Hamburger Ech Preis 15 4 mit „B»N unk Zett". «tagelflettprelfe versieben fic6 In ReiKSmark, die rSnewaNene Non- fnrcmcscile 45 A Prioale JamUluianjtIgtn 30 4 6le 25 fltcliu tun,eigen btj 9 Zeilen die Zeile 30 4, 10 diS 15 Zeilen die Zeile 35 4. Sletlomejeile 3,50 A Anzeigen müssen Im voraus oder sosorl dcmbll weiden «ütgefgenannatnne Fehlandslratzc 11, Hocdpan., Zernsvrecher: Sammel« nummer L 5 Stephan 1831. Rachlius C 5 Stephan 2401 (»•• t» U(nniwnM) in den Filialen und in allen anertnnmen Vlnzeiaen-Annahmesiellen. Plav- und Tatcnvorswiisten unverhmdllch. Erscheint tügliib einmal, außer an 2.Feiertagen. eeguww«te,tm voraus «obiuar: Blonailich 230 *. (ctn|d)L 56 4 ZuslellunaSaedühil, wöchentlich 60 4 leinILl. 13 A ZusiellungSgebübi). Für Abholer wöchentlich M 4. Durch die Post iu gleichen Bezugspreisen zuzüglich Bestellgeld. RedaNion: Fehlandslr. 11, I. Fernspr.: Sammel-Nr. c 5 Stephan 1701, Naedttus C 5 Stephan 2321 u. 3503. Perantw. Redatteur:»ugOoNm, tfllona. - - Buchhandlung: «aisei-Wühelnt-Sttaße 14/16, Fernspr. 05 Stephan5339. Tnieleieikontor: Fehlandslr.ll,I. Fernspr.: Sammcl-Nr.05 Stephan 1831. Nachtrus C 5 Stephan 3032 und 3683. LamburgAltonaerDoltzsblatt Gegründet 1875 Nurnnier 324 SonnSug, 23 November 1930 50. Jahrgang EkandaW Ausbeutung -er LübrSer M-ertragödie Nationalsozialistisches Doppelspiel / Enthüllungen aus einer Aerztekonferenz / Wo bleibt das Reichsgesundheitsamt? Aus LWeck wird uns geschrieben; Lübeck erlebt zur Zeit ein tiefbekrübendes Nachspiel zu der furchtbaren Calmette-Kalastrophe. Der Prozeß gegen die der schwersten Fahrlässigkeit beschuldigten Lübecker Aerzte, die aus Drängen der Sozialdemokratie sofort von ihren Aemtern suspensiert wurden, liegt zwar immer noch in weiter Ferne, weil das Reichsgesundheitsamt bis heute noch zu keinem abschließenden Gutachten kommen konnte. Ein Zustand, der in der gesamten Lübecker Oeffentlichkeit Helle Empörung hervorruft. Aber die Dinge haben sich nach einer andern Richtung hin recht unerfreulich entwickelt. Eine KllquS geschäftstüchtiger Nattonalfozi- alisten inBerlin hat es verstanden, sich an den Lübecker Elternausschuß heranzumachen, während die Lübecker Nazis sich schützend vor die schuldigen Aerzte stellten. Um dieses Doppelspiel fertig zu bringen, versprach man dem Elternausschuß alles mögliche, vor allem natürlich Geld. Und um dies Geld zu beschaffen — schenken tun die Nazis nichts — schickte man in Berlin Bettelbriefe herum, in denen stand, die armen Säuglinge in Lübeck lägen in dem fürchterlichsten Elend, ohne zureichend« Nahrung und ohne Wäsch«. Zum Unglück für die Briefschreiber gelangte einer dieser Bettelbriefe in die Hände der Lübecker Behörde, die nun darauMn veröffentlichte, was sie biÄ)er für die unglücklichen Kinder geleistet hat. Aus diesen Zahlen ergab sich, daß der Staat Lübeck, der zuerst von der Sozialdemokratie erhobenen Forderung, für die durch unerhörte ärztliche Fahrlässigkeit erkrankten Kinder das Aeutzerste zu tun, voll entsprochen hat. Bis zum 1. November wurden bereits über 90 000 die See geschickt. 3n vielen Fällen wurde vom Staat eine Haushaltshilfe gestellt. 33 Familien erhielten neue, son.