Ur.  533 
Sonnabend,  den  16.  Dezember  1988. 
36.  Jahrgang 
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und  in  allen  Zanont.Bureaus. 
Vta|>  und  Datenoorl dreisten 
ohne  »erimdlichleit. 
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«Memt  täflttit  einmal,  ante« 
be«  3.  Feiertagen. 
BeiugSdrei«!  IlZSdienM» 
800  A,  monatlich  R70  * 
daeauezablbar,  frei  In«  6««,’ 
Für  »Ibhuler  830  * 
Buib  durch  die  Palt  zu  beziehen. 
Redatiiant 
Felilandliraße  11,  erster  Etsch. 
Nernntwortlicher  Redakteur: 
lvaul  tpiigbohn,  Altona. 
Skdeditian: 
«edlandftraste  11,  Nrdgefchoi. 
Buchtzandlimg:  Srdgefchat. 
»nchdrncherei.lkantar: 
»ehlandftraste  11,  erster  Eta». 
MmlmrgerEcho 
53om  Verband  der  Fabrikarbeiter  (Zahlstelle  Hamburg)  wird 
UNS  geschrieben: 
Die  „Hamburger  Volkszeitung"  ergeht  sich  in  den  letzten 
Wochen  in  einem  wüsten  Geschimpfe  über  die  Stellungnahme 
der  Gewerkschaftsvorstände,  besonders  des  Fabrikarbeiter» 
Verbandes,  zu  dem  von  den  Kommunisten  in  Ludwigshafen 
inszenierten  wilden  Streik  und  den  Vorgängen  in  Leverkusen  und 
versucht,  bewußt  die  Hamburger  Arbeiterschaft  anzuschwindeln. 
ES  ist  daher  im  Jnteveffe  der  gewerkschaftlich  organisierten  ham -
burgischen  Arbeiterschaft  notwendig,  die  Tinge  ins  richtige  Licht 
zu  rücken. 
In  Ludwigshafen  hatte  ein  Teil  der  Belegschaft  der 
Badischen  Anilin-  und  Sodafabrik  beschloffen,  den  BetriebSräte- 
kongreß  der  Kommunisten  in  Berlin  durch  vier  Vertreter  zu  be -
schicken.  Die  Direktion  ließ  den  Delegierten  erklären,  daß  Urlaub 
hierzu  nicht  gewährt  würde;  wer  dennoch  fehle,  werde  entlasien. 
Eine  Betriebsversammlung,  die  von  6000  Personen  besucht  war, 
bei  einer  Belegschaft  von  20  000  Personen,  pahm  zu  diesem  Ver -
bot  Stellung.  Die  erkorenen  kommunistischen  Delegierten  ließen 
sich  hier  eine  Rückversicherung  geben,  indem  ein  Antrag  ange -
nommen  wurde,  daß  im  Falle  der  Entlastung  der  Delegierten 
die  Arbeit  eingestellt  würde. 
Die  Gewerkschaftsvertreter  wurden  bei  Fassung 
dieses  Beschlusses  nicht  gehört. 
Drei  der  Delegierten  fuhren  nach  Berlin,  der  vierte  tret* 
säumte  den  Zug.  Nach  Rückkehr  erfolgte  die  Entlastung  der  drei. 
Die  Gewerkschaftsvertreter  verhandelten  mit  der  Direktion  und 
eS  schien  nicht  ausgeschlossen,  die  Wiedereinstellung  der  Entlaffe- 
nen  zu  erreichen.  Die  Direktion  erklärte  sich  bereit,  den  Schlich -
tungsausschutz  entscheiden  zu  lassen.  Im  Laufe  der  Verhand -
lung  lief  die  Nachricht  ein,  daß  bereits  einige  Wtrilungen  die 
Arbeit  niedergelegt  hätten.  Die  Direktion  brach  jetzt  die  Ver -
handlung  ab'  und  zog  das  Zugeständnis  zurück.  Der  Betrieb 
wurde  geschlossen.  Unter  Ausschlutz  der  Gewerkschaften,  die  er -
klärten,  daß  sie  die  Arbeitseinstellung  nicht  billigen  können,  wurde 
eine  Streikleitung  gewählt,  die  sich  ausschließlich  aus  Kommunisten 
zusammensetzt.  Prompt  begann  die  Agitation  für  Erweiterung 
der  Kampfbasis  und  die  Beschimpfung  der  Gewerkschaften, 
namentlich  des  Fabrikarbciterverbandes.  Der  Hauptvorstand 
des  Verbandes  wurde  in  keiner  Form  über  die  Ziele  de§  Kampfes 
informiert. 
Dieses  der  reine  sachliche  Verlauf  der  Dinge.  Jeder,  der  die 
Satzungen  der  Gewerkschaften  kennt  und  wer  nur  einigermaßen 
mit  der  Taktik  der  Gewerkschaften  vertraut  ist,  wird  zugeben, 
daß  jeder  gewerkschaflliche  Grundsatz  bei  Inszenierung  dieser 
Bewegung  außer  Betracht  gelassen  wurde.  Den  Bewegungen  im 
Leuna-Werk,  Höchst  a.  Main,  Leverkusen,  schließt  sich  würdig 
Ludwigshafen  an.  Die  kommunistischen  Drahtzieher  haben  dafür 
gesorgt,  daß  die  Arbeiterschaft  auf  Jahre  in  ihren  Rechten  durch 
das  Unternehmertum  zurückgcdrängt  worden  ist.  Gelbe  und 
Christliche  waren  die  Nutznießer  der  Bewegungen  in  den  be -
nannten  Werken.  Die  Arbeiterschaft  muß  hartes  Lehrgeld 
zahlen,  ehe  sie  die  verbrecherische  Tätigkeit  der  Kostgänger  von 
Moskau  erkennt. 
Die  „Hamburger  Volkszeitung"  stellte  frech  die  Behauptung 
auf,  daß  die  Direktion  di«  Wiederaufnahme  der  Arbeit  von  der 
Anerkennung  des  ZehnjtundeniageS  abhängig  mach«.  Wie  aus 
den  von  ihr  selbst  veröffentlichte«  Bedingungen  der  Direktion 
zur  Wiederaufnahme  der  Arbeit  ersichtlich,  ist  daran  kein 
wahres  Wort.  Die  Wiederaufnahme  der  Arbeit  erfolgt  nach 
den  Satzungen  des  Tarifvertrages  der  chemischen  Industrie,  di« 
die  achtstündige  Arbeitszeit  bezw.  achtundvierzigstüudige  Arbeits -
woche  vorschen. 
