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Hamburger  <Ed)o 
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Kummet  7S 
Donnerstag,  19.  Mürz  1931 
37.  Jahrgang 
XmrntXt  in  -er  ^amfrtirgar  SBürgerf^aff 
Selbstjustiz  der  Kommunisten  an  den  Nationalsozialisten  /  Bürgermeister  Roß'  Kampfansage  an  die  Gewaltparteien 
Schlügerei  zwischen  Kommunisten  und  Nazis 
Zwei  Schiffe  in  Sturm  und  Nebel  untergegangen 
Die  Äamburger  nationalsozialistische»  Bluttaten  gaben  dem 
Senat  Veranlassung,  zu  Beginn  der  Generalaussprache  über  den 
Etat  durch  seinen  Präsidenten,  Bürgermeister  R  o  ß.,  folgende 
bedeutsame  und  scharfe  Erklärung  und  Kampfansage  an  die  Ge- 
waltparteien  abzugeben: 
Die  zwei  politischen  Mordtaten,  die  Lamburg  in  den  letzte» 
Tagen  erlebt  hat-  und  die  jeden,  der  sich  ein  gesundes  sittliches 
Empfinden  bewahrt  hat,  mit  Grauen  und  Empörung  erfüllen 
müssen,  beweisen,  welcher  Grad  der  Verhetzung  durch  die  zügel- 
losen  Kampfmethoden  erreicht  worden  ist,  die  von  den  Feinden 
des  Staates  nun  seit  Jahren  angewandt  werden.  (Sehr  wahr.) 
Wenn  auch  für  die  beiden  Fälle,  unter  deren  furchtbaren  Ein -
druck  wir  jetzt  stehen, 
allein  die  Nationalsozialistische  Partei  di«  moralische 
Verantwortung 
trägt  —  eine  Verantwortung,  die  ihr  durch  keinerlei  taktische 
Manöver  ihrer  Führer  abgenommen  werden  kann  (Sehr  richtig!) 
•—  so  ist  doch  für  die  ganze  politische  Atmosphäre,  die  solche 
Taten  ermöglicht,  selbstverständlich  die  Maßlosigkeit  der  kommu -
nistischen  Demagogie  mit  verantwortlich.  Daß  die  Kommu -
nistische  Partei  keine  Rücksicht  darauf  nimmt,  ob  ihre  Land -
lungen  das  deutsche  Ansehen  schädigen  und  das  deutsche  Volk 
noch  tiefer  in  die  Not  hineintreiben,  unter  der  es  jetzt  leidet, 
ist  nicht  verwunderlich.  Daß  aber  eine  Partei,  die  soviel  von 
Vaterlandsliebe  und  nationaler  Würde  spricht,  wie  die  national -
sozialistische,  Seite  an  Seite  mit  den  Kommunisten  um  die  Zer- 
trümmerung  der  Autorität  unseres  Staates  kämpft,  das  bleibt 
nur  dem  begreiflich,  der  in  diesem  Kampf  nichts  anderes  sieht 
als  den  brutalen  Willen  zur  Macht  —  nicht  durch  einen  geistigen 
Kampf  für  klare  Ziele,  sondern  durch  die  Ausnutzung  von  auf 
Gefühlen  und  Anschauungen  gegensätzlicher  Art  beruhenden 
Volksstimmungen,  die  niemals  das  Fundament  einer  Nation  zu 
bilden  vermögen  werden. 
Ich  will  keine  Zweifel  über  meine  Aeberzeugung  lassen,  daß 
die  Deutsche  Republik  zu  fest  gegründet  ist,  um  durch  diese 
Bewegungen  gefährdet  zu  werden.  (Lebhafter  Beifall.) 
Sollte»  gewaltsame  Versuche  zur  Erringung  der 
eiblffSnnlctgang  tm  3rMen  Mm 
Der  in  Glasgow  beheimatete  kleine  Dampfer  „Vitrine“ 
scheiterte  Mittwoch  früh  am  Kap  Bradda  an  der  südwestlichen 
Küste  der  Insel  Man.  Von  den  zehn  Mann  der  Besatzung  konnten 
zwei  schwimmend  das  Ufer  erreichen;  die  übrigen  acht  werden 
noch  vermißt.  Infolge  des  dichten  Nebels  wurde  das  Unglück 
vom  Lande  aus  nicht  bemerkt;  man  erfuhr  erst  davon,  als  die 
zwei  Geretteten,  die  die  Nacht  auf  den  Klippen  verbracht  hatten, 
den  nächsten  Lasen,  Port  Erin,  erreichten.  Sie  konnten  nichts 
über  das  Schicksal  der  acht  Vermißten  aussagen.  Ein  Rettungs- 
boot  befindet  sich  auf  der  Suche  nach  ihnen. 
politische»  Macht  vo»  irgendeiner  Seite  unternommen 
werden,  so  werden  sie  im  Keime  erstickt. 
