104 Non. nummer Uditruf C5 etcobon 2461 (tHe • Uhr l), bi bcn Filialen (H« ZUHrt mit m aOen 'tob- und Datarrori Christen unserbtnbli». 9« bot« 35 A. eteUtngefu*« 25 A. SW<4iMtln»«4e«* bis 9 3«kn btt 3etle SO «, 10 bi« 15 Seilen die Seile 35 * lUttametMU 3 JO a l 21n»etgen müfien nn voraus ober sofort bejae« werden. Mnje^nomuinine Sel-ljnbstrabe 11, ftoebbart.. Stmil'redier: Bammel. Hamburger Echo »ablbar: äfonatlid) 2JO a (einfdjL SO Cuiceiumasgebülir), wbchentlicd ■Äs < X Ä XX* XX X X oertteben ,td> m nie 1 nrttv.« ^iwnouro^iitvmmvi ?üoi"6Difl» •Mltona. - ■Vuctbanblunq: Seblanbstr 11, f^emfbr.: Bammeb^jr. t 5 ““W ”^Me Btepbon 1701, Nachtruf L 5 Stephan 2802. Druckereikontoe: Feblonbstr.11,1 flernfpr.: Smnmel.Nr. L 5 Stephan 18Z1, Nachtmf L 5 StevhanM2u.ZS83. Gegründet 1875 9lummet 266 Donnerstag, 26. September 1929 55. Jahrgang ReglttunMmz in SestmeiK ötreeruwik erledigt SPD. Wien, 25. September. (Sig. Drahtb.) Bundeskanzler Skreeruwih hat am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt und abends im Chrifilichsozialen Klub von feinem Entschluß Kenntnis gegeben. Der Bundes - präsidcut hat die Demission angenommen. Bon den Mehr- heilsparleien ist der gegenwärtige Wiener Polizeipräsident Schober als Bundeskanzler in Borschlag ge - bracht worden. Schober dürfte das ihm zugedachle neue Amt annehmen. Die Gründe des Rücktrittes sind noch nicht ganz klar. Offenbar hat es in der Christlichsozialen Pereinigung Eningen gegeben und es scheint, daß der ehemalige Bundes - kanzler Seipel, der der Regiemug Slreeruwitz dauernd Schwierigkeiten gemacht hat, an dem Rücktritt nicht ganz unbeteiligt ist. Me Regierungskrise ist jedenfalls ein Zeichen, daß in der Chrifilichsozialen Partei ein großes Durcheinander herrscht und Seipel offenbar u rder die Oberhand gewonnen Hal. Ls ist auch möglich, daß der Landbund, der am Mittwochvormittag in - offiziell Halle ankündigen lasten, daß er ein Ultimatum an die Regierung richten und eventuell den Bize- kanzler abberufen werd«, mit den radikalen Elementen der Christlichsozialen zusammen den Sturz der Regierung herbei- geführl hat. Wie Schober zu regieren gedenkt, ist ebenfalls noch nicht klar. Bezeichnend ist jedoch, daß auch die G r o ß - deutschen jetzt für Schober als Bundeskanzler cintreten. Neamtenkabinett Schober SPD. Wien, 26. September. Der Bundespräsident be - auftragte den gegenwärtigen Polizeipräsidenten von Wien am Mittwochabend mit der Neubildung der Regierung. Schober ,/ahm den Antrag an und begann sofort mit den zur Neubildung '-M- Kabinetts erforderlichen Verhandlungen. Et verlautet, daß er wahrscheinlich auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen wird, zumal die christlichsozlalc Gruppe Rintelen nach der Erledigung von Streeruwih auch einen Bundeskanzler Schober bekämpfen dürfte. Rach alledem, was geschehen ist, kann der Rücktritt der Regierung Streeruwitz nicht noch mehr Unruhe schassen, als bereits vorhanden ist. Die oben wiedergegebene Aeußerung der Arbeiterzeitung trifft den Kern der Sache. Die Regierung ist an der völligen Halt - losigkeit und Ziellosigkeit ihrer eigenen Mehrheit zerbrochen. Was aber kommt jetzt? Die Berufung Schobers wird in der Oeffentlichkeil ge - teilte Gefühle auslösen. Es ist nicht vergesten, daß Schober der Mann des blutigen 5. 