HamburaerEcho AiVia trtAtIA aImwaI kAW Q AJiUaaM A A A A — * — — - ... ■■ Preis 10 4 •«* ^emlmee«« O«io «rftfjrtnt lSgllch einmal, «»her de» r. Srtertage». V tn «el4*m«rt die 11 flefpetlee« H w IBu^Danbtung: $el>lan. strafe 11, Lrdgclchotz Aernlprecheri Ulke 1682. «uchdru-tereikontor: Zehlandslr 11, l. Stock. 3crnfpr. : 8ibe 6620 u. 662L Be .ugepreie: Monallich 2,00 Ml., ohne .Lachen links 2,2» TOL «>och.-nllich 0,70 Ml., ohne .Lachen link«' 0,55 TOL, kür Addoier 0,05 TOk., o .ne .Lachen link«' 0,50 TOL Auch durch die Poft zu beziehe», «edaktion Fehlandftrafte 11, erster Siock. Fernsprecher, Lide 1691 und 1693. MeeiUejelle 40 Pi Vrteete Fo»iiie«anzetgen 25 Pi »teilen- »»geböte 50 PI »ieftengelnche 25 PI Oleine Anzeigen dl« 9 »leiten Me Zeile 25 PL. 10 bi« 15 Zelte» die Zeile 50 PI «eflamejcU« 3 TOL Anzeige» müssen Im oorau« oder feiert bezahlt werden •tmH*0«>M""»>4m« SeblanMIe II Fernfpr. Slbe l6Mi. fiodiparl. (»II 2 Ahr «»end« kur de» leigenden Tag!, In den Flint en i dl« 3 Uhr und dt «lle» Annoncenbureau« Pta», und Dateuoorichrilie» unoerbindllch. Hamburg21ltonaerDolksdlatt Gegründet 1875 Nummer 285 Freitag, 15. Sttover 1926 52. Jahrgang Weidemanns AnW zur Werbeweche der SW. Vom allen zum neuen Sinnt. Hamburg sah gestern abend wieder einmal eine jener riesenhaften politischen Kundgebungen, wie sie in unserm Städtegebiet nurdiesozialdemokratische Partei zustande bringt. Wenn die Nationalisten oder die Kommunisten demonstrieren wollen, dann müssen sie wochenlang vorher Tamtam schlagen und eine Barnum-Reklame entfalten, um ihre Säle zu füllen, was ihnen oft genug noch nicht einmal ge - lingt. Bei der gestrigen Versammlung der Bezirksdelegierten und Betriebsvertrauensleute der Sozialdemokratischen Partei Hamburgs hatte die Ankündigung Scheidemanns als Redner genügt, um nicht nur den großen Saal des Gewerkschaftshauses mit sämtlichen Nebenräumen bis auf den letzten Platz zu füllen, sondern es war auch vor dem Gewerkschaftshaus noch eine zweite Masienversammlung aufmarschiert, deren Teilnehmer- zahl der im Saal mindestens gleichkam. Die Reichsbanner- abteilungen, die diesen Aufmarsch zum Empfang Scheide - manns ausgefülzrt hatten, gaben damit dem Vorabend der sozialdemokratischen Werbewoche den Sinn, den die ganze Werbearbeit für die Partei in diesem Augenblick nur haben kann. Scheidemann formte diesen Sinn in der kurzen An - sprache vom Balkon und ausführlicher in seinem Referat „Vom alten zum neuen Staat" in Worte von zündender Wirkung und durchschlagender Ueberzeugungskraft. Er sagte: „D i e Republik muß in b i e Hände von Republi- innern kommen." Eine Selbstverständlichkeit scheinbar, und doch nicht selbstverständlich, wie die gegenwärtigen Zu - stände in der deutschen Republik und die Unklarheit in der eigenen Partei den innerpolitischen Problemen gegenüber deut - lich genug erweisen. Scheidemanns Rede ging diesen Zu - ständen und dieser Unklarheit mit offenherzigster Kritik zu Leibe. Es war keine Agitationsrede in dem üblichen Sinne, sondern mehr eine Art Rechenschaftsbericht; es war auch nicht nur Kritik an den Gegnern, sondern weit mehr an der eigenen Partei; es war kein Schlagwortregister, sondern eine ernste Gegenüberstellung von Tatsachen, die zu ebenso ernster Nach - prüfung anregen sollte und auch unmittelbar dazu angeregt hat, wie die darauffolgende Diskussion zeigte, die ein geistiges Ringen darsteltte, aus der alle Zuhörer Gewinn ziehen konnten. Scheidemann hat nicht viel eigentlich Neues gesagt. Toch wer wollte leugnen, daß es ganz außerordentlich nützlich war, den