Preis 10 4 SV. Jahrgang Nummer 283 Montag, 13. Oktober 1930 Erscheint täglich einmal, nutzer an 2. Feierte zahlbar: Lionailich 2,so k (etnschl. 56 * •0 Ä, (einfdil. 13 A Zulielluiigracbührl- Turch die Pasi zu gleichen BezugSpreism zuzüglich Besiellaeld. Siedattion: Fehlondstt. 11, L Acrnspr.: Sammel-Nr. C 5 Stephan 1701, Knditnif C 5 Stephan 2321 u. 3503. Bcrantw. Redakteur: «mono. - - Buchhandluitg: Ilailcr-Lülbelm-Stratze 14/10, Fernspr. 05 Stephan 5339. Trudereikontor: Fchlandsir. 11, L Fernspr.: Sammel-Sil. 05 Stephan 1831. Nachtrus c 5 Stephan 3032 und 3683. mdurger Echo ■N _ <_ /vv *4*. 4 / - <4 xreÄSSÄÄ-Vf'ss: Alt»»*«»** A/viuwum mrmmKwsMsKax r Ä r *. < ORE |ü« Oen folgenden Xae), in den Filialen Ibis 3 Uhr) und in allen (»eg tu tt ött lo«a Annoncenbüros. Platz- und Tatenvorschristen unverbindlich. Vor einem MetMarbeiteMeik in Berlin Sthrebssprzuh von Metattarberter-Funktronären einstimmig abgelehnt Seute Streikabftlmmung LAB. Berlin. 12.Oktober. Die freigewerkschaftlichen Funktionäre der Berliner Melall- belriebe haben Sonntag vormittag in einer Bersammlung von etwa 1000 Personen zu dem Schiedsspruch des Schlichters, durch den die Löhne der Metallarbeiter ab 3. November um 8 bzw. 6 % herabgesetzt werden sollen, Stellung genommen. Nach einem Be - richt des Bertreters des Deutschen Metallarbeiterverbandes, Max Arich, über die Lohn- und Schlichlungsverhandlungen und nach ein - gehender Aussprache wurde in einer Abstimmung der Schieds - spruch einstimmig abgelehnt. Ferner billigten die Funktionäre den Vorschlag, am Montag in den Betrieben der Berliner Metall - industrie eine Urabstimmung über den Eintritt in den Streik vor - zunehmen. Zu dem Ergebnis der Urabstimmung, das nach der Funktionärkonserenz aller Voraussicht nach einen Streikbeschluß bedeuten wird, nehmen am Dienstag früh die Obleute der Funk - tionäre in den einzelnen Betrieben Stellung. Von den weiteren Beschlüffen wird es dann obhängen, ob die Arbeitsniederlegung bschlossen wird. Daß mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Streikbeschluß zu rechnen ist, geht aus einer Reihe von Anträgen hervor, die in der Diskussion zur Debatte gestellt wurden und in denen man verlangte, die Funktionärkonferenz solle sofort einen Streik beschließen, ohne die Betriebe erst noch in einer Urabstim - mung zu hören. Eine Abstimmung über diese Anträge fand jedoch nicht stall, weil sie den statutarischen Bestimmungen des Deutschen Metallarbeilerverbandes widersprechen, die vor einem Streik - beschluß eine Befragung der Betriebe verlangen. Schweres Unheil droht Der durch den Zwangsschlichler Dr. Völkers int Berliner Metallarbeiterkonflikt gefällte Schiedsspruch hat durch seine Härte allgemein überrascht. Die Praktiker rechneten noch bis zum letzten Augenblick mit einer Verlängerung dec alten Tarifverträge. Sie wurden enttäuscht. Der Schiedsspruch mutet einer Arbeiter - schicht, die an sich bereits schwer unter der Last der Krise leidet, eine unerhörte und auch untragbare Lohnreduzierung zu, und zwar in einem derartigen Ausmaß, daß sich tm weiten Lager der Wissen- schaster und Praktiker auch keine einzige Stimm« fand, die den Bestrebungen der Scharfmacher in der Berliner Metallindustrie nach Lohnabbau gebilligt und zugestimmt hätte. Was sich für «inen Lohnabbau einseht, das sind engstirnige und engherzige Inter - estenten. Es ist bekannt, daß gewichtige Namen in der Berliner Metallindustrie sich von Anfang an gegenüber den Lohn - abbaubestrebungen ablehnend