Meldung  des  . Surfet  Poranny"  beschloß  ber 
polnische  Ministertat,  baß  Polen  angesichts  ber  tiefgehenden 
Meinungsverschiedenheiten  zwischen  Paris  und  London  nicht  in 
passiver  Haltung  verharren  könne.  Indessen  verhält  sich  die  b  e  - 
vorstehende  Sejmrebe  des  Ministerpräsidenten 
Witos,  die  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Ministertat  redigiert 
worden  fit,  wie  bet  lautet,  wesentlich  verteidigend  gegen  Lloyd 
George  und  vermeidet  antienglfiche  Schroffheiten.  Zur  Bekräfti -
gung  ber  französischen  Orientierung  sollen,  nachdem 
Frankreich  qlle  geforderten  Naphthakonzessionen  und  Handels- 
prärogatibe  unter  dem  Eindruck  ber  letzten  Tage  von  Polen  zu- 
gestanden  worden  sind,  die  bisher  noch  nicht  unterschriebenen 
p^olnisch-französischen  Verträge  politischer,  mili. 
t arischer  und  wirtschaftlicher  Art  «argen  in  Paris  unter -
zeichnet  werden. 
In  Beantwortung  des  Ersuchens  Palen»,  um  Amerikas 
Unterstützung  in  der  oberschlesischen  Frage  vor 
dem  Obersten  Rat,  betont  Hughes  (nach  einer  SReutermetoung) 
neuerlich,  daß  die  Politik  ber  Vereinigten  Staaten  sich  in  wesent -
liche  europäische  Fragen  nicht  einzumischen  wünsche.  Die 
amerikanischen  Vertreter  in  den  europäischen  Räten  würden  aus -
schließlich  als  Beobachter  zugegen  fein,  es  sei  denn,  daß  bie  Inter -
essen  ber  Bereinigten  Staaten  unmittelbar  berührt  würben. 
Der  Prozeß  gegen  Eitel  Friedrich 
hat  fein  Gegenstück  in  einer  Verhandlung  bot  beut  Amtsgericht 
in  Bentheim  gesunde«.  Angeklagt  wat  ein  Freund  des  ehe -
maligen  Kaisers,  Graf  S.  Dieser  wat  im  Frühfahr  1920 
zum  Besuch  seiner  in  Doorn  weilenden  Gattin  gefahren.  Er  trug 
in  feiner  Rocktasche  einen  Brillantschmuck  im  Werte  bon  1%  Millio -
nen  Mark  bei  sich,  den  feine  Gattin  bei  einer  Feierlichkeit  an- 
legen  sollte.  In  Bentheim  wurden  seine  Koffer  revidiert  und 
mit  den  Kontrollzetteln  versehen.  Por  Eintritt  in  den  Raum  zur 
persönlichen  Untersuchung  entnahm  der  Angeklagte  den  Sckmuck 
feiner  Rocktasche  und  legte  ihn  in  feine  schon  revi -
dierte  Handtasche  Das  wurde  von  einem  Zollbeamten 
beobacktet  und  der  Schmuck  beschlagnahmt.  Die  Folge 
wat  die  Anklage  wegen  verbotener  Ausfuhr  und 
Zollunterschiagung.  Bor  Getickt  erklärte  ber  Angeklagte, 
daß  das  Familienstück  nach  der  Feierlichkeit  nach  Deutschland 
zurückgeschafft  werden  sollte.  Der  Staatsanwalt  beantragte 
eine  Geldstrafe  von  6  Millionen  Mark,  nämlick  ber 
doppelte  Wert  des  Schmuckes  und  die  Einztehung.  Das 
Gericht  sprach  den  Angeklagten  frei  Nach  ber  in 
Bentheim  in  ber  Zollstelle  herrschende!!  Praxis  hätte  eine  Dame 
des  gesellschaftlichen  Kreises,  dem  ber  Angeklagte  angehörte,  einen 
derart  werwollen  Schmuck  ohne  weiteres  mit  über  bie  Grenze 
nehmen  dürfen.  Wenn  die  Gattin  des  Angeklagten  den  Sckmuck 
ielb-t  über  bie  Grenze  gebracht  hätte,  würde  dies  mit  Rück  - 
sichtanfihregesellschaftlichenund  finanziellen 
Verhältnisse  nicht  beanstandet  worden  sein.  (!!) 