ES  wird  weiter  von  ihr  frech  behauptet,  daß  die  Gswerk- 
schaftsoorstände  gezwungen  wurden,  den  Streikenden  ErwerbS- 
losenuntcrstützung  zu  zahlen.  Auch  dieses  ist  erlogen.  Würde 
der  Hauptvorstand  deS  Fabrikarbciterverbandes  diesen  Streik 
sanktionieren  oder  finanzieren,  verdiente  er,  sofort  zum  Teufel 
gejagt  zu  werden.  Vorkommnisse  wie  in  Ludwigshafen,  gereichen 
der  Gewerkschaftsbewegung  nur  zum  Schaden  und  stärken  die 
Position  der  Unternehmer.  Lietze  sich  der  Hauptvorstand  des 
FabrikarbeiterverbandeS  auf  die  von  kommunistischer  Seite  be- 
tretene  Bahn  drängen,  so  würd»  er  sich  mitschuldig  an  der  Unter -
grabung  der  Gewerkschaften  machen.  Die  gewerkschaftlichen  Or- 
gonisationen  werden  sich  nicht  unter  der  Diktatur  der  KPD.  be- 
geben,  um  nur  die  von  dxn  Kommunisten  inszenierten  Be- 
wegungen  zu  finanzieren. 
Die  Arbeiterschaft  mutz  die  Lehre  aus  diesem 
Kampfe  ziehen,  um  Schluß  mit  den  kommunisti- 
schen  Strategen  zu  machen. 
Die  „Hamburger  Volkszeitung"  stellt  im  weiteren  die  Be -
hauptung  auf,  daß  die  Gewerkschaften,  hier  auch  der  Fabrik- 
arbeitervcrband,  in  Leverkusen  ihre  Zusümmung  zur  Ein -
führung  der  neunstündigen  Arbeitszeit  erteilt  haben.  Wie  liegen 
die  Dinge  in  Wirklichkeit? 
Im  Marz  1921  legte  die  Arbeiterschaft  Bei  Bayer  &  Co.  die 
Arbeit  nieder,  weil  angeblich  der  Achtstundentag  beseitigt  werden 
sollte.  Bis  dahin  war  cs  üblich  gewesen,  entgegen  den  tariflichen 
Bestimmungen  die  Ueberstunden  .abzubummeln".  Dem  Be- 
triebSrat  war  tariflich  die  Möglichckeit  gegeben,  bei  Leistungen 
von  Ueberstunden  bestimmend  einzugreifen.  Tatsächlich  wurden 
dann  auch,  dank  der  Tätigkeit  des  Betriebsrates,  vor  dem  Streik 
bei  etwa  8000  Beschäftigten  nur  400  Ueberstunden  pro  Woche 
geleistet.  Ein  Vorarbeiter,  der  sich  die  Zeit  zum  Abbummeln 
von  Ueberstunden  erbat,  erschien  nicht  zur  Arbeit,  tvbtzdem  ihm 
das  Abbummeln  verweigert  war.  Di«  Entlastung  wurde  auSge- 
sprachen.  Durch  Anschlag  am  Brett  wurde  nun  das  Abbummeln 
von  Ueberstunden  untersagt.  Verhandlungen  zwischen  Betriebs -
leitung  und  Betriebsrat  verliefen  ergebnislos,  worauf  die  kom- 
munistische  Propaganda  für  Arbeitsniederlegung  einsetzte.  Einige 
Arbeiterratsmitglieder,  darunter  der  Vorsitzende  des  Arbeiter- 
rotS,  wandten  sich  in  einer  Vertrauensmännerkonferenz  gegen 
die  Streikpropaganda.  Sie  wurden  nicht  nur  niedcrgeschrien, 
sondern  auch  tätlich  bedroht. 
Der  Streik  begann  trotz  Warnung  des  Hauptvorstandes  des 
FabrikarbeiterverbandeS  und  ohne  irgendwie  die  Schlichtungs- 
instanzen  zur  Beilegung  des  Streikes  anzurufen.  Die  Moskauer 
Strategen  külumerten  sich  nicht  um  Gewerkschaftsregeln  oder 
gewerkschaftliche  Erfahrungen!  Nachdem  der  Streik  einige  Tage 
gedauert  und  die  Gesamtorganisaüon  die  finanzielle  Unter- 
stützung  verweigerte,  begann  das  wüste  Geschimpfe  gegen  den 
Verband  und  die  Propaganda  für  Ausdehnung  des  Kampfes. 
Inzwischen  entschied  der  Schlichtungsausschuß  zu  ungunsten  der 
Arbeiter.  Die  kommunistischen  Drahtzieher,  Maltzahn,  Kramm, 
Schuldt  und  Genossen  reisten  im  Lande  herum,  um  Propaganda 
für  den  Generalstreik  und  die  finanzielle  Unterstützung  zu  be -
treiben.  So  kam,  was  kommen  mußte.  Der  Streik  brach 
zusammen.  Im  Betrieb  setzte  die  durch  nichts 
gehemmte  Unternehmerwillkür  ein.  Die  Rechte, 
die  der  Betriebsrat  über  das  Betriebsrätegesetz  hinaus  erworben, 
wurden  beschnitten.  Hunderte  von  Familienväter  wurden  ent -
lassen.  Die  beispiellose  Hetze  der  Kommunisten  gegen  die  Gewerk -
schaften  und  die  enttäuschten  Hoffnungen  der  Jrregeführten 
ließen  die  Organisation  zusammenbrechen.  Die  Zahl  der  frei« 
gewerkschaftlich  Organisierten  sauste  auf  1500  herab.  Die  Folgen 
blieben  nicht  aus.  Nach  Feststellung  der  Verbandsleitung  wurden 
im  Juni  1922,  also  nach  dem  Streik,  von  etwa  8000  Beschäftigten 
17  000  Ueberstunden  geleistet!  Der  Zusammenbruch  der 
Organisation,  Auslieferung  der  Arbeiter  an 
das  Unternehmertum,  das  sind  die  Früchte  der 
kommunistischen  Taktik.  Die  Kenntnis  dieser  Vor -
geschichte  ist  notwendig,  um  die  jetzigen  Ereignisse  in  Leverkusen 
zu  verstehen.  Di«  Firma  hat  die  Situation  ausgenutzt  und  be: 
den  zuständigen  Stellen  die  Erlaubnis  zur  Verrichtung  von 
Ueberstunden  für  die  Betriebshandwerker  (nur  um  diese 
handelt  es  sich)  zu  erwirken.  Doch  kann  für  den  Gesamtbetrieb 
von  einer  Beseitigung  des  Achtstundentages  nicht  die  Rede  sein. 
