AambnmerEcho Freitag, de« 27. Mai 1921 - Morgen-Ausgabe 35. Jahrgang bU etTfiefpaltene Mtiyttc 2,20 A, jozüstlich SO Prozent Zeuerurvtü« zntchlaz. ArSeNSmarkt n. ^»nOllenanzeiaen 2,10 A, SWanWtrab» n tm $r> (bi« 7 Uhr abend« fftt btx folgenden Tag), » den StUatex (bl* i Cf>r) ■* tx allen Kinwncen» BttTtoue. «I<* xxb DolenvorfchrMen ohne OttMxb««tett. wir«* wj?* erfdjetot «Lgltch zwelmol, Sonntag« u. nach getertagen itxr einmal. «eziigSprei«: wSchentl. 2,85 X, mono«. 1X> X voran«,ahldar tret ln« Haa«. Rrbotnen: ««htandstrafte 11, l. «oL Bwanteorlltdier medakieur: NohmmeSSiettze, Hamburg Expedit ton: x^ylandftrabeii/brdarfchot. vnchhandlung: «rdgefcho». 18ud)bnicferct»jftontor: Lehlandstraße 11, 1. Stock. Schandsnstix. ■ r Der DSser wird begierig sein, $n erfahren, was Sie deutsche KLrssen-jusÜz denn fLr ein neues Verbrechen auf ihr Haupt ge - laden hat. Er täuscht sich in dieser Erwartung: nicht der deut - schen, der russisch-bolschewistischen Jnsti-schande gilt dieses Kapitel, womit den tooimunistischen Schreiern Üb-rr die deutsche Justiz gezeigt werden soll, daß sie die allerletzten sind, die dos Recht haben, sich Über deutsche Gerichte z« beschweren. Wir entnehmen der „Weltbühne" den folgenden Artitet von Elias Hurwicz, der als durchaus zuverlässiger Kenner russischer Berhättniffe angesprochen werden tour. »Aller Strenge deß bolschewistischen Terrors zum Trotz ge - lingt es den — vielfach schon unter bem Zarenregime hart ge - prüften — Gefängnisinsassen, ein Lebenszeichen nach außen von sich zu geben. Diese Mitteilungen führen uns in das der Nutzen- west, besonders der europäischen, so wenig bekannte Interieur der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik #m. Der sozial - revolutionären „-Volja Rossij" in Prag ist eine Reihe solcher Ge- fängnisbriese zugekommien. Daraus ergibt sich das folgend Mld: Die Gefängnisse der Russischen Republik sind überfüllt. Viele Gefängnisse hat das alte Regime Hinterlasien; zu ihnen sind ober noch eine Menge verschiedener „Abteilungen", „Jnnengefängnisse" und dergleichen hinzu- gekommen. Und in jedem dieser Kerker kann man alte, ver - diente Freiheitskämpfer finden. In der Peter-Pauls-Festung sitzt der Führer der Sozialdemokraten Dan, in Butyrki der sozialrevolutionär« Führer Gotz, in der Torteka der S R. Wedenjapin; von den unzähligen minder bekannten gar nicht zu reden. Es sitzen fünfzehnjährige Kinder; der men^ schewistische Jngendbund: Knaben und Mädchen im Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren sind ein gesperrt. Es sitzen olle: Anarchisten, Menschewik, Maximalisten, Sozialrevolutionäre, Genossenschafter und Parteilose. Ende März 1921 saßen allein in Butyrki: 150 Sozial - revolutionäre des rechten Flügels, 25 des linken, 110 Men - schewiki und 30 Anarchisten. Es gibt Häftlinge, die schon zwei Jahr« ohne jegliche Anschuldigung und ohne Verhör sitzen. Men und Menschen gehen verloren. Zur Zeit der Abfasiuny dieses Briefes stand das Butyrki-Gefängnis im Zeichen des Hungerstreiks, der vom 20. bis 23. April dauerte und an dem 1100 Menschen terlnahmen. Sein Ziel war: Herbei - führung des Verhörs innerhalb von zwei Wochen; Freiheit der Religionsausübung; Einführung von Spaziergängen. Der Hungerstreik war von einer ,zLBftruktton" begleitet: von Mafsengehoul ’(^tru§ den Frauenzellen hörte man hysterische Schreie und furchtbares Gelächter", heißt es in einem Brief), Zertrümmerwig von Fensterscheiben usw. Die Gefängnis - verwaltung stellte in den Korridoren Maschinen - gewehre aus; aber die Streikenden verbarrikadierten sich auf Hausboden und bewaffneten sich mit Ziegelstomen. In den Kcmflikt mischte sich schließlich auch der nichtstreikende Teil der Jnsasien ein rath bedrohte die Gefängnisverwaltung mit dem Anschluß an den Streik, falls jenen Forderungen nicht statt- gegeben würde. Darauf gab die Inspektion nach Der Sieg wurde mit extrem GotwSdivnst gefeiert. Immerhin scheinen