verhielten. Der von Dr. Völkers gefällte Spruch ist ein sozial- und wirtschaftspolitischer Anfug. Hinsichtlich der inner- politischen Lage in Deutschland betrachtet, ist der Spruch ein Anheil. Ob Reichsarbeitsminister Stegerwald diesen Spruch billigen wird? Wie dem auch sei, die Berliner Metall - arbeiterschaft dürfte sich am Montag in der Arabstimmung zweifel - los mit überwältigender Mehrheit gegen den Spruch entscheiden. Die Scharfmacher in der Berliner Metallindustrie haben erklärt, daß der Berliner Lohnabbau richtunggebend für einen allgemeinen Lohnabbau sein soll. Wir können nur warnen, diesen Tendenzen zu folgen. Der von Dr. Völkers gefällte Schiedsspruch beruht allem Anschein nach auf der verfehlten Auffassung von einigen welt - fremden Richtern im Reichsarbeitsgericht, die niemals in einer Schlichterkammer gesessen haben, die sich nie - mals über die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen ihres Spruches klar geworden sind und die dem verständigen Gesetz - geber in unerhörter Weise in den Arm fielen. Die Dinge im Berliner Metallarbeiterkonflikt lagen doch so, daß sich im Lager der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mittler - weile die Ueberzeugung herausgebildet hatte, daß es besser sei, die alten Tarife vorerst zu verlängern und den Streit um den Lohn - abbau zu vertagen. Strittig war nur, wie lange man verlängern sollte. Der Schlichter Dr. Völkers konnte hier keine Mehr - heit für einen Spruch zustande bringen. Nach dem Beseh kann er mit seiner Stimme entscheiden. Die Ausführungsver - ordnung zur Schlichlungsverordnung sieht das im § 21 Absatz 5 Copyright 1930 by Verlag 3. H. W. Dietz Nachf., GmbH., Berlin. Zodettampf der Freiheit Von Pietro Nenni [6] An dem Tage, wo die Nachricht von der Hinrichtung Ferrers in Spanien nach Italien kam, durchzuckten Ent - rüstung und Zorn die antiklerikale Bewegung des ganzen Landes. 3n Forli brachten die von Mussolini geführten Demonstranten eine Säule auf dem Marktplatze zu Fall, die ein Bild der Mutter Gottes trug. Der künftige Diktator von Italien führte damals ein außerordentlich einfaches und ärmliches Leben. Er aß sich nicht jeden Tag satt und wies trotzdem eine ihm angebotene Gehaltserhöhung zurück, weil er „nicht mehr verdienen wolle als ein Arbeiter". Man hielt ihn für ein wenig verrückt. Er war scheu und einsam und liebte es, allein auf dem Lande herumzustreifen. In der Parteibewcgung trat er als Gegner des Reformismus und des Parlamentarismus auf. Auch verbarg er es nicht, daß er sehr wenig Vertrauen auf die Gewerkschaften und Genossenschaften fehle, in denen seiner Ansicht nach die revolutionären Instinkte von den Interessen der Individuen oder der Gruppen verdrängt wurden. Alles in allem galt er in seiner Partei als Eingänger und Individualist. Durch den Prozeß von Forli und dann durch den Parteitag von Reggio Emilia wurde er bekannt. Die revolutionäre Richtung hatte soeben die Mehrheit in der Partei erlangt. Es fehlte ihr an Führern, und Mussolini wurde zum Chefredakteur des Avanti berufen. Binnen kürzem eroberte er Mailand und dann die Partei. 