HamburgerEcho IM (f bi «ri*Htotti bü II gefbolitn« «0» *areUU«eti< 40 Pf. Vri»«t« #aMtll engiboti 80 Pf. •t«atnghe>, lUlMM. r ~ — am-« Puchbandlun«: FehlanbNrahe II, arbtzesch. Sernlprcdier: <§. 2(Hbe«620. WCOtÜttOtt 1875 Puchbruckereikontor: Aehianbftr. 11, I. jernfpr.: (0.2) albe 0620 u. 6621. «Hummer g Montag, 10. Januar 1927 53. Jahrgang Abtntturergtnlk und Gesellschaftstrottel. $aljc4)cr Prinz. / Untertänige Hsjf«hranzen und Offiziere. Am 18. Oktober 1906 hatte ein alter Zuchthäusler, der Schuster Vogt, einen witzigen Einfall: er machte sich den Re - spekt vor der Uniform nutzbar zu einem Handstreich auf die Stadtkasse von Köpenick. Das graue Elend schüttelte den schon älteren Mann, sein Magen knurrte und der Wind pfiff durch feine dünne Kleidung. Da legte er alles Geld, was er auf - treiben konnte, als Betriebskapital für einen Geniestreich an; er kaufte sich beim Trödler eine alte Hauptmannsuniform, nahm In der nächsten Bedürfnisanstalt die Umwandlung aus einem Vagabunden in den Angehörigen des „ersten Standes" vor. Nachdem so aus der schmutzigen Raupe ein bunter Schmetter - ling geworden, ging Vogt fürbaß seines Weges au» Berlin auf Köpenick zu. Unterwegs trifft er eine Jnfanteriepatrouille, sie folgt in Kadavergehorsam seinem Kommando zum Rathaus in Köpenick. Dort wird das Bürgermeisterbureau heimgesucht, und als das Oberhaupt der Stadt die reisige Kriegsmacht vor sich sieht, liefert er anstandslos die Kassenbestände aus; selbst - verständlich wird darüber Requisitionsquittung erteilt: im Staat des Militarismus unb der Bureaukratie muß selbst die Gaunerei in Ordnung vor sich gehen. Schuster Vogt wurde später gepackt unb von ber entrüste - ten Justiz ins Gefängnis geschickt. Aber ber Mann hatte aus» gesorgt; als er die Staatspension verließ, riß bas Ueberbrettl sich um ihn. Harry Domela, ber in Köln vor seiner Abfahrt zur frmrzösischen Frembenlegion festgenommene falsche Prinz, hat ben Vogt überköpenickt; ber arme Schuster hatte zwar witzig gehanbelt, ein kleiner Gauner blieb er aber trotz - dem. Domela dagegen hat G r ö ß e entfaltet. Er wird in die Weltgeschichte eingehen, sein Name und sein Tun leuchtet als Symbol der Gesellschaft von gestern, die in der Republik von heute eine leider vielfach noch bestimmende Rolle spielt. Auch er ist ein Opfer sozialer Not, aber der Not jener, die durch den Krieg unb seine Folgen bie Grunblagen ihrer Existenz ver - loren haben. Er ist ber Sprosse eines zarisch-russischen Lega - tionsrates, unb zwar vom lettischen Adel, der ja dem Zaris - mus eine lange Reihe getreuer Helfer gestellt hat. Die Mutter des Domela entstammte der bekannten baltischen Adelsfamilie der Kayserling. Domela ist 1904 geboren, er hatte eine sorg - fältige Erziehung genossen und sollte einst gleichfalls eine Zierde der russischen Diplomatie werden. Aber 1917 brach der Zarismus nieder, Domelas Ellern wurden ermordet, er. mußte flüchten und fand Aufnahme bei den deutschen Daltikumern, unb zwar in bem Freikorps be» Major v. Brandes. Später ging er zur Reichswehr und er hat teil - genommen an der Schlächterei- gegen die aufständische Ar - beiterschaft im Ruhrgebiet. Für den dauernden Dienst