Ur. 58. Dienstag, den 31. Iannar 1988 Abend Ausgabe 36. Jahrgang ■Wei»« M< tlToffneBtw Peru,» le 5.60 X e*6rit#marft n. 3amtUee» ontoflen SJto X Kleine isnuetgeit M# » ZOI«, hie Heile » 25 X fteblanbftraSe 1 tm lirb« aefdioN (bi# 7 Ubr otieiib# für bett feiflenbett lag), ™ bett SUtalen (bi# s Ubr) unb in aUrn Annoncen* Bureau». Blatz- unb la.enncritbritten ohne «erbtnbliditeU. , ewbtttttttt mergert 40 4, tleeli fee* tew» «tl geftteg« «0 *. UMmbuMrEcho •ebianbnrabe i. Stock. nMWWW^ JKEÄw Aus der Werkstatt der Mordorganisalionen. eerr Alfred Müller-Förster, Mitglied des .8 Uhr Abendblattes", war von einem Grafen Mandelsloh verklagt worden wegen einer Ver - öffentlichung gegen geheime Putfchorgani. fali 0 nen rechtsgerichteter Kreise. Der Termin tollte am 34. Januar ftattfinben, wurde aber von Dem Kläger abgesagt. (!) Herr Müller-Förster über - läßt uns nun das nachfolgende Material, für das er jederzeit die Beweise erbringen will. Er hat es denn doch für besser gefunden, der Herr Graf Otto von Mandelsloh aus München, die Privatklage gegen mich wegen Beleidigung im letzten Moment zurückzuziehen. Graf Mandelsloh hatte anfangs um eine „Berichtigung" er - sucht, die abgelehnt wurde, weil ich von den von mir im „Ham - burger 8 Uhr Abendblatt" veröffentlichten Angaben über die Putschorganisationen nichts zu widerrufen, sondern noch Be - deutendes hinzuzufügen hatte. Die Angelegenheit hätte nun ihr für die Herren Grafen Mandelsloh und Konsorten sehr unrühmliches Finale gefunden, wenn wir, denen di« Sicherung unseres Vaterlandes gegen gefährliche Dilettanterien jener Romantiker obliegt, die Akten über diesen Dingen schlössen. Wir stehen aber auf dem Stangpunkt, daß Verschweigen von Tatsachen, die uns früher oder später wieder außenpolitisch in schiefe Situationen bringen können, ein Verbrechen am Wohl der Nation bedeutet. Diese ist darum gefährdet, weil jene Organisationen, an einer Stelle aufgehoben, in ge - schlossener Form an anderen Stellen wieder a u f e r st e h e n und so eine stete Bedrohung des Staates und der StaatSeinhcit darstellcn. Viel zu lange hat die deutsche Presse geschwiegen, viel zu lange war in Negierungskreisen die Ansicht vertreten, daß die Veröffentlichung dieser Dinge dem Staatsinteresse widerstrebe. Das Gegenteil ist eingetreten. Durch übervorsichtiges Schwei - gen und Vertuschen ist unsere ehrliche Politik im -Auslande in r.en Verdacht geraten, sie begünstige die Putschisten, sie decke die üblen Machinationen der Mordzentralen mit der Staatsautorität. Man hält unsere Negierung der Mitwissen - schaft fähig, well sie nicht r e ch t z e i t i g den "schärfsten Kampf gegen die Geheinwrganisationen ausgenommen hat. Wir müssen auf die Illusion verzichten, daß cS in Deutsch - land Dinge gibt, die den Franzosen nicht bekannt sind. Die französische Regierung unterhält in Deutschland eine Armee von Spionen. Im Korps Oberland sind nachweisbar an hundert ehemalige Angehörige der französischen Armee tätig gewesen. Ihre Tätigkeit bestand darin, die Korps-Ober - länder zu bespitzeln und Material an die Entente zu liefern. Das ist pünktlich geschehen zur Zeit, als das Korps in offener Rebellion gegen den Auflösungsbesehl der Regierung am 22. Juli v. I. wieder in Oberschlesien eindringen und uns in einen Krieg gegen Polen verwickeln wollte. Nur noch größere Linder als die Mitilansren können glauben, daß wir zu jener Zeit nicht die gesamte Entente gegen uns gehabt hätten. Die französische. Regierung erhielt das Material durch einen ehemaligen Offizier des Korps, der aber früher niemals Offizier, sondern Kellner in der Pfalz war. Resultat: Die Note der, französischen Regierung vom 17. Juli 1921. Die Unsicherheit der inneren Zustände in Deutschland, die Bedrohung der friedenswilligen