52. Jahrgang Stimmet 75 Montag, IS. MSrz 1931 ^ZMlügUchettimai, äuget an S-Sefetlaaen. fnt uorau» LAbm: Monaüich 240 K (eirttchl. 5e ArqtMungzgebuhi), mochenK'.i, •° 4 (eintoL 15 a ZusiellwigZgebühr). Küi ALHoler wöchsuiich 3® A «jfw Sßnft zu gleichen Bezugspreisen ^MÄigltch Bestelyerd. ^NKuri: Fchlandstr. 11, L Ferrrfpr.: Sammel-Nr. C S Stephan 1701, LMWis Cö Stephan 2821 in» 3503. Berantw. Redakteur: 3. Satter, - Buchhandlung: Kaiser-Wilhelm-Stratze U/16, Fernspr. 05 Stephan 5339. Druckereikontor: Fchlandstr.11,1. Fcrnspr.: Sammel-Nr. O 5 Stephan 1831. Nachtruf C 5 Stephan 3032 Ul» 3683. Preis 10 4 Hamburger Echo j^unwuigxiiwnuKi /ywwuu ■** . -.k.tioüt in den Mialen und in allen anerkannte An;eiaeiEnnahmelteII«n Gegründet la <5 Platz, und Tatenvorschristen dnverbütdrlch. Mord im Mebus Der kommunistische Abgeordnete Henning von Nationalsozialisten niedergeschossen — Kommunistischer Begleiter und Fahrgäste schwer verletzt — Die drei Mordbuben verhaftet — SA.-Generalappell verboten Eine schwere^ taltblütig ttitb mit Vorbedacht vo« Natioualsozialifie« verübte Mord» a t hat sich in der Nacht vom Sonnabend auf Sonn - tag in der rimgebung Hamburgs zugetragen. Eine Mordtat, die blitzlichtartig die außerordentlich ernste Situation der Gegenwart beleuchtet und ei« Aufruf an den Staat und seine Organe, aber auch an die ordnungswillige Bevölkerung ist, die Kräfte zu vervielfachen, um das Ab - rutschen des Staates z« Anarchie und Wildwestmethoden zu verhindern: Das kommunistische Bürgerschastsmitglied Henning wurde in der Nacht vom Sonnabend auf Sonn - tag tn einem Autobus, der von Zollenspieker nach Hamburg fahrt, kurz hinter Schseuwärder, von drei zunächst ent - nommenen Rechtsradikalen durch Pistolenschüsse ermordet'. Ser amtliche Bericht Die Hamburger Polizeibehörde gab über die furchtbare Mordtat noch am Sonntag folgenden Bericht heraus: „ Das kommunistische Bürgerschastsmitglied Robert Otto Ernst Henning ist in der Nacht auf Sonntag, 15. März, gegen 12 Llhr 40 Minuten, in einem Auto- bns, der von Zollenspieker nach Hamburg fährt, kurz hinter Schseuwärder erschossen worden. , Leber de» Vorgang ist bisher folgendes ermittelt: Henning befand sich in Begleitung eines Parteigenossen Louis Cahn- bleh. In Fünfhansen bestiege« drei Männer den Smnibns, die zurächst ruhig Platz nähme». Plötzlich erhoben fie sich, zogen Pistolen hervor und riefe« den Fahrgästen zu: „Hände hoch!" Dau» stagte« fie Henning, ob er das kommunistische Bürger- schaftsmstglied A n d r e sei und forderten ih» auf, seine Papiere z» zeigen. Als Henning hierauf seinen Namen nannte, er- -widerte« fie: „Dich suche» wir gerade!" Zm gleichen Augeublisk gnbe» sie eine.An- zahl Schüsse auf Henning ab, sprangen als- r dann aus dem Wggen. n»d..schvsse» auch von draußen weiter in den Wage« hinein. Henning ist getötet; eine im Wagen befindlich gewesene Lchrerin erhielt zwei Beinschüße. - Di e-Täterentkamenim Dunkel. Nach de» bis- herige« Ermittlungen find fie in de» rechtsradikale» Kreisen zu suche«. Zm Zyteresse der Untersuchung könne» weitere Eiuzel- heiteu zur Zett nicht bekanntgegebe» werden. Das ermordete kommnuistische Bürgerschaftsmitglied Henning ist am 12. Oktober 1892 in Magdeburg geboren und gehörte der Hamburger