ftaB  „<sam»ur»er  LchoV  er -
scheint  tügiich  einmal,  a'  tfier 
den  a.  Feiertagen, 
®«jugeti  r  <i»  für  Adk^oler 
0,60  Molbmart. 
«uch  durch  b.Toft  ,u  »eile  he«. 
Preise  freivleibend. 
Redaktion:  . 
Sehlanbstratze  11,  erster  $  fort. 
»erantwortttcher  Redakt««»: 
Paul  ÖUflborjit,  Mlten 1 .«. 
«nzeigen-Snnahm  e: 
FEandstraße  U,  1.  Stoff. 
Bucht)andlung:  ikrdgeschotz. 
Vuchdrufferei-Kontor: 
SeOlanbftrafieli.  erfterStotf, 
frei  in«  Hm.«  vom  2.  Bi«  8.  Februar  1924  0,70  Oiolbmark.  «urelverkauf-preiS  15  Pfeuniß  Soll. 
JlW  Z-hlbar  am  L.  ^-bruar 
KamvurgerEcho 
“  ♦  •WasSHSIff” 
Kounaliend.  den  S.  Februar  1924. 
38.  Jahrgang. 
wer  vertei'öigt  noch  den 
fiusnahmezustanö! 
Alle  Landesregierungen  haben  in  den  letzten  Wochen 
wiederholt  die  Reichsregierung  um  Aufhebung  des  Ausnahme- 
rechtes  ersucht,  das  einzelnen  Militärpersonen  diktatorische 
Gewalt  über  Angelegenheiten  des  öffentlichen  Lebens  verleiht. 
Aber  die  Regierung  Marx  scheint  äußerst  harthörig  gegenüber 
diesem  Verlangen  zu  sein.  Aus  welchem  Grunde,  ist  nicht  recht 
ersichtlich.  In  allen  Landesteilen,  in  denen  die  wirtschaftliche 
9?ot7  ausgenutzt  durch  gewissenlose  Propagandisten  des  Bürger -
krieges,  Zustände  herbeigeführt  hatte,  die  eine  zeitweise  Auf -
hebung  gewisser  verfassungsmäßiger  Freiheiten  gerechtfertigt  er -
scheinen  ließen,  ist  jetzt  wieder  Ruhe  eingekehrt.  Die  leicht: 
Befferung  unserer  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  die  seit  der 
Wiedereinführung  wertbeständigen  Geldes  zu  spüren  ist,  hat 
allein  schon  genügt,  eine  beruhigende  Wirkung  auf  die  Gemüter 
auszuüben.  Und  wenn  tzmite  alle  Unternehmerkreife  mit  den 
Behörden  sich  in  dem  Bestreben  vereinigen  wollten,  allen  be -
schäftigungslosen  Arbeitem  die  Gelegenheit  zu  verschaffen,  sich 
wieder  aus  eigener  Kraft  das  tägliche  Brot  zu  verdienen,  statt 
sie  auf  die  Straße  zu  setzen,  so  könnte  jetzt  schon  von  einer 
völligen  Ueberwindung  der  schweren  Krise,  die  uns  in  diesem 
Winter  bedrohte,  gesprochen  werden.  Jedenfalls  besteht  kein 
Anlaß  mehr,  die  kommandierenden  Reichswehrgenerale  in  Dinge 
Hineinreden  zu  lassen,  die  nicht  ihres  Amtes  sind.  Darüber 
sollten  sich  heute  alle  politischen  Parteien  einig  sein.  Sie  sind 
es  auch  —  mit  einer  Ausnahme:  die  deut  sch  nationale 
„Volks"partei  ist  die  einzige  Partei,  die  heute  noch  den  Aus- 
nahmezustano  verteidigt,  sich  in  der  Presse  und  in  den  Parla -
menten  gegen  seine  Aushebung  wendet.  Das  muß  seine  be -
sonderen  Gründe  haben  und  es  hat  sie  auch. 
In  der  Zeit  der  schlimmsten  wirtschaftlichen  Not,  der  heil -
losesten  Verwirrung  unserer  Währungsverhältnisse,  in  jenen 
Tagen,  wo  die  Frauen  der  ärmeren  Volksschichten  verzweifelt 
von  Geschäft  zu  Geschäft  irrten  und  nirgends  mehr  für  die 
Haufen  wertlosen  Papiergeldes,  die  sie  in  Händen  trugen,  etwas 
kaufen  konnten;  in  jenen  Tagen,  wo  Hunger  und  Kälte  den  dar -
benden  Massen  -die  Besinnung  zu  rauben  drohten,  da  spielten 
sich  Deutschnationale  als  Gegner  der  Ausnahmeverordnungen 
aus,  weil  sie  damit  rechneten,  daß  ihre  Agitation  durch  das  all -
gemeine  Elend  nur  begünstigt  werden  könnte  und  weil  sie  in  der 
hetzerischen  Ausbeutung  dieser  Zustände  nicht  gehindert  werden 
wollten.  Jetzt  aber,  da  sie  sich  angesichts  der  langsam  heran -
ziehenden  wirtschaftlichen  Befferung  von  dieser  Art  der  Agita -
tion  nicht  mehr  viel  versprechen  können,  sind  sie  wieder  Ver -
teidiger  des  Ausnahmercchts  geworden.  Bestärkt  werden  sie 
darin  allerdings  auch  dwch  die  Art,  wie  die  Verordnun -
gen  des  Reichspristdenten  von  verschiedenen 
ReichSwehrgenertlen  gehandhabt  werden.  Das 
ist  vielfach  ein  kaum  wch  verbülltes  deutschnationales 
Parteiregiment.  So  berichtet  man  uns  erst  heute  wieder 
aus  Weimar: 
Der  Militärbefeblshcker  für  Thüringen  hat  eine  größere  An -
zahl  von  Lehrern,  Die  in  ihrer  Mehrzahl  ier  kommunistischen, 
zum  Teil  der  sozialdemotratischen  Partei  angehören,  in  Schutz- 
h  a  f  t  genommen,  weil  sie  sich  angeblich  in  einer  Art  und 
Weise  betätigt  haben  sollen,  die  von  ihm  als  staatsfeindlich  angesehen 
wird.  Er  hat  diese  Lehrer  dann  größtenteils  aus  der  Schutzhast 
entlassen,  ihnen  jedoch  jede  Tätigkeit  in  der  Schule  ver -
boten.  Diese  Maßregelung  wird  damit  begründet,  daß  Lehr -
kräfte  mit  kommunistischer  Gesinimng  —  selbst,  wenn  wie  sie  sich 
vorläufig  nicht  kommuniftffch  betätigen  —  nicht  würdig  (!)  sind, 
Lehrer  und  Erzieher  zu  sein.  Der  Militärbefehlshaber  hat  eine 
weitere  Anzahl  von  Leickräften,  die  sich  beim  Einmarsch  der 
Truppen  nicht  an  ihrem  Dienstorte  befanden,  steckbrieflichver- 
folgen  lassen  und  sie  vorläufig  ihres  Amtes  entsetzt.  Darunter 
ibefinden  sich  auch  solche  Lehrer,  die  von  ihrer  vorgesetzten  Schul -
behörde  beurlaubt  waren. 