Jüngeren, die es nicht missen können, aber auch den Ael- teren, die es schon allzusehr vergessen haben, ins Gedächtnis zu rufen, wie die Lage der Arbeiterklasse im alten Staat wirklich gewesen ist. Wenn heute kein Kampf um das allgemeine, gleiche Wahlrecht von Frauen und Männern mehr geführt zu werden braucht, wenn die ge - setzliche Regelung der Arbeitszeit, die Arbeitslosenunterstützung, bas Mitbestimmungsrecht der Gewerksck-aften beim Arbeits - vertrag, die Grundlage einer allgemeinen Volkserziehung und noch so manches andere geschaffen ist, wovon im alten Staat nicht die Rede fein konnte: sind es denn nicht Ziele der Sozialdemokratie, die damit nach jahrzehntelangem Ringen endlich erreicht worden sind? Und müssen diese Er - folge, selbst wenn sie uns nicht genügen, weil alles im Leben unvollkommen ist, nun erst recht anspornen, auch die weiteren und höheren Aufgaben der Partei zu erfüllen! In der Tat: könnten wir es in der Werbewoche, allen Arbeitern, Beamten und Angestellten, allen Angehörigen der bisher unterdrückten Volksklasien einmal wieder unmittelbar fühlbar machen, wie sie früher behandelt worden sind, wenn sie politische Rechte geltend machen wollten, es würde in manchem Kopf hell werden und das fruchtlose Räsonnieren über die Zustände im heutigen Staat würde dem festen Willen Platz machen, selbst mitzuwirken, damit es vorwärts und nicht wieder rückwärts geht. An einen Rückblick auf die mannigfachen Jrrgänge der deutschen Politik, auch in den Jahren der jungen Republik, wie sie sich bei verschiedenen Koalitionsbildungen, bei der Fürsten - abfindung, in der Stellung der Justiz und der Reichswehr zum neuen Staat usw. gezeigt haben, knüpfte Scheidemann die Frage: aus welche Weise die Sozialdemokratie zu stärkerem Einfluß in der von ihr geschaffenen Republik kommen könne. Die Antwort lautet: Durch aktive Politik! Wiederum also: die Sozial - demokratie muß als stärkste republikanische Partei danach trachten, aktiv an der Regierung der Republik beteiligt z u fein! Das muß die aus reinem, ge- funbem KraftbewußtscinK entfpringenbe Losung für unsere Werbearbeit fein. ▼ Es soll aber nur unsere grunbsätzliche Auffassung von ben Aufgaben ber Sozialdemokratie im neuen Staate klar be - stimmen, ohne daß damit schon die Frage der Regierungs - beteiligung in jedem Falle entschieden sein soll. Insbesondere wollte Scheidemann damit nicht schon jetzt die Frage ent - schieden haben, ob die Sozialdemokratie der großen Koalition in Preußen ober bem Eintritt in bie Reichsregierung ihre Zustimmung geben soll. Nur dafür plädiert er mit aller Energie, daß man sich auf den Standpunkt stelle: entweder ist eine Regierung so schlecht, daß wir uns unter keinen Umständen an ihr beteiligen können, dann müssen wir sie aber auch rücksichtslos bekämpfen! ober aber: eine Regierung ist so, daß wir sie von Fall zu Fall tolerieren, dann müssen wir danach trachten, in sie hineinzukommen, um in ihr und mit ihr für die Durchsetzung unserer Forderungen zu kämpfen. Kampf also gegen bie Regierung ober mit ber Re - gierung, aber Kampf auf alle Fälle; nicht ein fatalistisches Verhalten, bei bem wir uns von ben Ereignissen treiben lassen, statt sie nach unserm Willen zu lenken. Trotz mancher gegensätzlichen Auffassung, bie in ber Aus- spräche vertreten wurde, kam ber Geist, von bem bie ganze Versammlung beseelt war, einmütig in bem Gelöbnis zum Ausbruck, bie Partei mit biesem Karnpfwi11en unb mit bieser Entschlossenheit zu aktiver Politik zu erfüllen. Keine Partei, so betonte Scheibemann in feinem Schluß - wort mit Recht, kann