Republik hat in Frankreich Poincarö möglich gemacht. Briand wurde nicht durch Cannes gestürzt, sondern durch den früheren Kriegs - minister L e f e b r e, der in der Kammer mit der Mitteilung von der Auffindung großer Mengen von Kriegsmaterial den ersten, aber fast entscheidenden Vorstoß gegen Briands Politik unternahm. DiefranzösischenChauvinistenglaubenfest und bestimmt, Deutschland befindet sich in den Händen der Militaristen, sie glauben, daß das gegenwärtige Staats - gebäude von Bubenhänden vollkommen unterminiert ist und eines Tages aufflicgen wird. Nur so ist der Poincarö möglich geworden. Der deutsche Militarismus hat B r i a n d g e st ü r z t und somit jede Möglichkeit einer ruhigen Entwicklung Mitteleuropas wieder in weite Entfernung gerückt. Die Gefahr für die Republik ist noch nicht vorüber. Das K 0 r p s O b e r l a n d e x i st i e r t n 0 ch und hat. (5000 Mann stark) in München seine Weihnachtsfeier gehalten, auf der ihr Kommandeur, Herr Oberst a. D. Grützner aus Breslau, eine Rede gehalten hat, die ungefähr besagte: „Die deutsche Regierung kann und ..." Herr Oberst a. D. Grützner wohnt in Breslau, Kaiser- Wilbelmstraße 43 — im Falle die deutsche Regierung über die Weihnachtsfeier in München eine kleine Rückfrage zu halten wünscht. Die anderen KorpS, Aulock, Rcßbach usw., sind zwar auf - gelöst, aberdieWaffenhaben sie nichtabgegeben. Die Waffen wurden versteckt, vergraben, vermauert. Die deutsche Regierung ist auf steter Suche nach den verborgenen Waffen. Die Franzosen haben mehr Glück mit dec deutschen Wafjensuchc. Herr Kriegsminister Louis Bart hon konnte vor einigen Tagen der Poincaristen-Kammer zirka 3521 Ge - wehre, 400 Maschinengewehre, gefunden im Kaisertrutz in Görlitz, vermauert vom Korps Roßbach, verraten von einem französischen Spion in der „Arbeitsgemeinschaft Roßbach", auf den Tisch des Hauses legen. Leichter, weiterer Sieg der Poincaristen durch Mithilfe der Roßbachanten. Wie flehen die Dinge in München? Herr Hauptmann v. Kes sel ist vom Münchener Staatsanwalt freigelassen worden gegen den Willen der Breslauer Staatsanwaltschaft. Man steht auf dem seltsamen Standpunkt, für derlei Sachen sei München zuständig, weil die Geheimbünde in München ihren Sitz haben. Das ist eine hervorragende Kahrische Schie - bung. ' Sind auch in Schlesien begangene Morde in München zuständig, dann beginnt in Bayern eine feine Zeit für Mörder. Wir veröffentlichen folgendes Telegramm, das an den Leiter der Nachrichtenstelle des Korps Oberland, Herrn .Geheimrat Berger", wirklich: Dr. Ruge, gerichtet ist und den Befehl zum Mord enthält. / Abschrift. Telegramm aus München vom 4. 9. 21 abend« 7 Uhr 200 Worte. Geheimrat Berger, Schlol? Bielau b. Neiße. Kohle« eingetroffen und Berichte. Ich bitte folgendes un - gesäumt durchzuführen: Außer Nicke und Bürckmayer alle« restlos sofort nach Pla» entlassen oder hierher beordern. Alle über, flüssigen Chauffeure ebenfalls heimschicken. Leutnant Fritsch ist ebenfalls zu beurlauben. Entlassener Stefan denunziert bei Heintze. Letzteren aufklären, erstere» zu Ties st ein schicken. Peisl ist mit allem Material hierher zu beordern; wen» dieses nicht endlich in Sicherheit gebracht, geht es zweifellos verloren. In Ihrem Brief Punkt 1 und 2 hängen zusammen und stehen mit Abwicklungsaufgabe in keinem Zusammenhang. Puknt 7 hat Fritsch in BreSlau entsprechende Depesche selbst aufgegeben. Nicke ermahne ich hiermit an ordnungsmäßige Zusammenarbeit mit Ihnen unter Beobachtung der selbstverständlichen Berkehrsform. Ihnen selbst legeKch Aufgabe JhreS unberechtigten Mßtrauens dringend nahe. Sogenannte Schutzmaßnahme» provozieren, blamieren und sind überflüssig. Ich stehe für meine Leute voll ein. Verhandlungen mit Festigkeit, Ruhe und Taktik führen. Nicht abreiseu ohne Ziel völlig erreicht und möglichst weiter Ctappisterung der umgewandelten 91.