Der  Hcmpchorstand  der  sozialdemokratischen  Lehrer  hat  von 
diesem  ungeheuerlichen,  Kem  Rechtsempsindon  Hohn  sprechenden 
Verfahren  mit  Entrüstung  Kenntnis  genommen.  Er  erhebt  gegen 
diese  brutale  Vergewaltigung  der  freien  Gesinnung  aufrechter 
Lehrer  den  allerscharfsten  Protest.  Der  Hauptvorstand  fordert  den 
Reichstag  ans,  von  der  Rnchsregierung  zu  verlangen,  daß  sie  diese 
ungeheuerlichen  Maßnahmen  gegen  thüringische  Lehrer  rückgängig 
Macht. 
Was  der  Militärbefehlshaber  für  Thüringen,  General 
Hasse,  sich  hier  gegen  einen  Teil  der  Lehrerschaft  erlaubt,  wird 
aber  fast  noch  übertroffen  von  der  Art,  in  der  er  mit  der  ver -
fassungsmäßigen  Regierung  Thüringens  umspringt.  Der 
General  hatte  vor  einig  in  Tagen  an  das  thüringische  Staats -
ministerium  die  Aufforderung  gerichtet,  alle  Verordnungen  vor 
ihrer  Verkündung  i  h  m  zur  Kenntnis  zu  bringen.  Er  selbst 
hat  es  dagegen  nicht  für  nötig  gehalten,  die  Regierung  von 
seinen  Maßnahmen  vocher  zu  unterrichten.  Daraus  hat  sich 
nun  ein  förmlicher  Kric,  zwischen  Staatsregierung  und  Mili- 
tärbefehlshaber  in  Thüungen  entwickelt,  der  zwar  vorläufig 
nur  mit  Feder  und  Schreibmaschine  geführt  wird,  aber  doch 
die  völlige  Unhaltbarkeit  ünes  solchen  Zustandes  erkennen  läßt. 
Da  wir  jedenfalls  noh  nicht  so  weit  sind,  daß  Reichöpräsi- 
-dent  und  Reichsregierun-  zugunsten  einzelner  Militärpersonen 
।  abdanken  sollen,  muß  jetzt  möglichst  rasch  reiner  Tisch  gemacht 
werden.  Die  Reichswehr  soll  nach  der  Verfaffung  kein  partei- 
polstisches  Machtinstrument  sein.  So  wie  heute  der  Ausnahme -
zustand  von  einigen  Generalen  gehandhabt  wird,  ist  sie  auf  dem 
Wege,  zum  Büttel  der  deutschnationalen  Partei  zu  werden. 
Darum  hält  auch  nur  diese  Partei  noch  am  Ausnahmezustand 
fest.  Will  es  die  Regierung  Marx  gleichfalls  tun,  so  soll  sie  sich 
lieber  gleich  mit  Haut  und  Haaren  der  deutschnationalen  Partei 
verschreiben  und  sich  nicht  mehr  das  Ansehen  einer  Regierung 
der  bürgerlichen  Mitte  geben.  Aber  auch  der  R  e  i  ch  s  p  r  S  s  i  - 
dent  hat  schließlich  ein  gewichtiges  Wort  in  der  Frage  des 
Ausnahmezustandes  mitzusprechen.  Von  ihm  in  erster  Linie  er -
warten  wir,  daß  er  der  M  i  ß  a  ch  t  u  n  g  d  e  s  V  o  l  k  s  w  i  l  l  e  n  S, 
die  in  der  Aufrechterhaltung  des  Ausnahmerechts  liegt,  ein  Ende 
macht.  Richt  erst  im  März,  wie  es  angeblich  die  Reichsregie -
rung  beabsichtigt,  sondern  sofort  muß  mit  dem  Abbau  der 
Verordnungen  begonnen  werden,  die  aus  politischen  und  wirt -
schaftlichen  Gründen  heute  völlig  sinnlos  geworden  sind. 
Offizielle  Anerkennung  Sowjetrufilan-s 
durch  die  britisihe  Regierung. 
SPD.  Loudon,  1.  Februar.  (Eigener  Trahtbericht.) 