Daß  der  Angeklagte  nicht  diesen  Umweg  gewägt,  sondern  den 
Schmuck  einfach  in  der  Tasche  mit  herübergenommen  habe,  spreche 
mehr  für  als  gegen  ihn. 
Zur  Verurteilung  bei  Prinzen  Ettel  Friedrich  schreibt  der 
„Vorwärts": 
„5000  <.#  find  zwar  für  einen  Hohenzollern  ein  Trinkgeld, 
aber  die  Lohenzoilernehre  ha  t  mit  diesem  Urteil 
ein  unheilbare»  Loch  Es  fit  sestgestellt,  daß  ein  Prinz 
de»  Hanse?,  der  Mrzeit  sogar  al»  dessen  Chef  fungiert,  Kapitalien 
ins  Ausland  verschoben  hat,  und  zwar  durch  Vermittlung  eines 
Bankhauses,  dessen  Hauptgesckäftszweig  in  ter  unerlaubten 
Kapitavverschiebung  bestand,  dessen  Inhaber  also  schlechchin  als 
Schieber  bezeichnet  werden  müssen.  Die  Gemeinschaft 
zwischen  Hohenzollern  und  Schiebertnm  ist  da  - 
mit  gerichtlich  feit  gestellt  Sie  erstreckt  sich  nicht  nur 
auf  ixte  Person  des  Eitel  Frieixrich,  sondern  dieser  selbst  hat  bie 
Hauptschuld  auf  seinen  durck  Selbstmord  geendeten  Bruder 
Joachim  gewälzt  tmaö  wir  nicht  gerade  ritterlich  finden),  und 
anderseits  ist  bereits  bekannt,  daß  auch  bet  ehemalige 
Kronprinz  und  feine  Gattin  Cecilie  zu  ixem  Schiebethaus 
Gtusser  enge  Verbindung  hatten. 
AIs  Genosse  Hermann  Müllet  diese  Angelegenheit  am 
22.  November  1920  im  Reickstag  enthüllte,  bekam  bie  reaktionäre 
Presse  Tobsucht Sanfälle.  Sie  brachte  sogar  ein  offiziös  au»- 
sehcndes  Dementi,  in  dem  es  hieß:  „In  Wahrheit  ist  bereit» 
festgestellt  <!),  daß  auch  nicht  ein  Mitglied  de» 
früheren  preußischen  Köntgshauses  irgendwelche  Beziehungen  zu 
der  Firma  Gtusser,  Phfitppson  &  Co.  hatte."  Vor  Gericht  ist 
heute  das  Gegenteil  und  damit  gleichzeitig  sestgestellt  wor -
den.  daß  die  reaktionäre  Presse  einfach  da»  Blaue  vom 
Himmel  h  e  t  u  n  t  e  t  g  e  s  chw  i  nd  e!  t  hat. 
Ein  Zolletnpring  af»  Kapital  schiebet  verurtettt! 
Allerdings  eine  bittere  Pille  für  die  Leute,  die  eben  erst  in 
Potsdam  demonstrierten.  Aber  für  den  Kundigen  nur  ein 
Heiner  Abschnitt  aus  dem  langen  Kapitel,  dem  man  die 
Ueberschrift  geben  kann:  „Verdienste  txer  Hohenzollern". 
als  Justizminister  gegangen  und  Herr  Schiffer,  der  Demokrat, 
für  ihn  gekommen  ist,  so  ist  eben  nur  ein  Rational- 
liberaler  durch  einen  andern  ersetzt  worden. 
Hermes,  der  im  Amt  gebliebene  Ernährungsminister,  der  dem 
Zentrum  angehört,  hatte  der  Sozialoemokratie  mehr  Anlaß  zur 
Kritik  geboten,  als  die  drei  volksparteilichen  Minister  der  frHeren 
Regierung  zusammengenommen. 