-3. erreicht zu haben. Mit Magnist Fühlung suchen im besprochenen Sinne. Ebenso noch - mals Hülfen und Burgschule lege nochmals ans Herz unverzüglich nach Anordnung entlassen. Hindernder Ballast fort. Sie und Nicke genügen für vorgenommene Aufgaben. Alles übrige fernhalten. Nur völlige Einigkeit führt zum Ziel. Erbitte Boll- zugsmeldung. Auftragsgemäß gez. «ichinger. Kommentar : Das Telegramm befindet sich in den Hälidcn der Breslauer Behörden. »Zu Tiejsteiu" schicken, in das Grab schicken. Besagter Stefan, der dem Polizei- leutnant Heintze in Neiße interessante Dinge erzählte, ist zu „Tief stein" geschickt worden. Er ist ermordet worden. Es sind Leute in Breslau aus den Hotels herausgeholt, im Auto nach Neiße geschafft und dortumgebrachtworden. Noch einmal: Sind in Schlesien begangene Morde in München zuständig? Und weiter: Sind in Schlesien begangene Pferdcdiebstähle auch in München zuständig? Dann möchte ich Pferdedieb aus München fein. Von den Angehörigen des Korps Oberland sind bei deutschen Besitzern in Oberschlesien (unter dem Deck - mantel der Requirierung) zahlreiche Pferdediebstählc begangen worden. Die Pferde wurden aber nicht dem Selbstschutz zu- gesührt, sondern verschoben und gelangten zum Teil in den Besitz von polnischen Insurgenten. Gs. ist hohe, allerhöchste Zeit, daß die Negierung sich ent - schließt, den Kampf gegen die Verbrechcrbanden in voller Öffentlichkeit zu führen, und daß sie dafür sorgt, daß sie des Münchener Protektorats verlustig gehen. Die begangenen Morde dieser Äute geben der Reichs - regierung hierzu die Handhabe. Alferd Müller-Förster. Rcaltllouares von überall. 2Tu5 Bremen wird uns geschrieben: Das Kommando der hiesigen Lick^erheitspolizei, da? in Hän - den reaktionärer Offiziere liegt, hat jetzt wieder einen erneuten Beweis seines Willkürregiments gegeben. Ter Lbermachtmeister ®t M der im Oktober d. I. eine zwölfjährige Militärdienstzeit ab - geleistet haben wird, ist jetzt unter Angabe allerlei nichtiger Gründe entlassen worden, weil er der sozialdemo - kratischen Partei angehört. Bereits im März vorigen IahreS wurden ibm von seinem damaligen Vorgesetzten, einem Hauptmann Trame, dieserhalb Vorhaltungen gemacht. AIS 5t. diesem darauf erwiderte, daß er vor einigen Monaten der sozial- demokratischen Partei beigetreten sei, sich aber so gut wie gar richt politisch betätigt Hobe, erwiderte ihm der Hauptmann: »Tas sollte mich freuen, aber eins will ich Ihnen sagen, erfahre ich, daß Sie trotzdem noch zu der sozialdemokratischen Partei geboren, bann geht e 6 Ihnen bei mit schlecht!" ES folgten dann noch weitere Drangsalierungen, so daß St„ um diesen zu entgehen, sich endlich entschloß, aus unserer Partei auszutreten. AIS bet Hauptmann dies erfuhr, überhäufte er den Mann mit Liebenswürdigkeiten. Gelegentlich einer linier- suchung in einer andern Sache mußte St. eine Aussage über Hauptmann Crome knacken und berichtete dann wahrheits - getreu, wie er ihn behandelt habe. Da war da» Maß voll, und St. bekam am 16. Januar seine Entlassung. Tie sozialdemokra - tische Fraktion bet Bremischen Bürgerschaft hat diesen Fall zum Anlaß genommen, eine diesbezügliche Interpellation einzukwin. gen, die in der nächsten Sitzung von dem Senat beantwortet wer - den muß. Ta nach Artikel 180 der Reichsverfassung allen Be - amten die Freiheit ihrer politischen Gesinnung garantiert wird, wird der Senat nicht umhin können, sich mit der Sache näher zu befassen. • Wie der SPD. von äußerst zuverläsffget Seite erfährt, hat der General der Reichswehr Epp in München dem ..Völkischen Beobachter" 60 000 zur Verfügung gestellt. Epp war bekanntlich der Held der bayerischen Kappisten im März 1020. Der .Völkische Beob - achter" ist das schlimmste antisemitische Hetzblatt, da» durch eine wüste Beschimpfung der ReickSregierung bekannt ist. E« ist da» Sprachorgan des politischen RowdvtumS in Bayern, da» sich in wüsten Beschimpfungen der politisch Tätigen, namentlich bet sozialdemokratischen Führer in München woblfühlt und zur Förde, rung der Mordhetze, die zum Tode von Gareis und Erz - berger führte, wesentlich beigetragen hat. WaS sagt Herr Geßler zu der Tatsache, daß von der Re - publik besoldete bösere Offiziere s i ch finanziell an bet Förderung einet maßlosen Hetze gegen die republikanische Regierung beteiligen? Es fehlte nur noch, daß die 60 000.< aus der Kasse der von Epp geleiteten Reichswehrbrigabe in Bayern stammen. • Wie der amtliche Preußische Pressedienst meldet, bat Minister Severing in einem Erlaß an den Berliner Polizeipräsidenten folgendes verfügt: .Gemäß § 1 des ®efe^S vom 22. März 1921 löse ichbier- b u r cf) mit Zustimmung bet Reichsregierung den .Berliner s e l b st s ch u tz" G. m. b. H. und den .Falkenbund" (Selksst- schutz HallescheS Tot), beide in Berlin, mit sofortiger Wir - kung auf. Personen, die sich an einer der aufgelösten Creani. sationen beteiligen, werden gemäß st 4 o. a. C. mit Geldstrafe bi« zu 50 000 ober mit Festung bis zu 3 Monaten ober mit Ge - fängnis bis zu gleicher Dauer bestraft." Die Korrespondenz B. ®. bringt eine offenbar von ben auf - gelösten Berbänben inspirierte Notiz. Danach liegt die Vermutung nabe, baß bie Auslösung der Verbände mit Waffenfunben zusammenhängt, die in der letzten Zeit im Berliner Südwesten gemacht worben waren. So ist in der Berliner Dilbelmstraße ein größere« Lager von Waffen entdeckt worden. Tie? Lager soll allerdings den Behörden vorschriftsmäßig ange- meldet und zur Verfügung gestellt worden sein, aber merk- würdigerweise sei er nickt rechtzeitig abgebolt worden. Nach ssn- krafttreten des EntwaffnungSgeseheS seien die Mitglieder bet Selbstscku''orggni'gttonen in bet Hauptsache mit Schlagwaffen und Selbstladepistolen bewaffnet gewesen. Nach der deutsche« Note. SPD. Berlin, 81. Januar. (Drahlbericht.s Die ReparationSkommifsion beschäftigte sich bereit» am Ron- tag mit der deutschen Denkschrift. ES wurde beschlossen, die Note sofort an bte verbündeten Regierungen zu übergeben. In bet anschließenden Nachmittagssitzung be - sprach die Kommission den Wortlaut de» Begleitbriefes, mit dem den verbündeten Regierungen die Denkschrift überreicht wer - den soll. Nach ben bisherigen Sedimentären der Pariser Presse be - fürchtet man allgemein, baß abermals neue Vereinbarungen auf »Kosten Frankreichs" getroffen würden. Der .TempS" befürchtet z. B., daß eS zu Vereinbarungen führen könne, bie alle Be - teiligten beschweren würden. Frankreich werde zwar scheinbar tm Jahre 1922 ebensoviel erhalten wie der Londoner Zahlungsplan in Aussicht stellt und wesentliche Rabatte nur auf bie DorkriegS- schulden unb die Besatzungskosten zugestehen müssen. Zwei Dinge sinb es. bie dem .Temps" besonders beachtenswert erscheinen: Frankreich sei nickt vorbereitet, um eine M i k» liarbe beutscher Waren und Materialien in Empfangzu nehmen. Aber bet deutsche Staat fei unfähig, bie finanziellen Verpflichtungen seines Programms auSzufübren, weil die Sachleistungen tm Betrage von über eine Milliarde Gold - mark bie Ausgabe von neuem Papiergeld notwendig machten, also einen neuen Sturz der Mark Hervorrufen würden. Auck Deutsch - land zieht nach dem .Demps' aus der ptovisorischen Lösung nur scheinbaren Nutzen. Wenn die Mark weiter finkt, bann wür - den notwendigerweise Verhältnisse eintreten, bie einen weiteren Marksturz, weitere Lohnerhöhungen und eine weitere Erhöhung bet LehenShaltunaskosten nach fick ziehen. An» allen b : efen fflrfin- den kommt der .Tempi" zu dem Botschina, nur eine inter - nationale Goldanleihe kann helfen. Da» NeichSmieteqefetz unb bie Erhöhung der Ban» föft-nabaabe, die noch am Mittwock dieser Woche hatten fier- abiebiebrt werden fetten werden weaen Eistonknng bei Reichs. arbenSm'nisterS erst im Laufe der nächsten Woche an da« Plenum kommen können. Ueber die flucht deS Nbootpiraten Dittman« bat nickt da« .teamburger“ sondern das .Nam, buraer Tageblatt' die heute morgen veröffentlichten nähet'n Mitteilungen gebracht. Der Wandrrrr ostne Wrg. Roinau von August Hinrich«. 