es sich am Beginn einer Werbewoche leisten, mit solchen Offenherzigkeit Selbstkritik zu üben, wie bie Soziatbemokratie es tut. Währenb bie sogenannten Volks - parteien von rechts ihre taktischen Probleme nur in ge- schlossenen Führersitzungen behanbeln unb nach braufjen nur Paraben abhalten, währenb in ber kommunistischen Partei jebe Opposition mit bem Hinauswurf bebroht ist, kann bie Sozialbemokratie vor jeber Volksversammlung alles aus - sprechen, was sie bewegt. Sie kann es, weil so viel gesunbe Kraft in ihr steckt, baß jebe zersetzenbe Kritik von selbst abfällt. Aus bem Ringen ber Geister aber, bie nur bas Beste für bie Partei unb bamit für bas Wohl bes Volkes wollen, gewinnt sie ben Ueberblick über bie eigene Stärke unb ben Mut zur Er - oberung neuer Machtpositionen. Voraussetzung aller politischen Macht im bemokratischen Staat ist bie zahlenmäßige Größe ber Organisationen unb bie Verbreitung ihrer Presse. Dafür, baß biefe Erkenntnis in weiteste Parteikreise bringt, hat bie gestrige Scheibemann-Versammlung vorbilblich gewirkt. Großer Wcrfelg der hWihben - Sozialisten. SPD. Stockholm, 13. Chober. Am Mittwoch sind nach fast 14tägiger Ausrechnung die Wahlergebnisse Ser Provinzialwahlen in Schwellen belannigegeben worden. Tie Sozialdemokratie hat 76 Mandate gewonnen. Sie har jetzt 444 Sitze inne. Die Freisinn gen und die Bauern - partei haben sich mit je 160 Sitzen ungefähr behauptet. In Den Verlust teilen sich bie Konservativen, die 43 Litze verloren, unb bie Liberalen und Kommunisten, die mit 21 unb 14 Sitzen jede Be. beutung verloren haben. Ueber die Beherrschung bet Provinzialparlamente hinaus haben diese Wahlen noch eine große politische Bedeutung. Die erste Kam - mer wird aus Vertretern der Provinzen zusammengesetzt. Damit Hai zum zweiten Mole seit 1924 bie Sozialbemokratie in ein Bollwerk der Reaktion eine mächtige Bresche ge. schlagen. KoalttivnMagen. Verkoppelung Reich - Preußen. Die Aussprache der preußischen Ministerpräsidenten mit Stier» freiern der KoalitionSparteten ergab grundsätzliche Bereitschaft auch Ser Sozmldemokratie zur Großen Koalition, aber bie Entscheidung wird vertagt bis zum 4. November unb soll bann gleichzeitig auch die Regierungsgrundlage im Reiche betreffen. Der Reichstag ist endgültig zum 3. November einberufen. In diesem Sinne wird Otto Braun der Volkspartei Mitteilung machen. Boltsvartkl verstimmt. Di« Tägliche Rundschau bemerkt zu ber Vertagung: Man kann sich vorstellen, daß diese Art, eine wichtme Frage zu behandeln, in ber Deutschen Volkspartei eine starke Mißstimmung hervorgerufen bat. SBenn bie weiteren Verhandlungen unter diesem vorläufigen Abschluß zu leinen haben, so wird man die Stierantwortung dafür nicht der Deutschen StiolkSpartei zujchceiben dürfen. Landbund verärgert. Der Bundesvorstand des ReichSlandbundeS hat eine Ent- fchließung gefaßt, in der eS heißt, daß ber Re^chSlandbund (eben Schnitt, ber geeignet ist, Sen Einfluß der Sozialdemokratiscben Partei zu schmälern, begrüßt, daß et jedoch in dem Beitritt der Deutschen Volkspartei zur jetzigen Parteiregierung in Preußen keinen derartigen Schritt sieht. Diese Bedenken würden durch bie Tatsache verstärkt, baß bie Sozialdemokraten den Beitritt der Dem- scheu Volkspartei in Preußen von einer gleichen Entwicklung :m 'Reiche abhängig machen. Silverberg und die Industriellen. Gegen bie Dresdner Rode Silverbergs hatten die Schwer, industriellen in ihrer Vereinigung Stellung genommen. Darauf faßte am Donnerstag der Vorstand de? ReichsverbanbeS der Deut - schen Industrie einst'mmig bie folgende