3uti gewesen ist. Auf der andern Seite ist auch nicht vergessen, daß Schober in letzter Zeit eine gewisse Annäherung an die Sozialdemokratie versucht hat. Gefährlich ist er dadurch, daß er über den Machtapparal der Polizei verfügt. Die liberale Presse Wiens ist zunächst geneigt, in ihm einen Retter des Vaterlandes zu sehen. Sie möchten ihm die Ausgabe übertragen, die Demokratie und die Verfassung zu retten. Sie gesteht zu gleicher Zeit ein, daß, wenn Schober diese Aufgabe nicht lösen kann, es schlimm, wenn nicht hoffnungslos um Oesterreich steht. Die Parole heißt also: abwarten. Wir schließen uns mit allem Nachdruck den Worten der Arbeiterzeitung an, die fest - stellen, daß 800 000 organisierte Arbeiter und Angestellte nicht mit sich spaßen lassen werden. Wir sehen noch Für neu i,injutretenbe Bezieher werben die bereits erschienene» Kapitel diese« Roman« aus Wunsch kostenlos nachgestefert. Copyright by Carl Duncker Derlag, Berlin. Der gefchloffene Rins Ein Iustizroman unserer Zeit Von Frank Arnau. (BOI „Beim 3ustizrat Bergenhardt liegt ein Akt, von mir selbst am Vormittag des 4. März — das ist der Tag nach der angeblichen Ermordung des Zames Lychner — verfaßt. Ich bestehe nicht darauf, kann nicht darauf bestehen, wie es scheint, meinen Verteidiger zu sprechen, aber ich bitte, zu veranlassen, daß dieser Akt, der die volle Aufklärung des Falles Lychner enthält, meinem Verteidiger ausgehändigt wird. Der Akt heißt ,Akl Magnus Arber'. Iustizrat Bergenhardl wird auf telephonischen Anruf seine Existenz bestätigen und über die näheren Umstände bei seiner De- vonierung Aufschluß geben." „Warum haben Sie von diesem Akt bis jetzt nicht ge - sprochen?" „DaS wird aus dem Akt selbst hervorgehen!" „Finden Sie nicht, daß das alles sehr merkwürdig klingt?" „Doch, Herr Direktor, ich empfinde das sehr wohl. Aber es wird sich Herausstellen, daß im Fall Lychner—Arber noch manches sehr merkwürdig ist, daß der Fall durch das gestrige Verdikt der Geschworenen noch keineswegs erledigt ist." „Das hoffen Sie?" „3a, Ich hoffe es." „Nun, ich will Ihnen diese Hossnung nicht rauben. Ich kenne den Iustizrat Bergenhardt persönlich und ich werde ihn anrufen. Aber ich mache Sie daraus aufmerksam: wenn sich herausstellen sollte, daß es mit dem ,Akt Magnus Arber' nichts ist, dann können Sie sich weitere Behelligungen der Anstaltsleitung ersparen." hinzu: Millionen des organisierten dent- schrn Proletariats sind mit Herz und Sinn in diesem Augenblick bei ihren Klassengenossen in Oe st erreich. Jas bürgerliche Lbaos SPD. Wien, 26. September. Die Wiener Arbeiierzeitung Kreibt: Der Sturz der Regierung Streruwitz ist eine Folge der Irigen im bürgerlichen Lager selbst und ein Anzeichen der fortschreitenden Zersetzung der bürgerlichen Parteien. Daß die bürgerliche Mehrheit nicht mehr imstande ist, eine parlamentarische Regierung unter eigener Führung und eigener Verantwortung zustande zu bringen, daß sie, nachdem sie lange Zeit mit den Putschisten kokettiert, die Putschisten ge - fördert, die Putschisten als ihre Werkzeuge benutzt hat, jetzt keinen andern Ausweg mehr weiß, als adzudanken und sich selbst unter die Führung des Polizeipräsidenten zu stellen, um das durch die Putschdrohungen beunruhigte inländische und ausländische Kapital darüber zu beruhigen, daß die bürgerliche Ordnung nicht gestört werden wird, zeigt die ganze Jämmerlichkeit und Schande dieser bürgerlichen