Bürgerschaft seit 1928 an. Alle drei Ater MtionallorlMten! Die kriminalpolizeiliche» Nachforschungen i« der Angelegen, heit der Erschießung des kommunistischen Bürgerschaftsmitgliedes Henning sind während des Sonntags in größtem Umfange auf- genommen und dnrchgeführt worden. Nachdem sich der Verdacht immer stärker verdichtet hatte und alle zur Festnahme der Haupttäter erforderlichen Maßnahme«ge- troffen waren, stellten sich zwei der Täter in der Nacht vom Sonntag Wm Montag, um 230 Uhr, bei der Kriminal- Polizei im Stadthaus. Sie wiesen sich aus als der am 16. Fe- bruar 1909 in Segeberg geborene ledige Albert Ernst Z a «s e n und Otto Ernst Heinrich Bammel, geboren am 27. Mai 1905 in Wittingen, Kreis Isenberg (Preußen). Jansen war früher Polizeiwachtmeister und ist wegen nationalsozialistischer Be- tätigung entlaßen worden. Bammel ist Handlungsgehilfe. Beide sind Mttglieder der nationalsozialistische» Partei. Der dritte Täter ist der am 11. August 1903 in München ge - borene Hans Alois H ö ck m e h e r. Er ist g l e i ch f a l l s Mi t - glied der nationalsozialistischen Partei. Mit seiner Festnahme ist zu rechnen. Au» der dritte Sätet feitoenvmmrn Wie wir soeben erfahre«, ist es de» Beamten der Kriminal - polizei gelungen, in de« Mittagsstunden des Montag auch den dritte» der natioualsozialistische» Attentäter, Alvis Höck- »»eher, festzunehme«. Durch umfangreiche Ermittlungen war festgestellt, daß Höckmeher sich in St. Georg aufhalten sollte. Die »ach ihm fahndende» Beamten ergriffe» H., der einen vergeb- liehen Fluchtversuch machte, auf der Straße. * Nach den vorliegenden Aussagen ergibt sich nunmehr das folgende Bild von der Tat : ■ • ; ■ .. ■> ' Am Sonnabendabend fand in Zollenspieker im Lokal von Albers eine kommu«istische Führerbesprechung statt, in der bas Verhalten der Kommunisten anläßlich der nationalsozialistischen Kundgebung, die für Sonntag in Geesthacht geplant war, festgelegt werden sollte. De« Inhalt dieser Besprechung sollte ei» i» Zollenspieker bekanntes Mitglied der nationalsozialistische» Partei in Erfahruug bringe«. Zu seinem Schutz waren die in Zollenspieker nicht bekannte« Täter in das Lokal von Albers gegangen. Jansen sagt aus, daß er Henning für das Bürgerschastsmitglied Andrs gehalten habe und plötzlich in sinnloser Wut auf ihn. «ingeschoffen hätte. Bammel will sich ohne Lleberlegung a» dieser Schießerei be - teiligt haben. Beide bestreiten, daß eine Verabredung vorge - legen hätte. Der Inhalt dieser Aussage steht in scharfem Widerspruch z« den bisherige» Zeugenaussagen, die eine planmäßige Vorbe- reitung der Tat vermutenlasse». Betbol bes öA.-Senetalavvellö der Nazi Amtlich wird mitgeteilt: Der vo« der Nationalsozialistischen Partei für morgen, Dienstag, bei Sagebiel angesetzte Geueralappell der Sturm - abteilung der NSDAP, ist Polizeilicherseits verboten worden. Altonaer Ml-Lokal bewolien Dos Altonaer Polizeipräsidium teilt mit: In der Nacht von Sonntag auf Montag gegen 22.40 Ahr ist eine in der Erzbergerstraße 19 in Altona belegene Schank Wirtschaft, die Angehörigen der N a t i o n a l s o z i a l i st i s ch e n Deutschen Arbeiterpartei als Verkehrslokal dient, von der Straße ans beschossen worden. Zwei männliche Gäste der Wirtschaft habe» Echuß- verletzungen