Entschließung: „Sie Mit - glieder des Reichsverbandes ber Deutschen Industrie sind bei ihren Reden und Vorträgen in keiner Weise gebunden. Sie haben bar Recht, ihre Meinung stet m äußern und sind keinem MehrhettS- beschluß unterworfen. Präsidium und Vorstand sind ber Auffassung, baß sowohl da? Bekenntnis ber Unternehmerschaft zum Staat, als auch bie Aufforberung zur Zujam. menarbeit zwischen Unternehmerschaft unb Ar - beiterschaft nur eine neue Betonung ber auch bisher von ben Spitzenorganisationen der Industrie verfolgten Ziele darstellen. Prosd-um und Vorstand des ReichSverbandeS der Deutschen Fn- Suscrie begrüßen alle Bestrebungen, bt« geeignet sind, die Zn- iammenarbeii zwischen Den Unternehmern und Arbeitern zu für» Sern. Zu ben parteipol'tischen und parieitakiischen Auslegungen unb Auswertungen Der Rebe bes Herrn Dr. Silverberg nehmen Präsibium und Vorstand keine Stellung, da es nicht Aufgabe des ReichsverbanbeS der Deutschen Industrie ist, Parteipolitik zu treiben.' .her mH bem Mlstimbeistag! Erregte Aussprache im Internationalen Arbeitsamt. Genf, 14. Oktober. Im Derwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, ber am Donnerstag feine Dreitägige Herbsttagung begann, kam e» anläßlich der Beratung des Tätigkeitsberichts zu einer großen und erregten Debatte über bas Washingtoner Arbeitszeilabkommen. Es gab so etwas wie eine allgemeine Offensive der Arbeitervertreter. Den schärfsten Vorstoß führte der französisch«! Gewerkschafts- Vorsitzende Jouhaux. Als Deutschland seinerzeit die Arbeitszeit der- längert habe, hätte bas Arbeitsamt formell Verwahrung eingelegt. Nunmehr liege bie ArbeuSzeitverlängerung in Italien vor, unb bal Arbeitsamt habe nicht den Mut, dagegen aufzutreten. ES handle sich hier um Wortbruch im schlimmsten Sinne be« Worte»! T i e Arbeiterschaft müsse überlegen, ob sie dem Internationalen Arbeitsamt nicht ben Rücken kehren solle, wenn da» so weitergehe. In gleichem Sinne äußerte sich ber englische Arbeiterführer Poulton. In diesem Zu- sammenhang wurde auch die Arbeitszeitverlängerung im eng! schen Bergbau einer heftigen Kritik unterzogen. Die Regierungsvertreter aller Länder verhielten sich gegenüber diesem geeinten Ansturm der Arbeiterdelegierten zurückhaltend und äußerten nur gelegentliche Entschuldigungen. MenzdllernabMimg und Nerwandkes Heute wird ber preußische Landtag die Schlußberatung ber Fürstenauseinandersetzung vornehmen unb trotz der zu erwartenden kommunistischen Lärmszenen auch beenden. Eine kleine Probe ließen die Kommunisten gestern vorauSgchen; sie schickten eine Wilmer»- borfer Aborbnung in den Landtag, bie ben FraktioirSvorstand der Sozialdemokratie zu sprechen verlangte. Heilmann fragte, ob die Demonstrierenden zur Sozialdemokratischen Partei gehörten. Sie verneinten da» unter lauten Schmähungen unb gaben sich all Kommunisten zu erkennen. Daraus roanbte Heilmann sich ab, hinter ihm prasselten wüste Beschimpfungen, ber herbeieilende Präsident Bartel» wurde mit dem Geschrei »Arbeiterverräter" empfangen. Heute früh schimpft bie Rote Fahne weiter. Die demokratischen CanblagSabgeorbneten Greßler und Hermann, bie gegen ben Vergleich gestimmt hatten, erklärten sich in ihrer Fraktion bereit, heute bei Abstimmung fertyubleiben. Dem preußischen Staat verbleibt nach der Annahme de» Ver - gleichs mit den Hohenzollern noch bie Auseinandersetzung mit ben sogenannten früheren Stan de Sherren. ES handelt sich hier um Gesamtsordkrungen an den preußischen Staal in einer Höhe von jährlich 2,1 Millionen Mark, eine Summe, die kapitalisiert einem Betrag von rund 60 Millionen Mark gleichkäme. Einstweilen zahlt der preußische Staat 30 % ber früheren Renten. Dos genügt den StandeSherren natürlich nicht. Sie haben nie Arben gekannt unb denken, auch in Zukunft auf Kosten der preußischen «teuerzahler zu leben. Ihre Forderung lautet auf eine hundertprozentige Aus - wertung, trotzdem ben sterblichen Rentnern brirch Gesetz kaum ein Drittel der ehemaligen Ansprüche zugebilligl worden ist. Wahr - haftig, so frech können sich nur Prinzen unb Star''"' 'nen benehmen. 