Koalitionen  sind  immer  übel.  Leider  nur  zu  oft 
notwendige  Uebel,  und  darum  auf  das  unbedingt  Not -
wendigste  zu  beschränken.  Daß  für  die  Sozialdemokratie  die 
Notwendigkeit  bestand,  die  alte  Koalition  mit  Demokraten  und  | 
Zentrum  zu  erneuern,  wenn  sie  nicht  die  Franzosen  ins  Ruhr -
revier  cinrücken  lassen  wollte,  gibt  unter  vier  Augen  auch 
jeder  Unabhängige  zu.  Jetzt  wird  es  Aufgabe  der  neuen 
Regierung  sein,  sichdurch  KlarheitihresProgramms 
und  Festigkeit  ihres  Willens  eine  Mehrheit  zu 
schassen.  Das  ist  viel  besser,  als  wenn  sie  sich  angstvoll  nach 
neuer  Bundesgenossenschaft  umsieht,  durch  die  sie  sich  nur  mit 
n'euem  Mißtxauen  belasten  würde.  Wer  der  Deut -
schen  Volkspartei  nachläuft,  läuft  den  Sozial- 
demokräten  fort  und  gefährdet  die  Fundamente  des  Re -
gierungsbaues,  statt  sie  zu  festigen,  undallevierzehnTage 
eine  neue  Regierung,  das  erträgt  das  deutsche  Volk  in 
seiner  gegenwärtigen  Lage  nicht.  Friedrich  Stampfer. 
Das  Uolksbegehren. 
Der  erste  Versuch  mit  beut  Recht  des  Volksbegehrens,  bet  in 
Hamburg  unternommen  werden  soll,  fit  ein  Versuch  am  untätig, 
lieben  Objekt.  Das  R  ei  ch  S  m  ie  t  e  g  esetz  wirb  in  absehbarer 
3«t  kommen,  unb  ba  nach  ber  Reichßvetfasstutg  da»  Landesrecht 
durch  bas  Reichsrecht  gebrochen  wird,  so  können  alle  in  Hamburg 
beschaffenen  Gesetze  nur  soweit  Geltung  erlangen,  al»  sie  bet 
Reichsgesetzgebung  nicht  widersprechen.  Deshalb  ist  auch  bet 
Gesetzentwurf,  den  jetzt  bet  Mietetverband  für  Groß-Hamburg 
durch  das  Volksbegehren  zum  Gesetz  machen  will,  mit  dem  Vor- 
behalt  versehen,  baß  er  die  Genehmigung  des  ReichsatbettS- 
minifters  finden  muß,  denn  ohne  diese  tarnt  er  überhaupt  nicht 
Gesetz  werden. 
Das  ist  bet  Hauptgrund,  weshalb  die  sozialöemotratische 
Fraktion  der  Bürgerschaft,  bie  sozialdemokratische  LandeSorgani- 
fation,  der  Sirbeiterrat  unb  überhaupt  jeder,  bet  an  diese  Frage 
mit  dem  nötigen  Ssierantwortungsgefühl  herangetreten  ist,  sich  dem 
Volksbegehren  in  ber  vom  Mietetverband  beliebten  Form  wider -
setzt  hat.  Mit  Recht  hat  auch  eine  andere  Mieterorganisation  be -
reits  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  dieses  Verfahren  des 
Mieterverbandes  auf  eine  Vergeudung  von  Kraft  und  Geld 
hinausläuft,  die  in  dieser  Zeit,  wo  eS  vor  allen  Dingen  doch  daraus 
ankommt,  neue  Wohnungen  herzustellen,  besser  für  eine 
direkte  Abhilfe  bet  Wohnungsnot  verwendet  worden  wären.  Aber 
das  Verfahren  ist  nun  einmal  eingeleitet  tmb  es  muß  nun  seinen 
Gang  nehmen. 
Zur  Aufllätung,  was  der  vom  Mietetverband  ausgestellte 
Gesetzentwurf  bezweckt,  sollen  in  dieser  Woche  in  ganz  Hamburg 
Versammlungen  {tattfinben.  Die  kommunistische  „Volkszeitung" 
ist  bereits  dabei,  bie  dabei  zu  erwartenden  Auseinandetfehnngen 
für  ihre  Parteizwccke  auszunutzen.  Wir  müssen  es  dem  Mieter -
verband  überlassen,  sich  dagegen  zu  wehten,  wollen  aber  doch 
festhalten,  daß  die  Kommunisten  ganz  offen  von  ber  litt  • 
sruchtbarkeit  des  Unterfangen»  der  Mieter- 
organisation  reden,  und  ebenso  offen  erklären,  nur  ihrer 
kommunistischen  Agitation  wegen  sich  an  der  Sache  zu  beteiligen. 