die Butyrki noch ein Rektonegefängnis zu sein. In einem Brief heißt eSr »Ich bin, ebenso wie andere hier eingeschlossenen Sozialisten, zum Opfer einer ungeheuren Heuchelei der kommunkstischen Machthaber geworden: wir haben innerhalb des Gesängnisies volle Bewegungsfreiheit, sehen die Inspektion fast gar nicht, ge - nießen Wort- und Verscmrmlnngssreiheit, halten Vorlesungen und Konzerte ob. Und c6 gilbt Journalisten, die, auf das Regime unseres Gefängnisses hinweisend, die schönen Sowjet-Gefängnisse und die Humanität der Kommunisten loben. Aber in dem gleichen Moskau, in dem Jnnengefängnis der Tscheka ersticken buchstäblich die Leute und wer - den von Ungeziefer verzehrt." Dieses ^Fnnengefängnis der Tscheka" ist wohl der schlimmste aller Sowjet-Kerker. Me Insassen haben nicht einmal das Recht, die Lnstklappe aufznmachen. Sie sitzen vollständig isoliert, dürfen keinen Besuch empfangen und «ach nicht miteinander in der Klopfsprache verkehren. Hier versinkt der Mensch völlig in Ver - gessenheit. In einem Brief heißt tat. »TaS Jnnengefangnis der Tscheka ist ent Grab. Dieses ©e» fängniS ist eine Reproduktion der mittelalterlichen Kasematten." Der HmngerstreÄ ist hier an der Tagesordnung, und die Wandinfchriften bezeugen seine Progressionr 1920 war seine gewöhnliche Dauer vier bis fünf Tage, 1921 sechs bis sieben. Neuerdings ist sogar ein Fall von seHzehntägigem Hnngerstreä'E vorgekomrwe»:. »Ich tarn darüber nicht ruhig schreiben. Mau möchte daS Haupt entblößen und vor dem unbesiegbaren, stolzen und edlen Menschenge isie kniefällig beten." Aber eben weil die Hungerstreiks so an der Tagesordnung sind, zeigen sich die Gefängnismachchaber dagegen abgehärtet und erklären den Streikenden: »Dar ist Eure Sache: Ihr könnt sterben. Für uns stehen StaatSrnteressen höher als der Tod von Einzelpersonen." Sie lassen die Streikenden bis zur Er - schöpfung hungern und verordnen dann künstliche Nahrung. An all dem ist nicht nur das Regime, sondern vielleicht noch mehr der Mangel an jeglicher Anschuldigung der Inhaftierten empörend. Freilich, hier geht die Justiz in die Politik übet: gäbe die Sowjetregierung die Inhaftierung sgründe cm, so würde sie den wahren Zustand der Opposition und ihre eigene Kampfer - weise gegen sie entschleiorn!" Die z,Kriegsverbrecher". Durch mißliche technische Umstände waren wir nicht in der Lage, unsere Leser fortlaufend über den ersten Prozeß, dessen Ausgang wir bereits gestern metoten, eingehender zu in - formieren. Wir holen daher noch kurz den Berieht vom letzten Tage der Verhandlung nach Am Mittwoch begann der dritte Verhandlnngstag vor dem Leipziger Reichsgericht mit dem Antrag des Oberreichsanwalts, die Beweisaufnahme nochmals zu eröffnen, da noch gewisse Fest- sttllungen notwendig seien. Dem Anträge wurde stattgegeben, und es wurden sodann noch einige Zeugen vernommen, deren Aussagen sich im Rahmen der bisherigen Anschuldigungen gegen den Angeklagten halten. Nach einer Erklärung des Sach - verständigen, General von Franseckh, beginnt der Ober - reichsanwalt, der in seinem neuen Amt durch den jetzigen Prozeß das erste Mal vor die Oeffentlichkeit tritt, mit der An - klagerede. Wir der Vorsitzende des Gerichts, so sah auch er sich veranlaßt, zunächst darauf hinzuweisen, daß alle politischen Erwägungen vollkommen ausgeschaltet werden und er sich weder von politischen Rücksichten zu- gunsten oder zu ungun st en des Angeklagten leiten lassen wurde, sondern rein objektiv die rechtliche Lage zu prüfen gedenke. Dr. Ebermeyer beginnt dann mit einer Schilderung der Verhältnisse unter denen der Angeklagte tätlich geworden ist. Er stellt fest, daß Heynen mit ziemlich renitenten Gefangenen arbeiten mußte, datz aber trotzdem^ das Vorgehen des Angeklagten nicht zu billigen sei. Auch in Fällen, i* denen dem Angeklagten von den Gefangenen Widerstand ge - leistet worden sei, hätte dieser kein Recht gehabt, so vorzngehen,wieer esgetanhat. Die