Preis 15 4 HamtmrgAltonaerDoltzsblatt Gegründet 1875 ftog«fg«it|»rclje »ersteigen Nch In Retchlmark: bU 13 gespaltene «an» paretneieUe 45 Ps. Private SamtUenonjeiflen SO Vf. Plenen* ongelofe 35 Pf. Stellengesuche 25 Pf. Kleine Anzeigen M* 9 Zeilen tote Zeile SO Pf.. 10 bi« 15 Zeilen Ne Aelle »5 Pf. Reklamezeile 8.50 Mk. Anzeigen müssen int voran« ober sofort bezahlt werben. Mn|«lflenann<»tim« Seblanbftr.il lSemspr.t Lide 169«), Lochpart. (bU «Ubr abenb« für ben folgenben Zag), in ben Filialen (bl« 3 Uhr) und in allen Annoncenbureau«. Platz- unb Datenvorschriften unver binb lich Sa» Oomtmrger «atze» erscheint täglich einmal, anger bat 2. Feiertagen. Begugepeele: 3m voran« zahlbar: Monatlich 2,50 Mk. (einschließlich 0,5« Wk. Zustellung «gebühr», wöchentlich 0,60 Mk. eiuschlienllch 0,13 Mk. ZustellungSgebühr) Für Abholer wächenllich 0,55 Wk. Durch bte Post zu gleichen »ezug«preisen zuzüglich Bestellgeld. «ebaüion: Fehlanbstraße 11, L Fernsprecher: (0.2) Elbe 1691 und 1693. Verantwortlicher Redakteur: Paul Rugbahn, tlltona. Vuchhanblung : Fehlandstratze 11, Lrbgesch. Fernsprecher: (h. 2 5lbe6620. «nchbruckereikontor: Fehlandktr. 11, L Fernspr.1 (S- 2) Litze 6620 u. 662L Plummer 208 SonnavenS, 30. Juli 1927 53. Jahrgang RuMch-rnsWe MdenWhier? In der Donnerskag-Debatte des englischen Unterhauses wurde seit mehreren Monaten zum ersten Male wieder von der Miederausnahme der Beziehungen zur Sowjet - union gesprochen. Der aus dem linken Flügel der Arbeiter - partei stehende Abgeordnete W a l l h e a d fragte Chamberlain, ob England das Tor noch nicht zugeschlagen habe gegenüber den .Versuchen der Sowjetunion, die Beziehungen wieder herzustellen. Chamberlain wies die Frage nicht zurück, sondern antwortete ent - gegenkommend, die Russen könnten eine Annäherung unter - nehmen. Dabei würden sie wohl ihre Vorschläge mitteilen, und England sei bereit, sie zu erörtern. Jedoch dürften die früheren Mißbräuche nicht wieder vorkommen. Damit hat die englische Regierung öffenlllch den ersten Schritt zu einer Wiederannäherung mit Rußland getan. Dieses englische Angebot ist in einem Augenblick erfolgt, wo Eugland in Genf in eine sehr ungünstige Position ge - raten ist. Es fühlt sich in seinem Kampf um die Ueberlegenheit in Kreuzern isoliert und hat Sorge vor der Entfremdung mit Amerika. Das ist der internationale Grund, warum das englische Kabinett der Wiederherstellung der Beziehungen mit der Sowjet - union wieder freundlicher gegenübersteht. Die Initiative Chamber - lains ist aber zugleich auch dadurch bedingt, daß Lie Kapitalisten den Ausfall wichtiger russischer Aufträge mehr und mehr be - dauern und die wirtschaftliche Torheit des Abbruchs der diploma - tischen Beziehungen einsehen. Zugleich hat der Ausfall der Nach - wahlen in den letzten Monaten gezeigt, daß die Wählermasien nicht mehr, wie die junkerlichen Diehards gehofft hatten, mit dem Schreckgespenst des Bolschewismus den Konservativen in die Arme zu treiben sind. Es ist nun an der Sowjetunion, den zweiten Schritt zu tun. Stalin hat eben in der Iswestija feierlich versichert, daß man in der Sowjetunion die Nerven nicht verlieren dürfe, um den Frie - den zu erhalten. Er ist sich auch wohl inzwischen darüber klar geworden, daß die in dem ersten Schreck vollzogenen Hinrichtun - gen der Geiseln nach der Ermordung Wojkows nicht gerade dazu angetan waren, die Stellung der Sowjetunion international zu stärken. Moskau hat jetzt jedenfalls Gelegenheit, sich das eng - lische Angebot ruhig zu überlegen. Srr Kampf um das russische Petroleum. Die