Politik. Wal tut man, wenn alle« drunter und drüber geht? Man holt die Polizei. Was tun Me Bürgerlichen, wenn sie einen Bundeskanzler aus ihrer eigenen Mitte nicht mehr zustande bringen? Man holt den Schober. Die Arbeiterklasse kann kaltblütig abwarten, wie Schober seine Regierung zujammensehen und was für eine Politik er betreiben wird. Mit 800 000 organisierten Arbeitern und An - gestellten wird keine Regierung fertig, wie immer sie aussieht. Was immer jetzt komme, man wird die Sozialdemokratie bereitsinden. erflärungtn des neuen llfauiitbcn Minister- «Meulen MTB. Kowno, 25. September. Der neue litauische Ministerpräsident Tubelit gab heute vor Vertretern der Presse Erklärungen ab, in denen er, nach der Feststellung, daß der Präsi - dent der Republik gegenwärtig im Leben deS Staatei eine be - sonders hervortretende Rolle spielt, weiter auSführte, es werde die wichtigste Sorge der Regierung fein, die politische und roitf- schafilche Lage des Landes zu konsolidieren. Um dem Grund - gedanken der Verfassung zur Verwirklichung zu helfen, werde die Regierung gewisse Reformen, insbesondere auf dem Gebiet der Kommunalwahlen, vornehmen. Sie werde aber auch neue Gesetze Über die Wahlen zum Palament und Über die Präsidenten - wahl einbringen. Außerdem werde man um eine schrittweise Lösung der Fragen des Kriegszustandes und der Pressezensur bemüht [ein. Die auswärtige Politik werde dieselbe bleiben und sich um die Wilnafrage als Mittelpunkt orientieren. Schließlich erklärte der Ministerpräsident noch, die Ursache zum Rücktritt seine« Vorgänger« Woldemara« sei auf eine Meinungsverschieden - heit mit seinen Mlnisterkollegen zurückzuführen. E« habe sich dabei um die Frage gehandelt, ob den Ressortministern bei ihrer Mitarbeit an den ReglerungSgeschästen Ranggleichheit mit dem Ministerpräsidenten zukommc ober ob sie dem Ministerpräsidenten unterstellt seien. Der Präsident habe die Krise zugunsten des Prinzip« der Ranggleichhelt gelöst. Zur Frage der Reichsbahntarife sagt der Verkehrsminister: 3m Hinblick auf die steigenden Einnahmen der Reichsbahn liegt gegenwärtig ein zwingende« Bedürfnis für eine Erhöhung der Tarife nicht vor. ES muß zunächst abgewartet werden, wie nach der endgültigen Gestaltung deS 4)oungplaneS dieser auf die Finanzlage von Reich und Reichsbahn sich auSwirken wird. — Der VerwaltungSrat der Reichsbahn hat die Bestellung von 50 Lokomotiven bei deutschen Fabriken beschlossen. MktrbuMvttsstmmlung geWMn! SPD. Gens, 25. September. (Eigener Drahtbericht.) Die zehnte Vollversammlung des Völker-^ bunäes fand am Mittwochmtttag ihr Enpe. Zn die dreizehngliedrlge Kommission zur Nachprüfung der Verhältnisse des Völkerbundssekrefariats, des Internationalen Arbeitsamtes und des Büros des internationalen Gerichtshofes wurden unter andern Graf Bernstorff, Lord Cecil und L o u ch e u r gewählt. Die Zurückziehung des Antrages über die Reparationsbank wurde zur Kenntnis genommen, die Entschließung über Artikel 19 ohne Widerspruch in der Kommissionsfassung an - genommen. 