erlitte». Der eine ei»en Kopf-, der andere einen Beckenschuß. Beide Personen sanden Aufnahme im städtischen Krankenhaus. Ilm die genannte Zeit soll einer der beiden später Verletzten in die Wirtschaft gekommen sein und dort bekanntgemacht haben, daß das Lokal anscheinend von mehreren Leuten auf der Straße beobachtet würde. Als der Wirt sich mit einigen seiner Gäste nach draußen begab, tun vachziisehcn, was man hort vor- habe, wurde sofort von zwei gegenüberliegenden' Straß'eiiccken geschoßen. Die beiden Verletzten sind vor dem Wi'rtfchaftslokal von den Geschoßen getroffen worden. Das sofort alarmierte Ueberfallkommando hat v o n d e n T ä t c r n n i e m and m e h r fassenkönncn. QUIe Personen, die sachdienliche Angaben über den Vorfall und insbesondere über in der Nähe der Erzbergerstraße zur Zeit der Schießerei umhersteyende beziehungsweise nach der Tat flüchtende Personen machen können, werden gebeten, dieses nn- verzüglich der nächsten Polizeiwache oder der Abteilung l A des Polizeipräsidiums in Altona mündlich, schriftlich oder tele - phonisch (Fernsprecher D 2 Klopstock 1102) zu melden. Etwaige Angaben werden wunschgemäß vertraulich behandelt.. Es liegen weitere Nerichte vor, nach denen der Begleiter des kommunistischen Bürger - schaftsabgeordneten Henning leicht verletzt sein soll, nach denen auch weitere Znsaßen des Autobus' durch die Pistolenschüße Verletzungen erlitten haben sollen. Insbesondere hat eine Be ¬ rufsschullehrerin, wie auch der Polizeibericht mitteilt, zwei Beinschüße erhalten. llnklar bleibt, wie es möglich war, daß die Täter zunächst und anscheinend, ohne daß der Versuch unternommen wurde, sic aufzuhalten, entweichen konnten. Berichte verzeichnen lediglich, daß die erschreckten Fahrgäste de» Autobus verließen, daß der Führer des Autobus sie aber nachher wieder aufforderte, einzu - steigen. Erst durch die Meldung auf der Polizeiwache Vierländer st raße erfuhr die Polizei von diesem nächt - lichen politischen Drama. Man wird wettere Aufklärungen abwarten müßen, ehe man ein klares Bild von dieser rechtsradikale» Mordtat erhält. SLgrratr Dean stelle sich vor: In der Nacht vom Sonnabend auf Sonntag fährt ein Autobus vom Zollenspieker nach Ham - burg. Drei' Männer besteigen den Autobus in Fünfhausen. Ohne daß inan ihnen irgendeine Aufrcgmrg anmerkt, nehmen sie Platz, erheben sich dann, um nach einer kurzen Frage an den kommunistischen Abgeordneten Henning die Revolver auf ihn anzulegen und ihn niederzuschießen: Das ist ein tolles politisches Wildweststück, wie es in Deutschland bisher noch nicht paßiert ist. Die Mordtat ist nichts anderes als das Ergebnis einer geradezu beispiellosen Mordhetz« 1 der Nationalsozialisten. Und leider muß ausgesprochen werden, daß diese Mordhetz« erleichtert worden ist durch die Tatsache, daß politische Ge - walttaten in Deutschland, insonderheit solche der Rechts - radikalen, trotz der sehr gespannten Zeit, eine entweder außerordentlich milde Beurteilung durch d i e Z u st i z finden oder aber in der Aburteilung sträflich verzögert werden. Der Mord an dem kommunistischen Bürgerschastsmitglied ist ein Signal. Er zeigt, daß Deutschland vor einem Abgrund steht, daß der vielgepriesene Rechtsstaat vor der .Gefahr einer