üge Wohnungen, wobei der Staat bis zu 50JI monatlich Lauernden Miete- zuschuß trägt. Auch wo das Kind schon gestorben war nahm sich der Staat in vielen Fällen der durch die Pflege naturgemäß z e r - mürdtenMutteran. Wir Sozialisten halten daS alles für eine selbstverständliche Pflicht des Staates; aber wir dürfen hinzusügen: Ein rein sozialistischer Staat hätte für diese unglücklichen Familien nicht mehr leisten können. DieBerlinerNazis aber, die Geld übrigens auch gern von Juden nehmen, und nebenbei für das von dem jüdischen Professor Friedmann erfundene Serum, das dem Calmet- teschen sehr ähnlich ist, eine eifrige Propaganda entfalten, wollen mit dem Unglück ein Geschäft machen, und dazu sind ihnen die Lübecker Eltern gerade gut. Sie sind leider nicht die einzigen. Kurz nach der Katastrophe tauchte in Lübeck ein Berliner Arzt D r. G e n t« r aus, der behaup - tete, im Besitz eines „A nti pHtis i n" genannten Geheimmittels zu sein, das den mit der schrecklichen Tuberkulose infizierten Kinder allein Rettung bringen könnte. Dieser 5 r. Senter brachte sich einen Herrn Zeun, der sich selbst als „Sozialpolitiker" bezeichnete, mit; und diesen beiden gelang es, allmählich einen großen Teil der Ealmetke-Kin-er in ihre Hände zu bekommen. Sie be - suchten ungerufen die Eltern, erklärten ihnen, chr Kind könne nur mit „Antiphtisin" gerettet werden und brachten es in vielen Fällen fertig, die kleinen Patienten andern Aerzten abzujagen. Zunächst erklärte D r. G e n t e r, daS Kind müsse hundert Spritzen „Antiphtisin" bekommen. Waren die h u n d e r t Spritzen verabfolgt, so erklärte er, weitere Spritzen bi s zu 14 0 für not ¬ wendig. Auf diese Weise hat Dr. Genter, bis dahin ein Kassenarzt mit bescheidenem Einkommen, bis heute an den Lübecker Säuglingen bereits 30 000 JI verdient. Für jedes einzelne behandelte Kind hat Herr Dr. Genter bis heule 10 0 0 eX liquidiert, während die Arztkosten für die von den Lübecker Aerzten behandelten Kinder im Durchschnitt 100 betragen. Diese Dinge erregten in Lübeck so heftiges Aufsehen, daß der Lübecker Senateine Aerzte-Konferenz einberief, zu der auch hervorragende Hamburger Aerzte hinzugezogen wurden. Das Ergebnis dieses Aerzte-Konsiliums war vernichtend für D r. G e n t e r. Er w e i g e r t e sich nach wie vor, über die Zu - sammensetzung seines Mittels etwas mitzuteilen, muhte aber zugeben, l«ß das sogenannte Antiphtisin gar kein spezifisches Mittel gegen T n b e r k u l o s e sei. Es diene nur der allgemeinen Kräftigung. An Säuglingen ist es nachweislich niemals vorher prdbierf worden, Über die Wirkung der Behandlung sagte daS Gutachten der Hamburger Aerzte (Prof. Kleinschmidt, Dr. Mögling, Fräulein Dr. Böker), die die Kinder nachuntersucht haben, daß eS ihnen mindestenS nicht besser geht, als den ohne hundert Spritzen behandelten Kindern. Als schließlich von den Hamburger Aerzten medizinische Fragen gestellt wurden, denen Herr Genter nicht gewachsen war, verließ et daß Konsilium. Der Lübecker Staat hat keine Möglichkeit, Herrn Genter daS Handwerk zu legen. Er wird aber dem Reich sgesund- heitSamt diesen Fall vorlegen. Unnötig, hinzuzufügen, daß Dr. Genter mit dem Berliner Nazi-AuSschuß die intimsten Verbindungen untechält. Diese ganzen Vorgänge haben in der Lübecker Bevölkerung einen völligen Stimmungsumschwung hervorgerufen. Die Empörung über die Versuche, das Unglück geschäftlich