Mittwoch, 4. Juli 1926 54. Jahrgang Jas Programm tos Walen MW genommen. stärröigung verbindet. Mr erinnern uns nicht, daß eine der' deutschnational beeinflußten Aeichsregierungen so ®=2 entschiedene Worte für die Befreiung des Rheins und der Saar über die Westgrenzen gerufen hätte, wie die von einem sozialdemokratischen Kanzler geführte. Das innerpolitische Programm wich keinem der großen Probleme aus. Die großen Klassengegensätze klangen in der Ankündigung einer stärkeren Machtstellung des Staates gegen die großen Kartelle und Privatmonopole an. Die wichtigen Produktivkräfte im Mittelstand und in der Land- wirischaft erhielten volle Würdigung. Unter den Reformen, die der Kanzler erstrebt, ist wohl die wichtigste vermehrte K l e i n s i e d l u n g in den dünn bevölkerten Teilen Deutsch - lands. Die Reichsregierung wird starke Widerstände über - winden müssen und langer Lebensdauer bedürfen, wenn sie gerade diese Frage der Lösung näherbringen will. Mit hämischem Lächeln nehmen die Deutschnationalen diesen Teil der Regierungserklärung auf. Berständnisvolle Worte für die Landwirtschaft aus dem Munde eines Sozialdemo - kraten? Die müssen imdeutschnationalenPartei- interesse verrissen werden. Großes Siedlungsprogramm? Man mobilisiert in Gedanken schon die großagrarischen Kräfte, die Landbundorganisationen, die Hindernisse gegen diese „Gefahren" aufrichten. Breite und wichtigste Telle der Kanzlerrede gelten dem industriellen Proletariat, den Ange st eilten, den Beamten, insbesondere auch den älteren immer wieder von der Entlassung bedrohten Arbeitskräften. Ohne jede >), in ben Filialen (M8 3 Ute) tmb in allen »la«, und Daienvarschristen unverbindlich. Einschränkung bekennt sich die Reichsregierung zum Washingtoner Achtstundentag-Abkommen. Mit allen Kräften will sie sich für dessen allgemeine Ratifika - tion einsehen. Die Senkung der Lohnsteuer wird als be - sonders vordringlich anerkannt. Zum ersten Male wird von einer Reichsregierung die Beseitigung der Todes - st r a f e als erstrebenswertes Ziel aufgestellt. Der Wunsch nacheinerAmnestie wird ausgesprochen. Die Reichs - wehr wird als ein Instrument der Republik bezeichnet, das der Parteipolitik entzogen werden müsse. Als Hermann Müller von der Notwendigkeit allgemeiner Sparsamkeit, als er auch von den Grenzen des finanziellen Möglichen für die Reichswehr spricht, dürfte dies wohl auch als eine Mahnung an alle diejenigen gelten, die mit R ü st u n g s - experimentenfürdieMarine spielen. Der Reichskanzler schließt nicht nur mit dem Wunsche, daß eine Aeichstagsmehrheit vertrauensvoll hinter der neuen Regierung stehe. Er ruft die Forderung in das Parlament und in das Land, daß dieAeraderKrisenbeendet sein müsse. Das Bolk erwarte eine Regierung von Dauer. Ein Kabinett, das seine ganze Kraft auf die Arbeit vereinen könne. So ist es. Weil sie dieser Meinung ist, hat die Sozial - demokratie dieser Regierung die Führer gestellt. Zeit und Sicherheit für diese Regierung republikanischen und sozialen Aufbaus. Das ist unsere Forderung und unser Wille. 3n der auswärtigen Politik ist der Weg, den die Reichsregiernng gehen wird, klar oorgezeich- net. Die deutsche Außenpolitik verfolgt ihre Ziele .in dem Willen zur friedlichen Berftändiguna und unter Verzicht ans den Gedanken der Revanche. An dieser Grundlage werden mit festhallen. Don ihr aus werden hatten sich erst in den Wäldern, dann unter der Erde ver - steckt. Seit zweitausend Jahren hetzte der Despotismus in all seinen Formen: Eroberung, Feudalherrschaft, Fanatismus, Steuererpressung, diese unglückliche Bretagne: die unerbitt - liche Treibjagd hörte in der einen Form nur auf, um in einer andern wieder zu beginnen. Da wühlten sich die