summet  268 
55.  Jahrgang 
SonnadsnS,  28.  September  1929 
fflr  *en  folgenden  Zag),  in  den  Filialen  (btt  3  Übt)  und  tn  allen 
Annoncenbureaus  Dlatz.  und  (DnienvorfChristen  unverbmdlich. 
Hamburger  Echo 
Srfdxtnt  tdgltd)  einmal,  aufeetan  2.Steltrtaaen  Betuaeerei.-  ftm  Boraue  Ä  _  -  -  -  e»»« 1 e* n P r,l l«  »«sieben  iid,  m  9?elch6mart,  ole  !  gefbaltene  Non. 
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•'  ,e S? Qn  29l)2 -  Druckereikontor:  Seblanbftr.  11J-  AearAtihti  187  6 
ßernfbr..  SammebSJr.  C  5  eteoban  1831,  Slacbtruf  C  5  Steoban  3032  u.  3683.  JtUnOei  10,0 
Auch  Ehrhardt  m  Stahlhelm  beim  Erbfeind 
Der  fozialiftifche  Kulturtag 
Von 
Heinrich  Schulz 
JeiiW-sranzöMe  Rüjtungsvläne 
In  einer  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmten  Erklärung 
läßt  sich  Kapitän  Ehrhardt  dahin  verlauten,  daß  er 
gar  nicht  daran  denkt,  seine  Unterredungen  mit  französischen 
Politikern  im  Hause  Rechberg  in  Abrede  zu  stellen  oder 
gar  zu  beschönigen.  Er  fei  der  Ansicht,  daß  Deutschland 
versuchen  müsse,  sich  zunächst  mit  seinem  größten  Gläubiger 
Frankreich  ehrlich  und  ohne  Hintergedanken  zu  verstän -
digen.  Ob  das  Stresemann  mache  oder  Rechberg  sei  ihm 
gleich. 
Der  Stahlhelm  leugnet,  daß  er  von  den  Pariser  Ver -
handlungen  maßgebender  Stahlhelmleute  gewußt  hat.  Was 
von  dem  Leugnen  zu  halten  ist,  geht  aus  folgender  Zuschrift 
des  Freiherrn  Albrecht  von  Lamezan  an  die 
Germania  hervor:  „Durch  meine  Vermittlung  hat  vor  der 
Pariser  Reise  des  Herrn  Arnold  Rechberg  im  Frühjahr 
dieses  Jahres  in  meiner  Gegenwart  eine  Besprechung 
zwischen  den  Herren  Seldte,  Düsterberg  und 
mehreren  andern  Stahlhelm-Führern  einerseits  und  Herrn 
Arnold  Rechberg  anderseits  stattgefunden.  Herr 
Arnold  Aechberg  hat  dabei  die  internationale  Lage  ge -
schildert  und  die  Bedingungen  umristen,  welche  realen  Ver -
ständigungsverhandlungen  mit  den  beiden  Westmächten 
Frankreich  und  England  oder  gegegenenfasts  mit  Frankreich 
allein  zugrundegelegt  werden  sollten.  Es  wurde  schließlich 
verabredet,  Herr  Rechberg  möchte  zunächst  in 
Paris  sondieren  und  dabei  französischen  Staats -
männern  gegenüber  vertraulich  seine  Unterredung 
mit  den  Stahlhelm-Führern  erwähnen  und  dazu 
bemerken,  daß  diese  in  den  umrissenen  Be -
dingungen  eine  Verhandlungsbasis  sähen." 
Also  auch  Seldte  und  Düsterberg  „Landesver -
räte  r". 
lSiehe  auch  zweite  Seite:  Wie  der  Rüstungsplan  aussieht.) 
in  Schmidnitz 
9lationaljo$ia<iffen  dringen  in  Slrbeiternerfammlung  ein  und  sprengen  sie 
lieber  so  Verletzte 
Die  niederträchtige  Hetze  der  Nationalsozialisten,  die  in 
den  letzten  Tagen  wieder  zu  zahlreichen  politischen  Zu -
sammenstößen  geführt  hat,  hat  jetzt  in  der  niederschlesischen 
Stadt  Schweidnitz  zu  einer  neuen  Versammlungsschlacht  ge -
führt,  in  der  eine  große  Zahl  von  Personen  schwer  verletzt 
worden  sind.  In  einer  vom  Reichsbanner,  der  Sozialdemo -
kratie  und  den  freien  Gewerkschaften  einberufenen  Ver -
sammlung,  haben  nationalsozialistische  Rowdys  sofort  nach 
Beginn  eine  schwere  Schlägerei  entfesselt. 