auszunuhen, ist so groß, daß der Schrecken der ärztlichen Katastrophe im Frühjahr darüber fast schon in den Hintergrund tritt. Unser Lübecker Bruderorgan, das diese Dinge zuerst der Oeffentlichkeit unterbreitete, erklärt dem gegenüber, kein noch so berechtigter Unwille dürfe dazu führen,die Leistungen zugunsten der durch die unheilvolle Calmette-Fütterung erkrankten Säuglinge irgendwie zu beschränken. Denn von den gefütterten Kindern können auch erst 42 als gesund bezeichnet werden; 137 liegen noch immer krank dar- nieder und 73 deckt der kühle Rasen. Brüning mbnndklt mit den PnrleiMnrn Neue Drohung mit Notverordnungen Berlin, 22. November. Nach Abschluß der ReichsratS- verhandlungen beginnen am kommenden Montag die B e s p r e - chungenmitdenFührernderReichstagsparteien wegen der parlamentarischen Erledigung des Finanz- und Wirt- schaftSprogrammS der Reichsregierung. Zuerst werden die Vor - sitzenden jener Fraktionen vom Reichskanzler empfangen werden, die der Regierung nahestehen. Die Besprechungen beim Reichskanzler sollen so vor sich gehen, daß im Lause der nächsten Woche sämtliche Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, empfangen weroen. Also auch die Nationalsozalisten werden zu diesen Besprechungen zugezogen. Es heißt, daß der Reichskanzler von den Parteiführern verlangen wird, daß die 28 Sanierungsgesetze bis zum 21. Dezember die parlamentarische Erledigung finden. Für die Spezialberatung in den Ausschüssen soll eine Frist von 14 Tagen gegeben werden. Die erste Beratung über daS Finanz- und Wirtschaftsprogramm soll drei Tage dauern und bereits in der Eröffnungssitzung am 3. Dezember beginnen. Für die zweite und dritte Lesung sind gleichfalls drei Tage vorgesehen, und Zwar für die Zeit vom 19. bi6 21. Dezember. Für den Fall, daß sich im Reichstag keine Mehrheit für die einzelnen Gesetze findet, wird der Reichskanzler beabsichtigen, seine Vorlagen auch ohne das Parlament in Kraft zu sehen. Für den weiteren Fall, daß sich im Reichstag eine Mehrheit für die Aufhebung derartiger Notverordnungen finden würde, erwägt man „in sehr maßgebenden Kreisen" den Gedanken, daß der Reichspräsident den itbünschen deS Reichstages aus Wahrung feiner Rechte zwar eulgegenkomme, daß er aber eine entsprechende Aufhebung solcher Verordnungen erst dann vornimmt, wenn der Reichstag selbst durch entsprechende andere, von der Reichs - regierung gebilligte Maßnahmen dafür Sorge getragen habe, daß das Gesamtwerk der Sanierung nickt gefährdet werde. Das heißt mit andern Worten, der Reichspräsident würde dem Verlangen des Reichstages keine Folge leisten und damit offen gegen daS Parlament handeln! (Stimme greift ein! Königsberger UmvcrWtsrektor noth Berlin geladen ERB. Berlin, 22.November. Wie der Amtliche Preu - ßische Preffedienst erfährt, hat der preußische Kultusminister Dr. G r i m m e den Rektor der Königsberger Universität zur mündlichen Berichterstattung über die Vorfälle an der Universität nach Berlin gebeten. * Weiler hat der preußische Kultusminister die Rektoren der Universitäten und Technischen Hochschulen zu einer Konferenz über schwebende Hochschoifragen eingeladen. Wie der Amtliche Preußische Preffedienst erfährt, werden auf dieser Konferenz auch die Ausschreitungen einzelner Stodentengrop- p