116] AIS er aber hörte, daß wir zu Fuß laufen wollten, entsetzte er sich. Er war ein vornehmer Mensch unb sah mit Verachtung auf die Kunden der Landstraße herab, hätte auch nie und nimmer einen Berliner getragen. So erschien er eines Tages in tadel - losem Anzug, ein hübsches Köfferchen in der Hand, und nahm Abschied, um gleich mit der Bahn bis Mailand zu fahren. Nach acht Tagen schon kam ein kläglicher Bries, in ganz Mailand brauche man nur Schneiderinnen und keinen einzigen Schneidergesellen, nun säße er ohne einen Pfennig tn dieser verwünschten Stadt fest, wir sollten ihm um Gotteswillen das Sletjegeib schicken Wir hatten tüchttg gespart und beinahe ganze hundert Mark beisammen, so schickten wir ihm denn zwanzig Mark hin. I» einer Woche war er zurück, schimpfte auf das elende Volk, das seine Röcke von Schneiderinnen nähen ließe und riet uns dringend ab, je einen Fuß in dies gottlose Land zu setzen. Aber die Wiesen bekamen mnen grünen Hauch und die Luft wehte sonderbar lau durch die Straßen. Es ließ uns keine Ruhe tyehr. Ich hatte meiner Schwester geschrieben, daß wir übet die Alpen steigen wollten, und sie möchte eS heimlich der Luise mit- teilen. Sie schrieb mir erschrocken wieder, doch nicht so weit zu laufen, Italien liege doch halb aus der Welt, und es möchte mir und meinem guten Freunde Johannes vielleicht übel ergehen. Als ich Hannes den Brief vorlas, unterbrach er mich: .Steht das wirklich da: Deinem guten Freunde Johannes?" Ick zeigte ihm die Stelle. .Deine Schwester ist ein prächtiges Mädchen," sagte er ge- tührf, „sie nennt mich Johannes! TaS klingt weich unb gut Meine Mutter wollte mich auch so nennen, aber meinem Vater war es nickt knapp genug, und er bestand auf Hans. Sie haben bann jeder eine Silbe nachgelassen und so wurde ein Hanne- au- mir. Aber Deine Schwester ist lieb — sie nennt mich Johannes — sie muß schon ein guter Mensch sein." SIU ich. dann an einem unwiderstehlich schönen Tage im Ge - schäft meine Papiere verlangte, nahm der Werkmeister mich ernst, hast vor Ich sollte dauernd in der Zeichenstube bleiben; was mir fehlte, könnte ich in der Abendschule nachlernen, unb ich hätte eine sichere Zukunft. Ich wußte, daß es mir nicht zum zweitenmal so lcickt gemacht würde, etwas zu erreichen; auch Luisens wegen hätte ich mich gern hier heraufgearbeitet — aber draußen warteten Hannes unb die Landstraße — die weite schöne Welt lag offen. Sollte ich zwischen den Mauern bleiben? Ich schüttelte den Kopf. Er warf mir zornig meine Papiere hin und schalt über meine Undank- barfeit Als ich über den Hof ging, brauste eine Freude durch mein Herz, daß ich mit beiden Händen in die Luft greifen mußte — ich war wieder frei! Reckts und links von uns türmten sich Berge empor, vor uns ragten sie bis hoch in den Himmel hinein und versperrten die Welt Hinter ihnen aber lag Italien, das Land der Wunder, von dem Hanne- im Wacken und Träumen sprach. Was er dort er - wartete, wußte er nickt; aber irgend etwas ungeheuer Großes würde es sicher sein. Mitunter, wenn wir auf dem Grunde einer tiefen Tales dahinzogen, sah er ehrfürchtig zu der schneebedeckten Gipselkette hinaus, die vor uns in den Wolken verschwano. .Glaubst Du, daß mir sie