emlisch-holländische Royal-Dutsch-Shell-Gruppe, die selbst das Monopol für den Vertrieb russischen Petroleums nicht erhalten konnte, führt einen erbitterten Kampf gegen die Rußlandverträge der amerikanischen Standard-Oil-Lompany. Diese konnte jetzt mit Rußland ein Abkommen über die Liefe - rung von 100 000 Tonnen Petroleum jährlich ahschUeßen. Verhandlungen über Konzessionen in Rußland. Die Telegr. Agentur der Sowjetunion meldet: „Sandorff, der Vizepräsident des Hauptkonzessionskomilees, erklärte, daß zur Zeit Verhand - lungen mit einigen amerikanischen Großfirmen über die Anlage beträchtlicher Kapitalien in Konzessionsunternehmen schweben, die sogar die größten bisher in der Union der Sowjetrepubliken er - teilten Konzessionen weit übertreffen würden. Zu gleicher Zeit wird mit deutschen Industriellen über den Abschluß einer Anzahl neuer Konzesstonsverträge verhandelt." Sie Krise der Genfer Konferenz auf dem Ködepunkt. WTB. Genf, 29. Juli. Die Marinekonferenz ist am Donnerstag abend verhältnismäßig rasch in ihre größte und viel - leicht letzte Krise eingefreten. Die von Bridgeman aus London mitgebrachten Vorschläge, die in ihren wesentlichen Punkten den auf Grund der britisch-japanischen Verständigung formulierten Anfragen entsprechen, sind von dem Führer der amerikanischen Delegation, Gibson, nicht angenommen worden. Gibson hat gegen mehrere Bestimmungen des Projektes Einwände erhoben und Vorbehalte geltend gemacht. Er hat sich jedoch bereit erklärt, die Vorschläge unverzüglich dem Präsidenten Coolidge zur Kennt - nis zu bringen, so daß die Delegation in der öffentlichen Voll - versammlung am Montag nachmittag in der Lage sein würde, die endgültige Stellungnahme ihrer Regierung darzulegen. Die amerikanische Opposition richtet sich in erster Linie gegen die Bewaffnung der leichten Kreuzer mit Sechs-Zoll -Beschuhen und gegen die weitere Verwendung von 25 % der Schiffe, die das Dienstalter überschritten haben und deshalb regelrecht erseht worden sind. Auch machen die Amerikaner Bedenken wegen der Zuteilung von nur zwölf Kreuzern von 12 000 Tonnen geltend, da ihre Bedürfnisse eine größere Zahl dieser Kriegsschiffe er - forderten. In Konferenzkreisen herrschte am Freitag vormittag eine ausgesprochen pessimistische Stimmung. Auf Grund der An - deutungen, die Chamberlain in seiner Unterhausrede gemacht hat, rechnet man allerdings in manchen Kreisen damit, daß die britische Delegation, um die Konferenz vor einem vollen und endgültigen Mißerfolg zu retten, in letzter Stunde noch einen neuen Vorschlag unterbreiten wird. Neschlasnahme deuMer Samvfer durch die Nanklng'Regierung. WTB. Schanghai, 29. Juli. Die Nankingregierung hatte in Schanghai-Woosung verschiedene Dampfer der Hamburg- Amerika Linie und der Rickmers-Linie durchsucht und mehrere Tage festgehalten, vermutlich infolge von Gerüchten über angeb - liche Konterbande an Bord der Schiffe. Der deutsche General - konsul in Schantung hat, nachdem sich ergeben hatte, daß jeder Verdacht unbegründet ist, energisch gegen die Feschaltung prote - stiert und Schadenersatz gefordert. Die Dampfer sind dann bis auf „Bertram Rickmers" freigegeben worden. Auch dieses Schiff hat weder Kriegswaffen, noch Kriegsmunition an Bord, noch sonstige Gegenstände, die als Konterbande gelten könnten. Wegen „Bertram Rickmers" werden die Verhandlungen fortgesetzt. Außerdem verhandelt der deutsche Generalkonsul mit der Nankingregierung, um die Erteilung von Flußpässen an deutsche Schiffe zur Fahrt nach Hankau zu erhalten. * Soweit das Wolffbureau, das sich in seiner