e n zur Sprache kommen. Wamung an die Studenten WTB. Kiel, 22. November. Der preußische Kultusminister Grimme sprach heule abend in einer stark besuchten sozialdemokratischen Versammlung über das Thema „Demokratie und Diktatur", wobei er unter anderm auch auf den Fall des Kieler UniversitätSproseffors D. Baumgarten anspielte, dem bekanntlich wegen seiner pazifistischen Einstellung von den Nationalsozialisten Landesverrat vorgeworfen wurde. Der Minister bedauerte, daß der Staat heute Polizeihilfe zum Schutze der Prosefforen gegen die Totengräber der akademischen Freiheit in Anspruch nehmen müsse. Wenn hinter die akademische Freiheit, so betonte er, durch daS Vorgehen mancher Studentengruppen erst das Todes - kreuz gesetzt werde, dann würden diese Studenten sehen, daß dieses Kreuz doch einen erheblichen Haken habe. Lehrfreiheit und Hakenkreuzgesinnung seien eine Gleichung, die nicht aufgehen könne. Denn Lehrfreiheit setzt Toleranz voraus. Hakenkreuzgesinnung verleugne aber bewußt Sie lldeen der Toleranz. Unmittelbar nach der Rede deS Ministers wurde von gegne - rischer Seite Tränengas abgeblasen, so daß die Versammiung vorzeitig abgebrochen werden mußte. Der mutmaßliche Täter mußte vor den erbitterten Versammlungsteilnehmern von der Polizei in Schutzhaft genommen werden. Dir Rollen Von Profeffor Dr. W. Hauser, Freiburg. 3m Laufe der letzten Zeit bin Ich wiederholt nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens gegen die Firmen Krupp und Thyffen befragt worden. Vor bald einem 3ahr ging durch die ganze deutsche Preffe die aufsehenerregende Nachricht, daß gegen die beiden ge - nannten Firmen vom OberreichSanwatt ein Verfahren wegen Landesverrats, begangen während des Weltkrieges, ein - geleitet worden fei. Der OberreichSanwatt erklärte am 22. Februar dieses 3ahreS, daß über die Schritte, die ergriffen worden seien, im Interesse der Untersuchung noch nichts mitgefeilt werden könne. Nun, ich glaube und befürchte, daß auch weiterhin über diese Dinge nichts in die Oeffentlichkeit gelangen wird; denn es wäre doch gefährlich, wenn jetzt, zwölf 3ahre nach dem Kriege, nochmals in all die dunklen Geschäfte, die während deS Krieges von Feind zu Feind getätigt wurden, hineingeleuchtet würde. Wenn die Pazifisten auch kein Interesse daran Haden, daß dieser oder jener der Großindustriellen und Händler, deren Geschäft eS war, WaffenanFreund und —Feind zuliefern, nachträglich vor den Richter gerufen wird, so haben wir und ganz besonders die Heranwachsende Jugend, die ja im kommenden Krieg wieder für die Dividenden der Rüstungsindustrie sich opfern soll, doch das größte Intereffe daran, zu erfahren, ob es wahr ist, daß der Weltkrieg nur deshalb vier Jahre lang dauern konnte, weil die Industriellen der einander feindlich gegenüberliegenden Länder mit Wissen der Regierungen oder jedenfalls unter ihrer schweigenden Duldung sich gegenseitig belieferten und mit den not - wendigen Waren auShalfen. In unserm Kampfe gegen den internationalen Waffenhandel sind wir auch neuerdings durch den französischen Außenminister Aristide Briand unterstützt worden, als er der Abordnung der internationalen Frauenliga in Gens erklärte: „. . . aber daS, was die gegenwärtige Lage so schwierig ge - staltet, ist die Tatsache, daß