6o gröhiro aus Sols „Ich pfeife auf eine Republik, die mich verhinderi, meinen Kindern die für ihren künftigen Herrscherberuf notwendige militärische Ausbildung zu geben." Gvttwert Angram und sein Werk Roman von G u st a v Schröer. [64] Am andern Morgen war Johannes Siebert frühzeitig puf dem Jngramhofe. Er kam wahrlich um keine Kleinig - keit. Die Masten des Krastwerres am Psafsenberge standen auf Rödelscher Flur. War es nicht lächerlich, da nicht ein Transformatorenhäuschen Hinzufetzen und den Anschluß her- rustellen? Statt die Gelegenheit auszunutzen, quälte man sich mit der Tampfdreschmaschine und brachte die Gebäude all Tage in Gefahr. Kannte nicht schon heute ein Brand entstehen? Ingram sah dem Schwiegersöhne bei seinen Darlegungen [ragend in die Augen. Des jungen Mannes Sprache war schärfer als sonst, beinahe ein wenig anmaßend. Es kam daher, daß er selber das Widersinnige seines Vorschlages fühlte. Ter Schwiegervater musterte ihn van unten bis oben. „Hast Du schon einmal jemand gesehen, ’p« sich selber in das Gesicht schlägt? Hältst Du ausgerechnet mich für so dumm, das zu tun? Ja) soll aus der Mauer, die ich müh- !ain genug erbaut habe, den ersten Stein brechen? Ein dißchen viel verlangt, Johannes. Du kommst mir mit der Feu.rsgefahr? Darüber brauchen wir überhaupt kein Wort iu verlieren. Du weißt selber alles, was ich zu sagen hätte. 7" Ist noch etwas? Sonst alles in Ordnung? Sag Frieda, ! ,e möchte gleich nach dem Essen einmal herunterkommen. Ich fahre vielleicht heute abend noch fort." Siebert knurrte, aber er blieb noch eine Weile. Er ^artete darauf, daß Ingram von seinen Besuchen in Döllern bräche. Es geschah nicht. Er belauerte Dore und den Schwiegervater. Was er zu erluchsen hoffte, war nicht da. 'iicht einmal soviel, wie früher dagewesen zu fein schien. Kein unreiner Hauch unb doch etwas Neues. Dore sah Johannes Siebert kaum an. Eine ganz große, reine Ruhe schien über sie gekommen zu fein. Als er heim kam, bestellte er feiner Frau: „Der Alte läßt Dir sagen, Du sollst nach dem Essen hinunterkommen. Viel - leicht sollst Du mir nachher den Kopf waschen. Ich freue mich schon braus. — Mit dem Anschluß wird es natürlich auch nichts." „Mit was für einem Anschluß?" „Frage nicht so dumm. Draußen stehen bie Masten." „Das hast Du vom Vater verlangt? Johannes, hast Du denn kein Empfinden dafür, daß das bem Vater geradezu verächtlich fein muß?" „Aber Frauchen, ich bin boch kein Ingram," sagte ber Mann höhnisch. „Nein. Unb Du wirst auch nie einer werben." „Dafür bin ich der Siebert, ber bazumal ben Schulzen Ingram aus bem Wasser holte. — Was sagst Du bazu. He?" Frieba senkte ben Kopf. Dieses Geschütz fuhr ber Mann jetzt immer auf. „Unb bas onbere stimmt auch nicht," rebete er spöttisch weiter. „Ich habe gedacht, hahaha; ich habe gedacht, ber Alte wollte Dore Heierle heiraten." „Johannes!" „Tu nicht so. Ganz ohne Ist es nicht gewesen. Er will sie nicht heiraten, aber haben tun bie zwei etwas miteinander. Vielleicht sagt sie es Dir." So traurig war Frieda Ingrams Ehe geworden. Nun saß