WTB.  Schweidnitz,  28.  September. 
Als  Antwort  auf  «ine  gegen  das  Reichsbanner  gerichtete 
Kundgebung  der  Nationalsozialisten,  die  vor  einigen  Tagen 
statlfand,  hatten  gestern  abend  Reichsbanner,  SPD.  und 
die  Freien  Gewerkschaften  eine  Versammlung  einberufen, 
auf  der  der  Redakleur  der  Bergwacht  in  Waldenburg, 
Reichsiagsabgeordneter  Wendemulh,  sprechen  sollte. 
Zu  der  Versammlung  Hallen  sich  auch  Nationalsozia -
listen  in  großer  Zahl  eingefunden. 
Als  der  Redner  kaum  fünf  Minuten 
gesprochen  halte,  sehteein  fürchter -
licher  Tumult  ein  und  die  Gegner 
gingen  mitStühlen  und  Biergläsern 
aufeinander  los. 
Die  Saaleinrichtung,  Fenster,  Türen  usw.  wurden  zer -
trümmert.  Mehr  als  50  Personen  wurden 
teils  schwer,  teils  leicht  verletzt.  Mehrere 
Aerzte  verbanden  die  Leichtverletzten  an  Ort  und  Stelle. 
Eine  Reihe  von  Personen,  die  ernstliche  Verletzungen  davon- 
getragen  halten,  wurden  mit  Sanitätsautos  abtransportiert. 
Schweidnitz  liegt  in  der  Nähe  des  Waldenburger  Reviers 
und  gehört  mit  zu  dem  Verbreitungsgebiet  des  Hirschberger 
Beobachters,  eines  der  übelsten  nationalsozialistischen  Hetz -
blätter.  In  diesem  Blatte  ist  erst  vor  kurzem  öffentlich  zu 
Gewalttaten  gegen  sozialdemokratische  Führer  aufgefordert 
worden.  Vor  etwa  14  Tagen  erschien  in  diesem,  von  Paul 
Franke  verantwortlich  gezeichneten  Blatt  eine  Notiz,  in  der 
es  hieß,  der  sozialdemokratische  Reichstagsabgeordnete 
B  u  ch  w  i  tz  möge  die  schwarzrokgelben  Grenzpfähle  weit 
hinter  sich  lassen,  sonst  „dürfte  eine  hohe  Kiefer  in  der  Gör- 
liher  Heide  bestimmt  für  dich  gewachsen  sein". 
Diese  Gewalkhehe  hak,  wie  der  lieberfall  auf  eine  fried -
liche  Arbeikerversammlung  zeigt,  jetzt  blutige  Früchte  ge -
tragen. 
Neue  Eldluldt  zwischen  Kommunisten 
und  Raltvnalsvzialisteu  in  Hamburg 
zwei  Mtzetbeamte  von  NallLnalioziailsien  furchtbar 
nManbett  -  Sie  rarer  fine  entkommen 
Die  NSDAP,  hielt  am  Freitagabend  eine«  von  etwa 
600  Parteizugehörigen  besuchte  Versammlung  in  BanS  Gesell- 
schaflshaus,  Besenbinderhof,  ab.  Zu  der  Versammlung  hakten 
sich  etwa  100  Kommunisten  eingefunden.  Nach  Schluß  kam  es 
im  Ausgang  des  Lokals  zu  einer  Schlägerei.  Mit  Stühlen  und 
Tischbeinen  schlugen  die  Parteien  aufeinander  ein.  Zwei  der 
NSDAP,  angehörige  Personen  wurden  derart  verletzt,  daß  sie 
in  ein  Krankenhaus  gebracht  werden  muhten.  Polizei  hatte  ein -
schreiten  müssen. 