in der Reichswehr war Domela jedoch zu jung, er wurde entlassen und trieb sich bann vagadunbierenb in Norbdeutschland herum. Nützliche Arbeit hatte er nicht gelernt, Arbeit war auch schwer zu finben. So würbe Domela hintereinanber in Berlin brei- mal wegen Diebstahls bestraft. Vorübergehend findet er Auf - nahme in einem Flüchtlingsheim, wandert dann wieder, kommt auch nach Hamburg, findet nirgends ein festes Unterkommen. Und verlumpt natürlich immer mehr. Fm feudalen KorvS Saxo-Vorufsta. Domela wußte sich zu helfen, et ging nach Heidelberg und stellte sich dort dem Korps Saxo-Borussta als Prinz von Li - ve» und Reichswehrkavallerieoffizier vor. Diese studentische Ver - bindung ist das feinste, was man hat. Ihr gehören aus - schließlich Adelige an; in Verbindung mit den Borussen in Bonn, denen auch Wilhelm II. als Prinz angehörte, stellen dis Saxo-Borussen dem Staat die höchsten Würdenträger. Erster Chargierter ist jetzt Graf Rothkirch-Trach. In zerrissenem und geflicktem Anzug erschien Domela vor ihm, dennoch wurde der edle Graf nicht stutzig, er knickte vielmehr tief und machte sich eine Ehre daraus, den erlauchten Prinzen als hochgeehrten Gast im Korps aufzunehmen. Dem vernehmenden Polizei- lommiffar in Köln hat Domela erzählt: „Es wurde mir versichert, das Korps würde es sich zur Ehre onrechnen, mich während meines Heidelberger Aufenthaltes als Gast zu behandeln. Ich durfte selbstverständlich nur bei den Saro-Boruffen essen, wurde non ihnen untergebracht, zum Fecht, hoben geführt und Tag und Nacht freigehalten. Ein Herr v. Herz - berg, der sich auf parvenümäßige Art an mich herandrangie, machte sich das Vergnügen, mir mit kleineren Beträgen bis zu 250 Jt aushelfen zu können. Es gefiel mir so in Heidelberg, dag ich beabsichtigte, länger dazubleiben., Da erschien eines Tages ein alter Herr des Korps, der Gras von Arnim» Boitzenburg. Ich wurde ihm natürlich vor - gestellt. Er redete mich an: „Ah, Durchlaucht sind beim 4. Reiter - regiment in Potsdam, da kenne ich ja alle Herren", und er fragte nach einigen angenommenen gemeinsamen Bekannten. Mir siet das Herz in die Schuhe, aber ich sagte mir sofort, hier kann dich nur Frechheit retten. Und ich erwiderte: „Mein lieber Graf, ich liebe nicht, mich ausfragen zu lassen. Wenn Sie etwa» über die Offiziere wissen wollen, dann sehen Sie gefälligst die Rangliste nach." Durchlaucht hin und Durchlaucht her, eine große Sauferei beginnt, Domela säuft alle unter den Tisch. Also sogar in ihrer Spezialität erwies sich der Abenteurer den feu - dalen Studenten überlegen. Weil ihm die Rolle so gut gelungen war, beschloß Domela, im gleichen Stile fortzufahren. Als Naron Korff in Thüringen. Nun kommt die Darstellung der bekannten thüringischen Abenteurerfahrt, auf der Domela sich als Baron v. Korff auf - führte und durchblicken ließ, er sei der älteste Sohn des ehemaligen deutschen Kronprinzen. Er wußte fa - mos den Ton zu treffen, schnauzend gegenüber dem Hotelpersonal, abwechselnd schneidig und verbindlich gegen gesellschaftliche Größen. In Gotha, in Weimar, in Erfurt, überall fallen die-Zierden jener Gesellschaft, die sich nach Rückkehr des Kaisertums sehnt, auf den