Menschen in die Erde ein. Das Entsetzen harrte in den Seelen, die Schlupfwinkel harrten in den Wäldern, als die französische Revolution aus- brach. Die Bretagne erhob sich, denn sie fühlte sich von dieser gewaltsamen Befreiung unterdrückt — der übliche Irrtum der Sklaven. Die schicksalsgewohnten bretonischen Wälder nahmen diese alte Rolle wieder auf und machten sich zu Dienern und Helfershelfern dieses Aufstandes wie aller srühercn. Der Untergrund eines solchen Waldes war in allen Rich - tungen durchbohrt und durchlöchert von einem unbekannten Wegnetz von Gräben, Zellen und Gängeif. Jede dieser blind endenden Zellen bot Unterkunft für fünf oder sechs Männer. Das Schwierigste war, zu atmen. Erstaunliche Ziffern lassen die mächtige Organisation des ungeheuren Bauernaufstandes erkennen. Im Wald von Pertre, dem Zufluchtsort des Fürsten von Talmont, war kein Atemzug zu vernehmen, keine menschliche Spur zu erspähen, und dort lagen sechs - tausend Mann; im Walde von Meulac war kein Mensch zu sehen, und doch hausten dort achttausend Mann. Diese beiden Wälder gehörten nicht einmal zu den größten in der Bretagne. Jene heuchlerischen Dickichte voller Krieger in unterirdischen Labyrinthen waren wie ungeheure dunkle Schwämme, daraus unter dem Riesentritt der Revolution der Bürgerkrieg emporspritzie. Die ungeahnten Armeen schlängelten lauernd sich unter den Füßen der republikanischen Heere dahin, wuchsen plötz - lich aus der Erde und verschwanden wieder, stürmten vor in zahllosen Mengen und zerstoben, allgegenwärtig und nirgends; erst Lawine, dann Staub; Riesen im Kampf, Zwerge, wenn es zu verschwinden galt. Tiger mit Maulwurfgebaren. Die großen Wälder waren unter sich durch die überall verstreuten dichten Gehölze verbunden. Schlösser, die Festun- SreiWh Allmann, Wels Kaliums roriiWt. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion wählte am Dienstag an Stelle ihres bisherigen Vorsitzenden Her - mann Müller- Franken, dem der Dank der Fraktion für seine langjährige und erfolgreiche Tätigkeit als Fraktionsvorsihenöer aus - gesprochen wurde, einstimmig die Abgeordneten B r e i t s ch e i d, Dittmann und Weis zu geschästssührende Vorsitzende. * Die Zentrumsfraktion des Reichstages beschloß am Dienstag, die Wahl ihres Fraktionsvorstandes auf den Herbst zu vertagen. Bis dahin wird der bisherige Fraktionsvorstand die Geschäfte der Fraktion führen. man sich kaum vorstellen: es waren Städte. Dumpf und stumm und wild dehnte sich in unentwirrbarer Berpflechtung von Dornen und Zweigen dies endlose Gestrüpp reglos und i schweigend; die Einsamkeit gemahnte an Tod und Grab, i Hätte man aber mit einem Schlag alle Bäume fällen können. gen waren, Weiler, die Feldlager waren, Bauernhöfe, die Hinterhalte und Fallen waren, Borwerke, von Gräben um - zogen und Bäumen umstanden, das alles bildete die Maschen dieses Netzes, in dem die republikanischen Heere sich fingen. In manchen Wäldern und Gehölzen gab es nicht nur unterirdische Dörfer, die sich um den Bau des Führers gruppierten, sondern auch richtige Weiler mtt niederen Hütten unter den Bäumen verborgen, so zahlreich, daß zuweilen der ganze Wald davon erfüllt war. Oft verrieten sie sich durch den Rauch. In den Hütten lebten die Frauen, die Männer in den unterirdischen Höhlen. Als Wege benutzten sie in diesem Krieg die alten Feengänge und die keltischen Gräben; den geflohenen Männern wurde das Essen hingetragen. Es kam auch vor, daß der eine oder der andere vergesien wurde und verhungern muhte. Das waren übrigens nur die Unge - schickten, die ihren Schacht nicht zu öffnen vermocht hatten. Gewöhnlich war der Deckel von Moos und Zweigen so künstlich und geschickt gesonnt, daß er von außen im Gras nicht