sie vor ihrem Vater. Ingrams Stimme war so ruhig wie immer. Seine Augen aber schienen noch tiefer als sonst zu sein. „Frieda, ich weiß nicht, wie wir heute auseinandergehen werden; aber ich bitte Dich, nichts zu übertreiben und zu überstürzen. — Tore Heierle ist Deine Schwester." Die junge Frau schwieg. Sie zwinkerte nur mit ben Augen, als führen Blitze vor ihr auf unb nieder, unb sie legte bie Hänbe fest auf bie Stuhllehne. Auch Ingram schwieg eine Weile. Dann begann er mit ein klein wenig erhobener Stimme: „Gestern habe ich es erfahren. — Hast Du nichts dazu zu sagen?" Nein, sie sagte nichts; sie schlug die Hänbe vor bas Ge - sicht. Sie schrie nicht auf; sie weinte, tief unb erfdjütternb, neigte sich zur Seite, legte ben Kopf auf bie Stuhllehne unb — weinte. So hatte Frieda Ingram in ihrem Leben noch nicht geweint. „Warum weinst Du denn so, Frieda?" Unb unter zerbrochenem Weinen: „Vater, auch Du!" Ingram nickte. „Siehst Du, das ist es. Auch ich! Nun geht bem Ehrenmanne das Fundament unter ben Füßen fort, nun ist ber Dorfitzenbe ber Gesellschaft . . ." „Nein, Vater, nein!" „Was benn?" „Es hat mit der Gesellschaft, mit Ehren unb Aemtern gar nichts zu tun." „Also nur mit bem Menschen?" „Ja, nur mit dem." „Unb ber ist Dir nun klein, währenb er vorher groß war, ber ist Dir schmutzig, währenb er vorher rein war. Er ist — wir wollen einmal bas Ding beim richtigen Namen nennen — auch nicht anders, als Dein Mann; nur, ber eine so, der andere so." Friedas Tränen stockten; sie starrte ben Vater an, ber in ihr las wie in einem offenen Buche. „Kind, wir wollen es kurz machen. Ich denke nicht daran, etwa Verzeihung von Dir zu forbem. Du hast nicht über mich zu richten; wenigstens unterwerfe ich mich keinem Urteil, unb Du hast mir nichts zu verzeihen. Ich schlage bie Augen nicht nieder und schäm» mich nicht. Borel Mutter war bei uns auf bem Hose, wir waren beide jung. Wozu darüber reden? Sie ist ein stolzes Weib gewesen. Ich aber habe nichts gewußt bis gestern. Nicht ein Wort. Meinst Du, ich hätte mein Kind verleugnet; meinst Du, ich hätte es Mutter nicht gesagt; meinst Du, Mutter hätte darum auch nur ein Jota weniger von mir gehalten? Seit wir ver - heiratet waren, nein, feit wir uns versprochen hatten, bin ich Mutter treu gewesen." „Vater, ich muß mich erst darin zurechtfindcn," sagte Frieda leise unb bemütig. „Ich lasse Dir Zeit; aber es ist gut, wenn Du allmählich ans ängst, bas Leben zu sehen, wie es ist; nicht, wie Du es haben möchtest." In dem jungen Weibe war bas Unterste zu oberst ge - wühlt. Langsam fing sie an zu ordnen. Ingram beobachtete sie Er sah, wie es in ihr arbeitete, wie sich eine Falte in ihrer Stirn immer tiefer grub, wie sie ruckweise die Hände bewegte. Sie ging zurück, bas Licht ber Erinnerung in ber Hanb, leuchtete in ber Tage bunfelfte Ecken und fand nicht ein Stäubchen. Vater unb Mutter! Immer war reine Luft im Hause gewesen. Das Vaters Wachsen nach außen hin! Von Würbe zu Würde und doch immer der Bauer Ingram, der nie mehr fein wollte. Dann bas Ringen ber letzten Jahre um bas Werk, bas einem ganzen Landstrich ein anderes Gesicht geben sollte, bas bie Erfüllung heiliger Verpflich - tung ihres Geschlechtes war. Wachsen, wachsen und doch kein innerer Wandel. Er war immer groß gewesen. Unb wieder nahm sie das Licht ber Erinnerung unb ging ihres eigenen Hauses Kammern durch. Tote, starre Augen aus allen Winkeln. Es warb immer kälter, immer ober, denn — es warb immer erbärmlicher. Da neigte sie sich über des Vaters Hand unb preßte ihre hoißon Augen darauf. (Sorticfiung foiat)