Gegen  0.30  Uhr  wurden  vor  der  Badeanstalt  Lübecker  Tor 
Passanten  von  etwa  40  Nationalsozialisten  angehalien  und  nach 
ihrer  Parteizugehörigkeit  befragt.  Einer  der  Angehaltenen,  der 
sich  als  der  KPD.  angehörig  erklärt  hatte,  erhielt  Kopfschläge  mit 
einer  Selterslasche  und  muhte  flüchten. 
Zwei  <wf  Zivilpatrouille  befindliche  Polizeibeamte,  die 
sich  als  solche  legitimierten  und  einschritten,  wurden  an -
gegriffen  und  zu  Boden  geschlagen.  Einer  der  Beamten 
erütl  einen  schweren  Schädelbruch. 
Der  zweite,  gleichfalls  schwer  mihhandelt«  Beamte  wurde  leichter 
verletzt. 
Die  Täter  flüchteten,  als  uniformierte  Polizeibeamte  herbei- 
eilten.  Sie  entkamen. 
Mitteilungen,  die  zur  Feststellung  der  Täter  führen  können, 
nehmen  die  Kriminalreviere  und  die  Kriminalpolizei,  Stadthaus, 
entgegen.  Anzeigenden  Personen  wird  Verschwiegenheit  zuge -
sichert. 
Auch  In  Berlin... 
Am  Freitagabend,  gegen  11  Uhr,  kam  es  im  Zentrum  von 
Berlin  nach  einer  Versammlung  der  Nationalsozialisten 
im  Sportpalast  wiederum  zu  blutigen  Schlägereien  zwischen  natio -
nalsozialistischen  Versammlungsteilnehmern  und  Kommunisten. 
Ein  Zug  Nationalsozialisten  zog  singend  über  die  Potsdamer 
Strahe  nach  Schöneberg.  Als  der  Zug  die  Groß-Dörschen-Strahe 
passiert«,  kam  es  zu  Auseinandersetzungen  mit  linksradikalen 
Elementen,  die  schließlich  in  eine  wilde  Schlägerei  ausarteten. 
Unter  anderm  wurden  zahlreiche  Schreckschüsse  abgegeben.  Als 
berittene  Polizei  und  das  Ueberfallkommando  eintrafen,  stoben 
die  Rowdys  auseinander.  Acht  Nationalsozialisten  und  mehrere 
Kommunisten  wurden  feffgenommen. 
Werbung  für  Volksbegehren 
„Rtvvlut'vnär"  und  parlamtnlorlftb 
Der  nationalsozialistische  Reichstagsabgeordnete  Goeb -
bels  hat  am  Freitag  im  Berliner  Sportpalast  für  das 
Hugenbergsche  Volksbegehren  geworben.  Er  sagte: 
Die  DaweSgesehe  sind  eine  Zwischenstation  zwischen  Ver -
sailles  und  Doungplan  gewesen,  und  jetzt  hat  man  die  deutsche 
Wirtschaft  verschachert.  Von  einer  Erleichterung,  die  der  ‘goung- 
plan  bringen  soll,  könne  keine  Rede  sein.  Der  Kampf  gegen  den 
Voungplan  sei  nicht  Sache  einer  Partei,  eines  Ausschusses, 
sondern 
Sache  eines  revolutionären  Volkes. 
Die  nationalsozialistische  Bewegung  kämpfe  nicht  nur  gegen  die 
Kriegsschuldlüge,  sondern  auch  gegen  die  Repräsentanten  eines 
Systems,  das  sich  auf  der  Kriegsschuldlüge  ausbaut.  Das  Volks -
begehren  sei  nur  ein  Anfang.  Morgen  sei  es  ein 
Volksprotest,  übermorgen 
werde  eS  eine  Dolksrevolution  fein. 
Auf  dem  Heimwege  von  der  Versammlung  lieferten 
Nationalsozialisten  gleich  eine  Probe  ihrer  „Volks- 
revolution",  sie  rempelten  Strahenpassante-n  an.  25  Natio -
nalsozialisten  wurden  festgenommen,  fünf  in  Haft  behalten. 