Auflösung der staatlichen Ordnung steht. Man weiß zwar infolge der nationalsozialistischen Praxis, daß bestialische Morde, nach Wildwestmethoden durchgeführt, nicht mehr das „Privileg" des „wilden Westens" sind: Der nächtliche Mord in dem Autobus aber zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie weit dieser Entwicklungsprozeß bereits vor geschritten ist. Es wird höchste Zeit, daß Staat und Justiz sich auf ihre ungemein ernste und schwere Verpflichtung be - sinne«, wieder stärkere Garantien für Ordnung uttK" Sicherheit zu schaffen -Was'wir in dem Mord an einem Koimstunisten erlechen, ist eine Bestätigung dafür, daß von der angeblichen Legalität der' Rechtsradikalen aber auch gar nichts gehallen werden darf. Was weiter durch diesen Mord bewiesen wird, ist, daß der Staat nicht länger so duldsam den Methoden gegenüber - stehen darf, mit denen die Gewaltparteien einander bekämpfen. Dabei kommt es darauf an, die unmittelbaren Quellen der politischen Gewalttaten zu verstopfen. Das ist die geradezu ungeheuerliche Mordheyc, die sowohl in der kommunistischen Preße, stärker aber noch in der narionalsozialistischen Presse betrieben wird. Dafür ein jüngstes Beispiel: Wir haben vor wenigen Tagen das ebenso ungewöhnliche und die Mechoden der Rechtsradikalen kennzeichnende Attentat auf den Regierungs - rat L a s s a l l y im Hamburger Stadthaus erlebt. Wie kommentiert das Hamburger Naziblatt diese Bluttat? Es richtet die schärfsten Angriffe gegen di« 8-ür neu Btugutreienbe Bezieher werden die bereits erschienene» Kapitel dieser Romans ans Wunsch i o ft c n i o s »achgeliefert. Copyright 1930 by .Der Bvcherlreis G. m b. H-. Berlin SW 61. 6o kämpft Marie! Das Leben der Marie Szameitat Bon Josef Maria Frank toOl Marie begreift es, beruhigt sich langsam. Aber sie taumelt immer noch so über den Bürgersteig, daß es ver - wirrend anzusehen ist. Mit unsicheren Füßen und wie in Furcht, daß in jedem Augenblick der graue Asphalt versinken und schwarzer Abgrund vor den Füßen sich öffnen könne. Mehr als einmal haben Trude und Gerd sie schon zurück - reißen müssen, sonst wäre sie vom Bürgersteig getaumelt, hinein in die Räder auf der Straße. Das brennt immer schlimmer in Marie: Klarheit, Klar - heit muß gefunden werden! Ein Weg, ein Weg, ein Aus - weg! Ein Entschluß! * Die Kinder schlafen. Gerd hat diesmal sein Bett — wie jetzt öfter — in der Küche aufschlagen müssen. Marie sitzt allein in der Stube am Tisch und grübelt. Sie versucht Klarheit zu finden. Sie prüft genau ihre Gedanken in Weg und Abweg und findet das: Sic haßt dieses Leben, das in ihr wird. Der Haß wird ihr bewußt. Eie haßt dieses Kind mit.so maßlosem Haß, vor dessen Ansägbarkeit sie selbst erschrickt. Za, sie wünscht diesem • Angeborenen den Tod. Hart und deutlich sagt sie sich: Ich wünsche ihm den Tod! Nüchtern und sachlich, dabei unerbittlich in seiner Sach- lichkettshärte steht das vor ihren Augen: Was soll dieses Kind? Was bedeutet cs? Wenn es geboren wird? Neue Sorgen, Krankheit, Kraftversagen, Verdicnstausfall, Arbeits - losigkeit, Schulden, Stehenblciben, Fallen, Sinken, Elend, Jammer, Verkommen, Bankrott! Maries Kopf fiebert vor Nachdenken unb Rechnen. So oder so, die Rechnung läßt sich immer nur so schließen: Kommt