(Stürmischer  Beifall.)  Täusche  sich  niemand  darüber:  Der 
Staat  von  Weimar  ist  nicht  in  der  Gefahr,  kampflos  preis- 
gegeben  zu  werden!  Die  Republik  ist  weder  wehrlos,  noch  ist  sie 
schwach;  nur  allzu  langmütig  war  sie  bislang.  (Stürmische 
Zustimmung.) 
Die  Sitzung  der  Lamburger  Bürgerschaft  am  Mittwoch,  die 
wegen  der  Etatberatung  bereits  um  16  Uhr  begann,  sah  gleich  zu 
Beginn  stürmisch-dramatische  Auftritte.  Der  Vorstand  der 
Bürgerschaft  hatte  kaum  Platz  genommen,  der  Präsident  hatte 
die  Sitzung  noch  nicht  eröffnet,  da  stürmten  einige  kommunistische 
Abgeordnete  auf  die  rechte  Seite  des  Laufes  zu  den  Plätzen 
der  drei  nationalsozialistischen  Abgeordneten,  von  denen  in 
diesem  Augenblick  zwei,  nämlich  Reinke  und  Larry 
Lenningsen,  anwesend  waren. 
Mit  den  Rufen:  „Raus  mit  bett  Mördern!",  fielen  die 
kommunistischen  Abgeordnete«  über  die  beiden 
Nationalsozialisten  her,  die  in  wenigen  Augenblicken 
furchtbar  mit  bat  Fäusten  bearbeitet  wurden. 
Während  dieser  Schlägerei  begaben  sich  weitere  Kommunisten 
nach  der  rechten  Seite  des  Laufes,  wo  inzwischen  deutsch -
nationale  und  volksparteiliche  Abgeordnete  den  Versuch  unter -
nahmen,  die  Kommunisten  und  Nationalsozialisten  voneinander 
zu  trennen.  Das  Ergebnis  war,  daß  auch  einige  Deutsch -
nationale  und  Volksparteiler  Opfer  der  in  ohnmächtiger  Wut 
darauflosschlagenden  Kommunisten  wurden.  Es  war  ein  un -
durchdringliches  Kampfgetummel,  das  sich  so  in  dem  Sektor  der 
deutschnationalen  Fraktion  entwickelte.  Der  Präsident  ver -
suchte  sofort  durch  ein  Klingelzeichen  die  im  Rathaus  anwesende 
Polizei  herbeizurufen.  Obgleich  noch  kurz  vor  der  Sitzung  fest -
gestellt  wurde,  daß  die  Klingel  funktionierte,  versagte  sie 
im  entscheidenden  Augenblick.  So  dauerte  es  einige 
Minuten,  ehe  Polizeibeamte  herbeieilten,  um  der  ^wüsten 
Schlägerei  ein  Ende  zu  bereiten. 
Auch  die  Schweizer  Berge  wanken 
Bei  der  Gemeinde  R  u  e  s  ch  e  g  g  (etwa  20  Kilometer  südlich 
von  Bern)  gerieten  ungefähr  40  Lektar  Wald-  und  Wiesenland 
ins  Rutschen.  Große  Waldstücke  setzten  sich  unter  ständigem 
Krachen  in  Bewegung.  Einige  Lütten  mußten  geräumt  werden. 
Es  ist  nicht  die  Sorge  vor  solchen  Entwicklungen,  die  dem 
Senat  zu  seiner  Verordnung  vom  16.  März  veranlaßt  hat.  Er 
handelte  lediglich  aus  der  Pflicht,  alles  zu  tun,  was  er  zu  tun 
in  der  Lage  ist,  um  zu  verhindern,  daß  dem  Irrsinn  des 
politischen  Terrors  der  staatsfeindlichen  Parteien  noch  weitere 
Menschenleben  zum  Opfer  fallen. 
Man  braucht  nur  die  Kommentare  der  nationalsozialistischen 
Presse  und  ihrer  Mitläufer  (Zuruf:  Lamburger  Nachrichten!) 
zu  den  politischen  Attentaten  der  letzten  Woche  zu  lesen,  um  zu 
erkennen,  daß  entschlossenes  Zugreifen  am  Platze 
w  a  r.  Dabei  hat  es  für  jeden  etwas  Beschämendes,  die  Ver -
suche  zu  sehen,  die  Verantwortung  zu  verlagern. 