Es  ist  daher  ein  unerhörter  Schwindel,  dem 
Fabrikarbeiterverband  anzudichten,  daß  er  an 
der  Einführung  des  Neunstundentages  die 
Schuld  trägt. 
Dank  der  kommunistischen  Hetze  sind  heute  von  der  8000 
Mann  starken  Belegschaft  nur  2500  freigewerkschaftlich,  1200 
christlich  organisiert,  der  übrige  Teil,  4300,  ist  gelb  oder  unorgani -
siert.  Es  gehört  schon  die  ganze  Gewissenlosigkeit  der  „Volks- 
zeitungL"-Jünger  dazu.  Bei  einem  solchen  Organisationsverhält -
nis  die  Gewerkschaften  dafür  verantwortlich  zu  machen,  daß  die 
Firma  in  einem  Teil  ihres  Betriebes  den  Neunstundentag  vor -
übergehend  eingeführt  hat  und  darum  zum  Streik  zu  blasen. 
Möge  die  Arbeiterschaft  aus  den  hier  angeführten  Tatsacken 
die  richtige  Lehre  ziehen  und  Schluß  machen  mit  den  kommunisti -
schen  Drahtziehern' 
W  WWWkM  A  Mr. 
Reichlich  jpäl  ist  auch  Der  ReiMregicmug  oie  tzpismüuiL 
glifgegansiUt,  daß  mil  dem  am  21.  Juli  dieses  Jahres  erlassenen 
Gesetz  über  Maßnahmen  gegen  die  wirtschaftliche  Not  der 
Presse  nur  ein  Schlag  ins  Wasser  getan  worden  ist;  denn  von 
einer  irgendwie  spürbaren  Wirkung  dieser  Maßnahmen  war 
nichts  zu  bemerken.  Die  Lage  der  Presse  hat  sich  weiter  ver -
schlechtert.  Von  Anfang  Juli  1922  an  sind  wiederum 
163  Zeitungen  im  Deutschen  Reich  cingegangeu,  123  haben 
sich  mit  andern  verschmolzen,  und  eine  große  Anzahl  hat  ihr 
Erscheinen  eingeschränkt.  Die  Bezugspreise  haben  weiter  erhöht 
werden  müssen,  und  die  Folge  davon  ist  gewesen,  daß  die  Zahl 
der  Bezieher  weiter  zurückgcgangen  ist. 
Angesichts  dieser  trostlosen  Entwicklung  sieht  sich  der  neue 
ReichSwirtschaftSminister  Dr.  Becker  veranlaßt,  eine  Aenderung 
des  Gesetzes  vorzuschlagen.  Dem  Reichsrat  liegt  zurzeit  ein 
Entwurf  vor,  worin  anerkannt  wird,  daß  der  jetzt  zur  Perfügung 
stehende  Fonds  für  Rückvergütungen  (auf  das  Kilogramm  Druck -
papier  etwa  35  JC  monatlich,  bei  einem  Papierpreis  von  405  M 
im  Dezember!)  zu  einer  einigermaßen  wirksamen  Unterstützung 
der  Prcsse^  nicht  mehr  auSrcicht.  Die  ReichSregicrung  schlägt 
daher  eine  Erhöhung  der  Ausfuhrabgabe  von  12  auf 
I1/2  vom  Tausend  vor;  sie  erhofft  hiervon  einen  Ertrag,  der 
die  Erhöhung  der  Rückvergütung  von  35  auf  85  .Ä  pro  Kilo -
gramm  im  Monat  gestattet,  und  sie  will  die  Einbringung  dieses 
Ertrages  durch  Verschärfung  der  Strafbestimmungen  sicher -
zustellen  versuchen.  Ob  damit  wirklich  etwas  gebessert  wird, 
bleibt  abzuwarten.  Bei  weiterer  Geldentwertung  läßt  sich  der 
Mißerfolg  heute  schon  voraussagen.  Von  durchgreifenden  Maß -
nahmen,  etwa  der  Erfassung  der  erforderlichen  ^Mengen  von 
Druckpapier  durch  Liefervcrbände  der  Daldbesitzer  und  Ver -
teilung  des  Holzes  an  die  Verbraucher  durch  eine  halbamtliche 
Stelle  will  der  jetzige  Rcichswirtschaftsminister^  nichts  pissen. 
Er  führt  dagegen  die  bekannten  Gründe  ins  Feld,  die  gegen 
jede  Beschränkung  der  freien  Profitwirtschaft  immer  angeführt 
werden.  Also  bleibt  die  Presse  weiter  aus  das  Almosen  der 
Rückvergütung  angewiesen. 
Der  internationale  Kongreß  am  20.  Mai 
in  Hamburg? 
(Eigener  Drahtbericht  deS  „Hamburger  Echo'.) 
Berlin,  16.  Dezember. 
Tie  bürgerliche  Presse  läßt  sich  aus  dem  Haag  drahten:  „Der 
nächste  internationale  Sozialistenkongreß  soll  am  20.  Mai  kommenden 
JahreS  in  H  a  m  b  n  r  g  stattfinden.  Die  Tagesordnung  soll  auf  einer 
V-rausbesprechung  am  5.  Januar  in  Sein  festgesetzt  werden."  An 
hiesiger  parteiamtlicher  Stelle  siegt  eine  Bestätigung  der  Meldung, 
die  viel  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  noch  nicht  vor. 
Heue  Beparailoosplfioe  Her  Wtegleniog? 