Goebbels  ist  bekannt  als  Mann  der  dröhnenden  Worte 
und  der  vorsichtigen  Zurückhaltung  bei  der  Tat.  Die 
„Volksrevolution"  wird  er  vom  bombensicheren  Unterstand 
beobachten.  Interessanter  als  Goebbels  ist  Graf  Westarp, 
Vorsitzender  der  deutschnationalen  Reichstagsfraktion. 
Er  hat  im  Wahlkreis  Potsdam  2  angek.ündigt: 
Die  deulschnationale  Fraktion  wird  in  der  nächsten  Woche 
im  Reichstag  Klarheit  schaffen,  ob  das  Parlament  die 
Entscheidang  über  die  Haager  Gesetze  zurückstellen  werde, 
biS  das  Schicksal  des  Volksbegehrens  entschieden  sei. 
Dazu  sei  der  Reichstag  verpflichtet. 
Ein  dreistes  Verlangen.  Erst  machen  die  Hugenberger 
ihre  Arbeit  so  schluderig,  daß  §  4  repariert  werden  muhte: 
und  noch  streiten  sie  untereinander.  Ader  der  Reichstag  ist 
zu  Rücksicht  „verpflichtet".  Selbstverständlich  weih  Graf 
Westarp,  daß  davon  keine  Rede  sein  kann.  Der  Reichstag 
wird  warten  müssen,  bis  die  Organisationskomitees  den 
Apparat  der  Tounggesehe  ausgearbeitet  haben:  dann  wird 
der  Reichstag  tun,  zu  was  er  verpflichtet  ist.  Den  Hugen- 
bergern  Gelegenheit  zu  Werberedcn  zu  geben  '-v  -  --chf 
verpflichtet. 
KommunjstrnMrtt  Simm  sejlMbmmen 
SPD.  Neumünster,  28.  September.  Am  Freitagnach- 
mittag  wurde  der  kommunistische  Anführer  Timm  wegen 
schwerer  Körperverletzung  verhaftet.  Timm  hatte  im  Verlauf 
einer  nationalsozialistischen  Versammlung,  in  der  es  zu  Zusammen -
stößen  kam,  einen  Nationalsozialisten  mit  einem  Tassen -
teller  über  den  Kopf  geschlagen  und  schwer  verletzt. 
n—wnii—if  mm  «n  i  ii  i»»i  11  i—■  ■  —  n  i  J  ...  -  nuiii 
Frankfurt  a.  M.  sieht  heute  und  Sonntag  eine  sozia -
listische  Kulturtagung.  Verantwortlich  dafür  ist  der 
Sozialistische  Kulturbund,  der  seine  Legitimation  wiederum 
von  der  gesamten  sozialistischen  Arbeiterbewegung  erhält. 
Der  Sozialistische  Kulturbund  ist  keine  selbständige 
Organisation  mit  zahreichen  Mitgliedern  und  eigener  Satzung 
und  Kassenführung,  er  ist  ein  Aktionsausschuß, 
eine  anregende  und  leitende  Spitze  für  die  kulturellen 
Organisationen  und  Bewegungen  der  sozialistischen  Arbeiter -
schaft.  Die  sozialistische  Bildungs-  und  Jugendbewegung  mit 
ihren  pädagogischen  Abzweigungen  der  Lehrer  und  der 
Kinderfreunde,  die  Albeiterwohlfahrt,  die  Arbeitersport -
bewegung  und  der  Arbeitergesang  bilden  die  organisatorische 
Grundlage  des  Sozialistischen  Kulturbundes,  die  durch  eine 
Reihe  weiterer  kultureller  Organisationen,  so  vor  allem  durch 
die  Volksbühnenbewegung,  erweitert  und  verstärkt  wird. 
Für  bestimmte  Aufgaben  zieht  der  Sozialistische  Kulturbund 
noch  andere  Verbände  und  Bewegungen  zur  Mitwirkung 
heran,  so  daß  er  der  tatsächliche  Wortführer  und  Wegweiser 
der  sozialistischen  Arbeiterbewegung  in  allen  kulturellen 
Fragen  ist.  Die  regelmäßige  Berichterstattung  an  den 
Parteitag  der  deutschen  Sozialdemokratie  läßt  diese  Ver -
trauensstellung  noch  klarer  erkennen  und  bedeutet  für  ihn 
zugleich  Entlastung  und  Beauftragung. 