Schwindel herein. Allen ist ec- „eine be - sondere Ehre, königliche Hoheit begrüßen zu dürfen". Die Geld - beutel, die zur Steuerleistung an die Republik so schwer auf - gehen, öffnen sich von selbst. Baron v. Korff verlebt vergnügte Tage. SofgeseNfldaft einfach verrückt. Nachdem ihm ein Arzt mit einem größeren Geldbetrag aus - geholfen hatte, begibt er sich nach Berlin. Er wohnt als Prinz Wilhelm von Preußen im Hotel Habsburger Hof am Askanischen Platz. Bei seiner Rückkehr nach Erfurt wird er von bem Besitzer des Hotels Kossenhaschen, einem Kommerzienrat, auf dessen Schloß Kreuzburg eingeladen. Er begibt sich mit seinem Gastgeber nach Gotha. Bei seinem Eintreffen wurde ihm im Vestibül des Schlosses von Mitgliedern des früheren Hofes ein feierlicher Empfang bereitet. Fast die gesamte Hofgesellschaft ist aufmarschiert, darunter der frühere Ministerpräsident Bassewitz, die Freiherrn v. Wangenheim, v. Blücher und v. Krosigk. Die Damen waren einfach verrückt nach mir, erzählt Harry Domela lächelnd. Auch der Kommandeur der Gothaer Schutzpolizei lieh sich vorstellen. Domela wird darauf von dem Freiherrn v. Krojrgk zu einer grotzen ^agd ein- geladen, bet beim Essen einen Trinkspruch auf ben Hohenzollernprinzen auibrachte. Major v. Seeberg geleitet den- Prinzen in das Hotel. .Dort erscheint später der Oberbürgermeister von Goiha, Dri Scheffler, der ihn mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung be - grüßte. Er hatte schon früher bei dem Hoteldirektor Hörillein an - fragen lassen, ob er dem Prinzen seine Aufwartung machen dürfe. Domela versprach Dr. Scheffler, et werde ihm am nächsten Tage aus dem Rathaus einen inoffiziellen Besuch abstatten. Dabei fruste ihn Dr. Scheffler, wie er ihn anteben dürfe, als Kaiserliche oder königliche Hoheit? Domela antwortete, auf diese Bezeichnung keinen Wert zu legen. Er wünsche einfach mit Wilhelm angeredet zu roetben. Dr. Scheffler fragte den Prinzen im Saufe der Unterhaltung, ob er nicht die städtischen Museen besichtigen wolle. Et benach- riebtigte sofort sämtliche Dezernenten, damit sie ihm be - hilflich sein sollten. Der Prinz war jedoch so in Anspruch ge - nommen, daß er nur das Elektrizitätswerk besichtigen sonnte. Eine Einladung gab die andere Man reißt sich förmlich um ben „Prinzen". Alle sind entzückt über die Leutseligkeit des jungen Hohenzolletn. In Dessau ließ Domela sich dem Theaterintendan - ten vorstellen, der ihn fragte, ob er sich nicht das Tbeater ansehen wolle. Nachdem Domela versichert hatte, daß er sehr für Musik schwärme, erwiderte der Intendant: Das paßt ja herrlich. Heute abend geben wir den „Alten Dessauer", in bem ja auch Ihr Ahne, ber Alte Fritz, auftritt". Der „Prinz" sagte zu und wurde am Abend feierlich empfangen unb in die Hofloge geleitet. Seim Rtüvswevrkommandkur. Als der Baron v. Berg (nicht zu verwechseln mit dem Ver - mögensverwalter des Exkaisers! fein Kommen telegraphisch an - kündigt, fühlt er sich nicht mehr sicher und zieht vor, zu verschwinden. Er borgt sich von dem Hoteldirektor Hornlein einige hundert Mark. Vorher fährt er mit dem Automobil, das ihm bereitwillig zur Ber- ] fügung gestellt wird, zu dem Garnisonältesten