dieses Kind, dann frißt cs nicht nur sich selber auf, auch die andern und mich und unser Leben und unsere Zu - kunft. Dieses Kind darf nicht sein! Alles in Marie schreit auf und empört sich über die Angerechtigkeit dieses Kindes, das sie nicht gerufen hat untz das nun mit seinem Willen zum Leben das Leben Maries und der Kinder erwürgen will. Marie fällt in sich zu - sammen, Haß verzerrt ihr Gesicht. Sie muß dieses Kind in ihrem Leibe hassen. Sein Tod, nur das wäre Gerechtigkeit. Mühsam richtet Marie sich auf. Zhr Blick flieht über den Tisch, läuft die Kanten entlang von Ecke zu Ecke, springt auf den Fußboden, läuft zur Wand, irrt über die Decke. Nirgendwo ein Ausweg. Das fchreit in Marie: Womit habe ich das verdient? Womtt, womit? War ich nicht gut? War ich schlecht? Habe ich Gott gelästert? Habe ich Böses getan? Mein Gott, mein Gott, habe ich nicht immer gelebt, wie du es befiehlst? Habe ich nicht immer gearbeitet und gehungert? Gearbeitet und gehungert für die andern? Habe ich nicht —. Marie findet nicht weiter. Ihre Fäuste trommeln un- untcrbrochen in sinnloser Wut auf ihrem Leibe: Du, du Verfluchtes, richtest uns zugrunde! Zugrunde richtest du uns! Verfluchtes du, du Angerufenes du! Warum habe ich gelebt? Warum habe ich gearbeitet? Warum habe ich ge - litten? Warum habe ich immer ivieder mich heräus- gearbeitet? Verfluchtes du! Damit du mich zugrunde richtest? Schwer fällt Maries Kopf auf die Tischplatte. Leer ist cs jetzt in Maries Kopf. Leer, schlimm leer wie in ihrem Kerzen. Marie ist müde von ihrem Denken. Sie hebt den Kopf. Zweckloses Heben. Ihre Augen wandern wieder. Aeber den Tisch, ins Zimmer, Wände auf und ab, wieder zurück zmn Tisch. Da liegen die übriggebliebenen Abendzeitungen. Maries müder Blick tastet sie ab. Bleibt jetzt stehen. Irgend etwas packt den Blick. Zn Diaries Gehirn beginnt es zu arbeiten. Der Blick wird kommandiert. Marie liest: In die Spree oder . . . Gestern warf eine Frau P. ihre zweijährige Tochter Maric und ihren halbjährigen Sohn Reinhold in die Spree. Passanten verhinderten, daß den drei älteren Kindern das gleiche geschah, hielten ebenfalls die Frau vom Sprung ins Wasser zurück und retteten die beiden Kinder. Wir veröffenllichen hier ein Aktenstück und einen Bcttrag, die diese Äagödie einer Mutter aufklären. 6 Kinder in 7 Jahre« A u s d en Akten einc r B e rline r Fü rs o rg eri n Hausbesuch bei Familie P. am 21. Dezember, vormittags 10 Ahr, „Die Tür wird nach mehrmaligem Klopfen von den kleinen Kindern geöffnet. In einer Stube von fünf Meter Länge und zweieinhalb Meter Breite, in der zwei große Betten, zwei Kinderbetten und ein kleiner Tisch stehen, liegt die Wöchnerin in einem schmutzigen, nach der Entbindung nicht frischbezogenen Bett. Das Neugeborene liegt in einem Kissen auf dem Tisch. Die andern fünf kleinen Kinder, zum Teü noch nicht angezogen, kriechen an der Erde und auf den Betten herum. Das Kleinste sitzt auf dem Bett, vor sich eine Tüte mit Stampfzucker, aus der es mit beiden Händen Zucker ißt. Von einem Brot, das gleichfalls an der Erde liegt, brechen sich die Kinder mit den Händen Stt'icke ab. Auf der Erde liegen Kleidungsstücke, schmutzige Wäsche, Windeln, Becher, Löffel, Papier und ein nmgestoßener, von den Kindern benutzter