Die  britische  Regierung  hat  die  russische  Sowjetregierun, 
formell  anerkannt.  Der  Bertreter  Großbritanniens  in  Moskau 
hat  dies  der  russischen  Regierung  am  Freitag  mit  einer  Note 
notifiziert,  die  folgenden  Wortlaut  hat: 
„Ich  habe  die  Ehre,  auf  Anweisung  meiner  Regierung  Eure 
Exzellenz  davon  zu  unterrichten,  daß  die  Union  der  sozialistischru 
Sowjetrepubliken  von  ihr  als  der  rechtmäßige  Herrscher  über 
diejenigen  Territorien  deS  ehemaligen  russischen  Kaiserreiches 
förmlich  anerkanut  wird,  die  selbst  diese  Autorität  tatsächlich  an. 
erkenne.  Um  jedoch  normale  Berhältnisie  vollständig  freund- 
schafUicher  Beziehungen  «nb  vollen  wirtschaftlichen  Berkehr  zu 
schaffen,  wird  eS  notwendig  sein,  endgültig  praktische  Abkommen 
über  verschiedene  Punkte  abzuschließen,  von  denen  einige  in 
keinem  direkten  Zusammmrnhang  mit  der  Frage  der  Anerkennung 
stehen,  andere  dagegen  auf  daS  engste  mit  der  Tatsache  der  An -
erkennung  verknüpft  sind.  Zu  dieser  letzten  Kategorie  gehört 
unter  ander«  die  Frage  der  bestehenden  Berträge.  Die  Re» 
gierung  Seiner  Majestät  ist  der  Auffaffung,  daß  die  Au» 
erkennung  der  russischen  S  o  w  j  e  t  r  e  g  ier  u  u  g 
automatisch  —  entsprechend  den  anerkannten  Reden  deS 
Völkerrechtes  —  alle  Verträge  wieder  in  Kraft 
setzen  wird,  bi«  zwischen  den  beiden  Länder»  vor 
der  russischen  Revolution  abgrschlosien  wurden,  mit 
Ausnahme  derer,  die  gekündigt  wurden  oder  die  auf  andere  Art 
ihre  Rechtskraft  verloren  haben.  Es  liegt  offenkundig  im  Inter -
esse  beider  Länder,  daß  die  Lage  hinsichtlich  dieser  Verträge  gleich -
zeitig  mit  der  Anerkennung  geregelt  wird.  Technisch  ohne  Zu- 
sammenhang  mit  der  Anerkennung,  jedoch  offenkuudig  von  der 
größten  Wichtigkeit,  ist  die  Regelung  der  bestehenden  Forderungen 
der  Regierungen  beziehungsweise  ihrer  Staatsangehörigen  eines 
Landes  gegen  die  andern  sowie  die  Wiederherstellung  des  russischen 
Kredits.  Es  ist  des  weiteren  offenkundig,  daß  man  nicht  wird 
sagen  können,  die  Beziehungen  seien  auftichtig  fteundschastltch 
hrrgestellt,  solange  wie  die  eine  Partei  Gründe  hat,  die  andere  zu 
verdächtigen,  daß  sie  Propaganda  gegen  die  eigenen  Interessen 
betreibe,  und  zwar  eine  Propaganda,  die  de«  Umsturz  ihrer  Ein- 
richtungen  bezweckt. 
Unter  diesen  Umständen  ersucht  die  Regierung  Seiner 
Majestät  die  russische  Regierung,  zu  möglichst  frühem  Termi« 
Bertreter  nach  London  zu  senden,  die  «it  uneingeschränk- 
leit  Vollmachten  versehen  sind,  um  diese  Frage«  zu  be- 
sprechen  und  die  vorläufigen  Grundlagen  eines  vollständigen  Ver -
trages  zu  entwerfen,  um  alle  zwischen  den  beiden  Ländern  noch 
schwebende  Fragen  zu  regel». 
Zu  gleicher  Zeit  bin  ich  bis  zur  Ernennung  eines  Botschafters 
zum  Rang  eines  Geschäftsführers  ernannt  worben  und  beauftragt, 
zu  erklären,  daß  die  Regierung  Seiner  Majestät  sich  freuen  wird, 
gleichfalls  einen  russischen  Geschäftsträger  als  Vertreter  der 
'Sowjetunion  am  Hofe  von  Saint  James  zu  empfangen.' 
♦ 
Die  Anerkennung  Sowjetrußlands  durch  die  britische  Re -
gierung,  die  mit  größter  Beschleunigung  allen  Widerständen  zum 
Trotz  durchgeführt  wurde,  ist  ein  erster  Schritt  in  der  Verwirk -
lichung  des  außenpolitischen  Programms  Macdonalds.  Es 
braucht  nicht  ausdrücklich  betont  zu  werden,  daß  die  Anerkennung 
der  Sowjetregierung  kein  Verzicht  Englands  auf  seine  Ansprüche 
gegenüber  Rußlands  bedeutet,  sondern  den  Versuch  bei  der 
notorischen  Uneintreibbarkeit  der  Ansprüche  in  der  Gegenwart 
die  beiderseitigen  AugenblickS-Jnterffen  zu  wahren,  die  in  einer 
Wiederbelebung  des  englisch-russischen  Handels  liegen.  Mac -
donald  durste  sich,  nach  den  geringen  Wirkungen  des  englisch -
russischen  Handelsabkommens,  über  dis  unmittelbaren,  so -
fortigen  Wirkungen  dieser  rechtlichen  Anerkennung  Rußlands 
keinen  Illusionen  hingeben.  Er  weiß,  daß  nicht  sofort  eine 
neue  Aera  einsetzt  oder  gar  durch  den  Umfang  des  russischen  Ge -
schäfts  alle  Fragen  der  Arbeitslosigkeit  mit  einem  Schlage  ge -
löst  werden.  Was  Macdonald  zu  seinem  Schritt  veranlaßt  hat, 
das  ist  dix  Ueberzeugung,  daß  eine  Anbahnung  wirklicher  russisch -
englischer  Handelsbeziehungen  auf  lange  Sicht  nur  mit  der 
Grundlage  einer  rechtlichen  beiderseitigen 
Anerkennung  möglich  sind,  weil  nur  geregelte  diplomatische 
Beziehungen  eine  Regelung  der  Kreditfrage  ermöglichen.  Nur 
auf  der  Basis  einer  unter  Garantien  erfolgten  Anerkennung 
Rußlands  bürste  sich  bet  englische  Kapitalist  zu  Krediten  ent -
schließen.  Da  die  russischen  Käufe  zunächst  nur  auf  Grund 
solcher  Kredite  getätigt  werden  können,  ist  also  die  Ärebitfrage 
bet  wesentliche  Punkt.  Indem  die  Regelung  der  diplomatischen 
Beziehungen  die  Grundlagen  für  Kredite  schafft,  bereitet  sie 
sie  auch  eine  zukünftige  Belebung  bet  englisch-russischen  Wirt -
schaftsbeziehungen  in  ihrem  wesentlichsten  Punkte  vor.  Das  ist 
der  Sinn  bet  Anerkennung  Sowjetrußlands  durch  England. 