der Reichswehr in Erfurt Frecherm v. Grote. Dieser fichlt sich durch den Besuch aus | daS höchste geehrt und empfängt den Prinzen tn Galauniform. Der Prinz bittet den Major, doch auf die Presse einzuwirken, daß sie seinen Besuch nicht weiter kommentiere, da er inkognito reise, was ihm auch von dem Ofsizier versprochen wird. Er begibt sich nach Weimar, wo er den Kommandeur des bärtigen Reichs - wehrregiments aufsucht, der chn mit großer Auszeichnung unb Höslichkeit behandelt. Auch hier bittet et den Kommandeur, doch seinen Einfluß auf die Presse auszuüben, bah sie bpn seiner An - wesenheit keine roeitere Notiz nehmen solle. Im Hotel „Erbprinz" spielt sich bann bie bekannte Szene mit dem Bäckermeister Holz ab, der in Begleitung zweier Schupooffiziere erschienen war. Ter Bäckermeister ist überglücklich, mit ei nm „richtigen Prinzen" zu - sammen sein zu dürfen. Immer wieder küßt er dem Prinzen bie Hände und versichert ihn seiner Ergebenheit. Das Ende ist ein Sektgelage. Schließlich sind die drei Herren vollkommen be - trunken, so daß sie Domela im Auto nach Hause bringen muhten. Am nächsten Morgen verabschiedete er den Chauffeur und begab sich, da die Polizei auf feiner Spur war, über Dortmund ins Rheinland, wo chn sein Schicksal eceilte. Domela bat am Schlüsse ber Vernehmung, man solle ihn nur nicht nach Gotha bringen, da er dort die Leute zu sehr hinein gelegt" habe. Das Ende. Tomela hätte vermutlich noch lange Zeit mit Eulenspiege - leien beweisen können, daß die ganze nach der Monarchie sich sehnende gute Gesellschaft wirklich in die Rumpelkammer der Geschichte gehört. Aber ihm selbst wurde unheimlich, daß so viel Borniertheit lange standhalte, konnte er nicht glauben. Der Mensch versuche die Götter nicht: auch der größte Fonds der bekannten natürlichen Gottesgabe schöpft sich einmal aus. Domela wollte sich also dünne machen, er ließ sich in der fran - zösischen Kaserne in Euskirchen zur Fremdenlegion anwerben. Aber da stach ihn der Hafer, er mußte sich mit seinen Erleb - nissen ein bißchen brüsten; und die amüsierten französischen Offiziere hielten nicht dicht, sie plauderten weiter; rasch bekam die kölnische Polizei Nachricht, und als soeben Domela den Zug nach Frankreich besteigen wollte, hatte ein deutscher Polizeibeamter ihn am Schlafittchen. Leid genug wird sehr vielen hohen Herrschaften sein, daß sie nächstens als Zeuge vor Gericht ihre eigene Begriffsstutzig- leit werden bestätigen müssen. Wir aber wollen Seiner Hoheit von Herzen dankbar sein, und wir schlagen vor, die Republik möge ihm einen Pour le m6rite spenden in Gestalt einer Pension. Er verdient sie tausendmal mehr als die krieg- vcrlierrnden Generale! Kmdenbmg und die Kabinettsbildung. $er SPD. berichtet, der Reichspräsibent werde heute Her - mann Müller bie Bildung ber neuen Regierung antragen, ba jedoch „bei den parlamentarischen Verhältnissen eine Regierung Müller nicht möglich ist, dürfte ber Vorsitzende der sozialdemokra - tischen Reichstagsfraktion daS Angebot des Reichspräsidenten wahr - scheinlich nicht annehmen". Dann wolle Hindenburg bie Deutsch - nationalen befragen, nachher Herrn Esser vom Zentrum. Di« fianbibatur Curt tu 8 