zuviel Intereffen gegen den Frieden arbeiten. Es sind die Munitions- und Waffenfabrikanten. Sie arbeiten alle gegen den Völkerbund." So ist es heute, und so war eS v o r dem Kriege, und was daS furchtbarste ist, ganz besonders während deS Krieges, als die Völker glaubten, ihre Besten für das „Vaterland" opfern zu müssen. Wenn die oberste richterliche Instanz in Deutschland im Laufe dieses Jahres sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt hak, so wird sie zu der Erkenntnis gekommen fein, daß, wenn die Völker all daS wüßten, was von den „Ratten" in der Etappe und Im Hinterland an Verbrechen begangen worden ist, sie gewiß mit in den Ruf ein stimmen würden: „Alle 100 000 Mann gegen die Ratten!" Don ganz besonderm Intereffe dürste für unS wie auch für die maßgebenden juristischen Instanzen heute die Frage fein, wie man währenddesKriegeS von selten der I u r i fl e n über diesen Handel mit dem Feind geurteilt hat. Viel ist allerdings über diese Dinge in der Preffe während des Krieges nicht erschienen; dafür sorgte schon die militärische Zensurbehörde! DaS Wenige, was unS aber im Lause der Jahre bekannt wurde, genügt schon, um zu zeigen, daß man in maßgebenden Kreisen den Handel mit dem Feind auch während des Krieges nicht als Landesverrat behandelte. Zwar waren schon im Januar 1915 im Hamburger Echo sowie im Berliner Tageblatt alarmierende Berichte auS Kopen - hagen erschienen, wonach in den nordischen Staaten ein blühender Handel getrieben wurde von deutschen und russischen Agenten, die den Versand ganzer Eisenbahnzüge voller Dreh - bänke aus Deutschland nach Rußland vermittelten. Und es brachte daS Berliner Tageblatt am 23. Januar 1915 einen Artikel von Iustizrat Freudenthal mit der Ueberschrift „Warnung vor strafbaren Lieferungen nach Feindesland". Der Derfaffer nahm in dieser Frage den Standpunkt ein, den jeder normaldenkende Mensch einnehmen muß, nämlich den, daß jeder Handel mit dem Feinde, auch der durch Vermittlung eines Neutralen, strafbar fei, da dieser Handel der feindlichen Macht Vorschub leistet. Aber scheinbar war das, was Iustizrat Freudenthal sagte, nicht für alle Kreise so selbstverständlich, sonst hätte es wohl nicht dieses großen Artikels bedurft, und vor allen Dingen hätte es wohl der damalige Syn - dikus der Lübecker Handelskammer, Herr Dr. W a l I r o t h, nicht für nötig erachtet, in der Deutschen Richter- zeitung vom 1. Mai 1915 In einem Artikel „Krieg, Strafrecht und 3>ie ßen^inflation Gin ametitanif^n Sloman Don Sinclair Lewis 12] II. Claire entschlüpft lraditioneller Achtbarkeit Claire Bolkwood wohnte in Brooklyn auf den Heigths. Leute in New York und andern Teilen von Middle-West glaubten, wie man oft hört, daß Brooklyn irgendwie spaßig sei. 3n Witzblättern und Possen wird es so dargesteltt, daß Leute, die bereit sind, ihre Lebensanschauungen aus diesen Quellen zu schöpfen, glauben, die tonangebenden Einwohner von Brooklyn wären alle Geistliche, Leichcnbestatter und Heb - ammen. Tatsache ist, daß North Washington Square in feinen fashionabelsten, protzigsten und elegantesten Teilen nicht so aristokratisch ist, wie jener Bezirk von Brooklyn, der die Heights genannt wird. Hier predigte Henry Ward Deecher. Hier, in Häusern gleich Mausoleen, auf den Dämmen oberhalb