3n seinem Schlußwort erklärte der Vertreter San Salvadors, Ferrero, daß die Versammlung ein weites Aktionsprogramm ent - worfen habe. Sie habe ferner erhebliche Fortschritte in bezug auf die internationale Gerichtsbarkeit gemacht, und man könne infolgedessen sagen, daß die zehnte Jahresversammlung des Völkerbundes eine glückliche Versamm - lung gewesen fei. Der Ausklang der Völkerbundsverfammlung ist still und wider Erwarten etwas resigniert geraten. Die pompösen Höhepunkte, die grandiosen Hochstimmungen der ersten Tage haben den müden Ausklang nicht zu beleben vermocht. Die führenden Politiker batten Qtenf schon seit langem verlassen, und was noch zusamrnen- blieb, waren die Kommissionen, die in mühsamer Kleinarbeit ein noch immer mageres Ergebnis festzustellen suchte. Tine bessere Regie hätte dieses etwas fatale Ende leicht ver - meiden können. ES wäre nur nötig gewesen, die Flut von Kommisfionssihungen nicht ausschließlich auf daS Ende der Tagung zu konzentrieren. Denn, wenn heute das Publikum auch von dieser Völkerbundsversammlung einen kaum ermutigenden Ein - bruch mitnimmt so ist dieser Eindruck der diesmaligen Völkec- bundstagung gegenüber nicht gerechtfertigt. Den« diese Tagung hat zum ersten Male seit Jahren wieder Ergebnisse gezeitigt: sie hat wieder einmal seit langer Zeit die schwerfällige Völkerbundsorganisation in xrachivvllen Schwung versetzt und Hai moralisch und sach- Utfi viel geleistet. Da s wichtigste Ergebnis sind die zahlreichen Unterzeichnungen zur Haager Fakultativklausel. Macdonald hat recht behalten, als er zu Beginn der Tagung sagte, daß diese Versammlung in die Geschichte eingehen werde unter dem Zeichen des internationalen RechtSgedankenS. Nicht weniger wichtig sind die kritischen Bemühungen, die bisher falschen Grundlagen der Völkerbundsgrundlagen zu verändern und zu verbessern. England« Vorstoß, die Völkerbundssatzungen mit dem Kelloggpakt in Uebereinstimmung zu bringen, ist zwar nicht restlos geglückt, hat aber trotzdem keinen offenen und ernsten Widerstand gesunden. Die Frage ist zur Erörterung gestellt und wird zweifellos im Lause eines Jahre« in irgendeinem Sinne be - antwortet werden müssen. Sehr große Bedeutung Hal auch der englische Vorschlag eines zweijährigen Zollfrieden«, der zum mindesten für die europäischen Staaten ein brauchbarer und aussichtsreicher Vorschlag ist. Wenn man auch zur Stunde nicht sagen kann, ob der Vorschlag wirklich durchgeführt wird, [o ist doch sehr wahrscheinlich, daß die europäischen Staaten auf ähnlicher Bast« sofort verhandeln werden. Unter den andern Fragen, die die Völkerbundsverfammlung in fruchtbarer Weise diskutiert bat, seien noch genannt die Frage deS Artikel« 19, der nnanroenbbar gewordene internationale Ver - träge abändern will. Hier hat eine chinesische Entschließung An - nahme gefunden, die ein geregelte« Verfahren für die Anwen - dung diese« Artikel« verlangt. Behandelt wurde ferner das Pro - jekt einer finanziellen Unterstützung angegriffener Staaten, im Zusammenhang damit eine erneute Ueberprüfung der Artikel 11 und 16 bet Satzung, die sich mit dem SanktionSreckt de« Völker - bundes besassen. Altes in allem zeigte die diesmalige Ver - sammlung oie fortschrittlichen DölkerbundSkräfte in Bewegung, und bewies, daß trotz aller Rückschläge und trotz der vielen Enttäuschungen der Völkerbunds- gebanhe lebt und wächst. 