sei in ben Hintergrund getreten; Steger» walb werde vermutlich Marx empfehlen, dieser lehne eine Bei- binbung mit ben Deutschnationalen ab. er wolle lieber stürzen, alt sich nach rechts binden. Schliehlich stellt der SPD Marx die Unterstützung der Sozialdemokratie in Aussicht, wenn er Voraus - setzungen erfülle, auf die die Sozialdemokratie „nach den Ereignissen im Dezember unbedingten Wert lege". Die Aeußerung des SPD. ist umständlicher und gewundener, als unser Auszug. Unsere Leser werden mit unS der Meinung sein, Hermann Müller solle Ja sagen und bie einzige Bedingung stellen: Auflösungsbefugnis, falls der Reichstag bockbeinig ist. e SPD. Berlin, 10. Januar. Der Reichsprästdent empfing heute vormittag zur Einleüung seiner Besprechungen über bie Re - gierungsbildung den Reichstagspräsidenten Löbe. Im weiteren Verlauf des Tages wird er bie Parteiführer empfangen. t Die ttanzkMkn Stnntiroahltn. Sieg ber Linken. sta k Gewinne der To; allsten. SPD. Paris, 10. Januar. Die am Sonntag erfolgten Senatswahlen brachten den Linksparteien einen unbestrittenen Sieg. Gewählt wurde in 30 Departements von Altfrankreich. Außerdem war je eine Nachwahl in Lothringen und im Departement Aube zu voll - ziehen. Bon den 107 zu wählenden Senatoren wurden im ersten und zweiten Wahlgang 92 endgültig bestimmt. Sie ver - teilen sich auf die Parteien wie folgt: Konservative 2, Rechts - republikaner 17, Linksrepublikaner 16, Rechtsradikale 7, Radi - kale 38, Sozialradikale 2, Sozialisten 9, Kommunisten 1. Die Sozialisten waren bisher nur mit einem Abgeordneten im Senat vertreten. Ihr Erfolg verschafft ihnen die Möglich - keit, nunmehr mit einer eigenen Fraktion im Senat aufzu- treten. Auffallend ist der Linkssieg insbesondere in den De - partements Seine und Rhone. Auch in den andern Departe - ments zeigte sich eine starke Linksströmung. Rechts gewählt haben nur Elsaß-Lothringen, die Pyrenäen und die Vend^e. Von den bisherigen Rechtssenatoren von Paris ist dagegen kein einziger wiedergewählt worden. Es ist anzunehmen, daß das endgültige Ergebnis der Senatswahlen, die am kommen - den Sonntag abgeschlossen werden, auch im Senat zu einer Linksmehrheit führen wird. Sletlhgkwiiht brr strafte? Die ullterlegeuku Heroen. SPD. Paris, 10. Januar, morgens 7,40 Uhr. Selten haben bie Senatswahlen, bie am gestrigen Sonntag ftattfanben, ein derartiges politisches Interesse erweckt wie bie Ersatzwahlen, bie gestern in 33 Departements vorgenommen wur - den, schon in Anbetracht der Persönlichkeiten, die in ben Wahl- schlachten verwickelt waren, unter denen sich ber Präsident bei Senats, ber Präsibcnt ber Kammer, ber gegenwärtige Vizepräsi - dent, ein früherer Präsident der Republik, zwei frühere Minister - präsidenten unb gegen ein Dutzend früherer Minister befanden. WaS das praktische Ergebnis bei Tages anlangt, so kann man nach den letzten Meldungen entgegen der anfänglichen Auffassung über einen Linkssieg sagen, daß weder die Hoffnungen des Links- larteUS in vollem Umfange in Erfüllung gegangen sind, noch bi* der Reaktion. Gewinne wie Berlnste halte« sich fe ziemlich die Wage. WaS zunächst die Persönlichkeiten anlangt, so ist zu bemerken, daß