der Docks, wo die guten Schiffe anlegen aus Surabaja und Singapore, herrschten die Herren der Zausend Segel. Und immer noch ist es der Ort eines Neich- tums, der zu gediegen ist, als daß er die lebhafte Selbstplaka- iierung von Fiflh Avenue nachahmte. Hier wohnt die fünfte Generation der Besitzer ganzer Komplexe von Gieße - reien und Schiffswerften. Hier, in einem großen Ziegelhaus von gar würdigem und häßlichem Aussehen, wohnte Claire Boltwood mit ihrem verwitweten Bater. Henry B. Boltwood war Vizepräsident eines Unter - nehmens für Eisenbahnbelieferungen. Er war^ weder reich, noch weniger war er arm zu nennen. Jeden Sommer, trotz allen zarten Winken seiner Tochter Claire, mieteten sie das - selbe Landhäuschen an der Küste von Jersey und Herr Bolt- ü>ood kam über den Sonntag hinaus. Claire hatte eine gute Schule besucht. Sie war an graziösen Müßiggang, reizvolle Zwecklosigkeit, mandelgefüllte Schokolade und an ein gewisses neugieriges Staunen ge - wöhnt, weswegen sie eigentlich lebe. Sie wollte reisen, doch ihr Vater konnte niemals ab - kommen. Er verbrachte systematisch seine Tage damit, sich zu überarbeiten und seine Abende damit, daß er wünschte, er hätte sich nicht überarbeitet. Er war anziehend und munter, hatte rote Backen und einen weißen Schnurrbart, und an seinen Nerven hatten die Jahre alltäglicher Plackerei gezerrt. Claires Ambition war es einst gewesen, Kinder und einen ordentlichen Ehemann zu bekommen; aber als verschiedene junge Männer dieser Art vor ihr erschienen, ihre Locklicder sangen und das kürzlich chemisch geputzte Gefieder aus - breiteten, da fand sie, daß cs mit ordentlichen jungen Männern die eine Schwierigkeit hätte, daß sie so ordentlich wären. Obwohl sie sehr gern tanzte, langweilte sie „der Tänzer". Auch verstand sie die im Kreise der Intellektuellen üblichen Zitierungen nicht sehr gut; sie konnte gut ein Sym - phoniekonzert anhören, aber sie hatte wenig Glück, wenn die geschickte Art besprochen wurde, in der das Hauptmotiv von den Flöten aufgegriffen wird. Es ist geschichtlich festgestellt, daß sie einen Doktor der Musikgeschichte mit einer alten Geige, einem erlesenen Geschmack in Kravatten und einem Einkommen von achttausend Dollar abgewiesen hatte. Der einzige Mann, der sie beschäftigte, war Geoffrey Saxton, in all den untereinander wohlbekannten Gesellschafts - kreisen von Brooklyn Heights als „Jefs" bekannt. Jeff Saxton war neununddreißig und Claire dreiundzwanzig. 2r war sauber und ruhig; er hatte anscheinend weder Laster noch Launen. Eigens für Jeff schien das symbolische Jackett erfunden worden zu sein, die faltenlose graue Hose und die moralische, ungefaßte Brille. Er hatte eine Universität von gutem Auf absolviert und er hatte eine gute Stimme, eine gute Familie, gute Hände und guten Erfolg bei einem New Yorker Kupferunternehmen. Richteten freche, kluge oder arme Leute Fragen an ihn, so sah sie Jeff, ehe er antwortete, kühl von oben bis unten an, und dabei fühlten sich manche so unbehaglich, daß er oft nicht mehr zu antworten brauchte. Die Burschen in Claires Alter, die sich im Geschäft geschickt anstellten und täglich um halb sieben in Abendtoilette warfen, leicht in Liebe entbrannten und heftige Bewunderer athleft- scher Helden waren — diese Burschen fand