Verantwortlich  für  diese  Bluttaten  sind  einzig  und 
allein  diejenigen,  die  nicht  durch  e  h  r  l  i  ch  e  M  i  t  a  r  b  e  i  t  be- 
müht  sind,  die  Not  der  Gegenwart  zu  überwinden,  sondern 
durch  die  Schwächung  der  Volkskraft  in  zersetzenden  Kämpfen 
und  Terrorakten  die  aufbauenden  Kräfte  der  Nation 
zu  hindern  versuchen.  Das  nenne  ich  weder  deutsch  noch  national 
und  noch  weniger  sozialistisch  handeln. 
Verantwortlich  sind  auch  die,  die  systematisch  auf  eine 
Verwilderung  der  Sitten  hinarbeiten,  indem  sie  auf  der  einen 
Seite  den  politischen  Gegner  skrupellos  verächtlich  zu  machen 
und  auf  der  andern  Seite  die  Gloriole  eines  herostratischen 
Ruhmes  um  die  schuldbeladenen  Läupter  feiger  Mordgesellen 
zu  weben  versuchen. 
Diesen  zerstörenden  Kräften  gegenüber  stellen  wir  die  Staats- 
gesinnung.  Wir  werden  es  nicht  zugeben,  daß  diejenigen,  die 
zwar  die  Rechte  der  Demokratie  für  sich  beanspruchen,  die  aber 
nicht  die  Pflichten  und  die  Verantwortungen  auf  sich  nehmen 
wollen,  die  sie  fordert,  den  durch  das  Elend  der  Kriegs-  und 
Nachkriegszeitgeschwächten  deutschen  Volkskörper  weiter  krank- 
machen.  Wir  werden,  wenn  es  notwendig  wird,  auch  diejenigen 
zu  erfassen  wissen,  die  als  Mitläufer  und  offene  oder  geheime 
Nutznießer  dieser  von  uns  bekämpften  Bewegungen  die  Geschäfte 
der  Staatsfeinde  besorgen.  (Bravo!) 
In  de«  Zeiten,  wir  de»  jetzige»,  heißt  es:  Wer  nicht 
für  den  Staat  ist,  der  ist  wider  ihn!  Und 
wer  wider  den  Staat  ist,  gegen  bett  ist  auch  der  Staat! 
(Stürmische  Zustimmung.) 
Wir  werden  fertig  mit  dem  kommunistischen  und  dem 
nationalsozialistischen  Terror!  Dem  organisierten  Terror  werden 
wir  die  organisierte  Macht  des  Staates  rücksichtslos  entgegen -
setzen.  Im  Zusammenwirken  zwischen  der  bereiten  Bevölkerung 
und  mit  einer  staats-  und  pflichttreuen  Beamtenschaft,  die  sich 
freihält  von  jeder  staatsfeindlichen  Bewegung  und  auch  deren 
Mitläufer^  von  sich  abschüttelt,  wird  der  Senat  weiter  bemüht 
sein,  seine  Pflicht  gegen  Lamburg  und  gegen'  das  Vaterland 
zu  tun.  (Stürmischer  Beifall.) 
Beide  Nationalsozialisten  haben  blutende  Verletzungen  er -
litten.  Leichtverletzt  wurden  auch  einige  andere  bürgerliche  Ab -
geordnete;  so  der  Wirtschaftsparteiler  Lurtzig,  der  sich  fuß- 
strampelnd  der  Angreifer  zu  erwehren  versuchte,  dem  aber 
,  trotzdem  die  Brille  zertrümmert  wurde.  Auch  der  Volksparteiler 
'Dr.  Lührsen  ging  mit  einigen  Schrammen  aus  der  Schlägerei 
bervor. 
Es  war  selbstverständlich,  daß  der  Präsident  der  Bürger -
schaft  dieses  beschämende  Beispiel  einer  Selbstjustiz  der  Kommu -
nisten  an  den  Nationalsozialisten  als  Folge  der  nationalsozia -
listischen  Bluttat  an  dem  Kommunisten  Lenning  ahnden 
mußte.  So  wurden  denn 
zehn  kommunistische  Abgeordnete  ausgeschlossen,  neu» 
davo»  auf  eine»  Mouat, 
während  der  Abgeordnete  v.  d.  Reith  sich  selbst  auf  zwei  Monate 
ausschloß,  da  er  den  Sitzungssaal  nicht  sofort  verließ. 