Milleranh, der Träger- des nationalen Blocks, wie vorauszu- sehen war, in seinem Wahlkreis unterlegen ist, ebenso ber Senats- Präsident de Selve in seinem Heimatdepartement. Hingegen ist aber auch Paul Francois Albert, der srühere Unterrichtsminister, unb eine der Spitzen der Radikalsozialisten im Senat gegen ben bisherigen Kammerpräsidenten Peret im ersten Wahlgange unter - legen. Unter ben Senatoren ist ferner Dausset, der tu feinem Departement ebenfalls nicht wiedergewählt toerien ist. Tie einzigen klaren Sieger des Tage- sind ohne Zweifel die Sozialisten. Sie sind die einzige Partei, bie bei bem gestrigen Wahlkampfe keine Mandate eingebüßt bat, im_@egenteil 10 Sitze gewannen. Diese werben ihnen gestatten, im Senat eine Gruppe von 16 Mit - gliedern mit denen ber äußersten Linken zusammenzustellen. Dieser Sieg der Sozialisten, politisch betrachtet, hätte dazu bei - trage sollen, die politische Achse des Senats zugunsten der Links- Parteien zu verschieben, ist aber gleichzeitig durch die Niederlag* ber Rabikalsozialisten, bie 6 Sitze gewannen und 11 Sitze bet» leren haben, ausbalanciert worden. Die Republikaner ber Linken und die gemäßigten Parteien gewannen 8 und verloren 13^itze, verzeichnen also ebenfalls einen glatten Verlust von 5 Sitzen. Auf Grund dieser Resultate gewonnen die Linksparteien im Senat im besten Fall unb nach vorläufiger Schätzung nur 4 Sitze, da bie Verluste ber Rabikalsozialisten die Gewinne ber Sozialisten kompensieren. ES ist also kaum anzunehmen, daß irgendein« politische Aenderung in ber Versammlung vor sich gehen wird. Demgegenüber ist zu betonen, daß ein großer Teil der bürger - lichen Linksparteien deS Senats, die diesmal unter der Flagge des Kartells in den Wahlkampf gegangen sind, bisher bie Politik Poincares eifriger unterstützt haben, so daß auch von diesem Standpunkt wohl eine Senterung in der Außen- ober Innen - politik auf Grund der Senatswahlen außerordentlich unwahr - scheinlich evscheinen dürfte. Dtt Tod eines Millionürs. I Von G.D.H.Col« unb Margarete Sole. Autorisierte Uebersetzung von Mathilde Wertheimer. 18] „Fassen Sie sich, fassen Sie sich, wieso kommen Sie hier- her, und was wissen Sie von der Affäre?" erkundigte sich Blaikie. »Raffen Sie sich aus, Mann!" „L—l—laßt mich hier solange," jammerte Mr. Culpepper unter Tränen. „Ich hörte Sie." „Beantworten Sie meine Frage," befahl der Inspektor. »Wer sind Sie?" „Alf . . . Alfred Culpepper. Sie . . . sollten mich früher be—be—freit haben." »Wir wußten doch nichts von Ihrer Anwesenheit," ent - gegnete der Inspektor. „Ein ganz unerwartetes Vergnügen, Culpepper," betonte Lord Ealing. „Nun, wieso kommen Sie hierher?" wiederholte Blaikie. Aber dies sachte bloß neuerdings Mr. Culpeppers Tränen an. „Oh, ein sch—schrecklicher M—M—Mensch!" stöhnte er. „Was hat er Ihnen denn getan?" „Ge—ge—gefesselt hat er mich," sagte Mr. Culpepper. „Reichen Sie dem Burschen einen Trunk, Blaikie," rief Lord Ealing. „Das wird ihn aufrichten. Und lassen Sie mtd) mit ihm sprechen. Ich werde ihn inzwischen ganz be - freien." Blaikie holte puren Whisky und führte ihn an Culpeppers Lippen, während Lord Ealing bie restlichen Stricke aufschnitt. Dann