Bei  dem  verstärkten  Bestreben  der  Ruffen,  sich  in  die  Welt -
wirtschaft  einzugliedern,  und  bei  der  moralischen  Bedeutung 
der  Anerkennugn  durch  England,  ist  gar  nicht  daran  zu  zweifeln, 
daß  sich  die  Ruffen  den  englischen  Bedingungen  in  irgend  einer 
Form  unterwerfen  werden. 
e 
Peincarte  Antwort  in  London  überreicht. 
Der  ftanzösische  Botschafter  hat  dem  englischen  Minister -
präsidenten  am  Freitag  die  Antwort  PoincareS  überreicht.  Wie 
in  politischen  Kreisen  verlautet,  ist  sich  Ramsay  Macdonald 
noch  nicht  endgültig  darüber  schlüssig  geworden,  ob  er  den  Brief- 
wechsel  mit  seinem  ftanzösische»  Kollegen  jetzt  veröffentlichen  soll 
oder  nicht.  Poincare  kommt  in  seiner  Aniwort,  obwohl  diese  in 
den  freundschaftlichsten  Formeln  abgefaßt  ist,  den  Wünschen 
und  Absichten  Macdonalds  nicht  einmal  auf 
halbem  Wege  entgegen.  Die  Antwort  PoincareS  wird 
von  einer  bekannten  politffchen  Persönlichkeit,  die  den  Inhalt  der 
Poincaröschen  Antwort  genau  zu  kennen  vorgibt,  als  eine  klare 
Feststellung  Frankreichs  gekennzeichnet,  daß  es  keineswegs  beab -
sichtige.  irgend  etwas,  was  es  jetzt  bereits  fest  in  der  Hand  halte, 
ohne  eine  produktive  Entschädigung  auS  den  Händen  zu  geben. 
Nach  einer  von  Reuter  verbreiteten  Meldung  wird  erwartet, 
daß  der  Briefwechsel  zu  einer  Begegnung  der  beiden  Premier -
minister  Anlaß  gebe. 
Die  flvßcnpolitik  -er  Sowjetunion. 
Auf  dem  allrussischen  Kongreß  gab  Kamenew  einen  um- 
fangreichen  Bericht  über  die  von  der  Sowjetregierung  betriebene 
Außenpolitik.  Der  Wiederaufbau  der  Weltwirtschaft  sei  ohne  die 
Mitarbeit  der  130  Millionen  Menschen  Sowjetrußlands  unmöglich 
und  der  Versailler  Friedensvertrag  fei  zusammengebrochen  infolge 
der  Unmöglichkeit,  die  europäische  Wirtschaft  in  ihren  Grundlagen 
wiederherzustellen. 
Von  der  Regierung  Macdonald  erwarte  die  Sowjet -
regierung  die  von  den  englischen  Arbeitern  geforderte  vRle  und 
unbedingte  Anerkennung  --owjetrußlandS.  Die  Sowjet- 
regierung  habe  England  bereits  erklärt,  daß  sie 
nach  der  Anerkennung  bereit  sei,  eine  gemischte 
englisch-russische  Kommission  zur  Lösung  strit -
tiger  wirtschaftlicher  Fragen  inSLeben  zu  rufen. 
Mit  Beifall  begrüßte  der  Kongreß  die  Mitteilung  Kamenews 
über  den  erfolgreichen  Fortgang  der  rufsisch-italie- 
N!  scheu  Verhandlungen  und  die  bevorstehende  Möglich -
keit  der  Unterzeichnung  «ineS  Abkommens  zwischen  den  beiden 
Ländern. 
Frankreich  gegenüber  bestehe  die  volle  Bereitwilligkeit  der 
Sotojettegierung  zur  geschäftliche«^  Erörterung  noch  ungelöster 
wirtschaftlicher  Fragen,  trotzdem  die  Regierung  gezwungen  ge -
wesen  sei.  einen  Teil  der  Handelsvertretungen  auS  Frankreich 
nach  England  zu  verlegen.  Selbstverständlich  werde  die  russische 
Regierung  es  vorziehen,  sich  mit  solchen  Ländern  in  Hande  lö- 
beziehungeu  einzulassen,  die  Sowjetrußland  gerecht  werden  und 
die  Grundsätze  der  Sotojetregierung  anerkennen.  Die  Festi- 
gung  freundschaftlicher  Beziehungen  und  wirt -
schaftlicher  Verbindungen  mit  Deutschland 
Hilde  eine  der  Grundlagen  der  Politik  der  Sow» 
jetregierung.  Da?  Schicksal  Deutschlands  und  Sowjet- 
rußlands  sei  eng  verbunden.  Der  Marsch  französischer  Truppen 
aus  den  Schultern  einer  siegreichen  deutschen  Gegenrevolution 
ins  Innere  Deutschlands  würde  die  Erschütterung  der  Grundlagen 
d«?  Gleichgewichtes  der  Welttage  bedeuten,  auf  der  sich  die  Sowjet -
republik  aufbaue.  Die  Sotojetregierung  habe  ihre  Friedensliebe 
auch  dadurch  bekundet,  daß  sie  mit  den  Grenzstaaten  Verhand -
lungen  gepflogen  hat  über  Nichteinmischung  in  deutsche  Angelegen -
heiten. 