Der  Sozialistische  Kulturbund  ist  erst  nach  dem  Kriege 
entstanden.  Im  alten  Obrigkeitsstaat  wäre  für  ihn  kein 
Platz  und  keine  Arbeitsmöglichkeit  gewesen.  Richt  nur,  daß 
die  Vereinsgesehgebung  jener  Zeit  in  Verbindung  mit  be -
hördlichen  und  polizeilichen  Verfolgungen  ihm  das  Leben 
schwer  gemacht  hätte,  er  würde  auch  keinen  Widerhall  über 
die  engeren  Parkeikreise  hinaus  gefunden  haben.  Die  An -
gelegenheit  der  sozialistischen  Kultur  mußten  damals  in 
engen  Funktionärkonferenzen  erledigt  werden.  Die  so -
zialistische  Bildungsbewegung  befand  sich,  wie  die  sozialistische 
Arbeiterbewegung  überhaupt,  noch  in  einer  Art  Ghetto. 
Nach  dem  Kriege  fielen  die  lächerlichen  vereinsrechtlichen 
Fesseln,  nach  dem  Kriege  stieg  die  Sozialdemokratie  über 
Nacht  außerordentlich  in  der  öffentlichen  oder  doch  öffentlich 
zur  Schau  getragenen  Wertschätzung.  Vor  allem  strömten 
der  sozialistischen  Bewegung  Tausende  und  aber  Tausend« 
Männer  und  Frauen  des  geistigen  Deutschland  zu,  Männer 
und  Frauen,  die  nicht  wie  bisher  durch  wirtschaftliche  Nok 
oder  unter  dem  Druck  schwer  erkämpfter  politischer  Er -
fahrungen  und  Erkenntnisse  zur  Partei  gekommen  waren, 
sondern  die  plötzlich  im  Sozialismus,  bis  dahin  von  ihnen 
falsch  gesehen  und  unterschätzt,  den  einzigen  Retter  aus 
politischer,  wirtschaftlicher  und  kultureller  Not  erkannten. 
Jetzt  galt  es,  neue  Tore  für  den  Sozialis -
mus  zu  öffnen.  Neben  der  Partei,  neben  den  Ge -
werkschaften  und  Genossenschaften  mußten  organisatorische 
Formen  und  werbende  Einrichtungen  geschaffen  werden,  die 
den  neuen  Zustrom  auffingen  und  ihm  zugleich  Gelegenheit 
gaben,  mit  dem  Sozialismus  geistig  und  seelisch  zu  ver -
wachsen.  Die  alten  Bildungseinrichtungen  der  Vorkriegs -
zeit  behielten  ihre  Bedeutung  wie  bisher  für  die  Schulung 
und  kulturelle  Förderung  der  organisierten  Arbeiter.  Aber 
sie  muhten  doch  über  diese  engeren  Aufgaben  hinaus  neke 
Ziele  oufrichten.  Sie  mußten  Verbindungen  mit  den  übrigen 
Volksmassen  schaffen  und  Wege  schlagen  und  bahnen  von 
der  sozialistischen  Kulturwclt  zum  überlieferten  Kulturgut. 
In  Dresden  fand  im  Jahre  1921  der  erste  sozialistische 
Kulturtag  statt,  der  in  der  Jährenden  Unruhe  jener  Tage 
zwar  zu  einer  weithin  leuchtenden  Fackel  wurde,  aber  über 
die  Ziele  und  Wege  der  sozialistischen  Kultur  im  neuen 
Volksstaat  noch  zu  keiner  ausreichenden  Klärung  gelangte. 
Im  Jahre  1924  fand  in  Leipzig  der  zweite  Kulturtag 
statt,  dessen  Bedeutung  vornehmlich  darin  bestand,  daß  er 
»»—■I  M  .  .«  l'A  'N»  I.-  JillO  III  I  II»  II 
Nehmen. 