halfen ihm die beiden aus die Beine und legten ihn ausS Bett. Er sah recht blaß und schwach aus, als er hier lag und die Augen zukniff; so oft er einen Mundvoll Whisky herunter- schluckte, begann er zu husten. »Wer ist es denn, Mylord? Sie scheinen ihn zu kennen." „Ich kenne den Burschen flüchtig. Zufällig suchte er mich gestern auf. Er heißt Alfred Culpepper, ist ein Kohlenhändler en groS, der nach dem Kontinent exportiert. Ich glaube, seine Firma befindet sich in Paris. Mehr weiß ich nicht von ihm. | Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wieso er hierherkommt." „Kannte er Radlett?" „Ja, gewiß. Er hat mir ein oder zweimal Briese von ihm überbracht. Er steht in Geschäftsverbindung mit meiner Firma — der Anglo-Asiatischen Handelsgesellschaft, wie Sie wissen." „Sehen wir nach, ob er vernehmungsfähig ist. Nun, mein Lieber, versuchen Sie, meine Fragen zu beantworten. Wie kamen Sie in diesen Schrank?" „Ich w—war zu B—Besuch." „Zu Besuch? Bei wem?" „Bei Mr. R-R-Rad - R—R-Restington." „Schon gut. Wir wissen, daß Mr. Restingron in Wirk - lichkeit Radlett hieß. Sie kamen zu Besuch? Wann?" „G—gestern abend." „War Rosenbaum bei Mr. Radlett, als sie vorsprackien?" Dieser Name war zuviel für Mr. Culpepper. „Oh, der schreckliche Schurke," jammerte er neuerdings. „Wer ist ein schrecklicher Schurke?" „R—R—Ros — R—R—Rosenbaum. Ach, bitte, lassen Sie mich in Ruhe." Es bedurfte eines weiteren kräftigen Whiskn, um fDlr. Cul- pepper vernehmungsfähig zu machen. Schließlich, nach langwierigem Kreuzverhör, wovon Lord Ealing den Löwenanteil bestritt, entrissen sie ihm feine, größ - tenteils von Klagen über fein Unglück strotzende Geschichte. Er hatte Radlett vor Jahren im asiatischen Rußland kennen gelernt, wo er als Kaufmann tätig gewesen. Seine Firma wäre der Revolution zum Opfer gefallen, aber er selbst sei geflohen und habe sich schließlich in Paris niedergelassen und eine Gesellschaft zur Versorgung Mitteleuropas mit Kohle gegründet. Etwa vor eine Jahre sei er zufällig in Warschau auf Radlett gestoßen und habe ihm seine Adresse gegeben. Leicher hätten sie sich zuweilen getroffen und miteinanber korrespondiert. Radlett habe ihm mitgeteilt, wann er in Lon - don weilen würde, und als er erfahren habe, daß er gleich - zeitig geschäftlich hier zu tun hätte, ihn gebeten, er möchte ihn in Sugdens Hotel besuchen. Demgemäß sei er gestern nach - mittag hier gewesen, habe aber Radlett nicht angetrofsen. Er sei nach dem Abendessen gegen 9 Uhr wiedergekommen und habe Radlett und Rosenbaum zusammen vorgefunden. Sie wären bis zu später Stunde plaudernd zusammen gesessen, so daß er seinen letzten Zug versäumt habe. RadlettS Sekretär sei vorher zu Bett gegangen und Radlett habe ihm eine Liege - statt im Salon bereitet und ihn mit den im Wandschrank ge - fundenen Decken und Hüllen versehen. Er habe sich auf dem Sofa neben dem Kamin schlafen gelegt. Später, die Stunde könne er nicht angeben, nur daß cs noch beinahe dunkel ge - wesen, sei er durch ein aus RadlettS Schlafzimmer dringen - des Gepolter aufgewacht. Der Lärm eines Kampfes, das Geräusch umstürzender Möbel und Schreie seien von dorcher hörbar geworden. Erschreckt