Schließlich  stellte  Kamenew  für  die  auswärtige  Politik  Sowjet- 
rußlands  folgende  Grundsätze  auf:  freundschaftliche  Beziehungen 
zu  allen  Völkern,  brüderliches  Mitgefühl  mit  den  unterdrückten 
Völkern,  geschäfttiche,  ftiedlichc  Beziehungen  zu  allen  Regierungen. 
Reichspost  uaö  Reichsbahn. 
Zu  bet  Sache,  die  wir  gestern  kritisch  erörterten,  verbrettet 
Wolff  Mitteilungen,  allerdings  in  einem  Deutsch,  das  Rätsel  auf. 
gibt.  Ein  Gesetz,  das  die  Reichsbahn  in  ein  selbständiges  wirt -
schaftliches  Unternehmen  umwandelt,  werde  vorbereitet.  Die  neue 
Betriebsform  solle  die  Haushaltsgebarung  der  Reichsbahn  freier 
gestalten  und  die  Aufnahme  eigener  Kredite  ermöglichen.  Da  e? 
sich  um  die  Aenderung  einer  verfaffungSrechtlichen  Bestimmung 
handelt,  könne  die  Verwaltungsregelung  nur  durch  Reichsgesetz  er -
folgen.  Keineswegs  sei  beabsichtigt,  der  Privatisierung  de?  Reiches 
die  Wege  zu  ebnen,  es  sei  vielmehr  die  feste  Absicht  der  ReichS- 
regierung,  die  Reichsbahn  im  Besitz  des  Reiches  zu  erhalten  und 
unter  der  Kontrolle  der  parlamentarischen  .Körperschaften  zu  be- 
lassen. 
Die  Mitteilung  fährt  fort:  »Im  Gegensatz  zu  der  Notverord -
nung  über  die  Reichsbahn  wird  im  Reichspostfinanzministerium 
sofort  auf  eine  endgüttige  Regelung  gedrungen  werden.  Die  ent -
sprechende  Vorlage  soll  bereits  dieser  Tage  dem  Reichsrat  zugehen. 
DaS  Gesetz  erstrebt  ebenfalls  die  finanzielle  Selbständigmachung 
der  Post-  und  Telegraphenverwaltung.  Von  dem  Vermögen  deS 
Reiches  soll  ein  Sondervermögen  abgeführt  werden,  das  durch  eine 
Sonderverwaltung  verwaltet  werden  soll,  wobei  jedoch  keineswegs 
an  die  Gründung  einer  A.-G.  oder  die  Privatisierung  der  Reichs -
post  gedacht  ist.  Zwischen  der  Reichsposwerwaltung  und  der  Reichs 
sinanzvenvaltung  wird  auch  weiterhin  eine  ziemlich  enge  Zusam -
menarbeit  bestehen.  Der  ReichSpostminister  bleibt  dem  Reichstag 
nach  wie  vor  in  vollem  Umfange  verantwortlich.  Dagegen  soll  für 
die  gesamte  Gebührenpolitik  nicht  mehr  der  Reichstag,  sondern  der 
BettvattungSrat  zuständig  sein.  Dieser  wird  etwa  25  Mitglieder 
auS  den  verschiedenen  Zweigen  deS  Wirtschaftslebens  sowie  Ver -
treter  der  Beamtenschaft  und  deS  Reichsfinanzministeriums  ent -
halten.  Nach  Schaffung  deS  Verwaltungsrates  wird  der  zurzeit 
bestehende  VerkehrSbeirat  aufgehsben  werden.  In  einem  beson 
deren  PaffuS  wird  daS  Reich  ermächtigt,  mit  Bayern  und 
Württemberg,  die  an  das  Reich  noch  gewisse  Forderungen 
zu  stellen  haben,  alles  weitere  zu  veranlassen.  Eine  endgültige 
Vereinbarung  konnte  noch  nicht  getroffen  werden,  doch  kann  von 
einem  Wiederaufleben  des  Reservatrechtes  keine  Rede  sein.  Im 
Reichspostministerium  neigt  man,  wie  versichert  wird,  dazu,  die 
noch  schwebenden  Fragen  mit  den  genannten  Staaten  durch  die 
Schaffung  eines  MiteigentumrechtS  zwischen  dem  Reiche 
und  Bayern  bezw.  Württemberg  zu  regeln.* 
Wir  halten  für  selbstverständlich,  daß  der  Reichstag  auch  mtt 
Bezug  auf  die  Post  sein  Bestimmungsrecht  behauptet.  Es  wäre 
ein  ganz  schlimmer  Mißbrauch  des  übrigens  nächstens  ab 
laufenden  Ermächtigungsgesetzes,  wenn  eS  benutzt  wird, 
die  Volksvertretung  in  dieser  Sache  auszuschalten. 
Ein  seltsames  Mißverständnis  deS  Sozialt- 
sterungSbegriffs  ist  in  dieser  Sache  einem  Teil  bei  bürget» 
ltchen  Presse  unterlaufen.  So  sagt  das  Hamburger  „8  Uhr-Abend -
blatt*  zn  den  Umstellungsplänen: 
Jedenfalls  hat  dabei  eine  Entwicklung  ihr  Ende  gesunde», 
die  während  der  Revolutionszeit  einsetzte  und  alles  Heil  in 
der  Sozialisierung  suchte.  Genau  da«  Gegenteil 
ist  eingetreten.  Das  Reich  gibt  seine  alten  Betriebe, 
die  e?  seit  vielen  Jahrzehnten  verwaltete,  auS  der  eigenen 
Regie. 