bezwingen?" fragte er zweifelnd. Mir zuckte die Kraft in den Beinen, ick wirbelte meinen Stock voraus und rannte wie ein Junge lachend und schreiend hinterdrein. Ein Uebermut, den ich in meinem ganzen Leben noch nicht gekonnt hatte, packte mich, unb zugleich die Gewißheit, irgend ein Glück zu erreichen, daß ich oft nicht ein noch aus wußte vor Seligkeit. Hannes lächelte dann nachsichttg: .Warte nur, wenn nur erst dort oben in der Wildnis kraxeln." Es war ihm natürlich und selbstverständlich, daß die Natur einen fast unübersteigbaren Wall aufgerichtet halte vor dem Ziel seiner Sehnsucht und'daß man ungeheure Hindernisse überwinden mußte in Schnee und Eis, ehe man in da« Land kam, wo die Zitronen und Feigen wie bei unS die Eicheln nur so an der Land - straße lagen. Auch ich sehnte mich na» Taten und wartete un - geduldig auf die Gelegenheit, meine Kräfte einmal auSrasen zu lassen. Aber vorläufig führte bie Landstraße immer beinahe eben zwischen den Bergen dahin. Mitunter lief sie sich in einem engen Tal fest, wir sahen ring» um uni her nur Himmelhohe Felsen ohne jeden AuSgang und erwarteten etwas beklommen, jetzt an den senkrechten Wänden hinaufklettern $u müssen. Aber im aller - letzten Augenblick, wenn ein gewaltiger Felsblock gerade jeden Weg verrammelte, fand die Straße noch ein Löchlein, wo sie hindurch - schlüpfen konnte und führte unS in sanfter Steigung ohne be - sondere Erlebnisse weiter. So wären wir sicher friedlich und ohne Abenteuer nach Italien gelangt, aber das paßte unS ganz unb gar nicht. Mit der heißen Kraft unserer Jugend wollten wir bte ehernen Pforten einrennen, mit denen ein neidisches Geschick die Dege zum Grück versperrt batte, und sehnten un« nach Kamps und Gefahr. Konnte eS möglich sein, daß alle Tore offen standen für jeden Faulpelz, der dumpf und stumpf nur immer hineintapptek Wir kauften uns eine Karte unb sahen nun sehr enttäuscht, daß man bequem mit einem Wagen nach Italien hineinfahre» konnte, wenn man einfach den Windungen der Straße folgte — e» war gar kein besondere» Verdienst dabei. Ileberhaupt diese Straße — manchmal mußte man ja geradezu rückwärts laufen. Verächtlich wandten wir ihr den Rücken und beschlossen, ein- fach geradewegs über die Berge zu steigen. Wie kläglich muhte ein Glück fein, um das man keinen Finger zu rühren brauchte? Beim nächsten Fußweg also schwenkten wir rechts ab. Nach einigem «teigen kamen wir in losen Schnee und spürten nun mit Wonne bie Anstrengung in ben Knien. Wunderschön war eS, so in der Hellen Sonne hinauf zu klettern, vor uns die freie Höhe und unter uns tief im engen Tai die krumme Straße. Je höher mit stiegen, desto tiefer wurde der Schnee. Der Fußweg war verschwunden, ein verkrüppelter Wald nahm un» auf. Hier war et recht mühsam, vorwärts zu kommen, denn der Schnee unter ben Bäumen war weich, und wir sanken bi» über bie Kniee ein. Endlich blieb der Wald zurück, da ließ der eisige SZ3inb_ben Schnee gefrieren, und wir konnten, ohne emzusinken, darüber hinweglausen. Aber je höher wir fhegen, desto höher stieg auch die Sonne. Die weichte die harte Schncekruste auf, und wir sanken wieder e'n, erst nur ein wenig, bann immer tiefer unb endlich bi» an die Der erste Tag der Gtalsdedatte. Au» dem Reichstag wird uns geschrieben: Zum ersten Male feit dem Jahre 1914 gab eS im Reichstage wieder einmal so etwas wie eine große Etatsdebatte. Sie setzte frei- sich recht kümmerlich ein. Da» Hau» wie» schwächste Montags-Be- setzung auf, al» bet Reichsfinanzminister Hermes mit der Vor- lesung seines Manuskriptes begann. Das einzige, woraus er m.t einigem Stolz verweisen kannte, ist die Tatsache, baß bieSmal der HwtShaltrplan dem Reichstage rechtzeitig borgelegt worden ist Dann folgten in etwa» anderer Gruppierung die Milliardenzahlen, die