Diese  Stellungnahme  der  Kommunisten  war  votauszusehen,  das 
hätte  auch  der  Mieterverband  wissen  müssen.  Von  der  sozial -
demokratischen  Parteileitung  ist  er  ernst  genug  auf  die  dauernd 
im  Hinterhalt  liegenden  Kommunisten  mit  ihrer  Vergiftungssucht 
hingewiesen  worden.  Man  kann,  wie  die  Dinge  nun  laufen,  nur 
hoffen,  datz  trotz  alledem  keine  Mietet  und  Mieterinnen  auf  den 
Leim  der  Kommunisten  gehen.  Hoffentlich  erinnern  sich  alle 
daran,  daß  ja  gerade  die  Clownspolitik  bet  Kommunisten  schuld 
daran  ist,  daß  der  Mietetverband  glaubt,  das  Volksbegehren  durch -
führen  zu  müssen.  Denn  die  Kommunisten  lehnten  ja  in  ber 
Bürgerschaft  am  27.  April  den  Antrag  Umland  gemeinsam  oüt 
den  Grundeigentümern  unb  Deutschnationalen  höhnend  und 
spöttelnd  ab.  Und  dieser  Antag  forderte  alles  das,  was  das 
Mietgesetz,  da»  jetzt  Gegenstand  eines  Volksbegehrens  werde«  soll, 
auch  fordert.  Und  es  ist  kein  Zweifel  darüber  zu  begen:  Die 
Kommunisten  werden  auch  den  Gesetzentwurf 
des  Mietervetbandes,  wenn  et  an  bie  Bürger -
schaft  gelangen  sollte,  genau  so  höhnenb  unJ 
spöttelnd  ablehnen  wie  den  Antrag  Umland,  well  sie  eben 
fü  den  Ernst  und  die  Schwere  des  täglichen  sozialen  Ringen»  nur 
noch  Hohn  und  Spott  und  höchstens  noch  eine  Putschaktion  mit 
Arbeiterblut  und  FührerauSreiherek  übrig  haben. 
Viele  Mitglieder  der  sozialdemokratischen  Partei  glauben  baS 
Volksbegehren  unterstützen  zu  müssen.  Die  Partei  läßt  ihnen 
Freiheit.  Viele  Mitglieder  aber  lehnen  bie  Unterstützung  bei 
Volksbegehrens  ab.  Insbesondere  fit  die  sozialdemokratische 
Fraktion  der  SSsitgetschaft  und  die  Parteilettung  sich  einig,  daß 
daS  „Gesetz  über  die  Mietzinsbildung",  wie  es  der  Mieterverband 
vorlegt,  eine  Reihe  vorteilhafter  rechtlicher  Neuordnungen  bringen 
würde.  Bringen  würde!  Das  heißt  immer;  wen»  das 
Reich  ihm  die  Zusttmmuiig  gibt  Einig  ist  man  sich  aber  auch 
darin,  daß  das  Gesetz  für  den  größten  Tesi  der  Mieter  bedeutende 
Mieteerhöhungen  bringen  würde. 
Huf  die  Friedensmiete  von  1914,  bie  allerdings  erst  um 
15  vom  Hundert  verkürzt  werden  soll,  soll  ein  Zuschlag  (§  7)  für 
Betriebskosten  unb  ein  Zuschlag  für  die  Unterhaltungskosten  er -
hoben  werden.  Die  Betriebslostenzuschläge  sollen  „in  ihrer  Höhe 
dem  jeweiligen  Stand  ber  Betriebskosten  enfilwechen  unb  nach 
Hundertsähen  bestimmt  werden".  Für  die  Unterhaltungskosten 
soll  ein  Zuschlag  erhoben  werden,  „der  50  %  ber  Grundmiete  nicht 
übersteigen  darf.  Als  Betriebskosten  sollen  gelten  (§  3):  Die 
auf  dem  Grundstück  ruhenden  Steuern,  öffenUiche  Hbgaben,  Ver -
sickerungsgebühren,  Verwaltungskosten  unb  ähnliche  Unkosten. 