Staatssekretär  a.  D.  Bergmann,  der  im  Auf- 
trage  der  Reichsrkgierung  während  der  Zusammenkunft  dec 
Ministerpräsidenten  in  London  weilte,  ist  am  Freitag  zur  Bericht- 
«rstattung  in  Berlin  eingetroffen.  Er  hatte  nach  Beendigung 
der  Londoner  Konferenz  Gelegenheit,  mit  Donar  Law  und 
andern  maßgebenden  Engländern  persönlich  zu  sprechen,  so  daß 
anzunehmen  ist,  daß  er  über  die  Auffassungen  der  alliierten 
Ministerpräsidenten  gut  unterrichtet  ist.  Nach  den  Mitteilungen 
Bergmanns  soll  die  durch  die  deutschen  Vorschläge  auf»  der 
Londoner  Konferenz  geschaffene  Lage  nicht  ganz  so  ungünstig 
sein,  wie  man  anzunehmen  gezwungen  war.  Seine  Bericht -
erstattung  in  Berlin  trug  also  mehr  vptimisttschen  Ebarakter  in 
bezug  auf  die  künftige  Regelung.  ES  wird  für  ziemlich  sicher 
gehalten,  daß  die  Reichsretzierung  zu  den  von  ihr  vorgelcgken 
Plänen  noch  Ergänzungsvorschläge  machen  werde. 
Insbesondere  soll  die  Reichsregierung  nach  einer  Meldung  des 
„Tageblatt"  bekannt«  rheinische  Großindustrielle  nach  Berlin  ge -
beten  haben.  Der  Sozialdemokratische  Parlamentsdienst  roiH 
wissen,  daß  die  ReichSregicrung  neben  einer  konkreten  Aus -
arbeitung  des  bereits  in  London  zur  Kenntnis  gegebenen  Planes, 
der  eine  Zwischenlösung  vorsiebt,  einen  Plan  über  eine  endgültige 
Lösung  der  ReparaiionSftage  vorbereitet.  Man  soll  bestrebt  sein, 
Garantien  anzubieten.  Hierfür  fehlen  bisher  jedoch  noch  die 
Garanten.  Tie  Garantiefrage  soll  bereits  am  Samstag  in  An -
wesenheit  des  ReichsfinanzministtrS  Hermes  und  des  Staats -
sekretärs  Bergmann  in  einer  Konferenz  besprochen  werden,  der 
hauptsächlich  maßgebende  deutsche  Bankiers  beiwohnen.  E:n- 
bcrufer  dieser  Konferenz  ist  der  Reicksfinanzminister.  Von  einer 
Bereitschaft  der  Industrie,  ebenfalls  über  diese  Frage  zu  ver -
bandeln,  vernimmt  man  vorläufig  noch  wenig.  Dar  Kapitel 
der  Garantien  soll  auch  in  einer  Beratung  der  Parteiführer  be -
sprochen  werden.  Den  Vorsitzenden  der  Fraktionen  ist  bereits 
ein  Fragebogen  zugegangen,  der  sich  in  der  Hauptsache  mit  der 
Garantiefrage  beschäftigt. 
Tie  Hattuuß  Amerikas. 
Die  künftige  Haltung  Amerikas  bei  Erörterung  bet 
Reparationsfrage  wird  bei  den  zukünftigen  Verhandlungen  eine 
größere  Rolle  spielen,  als  das  bisher  der  Fall  ist.  Allem  An- 
schein  nach  beabsichtigt  die  amerikanische  Regierung  ernschaft,  sich 
in  Zukunft  an  der  Lösung  deS  ReparotionSproblems  aktiv  zu 
beteiligen.  Inwieweit  die  Reise  deS  amerikanischen  Ge -
sandten  H  a  r  v  e  v  nach  Washington,  die  gleickzeittg  gemeldet 
wird,  eine  Rolle  spielt,  kann  noch  nicht  beurteilt  werden.  Als 
offizielle^  Grund  der  Reise  wird  die  Erkrankung  seiner  Gattin 
angeführt;  man  nimmt  aber  an,  daß  Harvey  mit  Harding  und 
Hughes  Besprechungen  über  die  Reparationsfrage  haben 
wird.  Wie  man  glaubt,  könne  Harveys  Besuch  für  die  Behand -
lung  der  ReparattonSftage  von  beträchüicher  Tragweite  sein. 
Nach  o:m  So^ialdcmokratffchen  Parlament:dienst  ist  er  falsch,  die 
Aktivität  der  amerikanischen  Regierung  auf  die  Initiative  EunoS 
zurückzuführen.  Was  sich  jetzt  in  Washington  eußgumtrfen 
scheine,  sei  noch  auf  Konto  der  Vorschläge  der  Regierung  Wirth 
zu  setzen. 
Darüber  hinaus  wird  man  aber  sagen  können,  daß  auS  bet 
Entwicklung  der  Verhältnisse  heraus  die  Notwendigkeit  eines  Ein -
greifens  Amerika?  nicht  nur  für  Deutschland,  sondern  auch  für 
dir  übrigen  europäischen  Staaten  sich  als  immer  notwendiger 
erwiesen  hat.  ES  wird  immer  klarer,  daß  sich  Amerika  einem 
aktiven  Eingreiseiv  nicht  mehr  lange  wird  entziehen  können,  ohne 
die  schwerste  Schuld  auf  sich  zu  laden. 
In  diesem  Zusammenhänge  sei  auch  auf  MorganS  Besuch 
bei  Hughes  hingcwiesen,  dem  in  Amerika  große  Bedeutung  zu- 
gemessen  wird.  Man  glaubt  zu  wissen,  day  diese  Besprechung 
eine  große  internationale  Anleihe  an  Deutschland  unter  der  Vor -
aussetzung  zum  Gegenstand  hatte,  daß  Frankreich  einer  end -
gültigen  Regelung  der  ReparationSfrage  zustimmt. 
Der  Korrespondent  der  „Newyork  World"  fügt  hinzu,  die 
Höbe  der  Anleihe  werde  in  RegierunaSkreisen  mit  V/ 3  Milliarden 
Dollar  angegeben.  „Newyork  Herold"  bestätigt  diese  Zahl  und 
bemerkt,  die  amerikanische  Regierung  und  die  amerikanischen 
Bankiers  nähmen  ein  direktes  Interesse  daran. 
Am  I.  Januar  et*  Krot  600  A? 
In  der  Vorlage  über  di«  Preisfestsetzung  des  dritten  Sechstels 
der  Getreideumlage,  die  dem  Reickskabinett  zugegangen  ist,  har  der 
Reichsernädrungs-minister  nach  seinen  Angaben  versucht,  den  Inter- 
essen  der  Verhraucher,  gleichzeitig  aber  auch  den  Interessen  der  Er- 
zeuger  gerecht  zu  werden.  Man  mutz  sagen,  daß  dieser  Versuch 
nicht  geglückt  ist  und  die  Interessen  der  Erzeuger  wesentlich  mehr 
Berücksichtigung  gefunden  hoben  als  die  bet  Verbraucher.  Der  Ge- 
tteidepreis  (Roggen)  für  di«  Umlage,  der  bisher  pro  Tonne  rund 
20  000.«  betrug,  wird  sich,  nach  der  Regierungsvorlage,  wahrschein, 
lick  künftig  auf  170  000  bis  180000  JI  stellen.  Das  würde  be -
deuten,  datz  das  Bierpfund-Markenbrot  vom 
1.  Januar  an  ungefähr  600.*  kostet. 
Wir  werden  zu  dieser  Angelegenheit  noch  Stellung  nehmen, 
sobald  die  Vorlage  im  Reichskabinett  verabschiedet  ist. 