1JT „Wenn sich das herausstellen sollte, werde ich mich nie mehr an Sie wenden, Herr Direktors Uebrigens wird Iustiz - rat Bergenhardt den Akt nur gegen ein« schriftliche Voll - macht, die von mir unterzeichnet ist, herausgeben." „Wenn der Akt vorhanden ist, werden Sie die Vollmacht geben." Der Direktor wandte flch zum Gehen. Nach einer halben Stunde erschien ein Wächter in der Zelle. Magnus wurde gefesselt: er dachte, man hole ihn zum Spaziergang ab. Er wurde indes zu dem Direktor der An - stalt geführt. Als Magnus vor dem Schreibtisch des Mannes stand, der so wesentlichen Einfluß auf sein künftiges Geschick haben sollte, sah er den Blick des Direktors forschend auf sich gerichtet. Richt unfreundlich, wie es Magnus schien. „Arber, ich habe mit Iustizrat Bergenhardt gesprochen. Der Akt ist da und es stimmt auch, daß Sie ihn am Vor - mittag des 4. März im Büro des Iustizrats geschrieben und ihn dem Iustizrat versiegelt zur Aufbewahrung übergeben haben. Der Iustizrat ist bereit, den Akt gegen eine von Ihnen unterzeichnete Vollmacht an Dr. Hirschberg abzugeden. Er fragt an, ob er selbst von dem Inhalt Kenntnis nehmen darf, wie er sagt, aus rein persönlichem Interesse an Ihnen." „Ich würde sogar darum gebeten haben, Herr Direktor." „Wollen Sie also die Vollmacht unterzeichnen!" Magnus setzte seinen Namen unter das Schriftstück, das ihm der Direktor zuschob. „Das ist ja eine ganz mysteriöse Angelegenheit! And Sie erwarten von dem Akt eine Wiederaufnahme des Ver - fahrens?" Kawohl, Herr Direktor." „Nun, ich will in Ihrem Interesse hoffen, daß Sie sich nicht täuschen!" „Ich danke Ihnen, Herr Direktor. Vor allem auch dafür, daß Sie meiner Bitte entsprochen haben. Ich sehe ein, daß es Ihnen schwer fallen muh, in mir etwas anderes zu sehen, als einen vom Gericht zum Tod verurteilten Mörder." „Der müssen Sie für mich solange bleiben, bis ein neues Urteil vorliegt." Der Direktor nickte: der Wärter führte Magnus wieder in die Zelle zurück. Magnus sah die Dinge heute hoffnungsvoller als in der vergangenen Nacht unter dem Eindruck des Zusammenbruches Virginias und des Todesurteils. Der Iustizrat Bergenhardt würde den „Akt Magnus Arber" studieren, würde von dem Inhalt unverzüglich Virginia Kenntnis geben und, wenn Dr. Hirschberg nicht geschickt genug dazu war, würde Bergen - hardt selbst die Aufklärung in die Hand nehmen. Daß der Tote von der Fürstenstrahe nicht James Lychner war, konnte der Iustizrat nötigenfalls eidlich erhärten. Schon deshalb muhte die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgen. Magnus fahte wieder Vertrauen in die Zukunft. Auf den wundcwollen Erdenfleck an der Ccdte d'Azur strahlte die Sonne des Frühsommers Heitz und sengend. Di« Fremden, die den Frühling hier hatten genietzen wollen, waren zum gröhlen Teil wieder abgereist: nur noch di« Ge - meinde derer, die die Spielleidenschaft die Sommerhitze er - dulden hletz, harrte aus. Dr. phil. Minna Schütz war längst nach dem Norden gereist, das amerikanische Ehepaar hatte die Villa Stella verlassen, nur die beiden Russen waren von den alten Gästen noch geblieben: die Spielbank hielt sie mit ehernen Klammern fest. And Im schattigen Zimmer der Villa lag Ephraim Sperber. Die Baronin Dawidoff hatte es nicht zugegeben, daß der alte Mann mit der schweren Kopfverletzung nach dem Spital geschafft wurde. Er war noch immer ohne Bewußtsein. Die völlige Apathie, in der er die ersten zehn Tage gelegen, wechselte nun mit Stunden schwerer Delirien, in denen der Fiebernd« unzusammenhängend« Worte rief und manchmal drrzweiselt« Anstrengungen machte, flch zu erheben. Bei dem Bewußtlosen hatte man so gut wie keine Bar - mittel