In  diesen  Sätzen  drückt  sich  eine  rein  formalistische  Auffassung 
aus.  Der  Schreiber  setzt  Verstaatlichung  gleich  mit  Sozialisierung. 
Tas  ist  eS  aber  keineswegs.  AIS  dem  SozialisierungSbegriff  voll 
entsprechend  hat  noch  kein  Sozialist  die  Reichseisenbahn  und  Reicbs- 
post  angesehen.  Auf  der  ersten  Reichskonferenz  der  Eisenbahn- 
Betriebsräte  im  März  1919  verlangte  der  sozialdemokratische 
Referent  W  i  11  r  i  s  ch  die  Schaffung  einer  Verkehrsgesellschaft,  in 
die  alle  zu  monopolistischem  Betrieb  geeigneten  Verkehrkunter- 
nehmungen  aufgeben  sollten,  z.  B.  Eisenbahn,  Post,  Flugpost  usw. 
Eigentümer  sollte  das  Reich  fein,  die  Verwaltung  aber  sollte  für 
zu  bildende  Verkehrsprovinzen  und  für  da?  Gesamtunter» 
nehmen  durch  Vertreter  der  sozialen  Organisationen  und  Ver -
treter  der  Bediensteten  erfolgen  bezw.  kontrolliert  werden.  Aehn- 
liche  Vorschläge  hat  die  Sozialisierungskommission  gemacht.  Die 
jetzt  auftauchenden  Pläne  sind  diesen  alten  Vorschlägen  nach- 
gebildet;  fteilich  wird  dabei  der  soziale  Inhalt  stark  verdünnt  und 
dafür  die  Stellung  der  Verwaltungsbureaukratie  gekräftigt. 
Sozialisieren  bedeutet  nicht  schlankweg  verstaatlichen,  sondern 
es  bedeutet:  Der  Betrieb  soll  unter  der  Bestimmungsgewalt  der 
Gesellschaft  so  geführt  werden,  daß  das  Wohl  der  Gesamtheit  uud 
der  Vorteil  der  Betriebsbesebäftigten  gleichmäßig  gewahrt  werden, 
und  zwar  durch  eine  rationelle  Betriebsführung. 
Schwere  Erkrankung  Wilsons. 
WTB.  Washington,  1.  Februar.  Na»  einem  hier  ver -
öffentlichten  ärztlichen  Bericht  bat  das  Befinden  Wilsons  nach 
einer  schlaflosen  Nacht  eine  Wendung  zum  Schlimmeren  ge -
nommen.  Die  Kräfte  schwinden.  Der  Zustand  ist  sehr  ernst. 
Das  Wirtshaus  zur  Kapelle. 
Roman  bm  Gustav  Schröer. 
130]  
Die  Deutung  machte  richt  die  kleinsten  Schwierigkeiten,  wuchs 
von  selber  auf,  und  die  Wiedergabe  des  Gleichnisses  war  ein  eigenes, 
lebendiges,  freudiges  Schafen. 
Es  war  kirchenstill  und  feierlich,  Wolf  Schmidt  säte,  und  wenn 
er  in  der  Nähe  war,  dann  tauschien  die  Saatkörner  leise  zur  Erde 
nieder,  verfolgt  von  den  aifmerksamen  Kinderaugen,  die  in  dem 
Hilgendorser  Bauern  den  Mini,  sahen,  der  dem  göttlichen  Nazarener 
das  Gleichnis  ins  -Herz  gegeben  hatte.  Unter  den  hohen  Fichten 
am  Hange  aber  stand  ein  ater  Herr,  dem  es  ganz  warm  unter  der 
Weste  geworden  war,  fuhr  mit  dein  Finger  nach  den  Augen  und 
dachte:  Weiß  Gott,  ich  tausche  mit  dem  Jungen  dort! 
Die  Kinder  hatten  ihri  Lehrbücher  und  ihre  Tafeln  auf  den 
Knien  liegen.  Gerhard  Sastier  trug  den  Größeren  auf,  etwas  von 
dem  See  Genezareth  zu  scheiben  und  von  dem  Weizenacker,  der 
am  Wege  lag.  Er  nahm  sicl  der  Kleinen  an,  rief  dies  und  jenes  zu 
sich  heran  und  ließ  sich  aus  Jen  Büchern  etliche  Zeilen  vorleseu. 
Schulrai  Heinrichs  war  panz  sachte  näher  getreten,  hatte  seinen 
Hut  gegen  den  Lehrer,  der  ihn  nicht  kannte,  da  er  aus  einem 
andern  Regierungsbezirke  tarn,  gelüftet  und  sah  den  Kindern  über 
die  'Schultern  auf  die  Tafeln  _  ' 
Darauf  ließ  Saßner  die  Größeren  rechnen,  und  wieder  wuchsen 
leine  Ausgaben  förmlich  ane-  der  Erde.  Wieviel  wohl  Bauer  Schmidt 
Ke,  wieviel  er  ernte,  wie  hoh  er  also  feine  Arbeit  bewerten  könne, 
»an»:  Am'Wegrain  stand  ein  Apfelbaum,  von  dem  Saßner  wußte, 
daß  er  Adolf  Schmidt  in  der  Separation  zugesprochen  und  von  ihm 
bezahlt  worden  Ivar. 
Er  rief  über  das  Feld:  „Nachbar  Schmidt,  wie  hoch  ist  Ihnen 
der  Apfelbaum  angerechner  worden?" 
„Dreihundett  Vttrrk,"  gai  der  Gefragte  zurück. 
„Kinder,"  sagte  Saßner,  „da:'  ft  viel  Geld,  roaS?  Wieviel  hat 
der  Baum  wohl  voriges  Jahr  gel  tzigen?" 