Drittes  Kapitel. 
Dr.  Hirschberg  traf  den  Schwurgerlchtspräfidenten  in 
feinem  Amtszimmer.  Der  Tag  war  sitzungsfrei,  da  man 
Für  neu  tinjutrefenbe  Bezieher  werden  die  bereits  erschieneneN 
Kapitel  diese«  Roman«  auf  Wunsch  hoste  nlo*  naebgeliefetl 
Copyright  by  Carl  Dun  cker  Verlag.  Berlin. 
Ker  geschlossene  Ring 
Ein  Instizroman  unserer  Zeit 
Von  Frank  Arnau. 
152]  —  
„Zweifellos.  Es  liegt  ganz  gewiß  auch  im  Sinne 
Magnus  Arbers,  wenn  die  öffentliche  Meinung  mobil  ge -
macht  wird:  die  Frage  ist  nur,  ob  die  große  Publizität  den 
Organen  unserer  Rechtspflege  nicht  sehr  unangenehm  wird 
und  sie  zu  einem  besonders  energischen  Abwehrkampf  heraus- 
fordert.  Sie  sind°  übrigens  der  Verteidiger  Arbers,  und  ich 
muß  es  natürlich  Ihnen  anheimstellen,  was  Sie  zu  tun  ge -
denken.  Die  Hoffnung,  daß  das  Gericht  nach  Kenntnis 
dieses  Schriftstückes  von  sich  aus  die  Wiederaufnahme  des 
Verfahrens  anordnet,  haben  Sie  wohl  nicht? 
„Gewiß  nicht.  Und  ich  verhehle  mir  auch  nicht,  daß  es 
sehr  schwer,  wenn  nicht  unmöglich  sein  wird,  die  Wieder -
aufnahme  zu  erzwingen,  wenn  nicht  James  Lychner  selbst 
erscheint,  odr  doch  der  Nachweeis  erbracht  wird,  daß  er  mit 
dem  Toten  von  der  Fürstenstraße  nicht  identisch  ist.  Die 
Nachhilfe  der  Presse  wäre  in  diesem  Fall  vielleicht  sehr 
wirksam." 
Der  Iustizrat  und  Virginia  verabschiedeten  sich.  Der 
Iustizrat  fuhr  nach  der  französischen  Botschasl  und  stellte  fest, 
daß  der  Paß  des  sechzigjährigen  Musikers  Ephraim  Sperber 
am  3.  März  vidiert  worden  war. 
Dr.  Hirschberg  ließ  eine  Abschrift  des  „Akt  Magnus 
Arber"  machen,  sandle  sie  an  die  Redaktion  des  Morgen- 
courier  und  begab  sich  selbst  in  das  Gcrichtsgebäude,  um 
mit  dem  Vorsitzenden  des  Schwurgerichts  Rücksprache  zu 
ursprünglich  geglaubt  hatte,  ihn  für  den  Fall  Arber  noch  zu 
brauchen.  Der  Präsident  war  nicht  gerade  erfreut,  mit  dem 
Fall  neuerdings  behelligt  zu  werden. 
„Sie  kommen,  Herr  Doktor,  um  zu  fragen,  ob  das  Gericht 
von  sich  aus  ein  Begnadigungsgesuch  für  Arber  einreichen 
wird,  nicht  wahr?" 
„Nein,  Herr  Präsident.  Ich  komme,  um  die  einleitenden 
Schritte  für  das  Wiederaufnahmeverfahren  zu  unternehmen." 
Der  Präsident  lächelte  ungläubig  und  schüttelte  den  Kopf. 
„Was  für  Sachen!  Ich  glaube,  der  Fall  ist  eingehend  genug 
behandelt  worden,  und  wenn  das  Gericht  die  Beweisanträge 
Arbers  oder  Ihre  Beweisanträge  abgelehnt  hat,  so  geschah 
das  aus  guten  Gründen." 
„Es  haben  sich  neue  Momente  ergeben,  die  die  Angelegen -
heit  in  einem  ganz  andern  Licht  erscheinen  lassen." 