In  Bayern  hat  der  erste  Prozeß  auf  Grund  deS  Schutzgesetzes 
tatsächlich  stattgefunden.  DaS  gab  den  bayrischen  Richtern  Gelegen- 
heil,  den  verantwortlichen  Schriftleiter  des  „MieSdacher  Anzeigers" 
—  freizu  sprechen. 
Dardens  Anklage. 
Wir  sind  feine.  Freunde  de«  Politiker» 
Harden.  Das  unerhörte  Fehlurteil  gegen  fein« 
Attentäter  veranlaßt  un»  aber,  die  Rede  wieder- 
zugeben,  die  er  vor  dem  Berliner  Schwurgericht 
hielt  und  d>e  in  der  Presse  viel  zu  wenig  be. 
achtet  worden  ist. 
.  ,  AH  einer  Art  von  GeschästSor^nungSdebatt«  erhielt  Harden 
ba?  Wort  zu  folgender,  etwa  zweisttindiger  Rede: 
.  -Meine  verehrten  Herren!  ES  ist  hier  davon  die  Rede  ge- 
weien,  daz  tch  nicht  immer  in  diesem  Raume  anwesend  war.  Ick 
mutz  errieten,  da  es  hier  vergessen  zu  sein  scheint:  Ich  bin  von 
einigen  Mördern,  von  gedungenen  Burschen,  überfallen,  hinterrücks 
niedergeschlagen  worden.  Ich  habe  14  Tage  am  Rande  de»  Grabet 
gelegen.  Ich  habe  alle»  verloren  und  aufgeben  müssen.  Ich  bin 
tote!  zu  früh  zurückgekommen,  nur  um  dieses  Verfahren  nicht  auf 
zuhalten.  Wenn  ick  mich  nicht  immer  in  diesem  Saal  nufg.-baltei, 
bade,  so  war  das  nicht  Geringschätzung.  Ich  bin  ein  kranker  Mann, 
äs*  will  eS  vermeiden,  hier  eine  Krankheitsgeschichie  zu  geben. 
Warum  aber  sollte  ick  noch  den  Rest  meiner  Kraft  an  diese  Sacke 
fegen?  Habe  ich  etwas  davon,  wenn  diese  Menschen  schuldig  ge 
sprachen  werden?  Stehe  ich  hier  als  Angeklagter ?  Meine  Herren 
Geschworenen!  Gestatten  Sie  mir,  Ihnen  zu  sagen,  ick  habe  viele» 
erlebt,  aber  was  ich  in  diesen  Tagen  erlebt  habe,  ist 
für  mein  Gefühl  von  Recht  etwas  Unfaßbares. 
Der  erste  Mann,  der  an  mein  Krankenbett  trat,  war  ein  Scamttr 
ber  Behörde.  Er  zeigte  mir  Briese  der  Angeklagten  und  des  Herrn 
Ankermann  und  wundervolle  Bilder  nackt  tanzender  Menschen,  die 
bei  Herrn  Grenz  gefunden  worden  waren.  Er  sagte  mir:  .Eigent 
lich  hätten  wir  politischen  Beamten  mit  der  Sache  nicht?  zu  tun: 
denn  ei  ist  der  Schulfall  eines  Morde»,  des  bezahlten  Mordes."  Ich 
bin  der  Meinung,  e  S  hat  kaum  jemals  einen  Fall  ge -
geben,  der  klarer  und  einfacher  lag.  Geldnot,  «'ne  gc 
wisse  Zeiterscheinung,  hat  verwegene,  verwilberte  Menschen  —  Gott 
sckuf  sie,  also  mögen  sie  als  Menschen  gelten  —  dazu  gebracht,  einen 
Menschen  töten  zu  wollen.  Diese  Menscken'waren  unredlick,  auch 
gegen  ihre  Auftraggeber,  sie  waren  auck  schlechte  Mörder.  Ich  bin 
unzählige  Male  im  Dunkeln  und  auch  tief  in  der  Nacht  ans  ein 
(amen  Wegen  gegangen.  Sie  haben  die  ganze  Zeit  gezecht  und 
anderes  getrieben?  Diese  jungen  Menschen  mit  ihren  lebhaften 
Augen  haben  immer  wieder  nach  Geld  geschrien.  Ein  Zweiftl  über 
das  Motiv  ist  für  mich  nicht  vorhanden.  Für  einen  kranken  Men- 
scheu  wie  mich  ist  eS  unerträglich,  diese  lächelnden, 
fidelen  Gefickter  der  Angeklagten  immer  zu  sehen. 
Ich  habe  mein  dreißigjähriges  Werk  aufgeben  müssen  und  schwere 
materielle  Verlust«  erlitten. 
Ich  siebe  hier  und  war  bis  heule  fiüh  entschlossen,  weil  ich  ei 
ungeheuerlich  finde,  zurückzutteten  und  zu  sagen:  Mir  genügt  das 
Stenogramm  der  Verhandlung.  Das  Urteil  spricht  die  Welt.  Ich 
habe  eS  nicht  getan,  weil  ich  heute  ftüh  einen  Bries  von  einem 
Politiker  von  Weltruf  bekam,  in  dem  es  beißt:  ..Wohin  ich  im  neu -
tralen  Aukland  komme,  sagt  man  mir:  Deutschland  geht  zu -
grunde  durch  seine  Solidarisierung  mit  den 
Mördern."  Um  baS  zu  verbindern,  stehe  ick  Bier.  Ich  stebe  hier 
in  einer  menschlieben  Sache.  Man  klage  mich  doch  an,  ich  sei  ein 
Hochverräter  und  was  sonst  noch.  Ich  bin  bereit,  mich  mit  jedem 
meiner  Mitbürger  darüber  zu  unterhalten,  aber  hier,  so  nebenbei, 
das  ist  unmöglich.  Ich  befinde  mich  hier  nicht  als  Jurist,  aber  ick 
möchte  fragen:  Ist  hier  mein  Schaden  festgesetzt?  Setzen  Sie  dock 
ein  Gesetz  durch,  datz,  wenn  einer  einen  Schädling  tötet,  er  frei  ist. 