deutsche Heeres - verwaltung habe immer Wert darauf gelegt, daß die Gefangenen menschlich behandelt werden und jede Mißhandlung unterbleibt. Alle Bestimmungen über Gefangenenbehandlung sagten aus - drücklich: Mißhandlungen sind unter allen Um- ständen zu vermeidem Der Oberreichsanwolt untersucht dann die Frage, inwieweit der Beschuldigte auf Grund des § 121 des Militärstrafgesetzbuches berechtigt gewesen ist, von der Waffe Gebrauch zu machen. Dem Inhalt des genannten Paragraphen zufolge stellt er fest, daß von der Waffe nur zur Abwendung eines tätlichen Angriffes oder in Fällen äußerster Not bczw. in dringender Gefahr, Befehlen Gehorsam zu verschaffen, Gebrauch gemacht werden durfte. Wenn sich auch der Angeklagte auf bi4 an ihn ergangenen Weisungen beruft, sich »mit allen Mitteln" Gehorsam zu verichaisen, io je: er der Ansicht, daß hieraus kein Recht auf Straflosigkeit hergeleitet werden kann. Hierauf er - klärte Dr. Ebermener die rein rechtlichen Fragen, die bei der Urteilsverkündung Derückfichtigurtg finden müßten. An dem Fall Croß, stellt er fest, daß sich Heynen nicht gescheut h-rbe, gegen in Behandlungbefindliche Kranke äußerst schroff vorzugehen und sie mit dem Gewehr - kolben zu schlagen sowie mit Füßen zu treten. Ein derartiges Benehmen fei roh und als Ueberschrertmig der Dienstgewalt anzusehen. Zum Schluß seiner Ausführungen bittet der Oberreichsanwalt den Senat, den Angeklagten wegen 28 schwerer Fälle und 3 minder schwerer Fälle zu verurteilen. Zur Entlastung des Angeklagten weist Dr. Eber- metz er noch darauf hin, daß die Berhältniffe, in denen sich der Angeklagte befand, äußerst schwierig waren und er sich deshalb nicht mir zu strengen Maßnahmen für berechtigt, fondern sirr verpflichtet halten konnte. Trotz alledem aber dürfe dre Strafe nickst zu milde sein. Der Antrag geht dahin, den Angeklagten entweder wegen einer fortgesetzten Handlung oder in «ragen Einzelfällen als selbständig anzunehmende Handlungen zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren zu vernrtcrlem Dem Plaidoycr deS Oberreichsanwalts folgen nack einet kurzen Pause die Reden der Verteidiger und dgs bereits mit- geteilte Urteil. Der zweite »KriegSVerbrecherpriozeß trätet sich gegen den Rechtsanwalt und Hauptmann der Landwehr a. D. Emil Müller aus Karlsruhe. Müller ist gleichfalls der Ge- fangenenmißhandlung beschuldigt. Zu der Verhandlung werden 19 deutsche und 20 englische Zeugen erscheinen. * Man kann nicht sagen, daß das Urteil gegen einen Rohling, dem der Staatsanwalt 31 Fälle von Mißhandlung vor - warf, sonderlich hart gewesen ist. Es kommt jetzt jener Haupt - mann Müller an die Reihe, der, wie wir bereits berichteten, sich nach mglrschen Zeugenaussagen geradez» viehischer Hand - lungen gegen Wehrlose schuldig gemacht hat. — Soll das Aus - land der deutschen EhrNchkeit trauen, dann muß alle Streuge des Gesetzes in diesen Verfahren Anwendung suchen. Gerechtigkeit Mr Gkerschiefien! Berlin, 28. Mai. Tke schon vor eitrigen Wochen beabsichtigte Konferenz in Boutogn« wird jetzt wahrscheinlich in den ersten Junitagen statt- finden. Die Vorgänge in Oberschlesien und die Lösung des oberschlesische« Problems werde« Hauptgegenstand der Tagesordnung bilden. Inzwischen setzen die Regierungen der Entente den Meinungsaustausch über Cber= schlesien fort. Wie das ^petit Journal" meldet, stcht man in Patsis dem Vorschlag Lloyd Georges, einen internationalen Aus - schuß aus wirtschaftlichen Sachverständigen einzusetzen, der di« oöerschlesische Mage lediglich vom technischen Stand - punkt zu studieren hat und besonders die Folgen einer Teilung der Flußläufe und der elektrischen Kraft untersuchen soll, rächt otbiehnend gegenüber. Das »Petit Journal" glaubt mitteilen zu können, daß bereits Sachverständige dabei sind, die näheren Einzelheiten über Oberschtefien zu prüfen, damit „eine voll - ständige und vernünftige Lösung" herbeigesichrt werden könne. Sollten