Nachttopf. Auf dem Bett der Wöchnerin liegt ein Teppich - klopfer, mit dem sie die Kinder in Ordnung hält. Der Mann ist seit früh %7 Ahr auf Arbeit, hat vorher für Frau und Kinder Kaffee gekocht und Stullen gemacht. Die Hebamme hat ihren Besuch zum Abend zugesagt. Die Wohnung, in der die Familie erst seit vierzehn Tagen lebt, besteht aus zwei Stuben und Küche. Die große Stube ist völlig unmöbliert. In der Küche ist außer dem Herd, zwei Kochtöpfen, einem Eimer nichts weiter vor - handen. Es ist nicht leicht, in diesem Chaos Ordnung zu schaffen. Es fehlt drmgend an einem Schrank, an einer Kommode, um die Kleidungsstücke darin unterzubringen. Es fehlt an einer Waschwanne, um die schmutzige Wäsche cinzuweichen, es fehlt an einer Badewanne, um das Kind zu baden. Das Notwendigste, Bettenmachen, Säuberung der Stube, Essenkochen usw., wurde von mir vorgenommen. Dabei zeigte sich, daß die Kinder trotz ihres geringen Alters außerordentlich geschickt und hilfsbereit waren. Bis zu dem Zweijährigen waren alle in Bewegung. Jedes hatte ein Amt, der Aelteste kaufte ein, der andere holte Kehr - schaufel, Besen usw. heran, eilt anderes schichtete die tut Korridor herumliegenden Briketts auf usw. Als Be° lohmutg zeigten sie mir daun geheiumisvoll unb glücklich ihr „feines Spiel" — das war der Knopf im Wasserspül - klosett. „Mensch, Tante, kiek mal, wenn man das drückt, denn kommt dct Wasser." Ich möchte noch hinzufügen, daß wir die nottvendigeu Möbel beschafft, eine vollständige Säuglingsausstattmtg Aus dem Inhalt Politik und allgemeiner Teil: Der netionalsozialistischc Mord an Henning. Erpressttdriefe an die Reichsbahn. Sozialistsscher Wahlsieg in Zürich. Die Sklareks des Kaiserreiches. (2. Beilage.) Mordprozeß Tetzner. (2. Beilage.) Tagesbericht: Einbrecher schießen Ehepaar nieder. Schüsse aus die Geliebte. Die erste« Jugendwechen. Kunst und Wissenschaft: Die „Sezession" eröffnet. Feuilleton: Iakob Adclsman: Kasia. Aus aller Welt. Arbeitersportrundschaii. MWWWWMMWWMWMMMMWW»»«»MWWWMWWWWWWW ■ sowie Säuglingskorb und -warme der Familie überlassen und für Wochenpflege und Versorgung der Kinder ge - sorgt haben." Soweit der Bericht. Trotz aller Hilfsmaßnahmen mußte Frau P. mit ihren Kindern den Tod suchen. 2!erven- zerrüttung und Erschöpfungszustand waren die Gründe, aus denen Frau P. mit ihren Kindenr aus dem Leben scheiden wollte. Diese Frau hatte in sieben Jahren sechs Kinder geboren. Sie ist ja uimnterbrochcn schwanger gewesen. — Kann es einen da w-und er« eh m en,? Anter diesen A ur st ä n d e n >— ?! „Kann cs einen da wundernehmen? Anter diesen Am- ständen?" . Maric liest es nochmals. Jetzt hebt sie den Kopf, den armen, müden Kopf. Sie denkt nach. Warum ist diese Frau in die Spree gegangen? Warm« hat sie das tun müssen? Sie hatte einen Mann, wahrschein - lich einen guten Mann, der arbeitete und für sie sorgte, sie hatte Menschen gefunden, die sich ihrer angenommen hatten, ihr Leid war nichts anderes als das ewige Leid der armen kleinen Leute. — Deshalb ging sie in die Spree? Wie viele in dieser Stadt müßten damt in die Spree gehen! Was müßte sie, Marie, dann tun? Die Frau hat sechs Kinder geboren? dlervenzcrrüttung und Erschöpfungszustand! Was müßte sie dann cmpft'nden? iFvrtf. folgt.)