Berichterstattung die Sache doch etwas leichter zu machen scheint, als sie ist. Die Nankingregierung hat chre Deutschfreundlichkeit wiederholt bewiesen und ist durch ihre schroff antikommunistifche Haltung nicht gerade verdächtig, auf bloße Parolen hereinzufallen. Die Methode der Ableugnung führt keineswegs zum Ziel. Wir haben, als die Frage zum erstenmal auftrat und seitdem immer wieder ein durchgreifendes und rücksichtsloses Verbot des ge - samten Waffenhandels gefordert, besonders deshalb, weil von allen Handelsgeschäften uns der Waffenhandel als das übelste und bedenklichste erschien. Freilich ist die Erzwingung dieses Verbots vor allen Dingen eine politische Fraoe. Sie bedingt längere politische Kämpfe, ohne die nicht zum Ziele zu kommen ist. Immerhin geben bereits heute die gesetzlichen Bestimmungen weitgehende Handhaben, um wenigstens ausgesprochene Kriegs- roaffen von der Beförderung auszuschließen. Der Deutsche Verkehrsbund, der ja an diesen Vorgängen im Hamburger Hafen besonders interessiert ist, hat von vornherein und eindeutig denselben Standpunkt eingenommen wie das Hamburger Echo. In wiederholten Aussprachen hat er seinen festen Willen kundgegeben, auf ein allgemeines Verbot des Waffenhandels hinzuarbeiten und inzwischen auf scharfe Ausnutzung der be - stehenden Gesetze zu drängen. Nun ist es bis jetzt nicht gelungen, den zweifellos noch immer laufenden Transporten auf die Spur zu kommen trotz der bombastischen Veröffentlichungen der Ham - burger Volkszeitung. Der Deutsche Verhehrsbund hat, wie er uns mitteilt, seine gesamte Mit - gliedschaft seit vielen Monaten strikte an - gewiesen, jede etwa vorkommende Waffenver - ladung ihm sofort zu melden. Das ist bis jetzt in auch nicht einem einzigen Falle geschehen, so daß die vom Verkehrs- bunö beabsichtigten Vorstellungen bei den Behörden nicht zur Durchführung gelangen konnten. Es wird sich empfehlen, bei der Behandlung dieser ganzen Frage weniger sensationelle Iournallstik und mehr ernsthafte politische Arbeit zu betreiben. Den Hafenarbeitern muh es erneut zur Pflicht gemacht werden, die zuständige Gewerkschaft rechtzeitig von etwaigen Waffen- verladungen zu benachrichtigen. Die..Wuhcheii" über Srchies. | Der französische Ministerpräsident Poincare hat am ver - gangenen Sonntag eine an sich ruhige Rede in der nordfranzösifchen Stadt Orchies gehalten, in der er die deutschen Truppen für die Zerstörung dieser Stadt verantworllich machte. Es war boraus- zusehen, daß dieser unnötige Vorstoß Poincares zu einer deutschen Erwiderung führen würde, sowie zu französischen Gegenäuherungen und nunmehr sind wir mitten im Dokumentenkriege drin. Auf eine erste Antwort, die das Wolffsche Telegraphenbureau halb - amtlich auf die Ausführungen Poincares gegeben hatte, folgte eine französische Gegenäußerung, enthaltend einen Bericht des Bürger - meisters von Orchies und die Darstellung eines französischen Bür - gers namens Tronchon, worauf wiederum am Freitag abend die Reichsregierung mit der Veröffentlichung von fünf Zeugenaus - sagen geantwortet hat. Die erste Zeugenaussage ist der Bericht des deutschen Führers der beteiligten Abteilung der Freiwilligen Krankenpflege, die beiden nächsten Dokumente sind Berichte zweier französischer Geistlicher, die die von deutscher Seite be - haupteten Verstümmelungen deutscher Verwundeter bezeugen. Die beiden letzten Dokumente sind dienstliche Tatberichte von deutschen Aerzten und deS Führers einer bayrischen Pionier - abteilung. ♦ Wir müssen angesichts dieser ganzen Debatte erklären, daß sie