zu erkennen war, aber von innen sich leicht öffnen und schließen liefe. Diese Schlupfwinkel wurden mit großer Sorg - falt hergestellt, die ausgegrabene' Erde in einen benachbarten Weiher geworfen; Wände und Boden waren mit Farnkraut und Moos ausgepolstert. Solch ein Schlupfwinkel hiefe „die Loge", und abgesehen davon, daß es kein Licht, kein Feuer, kein Brot und keine Lust gab, war man ganz gut da auf - gehoben. Ohne besondere Borsichtsmaferegeln zu den Lebenden hinaufzusteigen, war eine bedenkliche Sache — man konnte zwischen die Beine einer marschierenden Armee geraten. Furchtbare Wälder waren es, Mausefallen mit zwei Klapp - türen: die Blauen wagten sich nicht hinein, die Weihen wagten sich nicht heraus. In diesen Tierhöhlen langweilten sich die Menschen. Manchmal, in der Nacht, kamen sie aller Borsicht zum Trotz heraus und tanzten auf der nächsten Heide. Oder sie beteten, um die Zeit totzuschlagen. „Den ganzen Tag lang liefe uns Scan Ehouan Rosenkränze hersagen," berichtete Bourdoiseaq, sForksehung folgt) z wohl aten. »reife iflul aus Stanö raiet tneft aus fflt Li. Das 6cf>rcctenejof>r. Don BictorHugo. Aus dem Französischen übersetzt von Eva Schumann. [47] Der Bauer hat zwei feste Punkte in feienm Leben: das Feld, das ihn nährt, und den Wald, der ihn verbirgt. Was die bretonischen Wälder eigentlich waren, kann m Anträge. Berlin, 3. Juli. Zum Wiederbeginn der Reichstagrarbeit sind von den Parteien eine große Zahl von Anträgen eingegangen. Bis gestern wurden 132 Anträge gezählt. so wäre plötzlich in diesem Dunkel ein Gewimmel von Men - schen sichtbar geworden. Runde schmale Schachte, oben mit Steinen und Zweigen bedeckt, erst senkrecht, dann wagerecht in die Erde führend und schliefelich in düstere Kammern mündend — das fand Eambyses in Aegypten und Westermann in der Bretagne. Dort in der Wüste, hier im Walde; in den Höhlen von Aegypten hausten Tote, in den Höhlen der Bretagne hausten Lebende. Eine der unzugänglichen Lichtungen im Walde von Misdon, durchbohrt von Gängen und Zellen und bewohnt von einem geheimnisvollen volk, hieß ,chie große Stadt"; eine andere Lichtung, über der Erde nicht weniger verlaffen und unter der Erde nicht weniger bewohnt, hieß „der Königsplatz". Dies unterirdische Leben gab es seit Menschengedenken in der Bretagne. Zu allen Zeiten war dort der Mensch vor dem Menschen geflohen. Das ging bis auf die Druiden zurück; einige der Höhlen waren so alt wie die Dolmen. Die Schattengestalten der Sage und die Ungeheuer der Geschichte — alle waren sie über dies schwarze Land hingeschritten: Teutates, Cäsar, Hoel, Gottfried von England, Alain mit dem eisernen Handschuh, Peter Mauclere, die französischen Blois, die englischen Montforts, Könige und Herzöge, die neun Barone der Bretagne, die Richter der „Großen Tage"*), die Grafen von Nantes in Fehde mit den Grafen bet Schuldigen Verbrechen und Missetaten unbestraft blieben, von Rennes, Wanderer, Sttafeenräuber, Freikorps, der Bscomte von Rohan, der „gute Herzog von Chaulnes", der unter den Fenstern der Frau von S^vignö die Bauern auf- bängte, im fünfzehnten Jahrhundert die Metzeleien der Herren, im sechzehnten und siebzehnten die Religionskriege, im achtzehnten die dreißigtausend auf Menschenfang dressier - ten Hunde; unter diesen furchtbaren Fußtritten hatte das Bolk es vorgezogen, zu verschwinden. Die Höhlenbewohner verkrochen sich vor den Kelten, die Kelten vor den Romern, die Bretonen vor den Normannen, die Hugenotten vor den Katholiken, die Schmuggler vor den Stcuerbcamfen — alle *) „Große Tage" hießen die außerordentlichen Parlaments - sitzungen, die in denjenigen Provinzen abgehalten wurden, wo Gefahr bestand, daß durch den Einfluß der mächtigen Familien