diese Meldungen zutreffen, was nach den Ausführungen bei französischen Ministerpräsidenten in der Kammer zu bezweifeln ist, so wäre das sehr zu begrüßen. Eine objektive Betrachtung der Angeiegenbeit müßte dann, zumal wenn die Frage vom technischen Etandvunkt auS betrachtet wird, eine annehmbare Lösung für Deutschland er - geben. Trotz der nach den Blättermeldungen beabsichtigten Regelnng nach wirtschasüichen Grurräfätzen muh Deutschland aber dennoch auch ans die Berücksichtigung des Abstimmungsergebräffes Wert legen. Deutschland hat ein Reckt, darauf zu be - stehen, daß d-ie Willen Ssirndgebung der obesichlesischen Bevölke - rung berücksichtigt wird und daß die oberschleisische Frage ins - gesamt von den GesichtSprinkten ans betrachtet wird, die nun einmal rät Versailler Vertrag vorgesehen find. — Reben diesen Mitteilungen, die, wenn sie and) rächt zu großen Hosi' Hungen berechtigen, immerhin zu begriißen stick, werden Mel - dungen verbreitet, wonach von der Entente ein autonomes Oberschlesien unter Kontrolle deS Völkerbundes imb des Obersten Rates für die Dauer von 30 Jahren in Aussicht ge - nommen ist, wenn Deutschland seine Schulden bezahlt habe. Selbstverständlich ist ein derartiger Plan für uns undi Slu- tabel. Ein autonomes Oberschlesien unter Kontrolle des Völkerbundes oder einer andern alliierten Behörde wider - spricht auch den Satzungen des Versailler Ver - trages. Die jüngsten Vorgänge m Oberschlesien trnd besonders die augenblickliche wirtschaftlicbe Lage Polens sollten bewiesen haben, daß Polen, ganz abgesehen von dem deutschen Ab - stimmungssieg, nie in der Lage fein wird, das ober- schlesische Industriegebiet derart zu bewirsichaften, wie e s i m Interesse EuropaSnotwcndig ist Während Deutsch- land ohne Oberschlesien mir noch jämmerlich sein Dasein fristet, ist Polen Wohl in der Lage, mich ohne daS oberschlesischc Industrie - gebiet wetterzuexistierer. Tie alliierten Staaten haben bei der obevschieftschen Frage Gelegenheit, Recht und Gerechtig - keit zu beweisen, von denen Llood George tn seiner jüngsten Rede so viel gesprochen nnd die Briand in feiner letzten Kamm er rede als den Grundsatz seiner Bestrebungen be - zeichnete. Will matt in den Ententestaräen wirklich daS Recht, das immer in den Vordergrund geschoben nstrd, dann muß man sich auch darüber klar sei«, daß polräscke Umstbigkest rächt durch die Preisgabe eines Gebietes, das deutscher Meiß zu dem machte, was es Henie ist, belohnt werden kann. Die Polen setzen ihre Bestrebungen, sick restlos des ober- schlesischen Gebietes zu bemächtigen, fort. Wsher ist es den polnischen Insurgenten jedoch nicht gelungen, ihren Macktbereich trotz des großen Vorrats an Granaten - und Gewehrmunistonzu vergrößern. Schwere Verluste waren bisher die Folge chrer An - griffe gegen die boot deutschen Sribftschutz verteidigten Städte nnb Dörfer. Bis heute ist der Telephon- und Telegraphen verkehr mit dem oberschlesifchen Industriegebiet noch vollständig unter« brochen. ~ Der neue Dressechef der Reichsregiernng. Wie die P. P. N. hören, ist «tm Nachfolger des bei Neu - bildung bet ReichSregierung gurüdgetretenen Geheimrats Heil» bom als Presiechef der Reichsregierung rack deS AuSwärligen Amtes Herr Dr. A. Höfle in SuSlicht genommen. Dr. Höfle war früher Setter des Bundes Deutscher Techniker, schied aber aus dieser Organisation aus, als die Verschmelzung mit dem Bund der technisch-industriellen Beamten erfolgte. Er hat sich seitdem journalistisch rack in der christkich-nationalen Ange - stellten- und Beamtenbewegratg betätigt Dr. Höfle gilt als be- sonderet Vertrauensmann des gegenwärtigen Reichskanzlers -rack d«S pxeußischeu Miaisterptäfideuteu Stegerwgkd. Gi« „Vorgeschmacks Die JZt m c 5" melden aus Oppelnr Die Polen begSmrat mit systematischen Zerstörn nge« i« der Stadt Rosenberg. Sie wollen ctnscheinend den Deutschen und der Welt tm allgemeinen einen,Vorgeschmack davon geben, was sie