5. Die Rote Woche und der Krieg Im April 1914 hielt die sozialistische Partei ihren Partei - tag in Ancona ab. Die Stadt war nicht sozialistisch. Die Sah 4 ausdrücklich vor. Der Schlichter wollte sich aber wahr- cheittlich der Gefahr nicht aussehen, daß der Spruch, der mit einer Stimme gefällt ist, hinterher für ungesetzlich erklärt würde wie seinerzeit im Nordwest-Konflikt). So scheint sich die Mög - lichkeit einer Verlängerung der aste Tarife zerschlagen zu haben. Da Völkers — sonst hätte man ihn ja wahrscheinlich nicht als Zwangsschlichter von Bremen nach Berlin geholt — für seine Person für den Lohnabbau eingestellt war, und da sich die Arbeit- Republikaner waren in der Mehrheit, und die Anarchisten spielten eine bedeutende Rolle, besonders unter den Hafen - arbeitern. Es war nur wenige Monate vor dem Krieg, dessen Vor - zeichen niemand zu deuten vermochte. Unter den Links - parteien bestand eine Art Waffenstillstand. Der Kampf gegen den Misttarismus stand im Vordergrund. Ich leitete damals in Ancona eine republikanische Wochenzeitung, den Lucifers, dessen Gründung in die Zeit des Rtsorgtmento zurückreichte. Malatesta, der große anarchistische Revolu - tionär, hatte sich, aus dem Ausland zurückgekehrt, In Ancona niedergelassen. Schon seine bloße Anwesenheit hatte revolutionäre Bedeutung. Der kleine alte Mann, den di« Last der Jahre schon gebeugt hatte, war das Urbild des Rebellen und Verschwörers. In seiner Jugend hatte er bei Aufständen Bakunins und Cafieros eine wichtige Rolle ge - spielt. Er hatte auch an jener Verschwörung von Benevent teilgenommen, die in der Geschichte der itaUenischen Land - arbeiter eine der ersten sozialen Bewegungen darstellt. Er war ein kleiner, schmalschultriger Mann mit kurzem grauem Bart und außerordentlich lebhaften Augen. Malatesta ver - stand es, zu den Arbeitern zu sprechen, nicht als Künstler der Rede, nicht als Politiker, nur ganz einfach, wie ein Vater zu seinen Kindern spricht, mit schlichter, bezwingender Logik. Und der beständige Refrain seiner Reden waren die Worte: „Ihr werdet immer Sklaven sein, wenn ihr euch nicht zum Ausstand entschließt." Es lag etwas in der Lust, das das Rahen entscheidender Zeiten ahnen ließ. Kein Monat verging ohne irgendeinen Zusammenstoß, oft mit tragischen Folgen, zwischen dem Proletariat und der Polizei. In allen Parteien kamen die extremen Richtungen zur Geltung. Der Kolonialkrieg in Tripolitanien, der viel länger dauerte, als man vorausgesehen hatte, die wirtschaftliche Krise, die gewerkschaftlichen Kämpfe, das Erwachen der nehmet, wie man onnehmen kann, glatt gegen einen Lohnabbau erklärten, erhielten die Unternehmervertreter mit ihrer Forderung nach Lohn teilt". Immer wieder wird daS Urteil abgewandelt, und ünmet wieder der gute, liebe, edle, genial« Kaiser gestreichelt, der freilich in seiner Impulsivität ost und schlimm daneben griff — aber warum hielt ihn der Reichskanzler nicht strammer an der Kandare? Jedoch dieses Streicheln, «S ist Katzenfreundlichkeii: hat er ei« volles GlaS Salböl über Wilhelms Haupt entleert, so durchleuchtet Bülow Haupt und Herz deS Gesalbten — der Leser mag urteilen, ob eS nicht ans Wunderbare grenzt, wie Bülow irH diesem seinem gemeingefährlichen Herrn daS Reich vor Unheil bewahrt hat. Hat er das wirklich? Rudolf Martin hat hier jüngst, in Nr. 275 deS Hamburger Echo, bündig nachgewiesen, daß Bü - low selbst dem Schiff den falschen KurS gegeben hat. Er freilich wußte im Voraus dem Einwand zu begegnen. Nämlich: die Gefahrenzone (eines englischen Angriffs) war bereits passiert; denn di« Tirpihflotte stellte England vor ein ernstliches Risiko, England hätte Frieden halten müssen, aber daS Auswärtige Amt hat „daS UnheilSei deS Ultimatums an Serbien ausgebrütet", durch Bethmanns Schuld saß kein einziger politischer Kops im Auswärtigen Amt — daS wäre unter Bülow nicht passiert, er hätte die rollende Kugel