Oder  setzen  Sie  in  das  Gesetz  hinein:  Wenn  ein  Jude  ge -
tötet  wird,  wird  «ine  Prämie  gezahlt.  Gut,  wenn 
baS  Gesetz  ist  bann  werden  wir  nur  damit  absinden.  Glauben  Sie, 
datz  Kain  vor  den  irdischen  oder  den  himmlischen  Richter  bintreten 
konnte  unö  sagen:  Ick  Hove  diesen  Abel  getötet  aber  was  war 
dal  auch  für  in  Serif 
ES  muh  doch  eine  Staatshoheit  nnb  eine  Rechtkbohslt 
..  ,  -.  mich  in  per  Republik,  geben. 
.  An  der  Dache  wäre  nicht»  geändert,.auch  wenn  ich  das  Scksissal 
wäre,  al»  das  ick  hingsstelli  worden  bin..  Wesentlich  ist  jetzt:  Soll 
das  so  weiterwirken  im  Terror  oder  werden  wir  dem  Grenzen 
ziehen?  Wenn  ich  rühm,  oder  applaussüchtig  wäre,  würde  für  mich 
nichts  wünschenswerter  sein,  al?  daß  eine  ganz  leichte  -Verurteilung 
wegen  Körperverletzung  herauskäme.  Tie  Welt  würde  mich  dann 
als  Märtyrer  betrachten.  Der  Eindruck,  den  die  Welt  von  unsern 
Ziiständcn  bekäme,  würde  für  Deutschland  von  größtem  Schaden 
sein.  Ich  habe  das  Interesse,  datz  baS  Recht  im  Staat  zum  Siege 
komme.  ES  ist  hier  gefgt  worden,  „das  ist  ja  «in  Jude,  «r  heißt 
auch  Isidor".  Wenn  diese  beiden  Menschen  hier  Blumen  st  ock 
und  Veilchenfeld  hießen,  und  wenn  der  lleberfallene  einen 
urgermanischen  Namen  hätte,  sagen  mir  etwa  —  Max  K  l  ante 
(große  Heiterkeit),  glauben  Sie  wirklich,  daß  man  es  auch  so  leicht 
genommen  haben  würde?  Ich  glaube  nicht. 
ES  steckt  doch  hinter  dem  ganzen  Verfahren  die  tiefe  In -
sinuation:  Dieser  gemeine  Jude,  eigentlich  heißt  er  Isidor. 
—  ich  habe  niemals  Anspruch  auf  Diesen  Namen  gehabt.  Isidor 
ist  ein  alter  christlicher  Vorname.  Ich  bin  als  jüdischer  Knabe 
geboren,  aber  vor  mehr  a  l  S  vierzig  Jabren  au« 
innerer  Ueberzeugung  als  blutjunger  Mensch  zum  Ehristentum 
übergetreten.  Meine  Namen  waren  stets  Maximilian  Felit 
Ernst.  Die  Kirchcngeschichte  kennt  den  Pseudo-Isidor.  Ich 
möchte  mich  auch  als  einen  Pseudo-Jsidor  bezeichnen. 
Meinen  Namen  habe  ich  geändert,  als  ich  der  Bühnenlauf 
bahn  mich  zuwandte,  wie  baS  damals  Üblich  war,  wenn  man  au» 
gutbürgerlicher  Familie  diesen  Berus  wählte.  Hunderte  von 
Menscken  wechseln  ihren  Namen.  Nur  bei  mir  scheint  dies  ein 
Verbrechen,  das  nie  verjährt.  Ich  habe  nie  für  jüdische  Dinge 
Partei  genommen,  sogar  eine  Zeitlang  eher  für  einen  Antisemiten 
gegolten.  ES  scheint  aber,  daß  eS  unverjährbar  fit:  Ich  bleibe 
Isidor.  Ich  habe  mich  niemals  zu  einem  StaatSamt  gedrängt. 
ES  hat  immer  Attentate  gegeben.  Geadelt  wurden  sie 
dadurch,  daß  d  i  e  Täter  wenigstens  ihr  Leben  efn- 
setzten.  Auch  im  Falle  Rathenau  richtete  sich  die  Tat  dock 
wenigstens  gegen  einen  Mann,  den  man  in  Ausübung  der  Macht 
als  Schädling  betrachtete.  Ich  schrieb  eine  Wochenschrift.  Weiter 
Lollar  (vorbörSUch)  mittlerer  StitrS :  6700. 
Dir  zerhackte  Kommode. 
Ein  Buch  voll  Bitterkeit. 
.  Von  Edm.  Hoehne,  Hamburg. 
[3]  
Werner  lachte:  „DaS  kommt  so.  s)ch  hatte  Lesehunger.  And 
als  der  Einjährige  Bergmann  auf  drei  Tage  nach  Riga  mußte, 
bat  ick  ihn,  mir  ein  Buch  für  den  Tornister  auszusuchen,  daS 
recht  konzentriert  Psychologie  und  Geistesgeschichte,  Philosophie 
und  Kunst  umschloß.  Mir  schwebte  etwas  vor  wie  die  Grund- 
lagen  des  19.  Jahrhundert  von  Chamberlain.  Bergmann  sieht 
dies  Buck.  Physiologie,  daS  klingt  beinahe  ebenso  tote  Psychologie 
und  Philosophie.  Geschmack  —  das  hat  waS  mit  Kunst  zu  tun. 
Dies  Buch  ist  richtig.  Durchblättert  scheint  er  eS  nickt,zu  haben. 
Ich  lese  jetzt  darin,  wenn  ich  meinen  Schlag  Dörrgemüse  auS  der 
Feldküche  verzehre.  Derartige  Tragikomik  verfolgt  Mich  mein 
ganzes  Leben.  Ich  werde  immer  verhöhnt. 
Hansen  lackte:  „Um  so  leichter  finden  Sie  sich  mit  dem 
Kommenden  ab.  ES  ist  blutigste  Ironie.  Also  gehen  mir. 
Ms  sie  draußen  auf  der  Landstraße  gingen,  sagte  Hansen:  . 