.Drei  Zentner,"  antwortete  "elf  Schmidts  Junge. 
»Und  im  vorhergehenden?" 
.Zwei."  R 
»Ich  schätze,  dieses  Jahr  trägt!«  wieder  drei.* 
Daraus  ergab  sich  eine  Aufgabe,  an  der  alle  rechnen  konnten. 
Wieviel  in  drei  Jahren  zusammen?  die  Kleinen.  Wieviel  im  Durch- 
schnttt?  Die  Mittleren.  Wieviel  Einnahme  im  Jahre?  Das  ist 
die  Verzinsung  welches  Kapitals?  Wieviel  war  der  Saum  wert? 
Wieviel  Prozent  sind  dem  Bauern,  weil  man  das  Alter  des  Baumes 
und  Zufälle,  denen  er  erliegen  konnte,  Sturm  und  Blitzschlag,  ein- 
schätzte,  erlassen  worden? 
So  ging  es  von  Fach  zu  Fach  einen  ganzen  Vormittag  lang. 
In  den  Pausen  wurde  gespielt,  und  das  Lachen  flatterte  mit  den 
Schmetterlingen  um  die  Wette. 
Förster  Johannsen  war  herangekommen,  batte  den  Schulrat 
erkannt  und  ihm  einen  bösen  Blick  zugeworfen.  Als  die  «ckar 
heimwärts  ging,  kam  die  Rede  auch  auf  die  Spinnen,  die  ibre 
Netze  zwischen  die  Disteln  gehängt  hatten.  Nachdem  Saßner  allerlei 
über  daS  Leben  der  Tiere  gesagt,  nahm  Johannsen  daS  Wort. 
„Kinder,"  fagfe  er,  wißt  Ihr,  wie  niederträchtig  die  Spinne 
ist?  Nein?  Ich  will  Euch  mal  eins  fagena  Jedes  Spinnenweib -
chen  macht  seinen  Mann  tot.  Abscheulich,  waS?  Aber  so  ist  eS 
nun  einmal  in  der  Natur.  Wenn  Ihr  mich  fragt,  warum  das 
so  ist,  bann  kann  ich  Euch  das  auch  nicht  sagen.  Aber  macht  die 
Augen  auf.  lleberall  ein  unbarmherzige?  Kämpfen,  und  bei  den 
Menschen  ist  es  nicht  viel  anders.  Nicht,  daß  einer  den  andern 
auffrifet  bei  lebendigem  Lpibe,  aber  eS  ist  ein  Kampf,  und  wer  sich 
nicht  wehrt,  den  treten  sie  unter  die  Füße.  Tut  niemand  UeoleS, 
aber  wenn  Euch  einer  an  den 'Kragen  will,  bann  kommt  ihm  zu -
vor.  —  Na,  Kinder,  nun  fingt  mal  noch  ein  schönes  Sieb." 
Ein  Mädchen  stimmte  an:  „Der  Mai  ist  gekommen." 
„Ist  zwar  vorbei,"  sagte  Johannsen  zu  Saßner.  macht  aber 
nichts  aus.  ES  kommt  auk  beut  Herzen,  unb  barin  ist's  den  Kin 
bern  wie  Mai.  —  Herr  Saßner,  ich  gehe  mit  in  bie  Schule.  Der 
hinter  uns  kommt  unb  Ihnen  jedenfalls  schon  den  halben  Vor -
mittag  zugehört  hat,  ist  der  Schulrat  Heinrichs.  Ich  denke,  wir 
werden  ein  deutsches  Wort  miteinander  reden." 
Sie  redeten  ein  deutsches  Wort,  das  heißt,  Johannsen  redete 
es.  Er  langte  all  seinen  Groll  mit  beiden  Händen  au?  dem 
Herzen  heraus,  bis  kein  Krümelchen  mehr  darin  war,  aber  der 
Schulrat  dachte  gar  nicht  daran,  seine  Lehrer  zu  verklagen.  Als 
ihm  Johaitnsen  erzählte,  wo  die  verborgenen  Wurzeln  der  Gift- 
kräuter  lagen,  den  Vorsteher  einen  Schubjack  und  Adam  Süßeitgitt 
einen  dummen,  niederträchtigen  Nickel  nannte,  da  reichte  Schulrat 
'  Heinrichs  dem  zitternden  Wagner  und  dem  aufrechten,  freimütigen 
Saßner  die  Hand.  Nun  wisse  er,  wie  alles  bange  unb  fange  unb 
werde  die  Zuschriften,  die  etwa  noch  einliefen,  in  den  Papierkorb 
werfen.  Er  legte  Wagner  bie  Hanb  auf  die  Schulter:  „Herr  Wag -
ner,  wir  sind  miteinander  jung  gewesen  unb  sind  miteinander  alt 
geworden.  Ich  habe  Ihnen  nicht  mißtraut,  aber  ich  mußte  doch 
einmal  zum  Rechten  sehen.  Nun  ist  alles  gut.  Betrügen  Sie  sich 
nicht  selber  um  den  isegen  Ihrer  langen  Dienstzeit.  Sie  sollen 
einmal  nicht  mit  Verbitterung  au5  dem  Amte  scheiden.  —  Ruhe, 
Vater  Wagner,  Rube.  Ihre  Nerven  sind  reichlich  wett  herunter, 
und  wenn  Sie  längeren  Urlaub  haben  wollen,  dann  schreiben  Sie 
mir.  —  Guten  Tag,  meine  Herren.  Herr  Saßner,  Sie  haben  mir 
einen  schönen  Vormittag  bereitet,  und  ich  danke  Ihnen." 