abgelenkt. Zugegeben, daß Bülow diplomatisch Bethmann überlegen war; aber auch er hat — seine Denkwürdigkeiten klagen darüber — manchen unbrauchbaren Diplomaten hinnehmen müssen, der d«S Kaisers Mann. Und Fähig« muht« er scheiden sehen, wenn deS Kaisers Unmut auf sie gefallen war. So den Staatssekretär Marschall, weil er „hinter dem Rücken von S. M. gegen seinen Herrn Intrigen mit Zentrum und Demokratie gesponnen hatte". Intrigen? Je nun, Marschall hatte mit Politikern ver - handelt, die der Kaiser haßte; Wilhelm äußerte zornig: „ES liegen Beweise vor, daß Marschall die Rechte der Kron« verkürzen und ein parlamentarisches System etablieren wolle. Das verdiene Strafe." B S l o w glaubte nicht an „so teuflische Pläne"; statk^dte Parlamentsstellung zu verstärken und derart dem Kaiser ein Gegengewicht zu bieten, verließ er sich auf seine Kunst der Menfchenbehandlung — und verdarb sich seine Stellung bei Wilhelm u n d im Parlament. Vergebens renomiert Bülow, wie klug et Wilhelm gelenkt und auch den deutschen Wähler so ge - knetet habe, daß der (Hottentotten-)Wahlsieg ihm' zufiel. Der AuSgang der Affäre sollte doch auch Bülow gelehrt haben, daß eS sich rächt, in großen Dingen schlau zu fein. Sehr schnell fiel di« Hottentotten-Mehrheit auseinander, und Wilhelm jagte „das Luder" fort So rächte sich an Bülow seine Abneigung gegen die lebendigen Volkskräfte; feine Denkwürdigkeiten bestätigen das Urteil, das ich zu Bülows 80. Geburtstag am 3. Mai 1929 im Hamburger Echo auSsprach: „Gerade Bülows Sättigung mit klassischer Kultur verdarb ihn als Staatsmann. Niebuhr, ein Vorgänger auf BülowS Amtsposten in Rom, hatte sich tiefer und ernster in das klassische Altertum versenkt, er aber erhielt sich den Sinn für Demokratie und erklärt«, Dithmarschens Kampf um Bauernfreiheit fei für unser Volk wertvoller als die Kunst Roms." UebrigenS erhält die Achtung vor BülowS Aesthetentum durch seine Denkwürdigkeiten einen Knax. Auch er Ist dem Kitsch ver - fallen; was er über das Deutsche Eck von Koblenz und über Rheinromantik schreibt, ist durchaus würdig der Theatralik der Zeit Wilhelms II. Zur wahren Gröhe des Staatsmannes gehört nach Bülow die Fähigkeit, einen griechischen Klassiker im Urtext lesen zu können. Banausen und Böotier sind Sozialdemokraten, die die humanistischen Lehranstalten gefährden. Sehr begreiflich, daß Bülow — an manchen Stellen als ein Thersites — Kanzler und Minister der Republik (auch die verdammte Republik hat den großen Mann nicht zurückgerufen!) herunterputzt, mit demselben Hochmut, den am Tag vor der Schlacht von Valmy die Offiziere des Braunschweigers den Offizieren des Revolutionsheeres ent - gegenbrachten, mit der gleichen Mißachtung, die Frankreichs Höf- Aus dem Inhalt Politik und allgemeiner Teil: Heute Eröffnung deS Reichstags. Vor einem Meiallardeiterstreik in Berlin. Bülows Selbstentblößung. Gegen Diktatur und Faschismus — für Demokratie und Arbeiterrecht. Einheitliche Front gegen Sozialreaktion. Tagesbericht: Der Hafen wächst. Schweres SchiffSunglück vor dem Nordostseekanal. Die Republik ist eine Macht. Ein durchsichtiges Manöver. Einweihung des HauseS der Jugend in Altona. Kunst und Wissenschaft: Hamburger Kunstausstellungen. Feuilleton: Zeugwäscherei.. Aus aller Welt. Ardeltersportrundlchau nachdem er sein heimatliches Dors verlassen hat. Aber die Hauptstadt der Lombardei hatte ihre Idole, und es war nicht leicht, sie zu ersetzen. Filippo Turati, den zur Flucht in die Verbannung ge - zwungen zu haben eine Schande der