lächerlich, absurd und abwegig ist. Wenn es einmal so weit ist, daß Hunderttausende von Menschen bewaffnet und ins Feld geführt werden, damit sie sich gegenseitig töten, dann ist es lächer - lich, die Heilighaltung völkerrechtlicher Grenzen zu fordern. Die Grenze zwischen zulässigen unb unzulässigen KriegSinaß- natjmen ist derartig schwer zu fasten und wirb burch bas Recht ber Vergeltung bei angeblicher ober wirklicher Verletzung bet Regeln so illusorisch gemacht, daß von einer ernsthaften Klärung der Tatbestände und einer ge ¬ rechten Beurteilung bet Schüldfragen überhaupt keine Rede sein kann. Solange Menschen miteinander kämpsen, werden sie dle auftauchenden Rechtsfragen nach ihrem Parteistandpunkt zu ent - scheiden suchen. Die deutsch-französischen Auseinandersetzungen über das Blutbad von Orchies beweisen das aufs neue. Man muß Poincare den Vorwurf machen, daß er in unleidlicher tzervor- kehrung seiner Advokatenmanieren diese nutzlose und lächerliche Auseinandersetzung herausbeschworen hat, auch wenn man zugeben muß, daß der übrige Teil seiner Rede ruhig und maßvoll gewesen ist. Die deutschen Gegenveröffenttichungen machen die Sache nicht bester und vor allen Dingen nicht weniger lächerlich. An - gesichts des Herrn Poincare und seiner deutschen Partner muß man sich doch über die Naivität von Leuten wundern, die Kriege führen wollen, ohne Verbrechen zu begehen. Der Krieg ist ein Verbrechen und seine Konsequenzen sind notwendigerweise Ver - brechen. Die Unterscheidung zwischen legalem und illegalem Mord ist kindische Buchstabenklauderel. Wer das Blutbad von Orchies verurteilen will, der verurteile ben Krieg; wer aber ben Krieg will, ber wird alle fürchter - lichen Folgen in Kauf nehmen müssen, wie sie bas Gemetzel von Orchies zur rechten Zeit in Erinnerung gerufen hat. Attentat in Leningrab? In Paris sind Gerüchte im Umlauf, bah ble Mitglieder des Sowjet in Leningrad Opfer eines Atten - tats geworden seien. Das Regietungsgebäude in Leningrad soll während einer Sitzung des Sowjet durch eine Mine in die Lust gesprengt worden fein. Die Zahl der Toten soll 100 betragen. Man muß selbstverständlich derartige Meldungen mit äußerstem Mißtrauen ausnehmen. Untersuchung gegen Doriot. Gegen den kommunistischen Ab - geordneten Doriot ist wegen feiner Reise nach China, die er als Delegierter der kommunistischen Internationale aussührte, eine Untersuchung wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Staates eröffnet worden. 3)et SMMel jUt Marx. Es wird gedeutelt. Infolge eines Versehens sind In unserer gestrigen Ausgabe nur die Richtlinien der führenden Zentmmsmänner des Reichs - banners erschienen, nicht der erläuternde Bericht. Seine Haupt- stelle lautet: „Die versammelten Zentrumsmitglieber im Reichsbanner sprachen ihr Bebauern barüber aus, baß Reichskanzler Marx sich zum Ansscheiben ans bem Reichsbanner veranlaßt gesehen hat. Einmütig wurde der Meinung Ausdruck gegeben, daß sich aus dieser bedauerlichen Tatsache für die andern Mitglieder des Zentrums im Reichsbanner nicht die Folgerung ergebe, gleich - falls das Reichsbanner zu verlasten." Diese Stelle verstanden und verstehen wir als versteckten Tadel gegen Marx. Aber natürlich sind gleich wieder die Aus - deuter am Werk. So heißt es heute früh im Hamburger Fremdenblatt, das die eigene „liberale" Knochenerweichung andern Leuten andichtet: „Das Bedauern der Konferenz bezieht sich tatsächlich darauf, daß die Reichsbannerleltung durch ihr Verhalten den Reichskanzler Marx zu seinem Austritt veranlassen mußte." Diese Ausdeutung