Die  freundlichen  Worte  des  Schulrates  waren  für  den  alten 
Lehrer  eine  wahre  Erlösung.  Für  den  Augenblick,  ja  für  Tage 
vergaß  er  alle  Sorgen,  lachte,  war  witzig  wie  in  Cen  besten  Zeiten, 
glaubte  wieder  an  das  Gute  in  den  Menschen  unb  hatte  am  lieb -
sten  vor  lauter  Eifer  gleich  wieder  angefangen  zu  unterrichten. 
Johannsen  goß  ihm  Wasser  in  den  Wein. 
„Hermann,"  sagte  er,  „ein  merkwürdiger  Menich  bleibst  Du. 
Freust  Dich  über  das  Selbstverständliche  wie  ein  Kind  und  läßt 
Sieb  wiederum  vom  Selbstverständlichen  ans  dem  Geleise  werfen. 
Richtig  toaS  Kindliche?  wirst  Du  doch  immer  behalten.  Du 
kannst  doch  von  einem  Düngerhaufen  nicht  verlangen,  daß  er  nicht 
stinkt,  oder  von  einer  Tollkirsche,  daß  sie  nicht  giftig  ist.  —  Demut 
ist  eine  Sache,  mit  der  man  nicht  Mißbrauch  treiben  soll  —  Nein, 
mein  Alter,  feste  auftreten,  in  Langstiefeln  gehn.  Sollst  mal 
sehn,  was  das  noch  in  Hilgendorf  luftig  wird.  Das  jetzt  mit  der 
Schule,  das  ist  ein  kurzer  Ucbergang.  Die  zwei,  die  sich  heute  an 
Euch  die  Stiefel  abwischen,  die  kriegen  noch  reichlich  genug  mit -
einander  zu  tun.  Ich  würde  an  Seiner  Stelle  längst  mal  zu 
Adam  Süßengut  hinausgegangen  sein.  Tu  sollst  mal  sehn,  wie 
der  sich  freut." 
Dazu  überwand  sich  Lehrer  Wagner  in  seiner  schlichten  Ehr -
lichkeit  nicht.  Förster  Johannsen  aber  nahm  die  Gelegenheit  um 
so  öfter  wahr. 
Es  knitterte  nur  so  in  feinem  Gesicht,  wenn  er  mit  Süßen -
gut  sprach 
Johannsen  »and  mit  dem  künftigen  Wirte  in  der  leeren, 
kahlen,  großen  Gaststube. 
„Süßengut,"  sagte  er,  „da  muß  Lnhmiß  rein.  Am  Schmiß 
liegt's.  Gemütlich  muß  die  Bude  werden.  Rund  herum  Verläse, 
hing,  am  besten  Eiche,  ein  Meter  achtzig  hoch,  mit  Bordbrettern 
und  darauf  blanke  Krüge  und  Flaschen  und  Kannen.  In  die  beiden 
Ecken  geboren  Rundsofas  mit  schwarzem  Glanzleder  und  guten 
Sprungfedern.  Wer  da  draus  sitzt,  bars  gar  nicht  toieber  hoch 
kommen.  Dahin  muß  ein  grüner  Kachelofen  mit  einem  muschel- 
artigen  Aufsatz.  Wissen  Sie,  ba  hab'  ich  was  los.  Sa  können  Sie 
sich  ganz  auf  mich  verlassen." 
Als  Johannsen  gegangen  war,  zog  Süßengut  fein  Notizbuch 
und  schrieb  auf:  Eichene  Vertäfelung,  ein  Meter  achtzig  hoch. 
Bordbretter,  Kachelofen,  und  drei  Wochen  später  hatte  der  Förster 
die  Freude,  die  Handwerker  schon  an  der  Arbeit  zu  sehen. 
Vorsteher  Weiße  aber  fuhr  Süßengut  über  den  Kopf  drein. 
„Eichene  Vertäfelung?  Nimm  Kiefer,  kostet  nicht  halb  soviel,  sieht 
geradeso  gut  aus  und  ist  dauerhafter.  Und  RundsosaS?  DaS  ist 
den  Hilgendorfern  egal,  wie  sie  sitzen,  schaff'  ordentliche  handfeste 
Stühle  an,  aber  sorge  hernach  dafür,  das  waS  Richtiges  für  den 
Aiagen  ba  ist.  So  kriegst  Du  die  Leute.  Einen  Kachelofen  willst 
Du  baherfetzen?  Ist  das  Dümmste,  was  Du  machen  kannst.  Ich 
hab'  meinen  wieder  aus  der  Stube  geworfen.  Setz'  einen  eiserne 
bin,  ordentlich  eine  breite  Wasserpfanne  daran,  baß  Du  im  Winte 
bie  Bierwärmer  füllen  kannst." 
So  luaren  sie  hintereinander  her,  der  Forster  und  Vorsteher 
Weiße,  keiner  wußte  vom  andern  in  der  Sache,  aber  die  Oberhand 
behielt  Johannsen. 
Süßengut»  Frau  stand  trotzig  zur  Seite.  Sie  gab  ihrem 
Manne  kein  gutes  Wort  und  rührte  bei  dem  Bau  keine  Hand  an. 
duldete  auch  nicht,  daß  ihr  Mädel  mit  dem  Vater  zusammen  Pläne 
schmiedete,  aber  wenn  die  Mutter  auS  dem  Hause  ging,  dann  bock -
ten  die  zwei  zusammen.  
Mutter  Kolbe  war  besorgt  gewesen,  als  sie  von  der  Entstehung 
eines  zweiten  Gasthauses  gehört  hatte. 
„Hans,"  sagte  sie  zu  Wohlgemut,  „ich  häile  doch  verkaufen 
sollen.  Nun  wird  das  vißck>en  Verkehr,  daS  ich  noch  habe,  ganz 
Nachlassen,  und  die  Kapelle  wird  immer  minderwertiger.  Sus 
meine  alten  Tage  sann  ich  keinen  Wettlauf  mehr  mitmachen,  zumal 
nicht  mtt  dem  Süßengut."  (Fortsetzung  folgt)