Ns  Unterhaltungskosten  sollen  gelten:  (Erneuerung  ber  Dach- 
rinne  und  Ablaufrohre,  Umdecken  des  Daches,  Abputz  ober  An- 
strich  des  Hauses  bon  außen,  Anstrich  des  Treppenhauses  und  Er- 
Neuerung  der  Heizungsanlagen  usw. 
Praktisch  würde  sich  ergeben,  daß  mindestens  50  %  Zuschlag 
für  Betriebskosten,  der  ja  nach  dem  Gesetz  erlaubt  ist,  unb  min- 
b  e  ft  e  n  8  50  %  ber  um  15  %  herabgesetzten  Griindmiete  von  1914 
für  Unterhaltungskosten  erhoben  würben.  Das  ergibt  folgendes 
Rechenexempel :  Friedensmiete  360  weniger  15  %  =  306  M. 
„Es  müßte  bock  nicht  mit  neckten  Dingen  zugehen,  wenn  :n 
diesem  idnllischen  Frieben  ein  ernstliches  Unheil  gedeihen  konnte! 
Wie  reinlich  ist  ber  Kies  auf  dem  ganzen  Platz  gehör»;  unb  auch 
das  Parkgehölz  ist  m  sauberstem  Zustande,  unb  darüber  toeg  steht 
man  noch  eine  mächtige  Kronenfülle  des  eigen  riechen  Forstes  ,ich 
links  bee  Höhe  hinanziehen!" 
ei  fit  schön  hier!"  antwortete  Fvau  Mavie,  ttitelleicht 
nur  zu  schön  für  müßige  Herzen!" 
Sie  gingen  um  ba»  Haus  herum,  wo  an  ber  hinteren  Tur, 
wie  an  ber  vorderen  eine  kleine  Orangerie  in  alten  Kübeln  aut- 
aeitcDt  war.  Bei  einem  der  B-nrmcken  stand  Frau  Setti  Wetdench 
in  schönem  Kleide,  mit  dem  AnStxrechen  abgängiger  Blatter  be -
schäftigt.  Ihr  Gesicht  schien  im  Profil  schmater  als  früher,  blasser 
unb  vor  allem  freudlos. 
„Da  sieh!"  flüsterte  Marie  Salander,  bett  Mann  am  Arme 
berührend. 
Er  blieb  einen  Augenblick  stehen  unb  sich  bfe  Tochter,  gtng 
darin  aber  um  so  rascher  vorwärts,  so  daß  Setti,  die  nn  feinen 
Kiese  knirschenden  Schritte  brxrte  unb  sich  wendete.  JBaum  er -
blickte  sie  Vater  unb  Mittler,  so  strahlte  ungewohnte  xvreubc  nur 
ihrem  Gesichte,  einen  Schleier  der  Wehmut  durchbrechend,  der  fick 
gleichzeitig  darüber  verbreiten  wollte.  Aber  nur  zögernd  trat  tee 
ihnen  entgegen,  bi»  sie  sich,  baß  bie  Eltern  bie  -sdxntte  be -
schleunigten,  und  ihnen  nun  in  bie  Arme  flog. 
„Muß  man  Dich  auffuchcn,  trenn  man  Dich  einmal  sehen 
will?"  sagten  sie,  „unb  Netti  auch?  Was  ist  das  für  eine  Aus -
führung?"  .  . 
Setti  errötete  stark  unb  schlug  die  Augen  nieder.» 
„Ich  weiß  nicht,  uh  komme  nickt  von  Hause  weg,  entgegnete 
bie  junge  Frau  »erlegen,  „aber  habt  Ihr  denn  Netti  auch  nicht 
6Cfd So  wenig  wie  Dich!  Wo  fehlt  ei  denn?"  fragte  bie  Mutter 
„Wo  sollte  es  fehlen?  Auch  die  zufälliger  Ursachen  können 
sich  ja  gleichen  und  überall  dieselben  folgen  haben.  Aber  wollt 
Ihr  nicht  in»  Hau»  kommen  unb  au»ruhen,  hebe  Eltern  Sii. 
sehr  erfreut  Ihr  mich!  Darum  bat  eS  mir  auch  ;o  ickon  getraum. 
in  der  vergangenen  Nacht!" 
„Geträumt?  Und  was  denn?  fragte  der