Claire amüsant, aber schwer von einander zu unterscheiden. Bei Jeff Saxton blieb ihr diese Mühe erspart. Er unterschied sich von selbst. Jeff kam — nicht allzu oft — auf Besuch. Er sang — nicht allzu sentimental. Er führte sie und ihren Vater ins Theater — nicht allzu verschwenderisch. Er erzählte Claire — in nicht allzu ernstem Ton —, daß sie seine behelmte Athene fei, seine schönste Rose der Welt. Er informierte sie über feine materielle Lage — nicht allzu eingehend. Und er war so immerwährend, so beständig, so ruhig, so höflich, so un - erschütterlich immer da. So sah sie das mächtige, plumpe Schiff des Ehestandes auf das zerbrechliche Rennboot ihres Strebens zutreiben und steuerte umher in verzweifelten Kreisen. Dann erlitt ihr Vater den nervösen Zusammenbruch, den er so reichlich verdient hatte. Der Arzt verschrieb Ruhe. Claire übernahm die Pflege. Er wollte nicht reifen. Jeden - falls wollte er nicht ans Meer oder in die Berge der Adiron- dacks. Da jedoch ein Zweig seiner Gesellschaft in Minneapolis war, lockte ihn Claire wenigstens dahin. Claire hatte den Kreis ihrer Freundinnen off zu lenken verstanden, es war ihr niemals eingefallen, ihren Vater, der doch über alles zu verfügen hatte, lenken zu wollen; aus - genommen vielleicht durch liebenswürdige und indirekte Sckkaturen. Jetzt, im Bündnis mit dem Arzt, schüchterte sie ihn vollkommen ein und zwang ihn nachzugeben. Er sah keinen andern Ausweg vor sich, als den blaffen Tod, der auf ihn wartete, und da wurde et sanft und schwach. Er war zu allem bereit. Er willigte ein, mit ihr zweitausend Meilen weit über Berge und Ebenen nach Seattle zu fahren und bei Verwandten, den Eugen Gilsons, einen kurzen Besuch ab- zustatfen. Aus dem Inhalt Politik und allgemeiner Teil: Skandalöse Ausbeutung der Lübecker Äinbcrftagöbic. Die Ratten. Brüning verbandett mit den Parteiführern. Grimme greift ein! Grzeslnfki und Severing warnen die Putschisten. Preußen macht Ernst gegen Kartellwucher. Tagesbericht: Totentag. Verkehrsrückgang und VerkebrStarif. Aufruf an die bamburgifche Bevölkerung. Feuilleton: Trauerbaum und Trauerblumen. Mütter. AuS aller Welt: DaS französische Eifenbabnunglück. Erdbeben in Albanien. Hafen und Schiffahrt: 13 Seeleute Opfer des letzten Sturmes. Gewerkschaftliche Umschau: gÜ-Sfunden-Woche in den schleSwig-holffeinischen Provinzial- pflegeanftalten. Frauenecke. — Schachecke: Zuhause, im Osten, Haffen sie einen Chauffeur und zwei Wagen — die Limousine und den Gomez-Deperdussin-Reise- wagen, Claires Liebling. Sie meinte, wenn sie Keinen Chauffeur mitnähmen, so wäre dies eine radikale Abkehr von all dem, was zu Herrn Boltwoods Herzen noch von der alten Männerherrschaft flüstern könnte. Ihr Vater fuhr nie - mals selbst, aber sie konnte es und sie bestand darauf. Er beobachtete sie mit unterwürfigen Blicken. Sie ließen sich den Gomez-Reiscwagen aus New ’Sorh kommen. An einem Julimorgen fuhren sie bei Nebel von Minne - sota fort und, wie bereits angedeutet wurde, blieben sie sechzig Meilen weit nördlich davon im Regen und auch im tiefen Gumbo stecken. Anscheinend sollte dieser ozeanisch nasse Rain eines Kornfeldes zwischen Schoenstrom und Gopher Prairie, Minnesota, ihre größte Annäherung an den Pazifischen Ozean bleiben. (Fortsetzung folgt.)