gefunden, dagegen im Schrank einen Kreditbrief auf eine Bank in Nizza. An Papieren besaß Ephraim Sperber nichts als seinen Pah und außerdem eine Unmenge von Zeitungen, zumeist deutschen. And jeden Tag trafen aus Paris neue Blätter für Ephraim Sperber ein; ganze Stöße Mussolinis mm Ami Tatsachen und Redensarten Von Angelica Balabanofs. Me Philister aller Länder, die gewohnt sind, den Worten und Taten, die von „höchster Stelle" stammen, eine entscheidende Wirkung beizumessen, zerbrechen sich den Kops darüber, wa« wohl jetzt in Jfalien kommen mag, nachdem Mussolini die Leitung einiget Ministerien — von denen er neun sich selbst unterstellt hatte — seinen Kreaturen Grandi, Balbo. Acerbo usw. überlassen bat. So manchem wird eS dünken, die Alleinherrschaft würde durch eine Verfassung erseht werden und Italien zu einem demo - kratisch regierten Lande werden. Von alledem keine Spur. Die Entlastung bei RegietungShaupie« ist ebenso eine für die Galerie bestimmte Geste, ein Verlegen- beitSmanöver, wie alle« andere. Durch die Ernennung der drei Stelloerteter wird weder im äußern noch im Innern Leben bei Lande« die mindeste Aenderung oder Verschiebung elntrefen; für einige Tage wird die Aufmerksamkeit der kleinbürgerlichen Oesfentiichkeit von der die Gefamtbevölkerung Italien« be - drückenden wirtschaftlichen Krise abgeleukt werden, damit dann eine neue Weile der Enttäuschung folgen wird. Alle« bleibt beim alten. Auch früher hat Mussolini sich feiner Strohmänner be - dient, ohne daß je etwa« andere« getan wurde al« da«, wa« die Abenteurerpolitik, die Sensation, al« „zweckmäßig" für den ge - gebenen Augenblick erscheinen ließ. E« ist wohl auch im Ausland bemerkt worden, daß jede „große Rede" Mussolini« einer besonder« scharfen Krise der innern ober äußern Politik zu entsprechen pflegt. So ist e« auch mit feiner jüngsten Kede, von der die faschistische Presse ein - stimmig behauptet, ei sei d i e Rede gewesen; sie Ist aber vielmehr ein Symptom der immer weiter und tiefer um sich greifenden Krise als — wie die Philister zu glauben scheinen und die Speichellecker zu behaupten sich erdreisten — eine neue, vom „göttlichen Mussolini" eröffnete Aera der Geschichte Italien«. Die allmächtige faschistesche Regierung hat dulden müsset^ daß — trotz der offiziellen Verkündung von der Abschaffung bet Klassengegensätze — monatelang in der Presse die Frage der Be - triebsräte besprochen wurde. Die Arbeiter, die in den faschistischen Zwangsorganisationen keinerlei Möglichkeit haben, ihre Leben«- interessen zu verteidigen, haben Trotz des Terror«, der Not und Unsicherheit der Eristenz ihre von den faschistischen Behörden er - nannter. „Führer" gezwungen, in der Oesfentiichkeit zu dieser Frage Stellung zu nehmen. In den meisten Fällen taten diese o« au« Furcht vor der Verantworkung und um einen Druck auf die Unternehmer auijuüben. Durch den Falchilmui verteidigt, geschützt und begünstigt, denken die Unternehmer nicht im ge - ringsten daran, auch nur den winzigsten Teil ihrer Verpflichtungen den Arbeitern gegenüber zu lösen. Die „Führer" wissen nicht mehr, zu welchen Ausreden sie greifen könnten, um die Un - zufriedenheit der Arbeiter zu beschwichtigen. Rach monatelangen Diskussionen ist, wie bekannt, von Mussolini „beschlossen" worden, die Betriebsräte seien im faschistischen Italien nicht zu dulden. Um