man in ihrer, für den Steuerzahler trostlosen Eintönigkeit, so oft schon gehört hat Wenn nun selbst der Reparationsetat durch bie bevor - stehende Konferenz eine gewisse Erleichterung erfahren sollte, und wenn rechtzeitig bie ZwangSailleihe beschafft werden kann und die Hurrdert Milliarden älter und neuer Steuern eingehen, es bleibt doch betz traurige Schluß: Sin großer, großer Fehlbetrag. Dazu die Unsicherheit in allen Zahlen des Haushaltspläne», weil der Markkur» nicht feststebt und niemand weiß, mit welchen ausländischen unb mlänbischen Geldentwertungsfaktoren wir zu rechnen haben werden. Aussehen erregten einige Zahlen über die im Vergleich zu England und Frankreich in Deutschland wesentlich höhere direkte Besteuerung. Ein Unverheirateter mit 30 000 JI Jahresein - kommen bezahlt in Deutschland 2200 JI Einkommensteuer, in Eng - land und Frankreich ist er von Einkommensteuer frei. Ein Unver - heirateter mit 1 Million Einkommen ist in Deutschland mit 88,5 %, in England mit 33.4 % und in Frankreich mit 253 % Einkommen - steuer belastet Man erfuhr vom ReichSfinanzminister, daß versucht werden soll, neben der Zwangsanleihe noch eine freie innere Anleihe aufzulegen, deren Erfolg natürlich zweifelhaft ist. Gegen die Streikdrohungen der Eisenbahner fand der Minister kräftige Worte, wie wir sie von diesem Manne gegen streikende Landwirte leider niemals gehört haben. Sehr berechtigte Vorwürfe erhob bet Reichssinanzminister gegen unwirtschaftliche Kosten in der Höhe von Hunderten Millionen Mark, bie uns von ben Kommissionen bet Alliierten für ganz unproduktive Ausgaben auferlegt werden. Die Haushaltspläne der Verkehrsanftalten gleichen sich diesmal in Ein - nahme und Ausgabe au». Einstweilen natürlich nur auf dem Papier. Der Lerantwortliche für bie Reichrfinanzen gelobt, daß dieser Aus - gleich nicht nur durch Tariferhöhungen, sondern auch durch innere Sanierungen erfolgen soll. Mit dem übrigen Ausblick von bet düsteren Gegenwart in eine lichtere Zukunft sichert sich Herr Herme» einen leidlichen Abgang. Leben kam in da» Haus, al» Genosse Scheidemann an das Rednerpult trat Scheidemann erzwang sich eine wachsende Zuhörer, schäft. Er hatte mit einem Aufbau von Zahlen begonnen, die er - schütternde Beweise für da» Massenelend in Deutschland darstellten, und in allen Städten Europa», ja der Welt, öffentlich angeschlagen zu werden verdienten. Dann aber erhob sich der Vortrag Scheidemann» zu dem, was eine rechte parlamentarische Etats rede fein soll, zu einem Rundblick über die Gesamtpolilik der Regierung. Er zeigte, daß auch der Sprecher einer Regierungspartei scharfe Kritik an Miß - ständen in der Verwaltung, in bet Rechtsprechung unb im Heere z» üben hat wenn die Wahrheit es gebietet. Selten ist die Klassen- justiz härter angefaßt worden, al» durch diese Rede Scheidemann». Tann beleuchtete unser Redner die ungeheuerlichen Zustände in viele» Verwaltungsgebäuden, wo nicht nur sozialdemokratische, sondern über - haupt alle nicht Beuljdjimtionalen Beamten oem Terror bet an - archistischen Beamten ausgesetzt sind- Scheidemann forderte alle republikanischen Beamten zum Diderftand gegen monarchische Be - herrschungsversuche auf und versprach ihnen die Unterstützung bet republikanischen Parlamentarier. Waren wahrenb dieser Partien bet Rebe bte Deutschnatinnalen schon recht munter geworden, so geiieten sie erst recht in Aufregung, all Scheidemann die Helden ihre« Kap». Putsche» und ihren Götzen Erich Ludendolff so onfaßte, wie e» dies« Gesellschaft verdient. Der Redner stützte sich auf das Zeugnis Han» Delbrück«, de» konservativen Forscher» der Kriegsgeschichte, der mit ben deutlichsten Worten und nicht zu leugnender Sachkunde nicht nur hie politische, sondern mich bie militärische Unfähigkeit Ludendorffs behauptet. Delbrück nennt Tirpitz unb Ludendorff die Zerstörer bet Reiche», da» Bismarck aufgebaut hat. Die Deuffchnatioiialen tobten, und Helfferich kreischte ein über das andere mal sein »Unverschämt-. heil!