habe er sich unter die Decken verkrochen und nicht gewußt, was er tun solle. Dann habe sich RadlettS Schlafzimmertür geöffnet, und der Sekretär — Rosenbaum— sei erschienen; dieser habe RadlettS leblosen Körper hinter sich hergechleift. Das aus dem Schlafzimmer flutende Licht habe es ihm ermöglicht, deutlich zu sehen. Er sei aufgesprungen und in diesem Augenblick von Rosenbaum entdeckt norden. Er habe versucht, zu schreien, jedoch keinen Laut hervorgebracht. Roenbaum habe den Leichnam fallen lassen und einen Revolver gezückt. Er habe auf Culpepper gezielt, gedroht, ihn niederzuschießen, falls er einen Laut von sich gäbe oder sich nur um Haaresbreite rühre. Der Wicht hatte gehorcht und Rosenbaum habe ihn mit dem Revolver ge - zwungen, den im Salon stehenden großen Koffer zu leeren und dessen Inhalt — Schriftstücke und Gesteinsproben — in Rad - lettS Schlafzimmer zu tragen. Dann habe er ihn gezwungen, die Leiche in den Koffer zu legen und ihn mit Papieren und Kleidern aus dem Nebenraum zu füllen und sicher zu ver- schnüren. Hierauf habe er Culpepper befohlen, ein volles Glas Wasser aus dem Schlafzimmer zu bringen, habe etwas aus einen Fläschchen hineingegossen und ihn genötigt, es aus- zutrinken. Gift vermutend, habe Culpepper um Gnade gebeten, aber Rosenbaum habe ihm versichert, daß es ihm nicht schaden würde, und ihn unter neuerlicher Androhung, zu schießen, gezwungen, das Glas hinunterzuschütten. Von da ab könne er sich an nichts mehr erinnern. Er habe das Bewußtsein verloren und sei erst zu sich gekommen, als er Stimmen und Schritte gehört habe. Er habe versucht, zu schreien, aber ent - deckt, daß er geknebelt unb gefesselt sei und sich weder bewegen noch einen Laut ausstoßen könne. Die Personen hätten sich wieder entfernt und er habe die Tür ins Schloß fallen hören. Mittlerweile habe er sich selbst befreit, so daß er schwache Laute auszustoßen und an der Vertäfelung des Kastens zu kratzen vermochte. Aber die Luft fei dumpf gewesen und er habe sich sehr matt gefühlt. Es schien ihm, als ob viele Stunden ver - strichen wären und als ob er das Bewußtsein mehrmals ver - loren hätte, ehe er endlich von Lord Ealing und dem Inspektor entdeckt worden sei. „Wann trug sich dies alles zu?" fragte Blaikie. Aber Mr. Culpepper hatte keine Ahnung von dem Zeit - punkt; er wußte nur das eine, daß es zu dämmern begann, als Rosenbaum ihn gezwungen, die Leiche in den Koffer zu packen. Blaikie versuchte erfolglos über diesen Punkt Klar - heit zu erhalten. Er schlug eine andere Methode ein. „Kannten Sie diesen Rosenbaum?" begann er. Culpepper erwiderte, daß er ihn niemals vor dem gest - rigen Tag gesehen habe. Auf die Aufforderung hin, ihn zu charakterisieren, gab er eine Beschreibung, die kaum über jene unbestimmten, vorn Hotelpersonal gemachten Angaben hinaus - ging. Rosenbaum sei ein schlanker, dunkelhaariger Mann, mit dichtem Bart und Schnurrbart, von sehr fremdartigem Aus - sehen, und spräche mit ausgesprochen russischem Akzent. Zwei- fellos ein russischer Jude. Radlett habe ihm erzählt, der Mann sei sein Sekretär — eine Neuerwerbung und ein Mensch, auf dessen Fähigkeiten er große Stticke hielte. ^Fortsetzung folgt.)