die Unzusrledenheit der Arbeiter zu vertuschen, von denen auch die jüngsten und gewerkschastlich ungeschulten hinter den Schwindel der Carta bei Lavoro kommen, ist die Komödie der Ministerernennung und die Farce der Rede aufgesührt worden. Da« ist der langen, wahnsinnigen Rede kurzer Sinn, mit der sich die Presse der verschiedenen Länder, wie üblich, einige Tage be - schäftigt, ohne auf ihren sozialen Hintergrund einzugehen. Jedesmal, wenn e« sich darum handelt, eine Verlegenheit zu verhehlen oder einen neuen Widerspruch für daS logischste aller Ereignisse auSzugeben. erinnern die Faschisten daran, daß bet Faschismus eine Revolution fei, wobei dieser Revolution jedesmal eine neue Funktion zu - geschrieben wird. Diesmal heißt e«, die Revolution besteht in dem „Wiederaufbau". „Sieben Jahre nach dem „Marsch auf Rom", heißt c« weiter in dem Lobgesang auf die Rede Mussolini« vom 15. September, „sehen wir die totale Verwirklichung der faschistischen Revolution ... E« handelt sich um einen äußerst originellen Vorgang der Geschichte, die da beweist, daß keine tiefgehende Umwälzung der Tatsachen möglich ist, ohne daß sie bereits Im Geiste eines einzelnen Menschen vollstreckt gewesen fei. Wir hatten daS Glück, daß dieser Mensch Mussolini ge - wesen ist, Vater der Idee, Verkünder de« Gedanken«. Mussolini, die außergewöhnlichste und vollkommenste Persönlichkeit der zelt- genösstjchen Geschichte, befiehlt von dem unantastbaren Recht seiner geistigen Kraft au«. Ein Jahrhundert unsere« nationalen Leben« wird durch feinen Ramen geweiht." Daß diese Ein - stellung der würdelosen Presse dem „Schöpfer der neuen Ordnung" die Möglichkeit gibt, uferlose Demagogie zu treiben, liegt auf der Aus dem Inhalt Politik und allgemeiner Teil: Regierung«sturz in Oesterreich. Wechselreiterei bei Raiffeisen: Deutfchnationale Selbst - versorger. Bedeutsame Rede Tarnow« auf dem Holzarbeiterkongreß. Völkerbundsverfammlung geschlossen! Tagesbericht: Die Riesenpflanze im Kleingarten. Dombeginn am 25. November. Taubstumme und Ertaubte. Unwürdiger Bürgerschaftsbeginn. Kunst und Wissenschaft. AuS aller Welt. Arbeiter- und Angestelltenbewegung. waren bereits aufgeschichtet. Dagegen kein Brief, kein Anzeichen dafür, daß Sperber mit irgendeinem Menschen in der weiten Golteswclt irgendwelche Zusammenhänge hatte. Baronin Dawidoff war sehr in Sorge um den alten Mann. Er war der netteste Gast gewesen, der |e bei ihr gewohnt hatte. Die Baronin hatt« eben jetzt, da Im Hause nur Durchgangsverkehr herrschte, sehr viel zu tun, aber sie ließ sich die Pflege Sperbers sehr angelegen sein, sorgte dafür, daß der Arzt jeden Tag zweimal kam und daß immer jemand um den Kranken war. Es fiel ihr auf, daß unter den Worten, die Sperber in seinen Delirien immer wieder rief, der Name „Arber" am häufigsten vorkam. Ihr war der Fall Arber nicht ganz unbekannt, wenn sie auch nicht dazu kam, ständig Zeitungen zu lesen. Offenbar hatte Sperber sich für die Angelegenheit außerordentlich stark interessiert: die Zeitungen, die sich in seinem Besitz sanden und die noch täglich für ihn cintrasen, schienen auch nur unter dem Gesichtspunkt ausgcwähtt zu sein, ob sie etwas über diesen Fall enthielten oder nicht. Vielleicht kannte Sperber den Mann, der zum Tode verurteilt worden war. Oder den Ermordeten. Der Arzt »or sich nicht im klaren über den Pattenten,