geht sicher daneben. Aber bezeichnend ist, daß sie möglich wurde. Die Versaster ber Kundgebung haben vermutlich sich unsicher gefühlt und haben schließlich den zwei Seelen im Zentrum Rechnung fragen wollen, so kam eine Zwei - deutigkeit zustande. Im Zentrum gibt es Leute, die dem Reichsbanner von jeher ablehnend gegenüberstanden. Aber es gibt auch Kreise, die schroff gegen Marx Stellung nehmen und geradezu empört sind, weil Marx in seinem Abschiedsschreiben an das Reichsbanner wie ein dürrer Bureaukrat gesprochen hat. Der Reichsbanner- mann Schultz in Berlin hat in Verteidigung eines Werbe - aufzugs für den Präsidentschaftskandidaten Marx gegen an - greifende Hakenkreuzler das Leben gelassen; damals schwor Marx: Treue um Treue! Von aller Politik abgesehen, hat Marx nicht einmal menschlich Treue gehalten, ein fühlendes Herz zeigt sich in feiner Austrittserklärung nicht. Das erbitterte freue Menschen. Bemerkt sei noch, daß Wirth und Joos der Besprechung der Zenfrums-Bannerleufe nicht beigewohnt haben. Sie sind mit der Kritik an Marx einverstanden. Mit -ein Strom „In der Reichsbanner-Uniform sah ich ja befftr auq aber so schwimmt sich's leichter." Copvrtghi bi) Paul Zfolnay Verlas, Berlin, Wien, Leipzig. Dle GeburtWnde des Webens. Don Henry Poulaille. 119] Magneux hatte sich nicht der Vorschrift angepaßt, die es den Arbeitgebern zur Pflicht machte, ihr früheres Personal wieder einzustellen, wenn dieses sie vierzehn Tage nach der Demobilisierung verständigte. Magneux, der dieses Zwangs - mittel als ein ungerechtfertigtes Mißtrauen ansah, hatte es verworfen. Man war ja als Freunde auseinandergegangen, also war kein Grund, dachte er, sich als Schreckgespenst auf - zuspielen. Dieses Benachrichtigungsschreiben bewies einen Mangel an Vertrauen zu seinem Chef — es mochte noch hingehen für die Fabriken, und zwar für die großen . . . aber da, wo der Arbeitgeber Seite an Seite mit feinen Ar - beitern arbeitete, wo man allein mU ihm war, wäre es doch ein Mangel an Takt gewesen, nicht wahr? Als er sich vorsiellte, versicherte ihm Herr Iacob, fein Chef, bedauernd, daß er ihn nicht zurücknehmen könne. Er hatte zwei Gehilfen, die wenig Geld kosteten und die ihre Probezeit ablegten, da sdies wurde kaum angedeutet) wäre eä doch zu dumm gewesen, einen gelernten Arbeiter in Dienst Zu nehmen, den man teuer bezahlen müßte, und der die Benachrichtigung versäumt hatte! „Wenn ich Ihnen den Schädel einschlagen würde," hatte Magneux ausgerufen, der rasch mtt Argumenten fertig war. „Man kann sich ja einigen," hatte Herr Iacob gesagt. "Schreien Sie nicht so! Ich versehe mich an Ihre Stelle." „Was Sie sagen!" „Ja; aber Sie find im Unrecht, mein armer Freund. Sie hätten sich den Formalitäten anpaffen müssen, wie jeder- ötonn. Sie haben immer Ihren eigenen Kopf gehabt. Nun, Sie kennen mich ja. Ich bin kein Wilder. Wieviel Ent - schädigung verlangen Sie?" „Drei Monate." „Sie sind verrückt." „Nein, gar nicht." „Dann ist's mir lieber, wenn Sie mich verklagen," er - klärte Herr Iacob. „Schön," stieß Magneux hervor. ,^sch gehe sofort aufs Gericht. Gerade an diesem Tage aber empfingen, wie durch einen Zufall, die Herren Juristen nicht. Sie hatten chre Empfangs- tage. Am nächsten Tage ging er wieder in den Iustizpalast, wo er um 3% Uhr vorgelassen wurde. Der Richter bat ihn, Platz zu nehmen und ließ sich seinen Fall ganz ausführlich schildern. „Ja," sagte er, „Sie haben sich selber Ihrer Rechte be - geben. Sie sind gesetzlich im Unrecht, vollständig im Un - recht. Sie würden vergeblich einen Prozeß gegen Ihren Ar - beitgeber anstrengen,' es würde zu nichts führen. Sie hätten ihm ein Benachrichtigungsschreiben zuschicken müssen. Man verteilte ja diese Schreiben zugleich mit den andern Pa - pieren. Sie waren zum Gebrauch bestimmt. Sie sind nicht der einzige. Vielleicht zwanzig Prozent aller Demobili - sierten befinden sich in derselben Lage. Lauter solche armen Teufel wie Sie kommen jetzt zu uns. Aber Sie sagen mir ja, daß Ihr Chef Ihnen eine Entschädigung angebofen hat . . . Einigen Sie sich in Güte. Nehmen Sie so viel, wie er Ihnen irgend geben mag, 500 Frank zum Beispiel, ja sogar 300 Frank." „Aber was soll ich mit 300 Frank machen?" „Ja. . . versuchen Sie, mehr zu erreichen," riet der andere. „Aber Tatsache ist, daß er Ihnen gesetzlich gar nichts schuldet." „Das ist zum Ekeln, man hat sich für sie die Knochen zerhauen lassen." „Verlieren Sie nicht den Kopf: hin Sie, was Sie können, um mehr zu bekommen. Ich kann nichts anderes tun, als Ihnen viel Glück wünschen." „Aber . . ." „Ich kann Ihnen weiter nichts sagen," schloß der Richter, und, sich von seinem Stuhl aufrichtend, rief er: „Der Nächste . . Der Nächste erschien. Mit zermürbten Gesichtszügen, noch elender als Magneux . . . „Sehen Sie sich . . . Was gibt es?" „Ich bin ohne Arbeit. Ich hatte geglaubt, meine Arbeit wiederzufinden, wenn ich zurücickäme, und da ich, wie ich dachte, mit meinem Arbeitgeber sehr gut stand, hatte ich es nicht gewagt, ihm diesen Mahnzettel zu schicken, den man uns übergeben hatte. Magneux zuckte die Achseln. „Dasselbe Lied!" In diesem Saale saßen wohl ein Dutzend Richter. Vor jedem ein Klient, während etwa zehn andere auf einer Bank warteten, bis die Reihe an sie kam. Im Gange warteten wohl noch reichlich sechzig Leute. Mietsfragen, Arbeitslosig - keit. Erbärmliche Schaustellung des Elends im Elends- gewande. Als Magneux draußen war, ließ er seiner schlechten Laune freien Lauf. „Ah! Man müßte diese verrottete Gesellschaft um - stürzen!" Aber die abgezehrten Gesichter ringsum verkündeten eine zu große Müdigkeit. Sie waren an so viele Jahre des Elends gewöhnt seit dem Leben von ehedem und dem Leben von heute! Er verstand das, wollte es aber nicht entschuldigen. „Alles Feiglinge, Feiglinge und Iammerkerlej" Noch wutschnaubend war Magneux zu seinem früheren Brotherrn zurückgekehrt. Dieser empfing ihn an seiner Kasse, mit lächelndem Gesicht. Ehe Magneux noch den Mund auftat, kam er ihm zuvor. „Ich habe ebenfalls den Rechtsanwalt gefragt Ich schulde Ihnen nichts." „Dabei komme ich nicht auf meine Rechnung, denn ich, ich brauche Geld," entgegnete fier junge Mann. „Ich will Geld haben!" „Lasten Sie mich reden." „Ich habe keine Zeit. Don Worten wird man nicht satt, und wenn sie honigsüß wären." „Aber ich sage Ihnen doch . . „Sie sind ein Schweinekerl," schrie Magneux und schlug mit der Faust heftig auf die Kaste auf. Da er sich an den Kupferbeschlägen der Platte verletzte, fluchte er: „Donnerwetter, verstehen Sie nicht? Ich brauche Geld, und zwar sofort!" Die Lehrlinge hoben die Köpfe, hielten mit ihrem Re - zeptbrauen inne, bereif, herbeizueilen. „Ich gebe Ihnen zwei Minuten Zeit," sagte Magneux. Es waren Kunden im Laden. Der Apotheker wurde ängstlich. „Magneux," sagte er sanft, „regen Sie sich nicht auf. Ich möchte keinen Skandal." „I ch scher' mich den Teufel drum." „Kommen Sie mit mir in mein Arbettszimmer," sagte der Apotheker mit süßlicher Stimme. Das Arbeitszimmer war ein kleines Gemach, das Magneux gut kannte, mit dem seltsamsten Wirrwarr angefüllt: Wassen, Fächer, japanische Masken ringsum. (Foltfehung folgt)