Wissen  Sie,  Werner,  ich  möchte  Sie  zu  einer  verrückten  urgie 
verleiten,  zu  der  mir  anfangs  ein  solider  Wein  notwendig  erschien. 
Aber  nach  Ihrem  -Haßgesang  der  Kiefern  und  bei  Ihrem  ganzen 
Wesen  scheint  er  mir  nickt  mehr  conditio  sine  qua  non  ju  Jem. 
(5r  wird  uns  immerhin  helfen.  Uebrigens  ist  unsere  Verrücktheit 
bereits  dienstlich  befohlen  und  damit  aller  Krück  enthoben.  Nur  - 
daß  wir  beide  und  wie  wir  es  machen,  das  soll,  den  Dwisionöbefehl 
ein  wenig  adeln,  der  Erde  und  vor  allem  der  Kr.egSsphare  em- 
rücken.  Wir  wollen  heute  Abschied  nehmen  vom  Evakuieren.  Ueber, 
meinen  ist  das  letzte  HauS  verbrannt  und  bann  ist  eS  aus  mit  drin 
Spaß  und  für  unsere  tatenfrohen  Beile  sind  nur  noch  Ihre  ent. 
rüsteten  Kiefern  übrig.  Wie  hat  Ihnen  so  bte  Mordbrennerei  der 
letzten  Wochen  gefallen?" 
„Herr  Leutnant,  so  wüst  die  Bauernstuben  in  all  den  Gehöften 
schließlich  aussahen,  sie  erschienen  mir  alle  heimelnder  und 
schöner  als  die  Wohnräume,  m  denen  ick  n,c ”L c  ' ,  lflc ? b  1 
hatte.  Das  wacht  wohl  der  Kontrast  zum  Hohlendasc.n  m  ber 
dreckten  Gräben." 
„Und  daS  Heim  Ihrer  Jugend  schien  an  trüber  Oede  nichts 
fehlen  gelassen  zu  haben.  Ich  verstehe,  daß  Sie  darüber  schweigen 
möchten,  aber  glauben  Sie  mir,  daß  ich  schon  lange  mit  Ihnen 
fühle.  Ich  möchte  dennoch  zu  Ende  hören,  was  das  mit  unserm 
Veröden  zu  tun  hat." 
„Herr  Leutnant,  nur  wer  im  Grunde  nie  ein  Heim  gekannt 
hat  ober  nur  die  Fürchterlichkeit  billiger  Mietszimmer,  kann  nach -
fühlen,  was  in  mir  vorging,  wenn  ich  schöne,  stolze  Wohnstätten 
svstemasisch  vernichten  mußte.  Halten  Sie  es  nickt  für  über -
trieben,  wenn  ich  behaupte,  daß  mir  ähnlick  zumute  war  tote  dem 
Verurteilten,  der  sein  eigenes  Grab  schaufeln  mutz.  ES  war  kein 
kleiner  egoistischer  Besitzneid  in  mir,  ich  wollte  nur  gern  ihr  Leben 
retten,  wie  das  eines  fremden  Menschen.  Ich  hatte  fast  das  Ge -
fühl,  gemeinen  Mord  zu  begehen,  ein  Gefühl,  daß  ick  int  wirklichen 
Gefecht  nicht  kenne  und  auch  hinterher  nickt.  Aber  schließlich,  eS 
ist  Armeebefehl,  und  ich  kann  die  millitänscke  Notwendigkeit  zum 
Teil  einsehen." 
„Wir  sind  kleine  Zugführer,  Werner,  und  Übersehen  vielleicht 
die  Zusammenhänge,  die  solche  Befehle  erzwingen.  War  es  aber 
übertriebene  und  damit  feige  Vorsicht,  so  sollen  die  VeranNvortlichen 
einmal  Rede  stehen.  Es  gibt  auck  eine  VerantwottungSfteudigkeit 
im  Unterlassen." 
„Wir  Ordensritter  von  Eimsbüttel  ziehen  über  die  Düna  wie 
eine  historische  Zinnsoldateiimechanerie  in  der  Hand  eines  ver -
wöhnten  Parvenüsprößlings.  Unsere  Urahnen  trieb  die  Urkraft 
völkischen  Werdens,  und  die  Elektrizität  eines  schon  halbleeren 
Akkumulators,  die  freilich  die  Lettenhöfe  besser  ftißt  als  die  vrimi- 
live  Brandfackel  um  1200.  Wir  treiben  Lberlehrergeschichtswieder- 
hoiiing  mit  mimischer  Darstellung.  Wir  ziehen  in  die  Dome  Rigas 
mit  militärisch  abgestempeltem  Baedeker." 
„Alle  Feldgeistlichen  der  Welt  beten  zu  Gott,  und  er  schweigt. 
Lästern  wir  ihn,  vielleicht  hört  er  unö  und  nimmt  unsere  Schändung 
als  Gebet." 
Sie  waren  in  Ranka  angekommen  und  Hansen  rief  seine 
Gruppenführer,  damit  sie  die  Leute  nach  Weschkaln  führten.  Seinem 
Burschen  legte  er  daS  Kartenspielen  bei  der  verbleibenden  Wackt- 
?ruppe  nahe  und  führte  Werner  bann  nach  oben.  Vor  der  Tür 
agte  er:  -Warten  Sie  bitte  einen  Augenblick,  ich  rufe  Sie  gleich." 
AIS  Werner  eintreten  durfte,  blieb  er  überrascht  in  der  offenen 
Tür  stehen.  Ein  entzückender  Biedermeiersalon  im  Kerzenlicht! 
Stück  Lustmörder  steck!  in  jedem,  der  ein  Weib  liebt.  Die  ^emmar -
gen  sind  sehr  verschiednarlig,  die  unS  davon  abhalten  auf  die  geliebten 
Glieder  zu  stürzen  und  ihre  Schönheit  in  blusige  Fetzen  zu  reißen. 
Die  Konstellationen  des  Lebens  sind  oft  so  verrückt,  daß  wir  8er» 
Nichten  müssen  was  wir  lieben,  auch  ohne  dienstlichen  Befehl." 
Er  öffnete  die  zweite  Flasche  und  füllte  wieder  die  geleerten 
Gläser. 
.Werner,  Sie  werden  gleich  sagen,  daß  ich  oerr&h  bin.  yni 
bin  in  diese  Möbel  irgendwie  verliebt  wie  in  ein  Weib.  Können 
Sie  mich  ein  klein  wenig  verstehen?" 
„Ich  bin  eS  vieleicht  auch,  Herr  Leutnant!' 