* zu dem Redner hinauf. Als Scheidemann ihm antwortete, er begreife die Gehässigkeit Helfferichs, denn dieser denke moH daran, daß Scheidemann ihn den intellektuellen Urheber der Ermokdung Erz - bergers genannt habe, verlangte Helfferich schleunigst eine Rüge tür Scheidemann von dem Präsidenten und hatte damit auch Erfolg. Unser Redner konnte dann, diesmal ohne bei den Kommunisten Ent - rüstung »rufe hervorzurufen, feststellen, daß wir in Deutschland am Sterbebette des Bolschewismus stehen. Die Demokratie, vertreten durch die Sozialdemokratie, hat in der Arbeiterbewegung Dc -sch- land» gesiegt. Mit dem PutschiSmus ist e» zu Ende. Vorbei ist eS mit der militaristischen Betrachtung des sozialen PrMemk. Mit der Rede Scheidemann» war der Tag zu Ende. Die Teutschnationalen ließen durch den Abgeordneten Reichert antworten, der seine Rede vor höchsten» zwei Dutzend Abgeordneten hielt. Das - selbe Geschick traf den Deutschen Volksparteller Ouartz. Sm Dien»- tag Fortsetzung der StatJberanmg. (grast Toller, bet zurzeit immer noch in Niebeffchönenfeld st in« Festuiigtz irase verbüßt, haue gegen den .Miesbacher Anzeiger" wegen Beleidi img Strafantrag gestellt. Der Redakteur de» .Mies - bacher Anzeiger»", der in letzter Zeit sich mehrfach vor den Münchener Gerichten zu verantworten batte, wurde |U 800 Mait Geldstrafe und Utteiirveröffentlichuitg verurteilt. Elauv De» Dollar- (vorbörslich) 205. Hüften. Unsere Zähne klapperten vor Kälte. Es kennen wieder Bäume; sie ragten hur mit den Spitzen aus der weißen Decke, unb mehrmals versanken wir in das Geäst einer Tanne, die ganz vorn Schnee bedeckt war. Hanne» kämpfte sich mir seinem Schirm nxzrfer voran, aber et keuchte und folgte nur mühsam, bis wir endlich beide erschöpft innehalten mußten. Ach, so hatten wir uns die« alle» nicht ge - dacht. Aber an eine Rückkehr war nicht zu denken; wir tonnten nur hoffen, die auf der Hohe stehende Schutzhütte zu erreichen, von der wir gehört hatten. Also weiter. Tiefer und tiefer sanken wir bei jedem Schritt ein, oft bi» unter die Arme. Wir legten uns lang hin, um da» Gewicht zu »erteilen, und arbeiteten un» mit Armen und Beinen vorwärts. Tie scharfen Ränder der gefrorenen oberen Schneekruite schnitten uns Hände und Gesicht blutig. Es war ein verzweifelter Kampf, ben wir zäh und mit verbissenem Grimm ansfochten, zitternd unb den letzten Rest unserer Kräfte einsetzend gegen eine Welt, die mit ihrem starren und unheimlichen Schweigen groß und erhaben, furchtbar und drohend auf un« winzige Wesen herabsah. Denn man sie nur irgendwie hätte packen können! Aber gerade die» Stille und Gelassene, das sie völlig hinauSrückre über menschliche» Denken und Wollen, erdrückte unS mit einer fürchterlichen lieber« legenheit. Nein, wir konnten nicht mehr. Unser bißchen Dror war längst verzehrt; wir waren müde, zerschlagen und völlig erschöpft. .Laß un» schlafen," sagte Hanne». Schlafen — ach ja. Wir krochen zusammen. Al» Hanne» seinen Kops auf meinen Arm legte, sah ich, wie sein Atem an meinem Rock zu Eiskliimvchen gefror. Ich betrachtete gedankenlo» ben seinen Bau der blitzenden Kristalle, verfolgte ihr ra!ck)e» Anwachsen und.sah, wie jeder neue Atemstoh, sofort seiner Wärme beraubt, die Eisschicht auf meiner Brust verstärkte, bi» ich ihre Kälte eisig empfand. Wir mußten weiter. Ich kroch voran, mit schmerzenden Ge - lenken, unendlich mühsam, aber ich biß die Zähne zusammen. Ein paar Schritte nur — da, in einer Senkung, du stand bie Hütte. Bi» an« Dach im Schnee vergraben, aber doch eine Hütte, eir Heiml Sortierung folgt