von wie diesmal von Hermann Müller. Selbstverständlich waren ncl *|i>iefe Erklärungen verbunden mit dem Rufe nach der v o l l e n ^"'Gleichberechtigung Deutschlands. Die Rechte "L [ des Hauses hätte, wenn sie dessen fähig wäre, aus diesen lu p Partien der Rede lernen können, wie man entschloffene ung I Selbstbehauptung der Jtafion mit dem Willen zur Der- fSj" “ nur. elfe llge cks en- hes 5 Nummer 163 engeieeeprtije verstehen sich In Reichsmark, die 13 gespaltene Non. par«llle»eil« *5 4. IkrteaU 3amilihan2321 u.3503. Verantw.Redakteur: 1>«ul»uaMje, r »MTW ,‘7 «Hlona. - Buchbandiuncu geblanbfir.il, ffernspr.: Sammcl-Rr. C 5 r * eeM ’ '1, Stepban 1701, Nachtruf L 5 Stephan 2902. Druckereikontor: Feblandstr.il, I. T*t(|tUttOCt lolO rbfei Sernspr.: Sammel-Nr. C 5 Stephan 1831, Nachtruf C 5 Stephan3032 u. 3683. N Lemokratlscher Reichskanzler zum deutschen Bolke ge- _2j fprochen. Zum ersten Male wieder seit 5 Jahren sehen wir 8^ sozialdemokratische Minister auf den Bänken der Reichs- 42J regierung. In den vorderen Reihen der deutschnationalen -2- Fraktion sitzen am Tage der Regierungserklärung Hergt, mit vergnügtem Lächeln Herr Schiele und der ewig 22j melancholische vonKeudell. Auf dem Führersitze des Zen- 3,31 trums hat, sommerlich gebräunt, Herr Wilhelm Marx Platz W genommen. Die Männer haben gewechselt. Programm und 5 2 ? Taten der neuen Regierung sollen erkennen lassen, daß a u ch — ein politischer Systemwechsel in Deutschland ein- 8J getreten ist. 33; Hermann Müllers Kanzlerrede ist von einem nüchter- 713nen Optimismus getragen. Entschiedene soziale und 4° politische Reformen — das ist sein Bekenntnis und seine Forderung. Immer wieder arbeitet er in seinem langen und 50 gründlichen Bortrag soziale, wirtschafts- und finanzpolitische 5-W Reformpläne heraus. Die volle Energie seines Wollens, das Temperament des Sozialisten liegt in seiner Stimme, wenn 10 ?' er Regierungsarbeit für d i e Hebung des Arbeits- 137; volkes in Stadt und Land ankündigt. Wiederholt 22 geben sich die Kommunisten Mühe, an einzelnen Stellen, unter- stützt von den Nationalsozialisten, den Redner durch lang- 107 J dauernde Zurufe zu übertönen. Spielend wird dec erfahrene -5o' Parlamentarier mit dem jungenhaften Benehmen der rechten — und linken Radikalinskis fertig. Schließlich verzweifeln die . Zwischenrufer an der Sachlichkeit des Vortrages. Ungestört, 1 unter dem stürmischen Beifall der Sozialdemokraten und etwas gedämpfter Zustimmung der Mittelparteien kann llepr Hermann Müller feine Rede beenden. lauf Fünf Parteien sind an der Regierung beteiligt. Fünf programmatisch stark geschiedene Strömungen machen ihren Einfluß auf die Führung der Reichsgeschäfte geltend. Nur vollendete politische Berständnislosigkeit konnte erwarten, daß eine solche Regierung Erklärungen von einem Guß und fa«f von festen und klaren Bersprechungen abgibt. Daß die un- ahr« zweifelhaften Gegensätze in diesem Kabinett wie in jeder egierung mit Koalifionscharakter auf so manchem Gebiete orsichtiges Tasten, Prüfen und Ringen notwendig machen, wird jeder begreifen. Manche Formulierung im Regierungs- nali" Programm ließ diese Schwierigkeiten naturgemäß erkennen. Trotzdem ist es Hermann Müller gelungen, die von den »republikanischen und sozialistischen Wählermassen geforderte »Linksschwenkung schon in der Programmrede deutlich hu machen. Das gilt, was vielleicht am wenigsten zu erwarten |Q j war, sogar für die Außenpolitik. Niemals ist in den letzten inerij 5 Jahren so entschieden und eindeutig das politische und der wirtschaftlich einige Europa, ist so radikal das A b - daslt ragenderZollmauern von einer Regierungsbank in W» irgendeinem Staate unseres Kontinents gefordert worden. stell