AltLtNNrer 300 55. Jahrgang Mrttrvsrh, 30. Ottober 1929 EHSSrf Preis 104 Hamburger Echo ^rtchUJaflnAcjnninl^utonn 2t5^rlagcn**«j , »i>.|»»ei.,iinbornu ^jnstellunargebllhi», wöchentlich 3 . ■- 9Ul*»H »klm-T trabe l«/ifl, sternspr. 0» Wv nummere5SttDlan is-.i.'.;ad)trui es 2ieibüi;: ' 1 eleiligung gewaltig an Boden gewonnen hat und daß die ablehnende Mehrheit nur 140 Stimmen stark war. Bei der Auseinandersetzung fiel auf, daß die bisher in der französischen Partei üblichen Richtungen und Gruppen stark auS- einanderfielen. Es gab Redner, die grundsätzlich und program - matisch nach wie vor gegen eine Regierungsbeteiligung waren, sie aber dennoch auS taktischen Gründen empsahlen; es gab ander - seits Redner, die als extreme Freunde der Regierungsbeteiligung bekannt sind und dennoch auS taktischen Gründen ablehnten. An sich ist diese Lockerung der Gruppen erfreulich; denn die französische Sozialistische Partei hat unser der starren Bindung ihrer verschiedenen Richtungen stark gelitten. Den Aus - schlag in Ser Auseinandersetzung gab wohl Leon Blum, der darauf hinwies, daß bei der gegenwärtigen parlamentarischen Lage eine sozialdemokratisch-radikale Regierung nur dann eine sichere Mehr - heit hätte, wenn gewisse Mittelgruppen sich zur Unterstützung oder gar zur Teilnahme an der Regierung bereitfinden würden. Dieses Argument, das in der Tat sehr wichtig ist, hat seinen Eindruck nicht verfehlt, und so bedeutet die Entscheidung des Nationalrats weniger eine grundsätz - liche als eine taktische Entscheidung. Dennoch hat er gewisse Folgen gezeitigt, die für den Zu - sammenhalt und die Einheit der französischen Partei nicht ohne Gefahr sind. Die Parlamentsfraktion scheint die Entscheidung deS Nationalrates mehr grundsätzlich als taktisch zu bewerten und deShalb in eine gewisse Erbitterung hineingeraten zu (ein. Sie hat daher am Dienstagabend mit 47 gegen 11 Stimmen einen Antrag angenommen, der von dem Beschluß des Nalionalrales mit Bedauern Kenntnis nimmt, weil er den fundamentalen Regeln und den wahren Interessen der Parteien und der Demokratie zuwiderlaufe. In dem Anlrag wird gleichzeitig die Einberufung eines National- Kongresses zum 25. November gefordert. Außerdem wurde einstimmig ein zweiter Antrag angenommen, der für Daladiers Angebot den Dank zum Ausdruck bringt und für die Unterstützung einer Regierung Daladiers eintritt. Mehrheit und M'ndecheit der sozialistischen Kammerfraktion tagten am Dienstag zeitweise getrennt. * Wir sind seit langem der Ansicht gewesen, daß die starre doktrinäre Haltung der französischen SoziaNstezr in Sachen der Regierungsbeteiligung einen großen Schaden für die französische Arbeiterschaft und für den europäischen Frieden darstellt. Wir haben wiederholt daraus hingewiesen, daß diese starre Haltung manches Rechtskabinett in den Sattel gehoben hat, das nach der parlamentarischen Kräfteverteilung an sich unmöglich gewesen wäre. Trotzdem scheint uns in diesem Falle der Beschluß des Nationalrates unserer französischen Bruderpartei nicht ohne weiteres unsinnig. Der Hinweis Leon Blums auf die schwankende Haltung der französischen Mittelparteien ist in der Tat ein wich - tiges Argument, da ja ohne diese Mittelparteien eine stabile Mehrheit nicht zu gewinnen war. Leon Blum hat recht, wenn er eine Regierung von Gnaden einiger Kleinbürgergruppen nicht wünscht. Für den französischen Sozialismus ist die Frage der Regierungsbeteiligung in der Tat schwierig zu lösen, da ein großer Teil der Anhängerschaft die Parolen von vorgestern nicht einfach vergessen kann. Wir neigen dazu, die Vorsicht des Nationalrates und feine taktischen Be - denken ernsthafter in Rechnung zu stellen, als es die Parlaments - fraktion tut. Wir begrüßen jedoch den Beschluß der Fraktion, die ganze Frage vor den Parteitag zu stellen, wo sie nach der grundsätzlichen Seite hin entschieden werden soll. Wir glauben, aus der Debatte des Nationalrates entnehmen zu dürfen? daß trotz des ablehnenden Abstimmungsergebnisses die Zeiten des unfruchtbaren Dogmatismus vorbei sind und daß dort, wie überall, das Koalitionsproblem nicht als eine Frage des Grundsatzes, sondern als eine Frage der Taktik behandelt worden ist. So gesehen, stellt der augenblickliche Stand der Dinge'einen Fortschritt dar, der begrüßenswert ist. auch dann, wenn man aus taktischen Rücksichten eine andere Stellungnahme einnahm, als sie vielleicht erwartet werden konnte. RMMn Deutf