„Zwischen  gestern  und  heute?  Ist  etwa  der  alte  Lychner 
plötzlich  aufgetaucht?" 
„Herr  Präsident  scherzen,  aber  ich  glaub«,  die  Sache  ist 
sehr  ernst.  Hier  ist  ein  ,Akt  Magnus  Arber',  den  Arber 
am  Vormittag  des  4.  März  beim  Iustizrat  Bergenhardt 
deponiert  hat  und  in  dem  er  ausführlich  die  Ereignisse  in  der 
Nacht  des  3.  März  schildert." 
„So  wie  er  sie  in  der  Untersuchung  und  während  der 
Verhandlung  geschildert  hat?  Dann  nehmen  Sie  den  Akt 
nur  gleich  wieder  mit;  es  ist  schade  um  jede  Minute,  die  Sie 
damit  verlieren." 
„Herr  Präsident,  ich  muß  dringend  bitten,  von  dem 
Schriftstück  Kenntnis  zu  nehmen.  Arber  teilt  Tatsachen  mit, 
über  die  das  Gericht  nicht  hinwegkommen  wird.  Vor  allem 
über  die  Persönlichkeit  des  Toten  von  der  Fürstenstraße 
und  über  die  Todesursache." 
Der  Präsident  nahm  das  Schriftstück.  „Gut,  ich  werde 
es  also  bei  Gelegenheit  lesen.  Vielleicht  noch  im  Laufe  des 
heutigen  Tages.  Und  Ihnen  dann  Bescheid  zugehen  lassen." 
„Herr  Präsident,  es  ist  vielleicht  unbescheiden,  aber  ich 
bitte  Sie,  das  Schriftstück  möglichst  gleich  zu  lesen.  Es 
scheint  mir  das  um  so  nötiger,  weil  morgen  früh  die  Oeffent- 
lichkeit  bereits  von  dem  Inhalt  unterrichtet  sein  wird." 
„Die  Oefsentlichkeit  —  wieso?"  ,  „. 
„Der  Morgencourier  —  das  Blatt  Arbers,  ist  im  Besitz 
einer  Abschrift  und  ich  bin  überzeugt,  daß  er  sie  seinen  Lesern 
nicht  vorenthalten  wird." 
„Hören  Sie,  Herr  Doktor,  das  gefällt  mir  gar  nicht.  Das 
sieht  ganz  so  aus,  als  sollte  auf  das  Gericht  eine  Pression 
ausgeübt  werden,  als  sollte  der  Fall  Arber  politisch  aus- 
geschlachlet  werden.  Das  hat  uns  gerade  noch  gefehlt." 
Der  Präsident  schlug  das  Schriftstück  auf  und  begann 
zu  lesen.  Dr.  Hirschberg  beobachtete  ihn  genau.  Er  sah, 
wie  die  Brauen  des  Präsidenten  nervös  zu  zucken  begannen, 
wie  die  dicken  Ohrläppchen  unter  den  weißen  Haaren  langsam 
dunkelrot  sich  färbten.  Beim  Umwenden  der  Blätter  zitterte 
die  starke,  fleischige  Hand. 
Endlich  hatte  der  Präsident  das  Schriftstück  gelesen.  Er 
legte  es  auf  den  Schreibtisch  und  lehnte  sich  in  seinen  Stuhl 
zurück.  Erst  ein  paar  Sekunden  Schweigen.  Dann  sagte 
er,  und  seine  Stimme  zitterte  ein  wenig:  „Hören  Sie,  das 
ist  die  ungeheuerlichste  Unverschämtheit,  die  mir  In  dreißig 
Dienstjahren  untergekommen  ist.  Ich  habe  dem  Arber  viel 
Raffinement  zugetraut,  aber  das  übersteigt  alle  Begriffe. 
Der  Bursche  hat  mit  einem  Zynismus,  wie  ich  ihn  bisher 
noch  bei  keinexn  Mörder  erlebt  habe,  seine  Verteidigung  im 
voraus  festgelegt.  Das  ist  unerhört,  kaum  zu  begreifen!" 
„Herr  Präsident  glauben  also  nicht  daran,  daß  Arber  hier 
die  Wahrheit  sagt?" 