Diktatur ist, war der allgemein geliebte und geachtete Führer der gemäßigten und (egalitären Richtung des Sozialismus. Im Parlament wie im ganzen Lande genoß er ein ungeheures Prestige. Die sozialistische Partei, zu deren Begründern er gehörte, vergaß es ihm nicht, daß er in den Tagen der Reaktion, 1894 und 1898, tapfer standgehalten hatte. Weder das Kriegsgericht noch das Gefängnis hatte seinen Mut gebrochen. Aber die Demokratisierung des Staates und das aufgezwungene Wahl - recht hatten ihn zu der Ueberzeugung gebracht, daß sich nun - mehr der Kampf im Rahmen der Gesetzlichkeit abspielen müsse. (Fortsetzung folgt.) Krutr Eröffnung örs neuen Reichstages Nm Mißtrauensantrim Bon Silier, Thälmann und Hugenberg SPD. Bertin, 13. Oktober. Me deutschnationale Reichstagsfraktion beschloß am Sonntag, ebenfalls gegen die Regierung Brüning ein Mißtrauens - votum einzubringen. Damit liegen jetzt gegen das Kabinett drei Mitztrauenvoten vor und zwar je eines von den Nationalsozialisten, den Kommunisten und den Deutschnationalen. * ENB. Be r 1 in, 13. Oktober. In politischen Kreisen sieht man der heutigen Eröfsnung des Reichstages mit Spannung entgegen. Aus der Tagesordnung steht zwar nur die Konstituierung, trotzdem kann die Sitzung recht dramatisch werden, zumal die 77 Kommunisten und die 107 Natio - nalisten in ihren verbotenen Uniformen auftreten wollen. Die kommende Woche wird für die Politik der nächsten Zeit von entscheidender Bedeutung sein. Der deutschnationale Mißtrauensantrag enthält keine Motivierung, da die Deutschnationalen verhindern wollen, daß er unter Hinweis auf eine Begründung abgelehnt wird. Dennoch rechnet man in parlamentarischen Kreisen damit, daß die Mißtrauensvoten gegen daS Gesamtkabinett keine Mehcheit finden. Als kritischer beurteilt man die Möglichkeit, daß auch Mißtrauensanträge gegen einzelne Minister eingeben. SelfWei örüngt auf Lohnabbau Der Führer der Deutschen Volkspartei, Dr. Scholz, hat mit den benachbarten Gruppen Fühlung genommen. Er dürste dabei festgestellt haben, daß die Volkskonservativen und die Christlich- sozialen dem Sanierungsprogramm zustimmen, während das Landvolk eS ablehnt und die Wirtschastspartei noch keinen festen Standpunkt erkennen läßt. Die Stimmung in der Volkspartei gegenüber dem Sanierungsprogramm ist vor - sichtig. Der am Freitag eingesetzte Ausschuß dürfte beantragen, daß dem Kanzler noch eine Reihe von Fragen vorgelegt werden, die sich namentlich darauf beziehen, wie das Kabinett sich die L ö - fung desProblems deSLohnabbaues im Rahmen der PreiSsenkungSaktion denkt, mit welchen Maßnahmen es ferner die Reform der Arbeitslosenversicherung durch - führen will und wie die Senkung der Ausgaben bei den Ländern und Gemeinden erreicht werden soll. Dazu kommt noch eine Reihe anderer Fragen und Vorschläge. Von ihrer Beantwortung und dem Inhalt der Regierungserklärung wird die Deutsche VolkS- partei ihre Stellungnahme abhängig machen. Von besonderem Interesse ist natürlich auch die Haltung bet Sozialdemokratie Wie von führender sozialdemokratischer Seite versichert wird, dürfte die überwiegende Mehrheit der Fraktion «ine Politik der Be - sonnenheit treiben, wie sie auch gestern in einem Artikel von Otto Braun proklamiert wurde, um ein Abgleiten in faschistische Regierungsformen zu verhindern. In diesem Zusammenhang wird von einem rechtsstehenden Berliner 'ZÜontagSblatt der Konflikt in der Berliner Metallindustrie erwähnt. DaS Blatt will wissen, daß der Schiedsspruch nicht für