„Gewiß!  In  Ihnen  ist  noch  der  ins  Grenzenlos«  ge riebteU 
EroS,  ber  noch  nicht  :n  die  obligaten  Kanäle  der  obligate»  Weibv- 
liebe  gezwängt  ist  WaS  für  andere  nur  ein  toller  Budenzauber 
in  Frontaufmachung  wäre,  der  höchstens  mit  Besoffenheit  entschuldigt 
wird,  ist  für  Sie  und  mich  die  Auslösung  der  unendlichen  Alliebe. 
die  um  so  wilder  in  uns  drängt,  je  fester  wir  die  Hacken  zusammew» 
nehmen.'  _ 
Er  stand  auf  und  lehnte  seinen  Kopf  an  die  poliert«  Wand 
eines  Schranke«,  die  im  Kerzenlicht  gedämpft  oft  geheimnisvoll 
glänzte,  als  hätte  sie  die  tausend  verschleierten  Augen  einer  indischen 
Göttin. 
„Das  Leben  ist  irrsinnig,"  sagte  er  leise. 
„Der  Krieg  ist  habet  noch  lange  nicht  der  tollste  Wahnsinn,  das 
Hackenzusammennehmett  noch  lange  nicht  das  Kleinste.  ES  ist  ein 
formenftartet  Lebensstil,  der  das  ttrsinnige  Gewmsitel  adelt,  das 
wir  Leben  nennen.  Ewig  sehnen  wir  und,  ewig  zerstören  wir. 
Die  gute  Bürgerlichkeit  gestattet  solche  Geistedvenrrungen,  wie  sie 
in  uns  sind,  Werner,  nur  dann,  wenn  sie  sich  stt  die  sogenanttte 
Natur  versenken.  Mgn  läßt  sogenannte  Dichter  zu  und  veriucht 
sogar  selbst  ein  wenig  das  Anschwarmen  von  Baum  und  Wolke  nach -
zuerleben.  Möbel  erleben  —  das  ist  hirnverbrannt.  Was  der  braue 
Bürger  davon  kennt,  sind  nur  mehr  oder  weniger  feine  SSarieütoncw 
des  Eigentumsgefühls.  Uebctlagen  wir  die  eitle  jveube  am  Gegen -
satz  von  Kultur  und  Natur  dem  wiesenduftenden  Wandervogel. 
vermag  zwischen  einem  Schrank,  emem  Weto,  einer  Tanne  leine» 
wesentliches  Unterschied  heriuSzusinden." 
Er  kam  wieder  an  den  Tisck  und  öffnete  die  dritte  jslaiche.  Eine 
Zeitlang  tranken  beide  schweigend.  Ihr  Grist  kämpfte  gegen  die 
Uebermacht  von  Dienstalltag  und  Wein  und  gewann  dabei  über- 
Er  atmete  Tannenditst  al»  sei  Weihnachten.  Hinter  ihm  schloß  die 
einschnappende  Tür  leise  daS  Diesseits  ab.  Sie  waren  allein. 
Hansen  stand  mit  seltsamem  Lächeln  am  Tisck  und  sagte  mit  reizen -
der  Handbewegung:  „Nehmen  Sie  bitte  Platz,  Herr  Kamerad!" 
Er  füllte  schwingend  die  Gläser,  setzte  sich  und  sagte: 
„Stoßen  wir  zunächst  darauf  an,  daß  wir  noch  recht  lange  leben 
dürfen." 
Beim  Anstößen  zitterte  Werners  Hand. 
„Was  haben  Sie,  Werner?  Sie  sind  ja  blaß?' 
„Verzeihung,  Herr  Leutnant,  es  klingt  für  einen  Frontsoldaten 
vielleicht  eigentümlich  —  mir  ist,  als  sei  in  diesem  Saum,  in  dieser 
Szene  ~x  der  Tod." 
.Sie  haben  reckst.  Ten  Tod,  der  mich  oder  Sie  treffen  könnte, 
erwähnt  man  bclanntlicb  als  Soldat  nicht  mehr.  Der  Tod,  den  Sie 
spüren,  gilt  diesen  Möbeln."" 
„Um  Himmels  Willen,  selbst  diese  Kunstwerke  sollen  zerschlagen 
werden?  Man  kann  doch  zumindest  abwarten,  ob  die  Russen  wirk- 
sich  kommen.  Dies  Haus  liegt  doch  nur  500  Meter  von  der  neuen 
Stellung  entfernt!  Im  letzten  Augenblick  kann  man  Feuer  anlegen; 
die  eigene  Artillerie  kann  eS  in  jedem  beliebigen  Augenblick  nieder- 
schicßen." 
„DaS  sah  sogar  der  Hauptmann  ein.  Aber  erstens  meinte  er, 
daß  uns  dann  das  Bretterwerk  verloren  ginge  und  zweitens  hat 
Major  Rosengardt  bereits  geschrien,  daß  es  die  Russen  in  Moskau 
gehört  haben,  weil  mit  dem  Abbruch  noch  nicht  begonnen  ist  Feiern 
wir  also  Abschied  von  diesem  Salon,  Werner!  Hier  könnte  man 
so  nett  die  Friedensnachricht  entgegennehmen  und  einem  treuherzigen 
Steppenleutnant  zntrinken.  Wohlsein!  Nehmen  Sie  bitte  eine 
Zigarette." 
„Herr  Leutnant,  die  Bahn  nach  Riga  ist  kaum  2  Kilometer  ent -
fernt.  Lassen  sich  die  Stücke  wirklich  nicht  nach  dorr  überführen?" 
„Ja,  Ja!  Uebrigens  kriegen  Sie  mal  die  Mannschaft  dazu  ber!" 
.Jevl  klaut  fe  all  die  Utstür  vor  ccr  Armeekonservenvilla 
tosam." 
Der  Wein  war  gut  und  sie  waren  nicht  an  ihn  gewohnt,  wn 
leiser  Rausch  umfing  sie  bereits:  aber  wenn  Werners  Hand  immer 
noch  zitterte,  so  lag  eS  nickt  nur  am  Wein.  Ein  tolle»,  süßes 
Grauen  wuchs  langsam  in  ihm! 
„Wissen  Sie,  Werner."  f”*’-  H-nscn  fort,  „mit  Frauen  haben 
Sie  wohl  noch  nicht  viel  erlgbt  Lassen  Sie  eS  sich  gesagt  fern;  Ein