„Die  Wahrheit?  Ich  will  selber  den  Kopf  auf  den  Block 
legen,  wenn  auch  nur  eine  Silbe  davon  wahr  ist.  Das  Ganze 
ist  der  niederträchtigste  Dreh,  den  sich  ein  Verbrecherhirn 
ausdenken  kann.  Das  eigene,  wohlerwogene  und  kaltblütig 
ausgeführte  Verbrechen  noch  dazu  benutzen,  die  Rechtspflege 
anzugreifen!  Es  ist  ein  Glück  für  Arber,  daß  ich  gestern 
von  dem  Wisch  noch  keine  Kenntnis  halte:  ich  hätte  diesen 
hartgesottenen  Burschen  anders  angefahl." 
„Herr  Präsident,  gestatten  Sie  mir  einen  Einwand,  ich 
glaube,  mit  Entrüstung  allein  läßt  sich  dieser  Akt  nicht  ab -
tun.  Um  so  weniger,  als,  wie  ich  schon  sagte,  die  Oeffentlich -
keit  von  dem  Inhalt  Kenntnis  erhalten  wird." 
Der  Präsident  stand  erregt  auf.  „Die  Oeffentlichkeit  — 
jawohl.  DaS  ist  der  vergiftete  Pfeil,  den  dieser  Mörder  noch 
Aus  dem  Inhalt 
Politik  und  allgemeiner  Teil: 
Ehrhardt  und  Stahlhelm  beim  Erbfeind. 
Schwere  VersammlungSschiacht  In  Schweidnitz. 
3n  Hamburg  und  Berlin  schwere  Zusammenstöße  zwischen 
Kommunisten  und  Nationalsozialisten. 
Der  sozialistische  Kulturtag. 
Schobers  Programm  der  VerlegenheU! 
Um  die  Zukunft  der  deutschen  Städte. 
Tagesbericht: 
Bergedorf  bekommt  Hamburger  Strom. 
Hamburgs  Abdeckereioertrag  mit  Heide. 
Zehn  Jahre  Ordnungspolizei.  —  Eine  Jubiläumsausstellung. 
Kunst  und  Wissenschaft. 
Aus  aller  Weit. 
Film-und  Funk: 
Wo  Küsse  wie  Granaten  knallen. 
nach  seiner  Verurteilung  gegen  Justiz  abschieht!  Ich  war 
gestern  etwas  überrascht,  als  Staatsanwalt  Hagedorn  die 
kritische  Tätigkeit  dieses  Arber  so  scharf  und  aggressiv  unter 
die  Lupe  nahm,  aber  ich  sehe  ein,  der  Staatsanwalt  hat  noch 
viel  zu  wenig  gesagt.  Die  Oeffentlichkeit!  Natürlich  wird 
sie  jetzt  mit  Dreck  zu  werfen  beginnen:  ich  sehe  schon,  wie 
sie  die  ersten  Seiten  aufmachen:  »Justizirrtümer  im  Fall 
Arber',  .Justizmord',  ,Die  Gefahren  des  Indizienbeweises', 
,Wie  die  Untersuchung  in  einem  Kapitalprozeh  geführt  wird' 
—  ah,  ich  sage  Ihnen,  ich  habe  die  Absicht  gehabt  und  die 
beiden  Beisitzer  waren  mit  mir  der  gleichen  Meinung,  die 
Begnadigung  dieses  Arber  zu  empfehlen,  obwohl  er  kein 
Geständnis  abgelegt  hat.  Aber  jetzt  wünsche  ich  aus  ganzem 
Herzen,  daß  das  Urteil  vollstreckt  wird.  Denn  dieser  Arber 
hat  nicht  nur  einen.Menschen  ermordet,  er  meuchelt  aus  dem 
Hinterhalt  Gefängnisses  heraus  auch  das  Vertrauen  in 
die  Justiz,  und  doS  ist  schlimmer.  Dieses  Dokument,  Herr 
Dr.  Hirschberg,  kann  nur  mit  dem  Kopf  Arbers  bezahlt 
werden!"  (Fortsetzung  folgt.)