verbindlich erklärt, sondern abgeändert werde. DaS sei der Preis dafür, daß die Sozialdemokratie der Regierung im Reichstag keine Schwierig - keiten mache. Diese Darstellung deS Montagsblatt eS muß ÄS reine Kombination bezeichnet werden. Die Entwicklung, die die Lage in der Metallindustrie nehmen wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Reges Leben Im ReNbslngSgebäube Im ReichStagSgebäude herrscht bereits leit den frühen Morgenstunden reges Leben. Ein großer Teil der Fraktionen ist zu Sitzungen zusammengetreten. Die sozial - demokratische Fraktion trift um 1 Uhr nochmals zu einer kurzen Beratung zusammen. DaS Interesse an der Erössnung deS neuen Reichstags ist außerordentlich groß. Hunderte von Menschen be - lagern die Eingangstüren bereits seit 6 Uhr morgens, um Einlaß zu begehren. Nur wenige haben Karten erhalten. Viele der Neugierigen sind sogar von auswärts noch Berlin geeilt. Sr. Scholz an Stelle Löbes? Zu der Frage der Wah! deS Reichstagspräsidenten kündigen die Nationalsozialisten an, Löb« nicht wiederwählen zu wollen. Auch die Kommunisten wollen nicht für ihn stimmen. Außerdem verlautet, daß auch Wirtfchastspartei, Landvolk und auch Deutsch« Volkspartei keinen Sozialdemokraten zum Präsidenten haben wollen und nach einem rechtsorientierten Par - lamentarier Ausschau halten, der als Gegenkandidat ausgestellt werden soll. Alan spricht davon, daß der Volksparteiler M. Scholz geneigt sein soll, gegen Löbe in di« Arena zu steigen. Es heißt weiter, daß die Haltung der Mitfeiparteien davon abhängen wird, ob Löbe bereit fein würde, mit einem national - sozialistischen Vizepräsidenten zusaMmenzuarbeiten. Jedoch ist es zur Zeit nicht möglich, zu prophezeien, wer aus den „Kampf - wahlen" als Präsident heroorgehen wird. In den Mittagsstunden wird der Aelfestenrat zusammenfrefen, der vielleicht «ine Klärung dieser Frage bringen wird. Wie das DDZ.-Büro hört, wird der Reichstag bei Beginn seiner Arbeiten eine neue Fraktion vorsinden. da der Zu - sammenschluß deS Christlich-Sozialen Volksdienstes, der 14 Mitglieder, also keine Frakfionsstärke hat, mit den Deutsch- Hannooeranern mit 3 Mitgliedern und der Konser - vativen Volkspartei mit 5 Mitgliedern, zu Beginn der c-.ffcn Sitzung erfolgt fein soll, so daß diese Frakfionsgemeinschaff über eine Stärke von. 22 Mitgliedern verfügt. Große Spannung in Paris SPD. Paris, 12. Oktober. Die Eröffnung des neuen Reichstages wird in der gesamten Pariser Presse mit höchster Spannung und Besorgnis erwartet. Es handelt sich nach der allgemeinen Ansicht der Bläffer nicht nur um die Existenz des Kabinetts Brüning, sondern um das Schick- f a l der deutschen Demokratie überhaupt. An sich fei eS schon ein schweres Kunststück, so schreibt das Journal, mit einem Reichstag zu regieren, dessen eine Hülste nicht nur jeder Regierung und fettem GeseheSanfrag, sondern auch dem par - lamentarischen System überhaupt feindlich gesinnt sei. Bezeichnend genug sei es, daß die antiparlamentarische Opposition die erste Sitzung zu einer karnevalistischen Parade in roten und braunen Hemden mißbrauchen woll«. Dazu komme aber, sagt der Petit Partsien, daß die demokratische andere Hälfte des Reichstages nicht nur in Uneinigkeit zersplittert fei. Die bürgerlichen Mittelparteien schienen nur' allzusehr geneigt zu fein, mit den Hitler-Wölfen zu beulen. Vielleicht gelinge «s aber doch, schließt daS Blatt, eine knappe Mehrheit zusammen - zustoppeln, die wenigstens die Annahme der „Spartanerkur" Brünings sichern könnt«.