Da  die  Nationalsozialisten,  zu  denen  sich  inzwischen  auch  der 
dritte  Naziabgeordnete,  Brinkmann,  gesellt  hat,  den  Saal 
nicht  gleich  verließen,  drohte  es  auch  noch  weiterhin  zu  Zusam- 
menstößen  zu  kommen.  Es  trat  erst  Ruhe  ein,  nachdem  die  drei 
Nationalsozialisten  aus  dem  Sitzungssaal  herausgingen,  den  sie 
auch  den  ganzen  Abend  nicht  wieder  betraten. 
Nach  den  dramatischen  Zwischenfällen  widmete  Präsident 
Leuteritz  dem  ermordeten  Abgeordneten  Lenning  einen  Nachruf, 
der  eine  scharfe  Anklage  gegen  die  bestialischen  Kampfmethoden 
enthielt,  mit  denen  die  extremen  Parteien  ihren  politischen  Kampf 
führen.  Die  Mehrheit  des  Laufes  hörte  den  Nachruf  schweigend 
an.  Den  Kommunisten  blieb  es  Vorbehalten,  die  ernste  Ehrung 
ihres  Parteifreundes  durch  wiederholte  Zwischenrufe  zu  unter -
brechen. 
6egtn  Mordtmor  Mt  StmMewM 
SMeutjmne  (SenatoetHärung  -urch  Bürgermeister  Stoß 
NorwegWer  MteMmmr  gMettert  I 
Der  in  Berge»  beheimatete  Küstendampfer  „H  era"  ist  i» 
bet  Nähe  von  Hammerfest  geschÄtert.  Von  ber  Besatzung  haben 
sechs  Personen  bett  Tod  gefunden. 
Wie  eine  weitere  Meldung  besagt,  hat  sich  der  Unfall  an 
einer  entlegenen  Stelle  ereignete.  Der  Kapitän  hat  der  Reederei 
des  Schiffes  telegraphisch  mitgeteilt,  daß  die  „Sera"  vollkommen 
verloren  und  daß  sieben  Personen  ums  Leben  ge- 
kommen  seien.  Unter  den  Todesopfern  befinden  sich  drei 
Passagiere.  Zwei  von  ihnen,  ein  Landelsreisender  und  ein  fünf- 
jähriges  finnisches  Mädchen,  sind  ertrunken,  während  ein  Passa -
gier  an  Ueberanftrengung  starb,  nachdem  er  an  Land  gekommen 
war.  Von  der  Besatzung  sind  ein  Koch  und  drei  Stewardessen 
umgekommen.  Das  Unglück  ereignete  sich  bei  einem  orkan -
artigen  Sturm.  Nach  den  bisher  vorliegenden  Mitteilun -
gen  nimmt  man  an,  daß.  das  Schiff  mit  starker  Fahrt  direkt 
auf  eine  Klippenwand  aufgestoßen  ist  und  dabei  zerschmettert 
wurde.  Die  55  Geretteten  sind  nach  Lavoesund  gebracht  worden. 
RtM  Mahnung! 
Man  hätte  wohl  erwarten  dürfen,  daß  die  drei  national -
sozialistischen  Abgeordneten  in  der  Lamburger 
Bürgerschaft  am  Mittwochabend  die  Sitzung  gemieden 
hätten.  Es  war  vorauszusehen,  daß  nach  den  zwei  national -
sozialistischen  Bluttaten  in  Lamburg  die  sowieso  zu  er -
wartende  Spannung  durch  die  Anwesenheit  der  National -
sozialisten  eine  weitere  Steigerung  erfahren  würde.  Nicht 
vorauszusehen  war,  daß  die  Kommunisten  auch  im  Rathaus 
zur  Selbstjustiz  greifen  würden.  Parlamentarische  Obstruktion 
gegenüber  den  Nationalsozialisten  etwa,  wenn  sie  den  Ver -
such  gemacht  hätten,  in  der  Etatdebatte  zu  reden,  wäre  ver -
ständlich  gewesen.  Ansinnig  war  der  tätliche  Angriff. 
Ansinnig  und  beschämend.  Es  ist  das  erste  Mal, 
daß  auf  diese  Weise  eine  so  große  Schlägerei  in  der 
Lamburger  Bürgerschaft  entstand. 
Die  Nationalsozialisten  haben  wenigstens  dann  die  not -
wendige  Konsequenz  gezogen;  sie  haben  das  Rathaus  ver -
lassen.  Noch  einmal:  sie  hätten  Grund  gehabt,  gar  nicht  erst 
zu  erscheinen,  lieber  den  Ausdruck  des  Abscheues  für  die 
nationalsozialistischen  Mordtaten  hinaus,  der  von  allen 
Fraktionsrednern  leidenschaftlich  erfolgte,  war  es  der  sozial -
demokratische  Fraktionsführer,  P  o  d  e  y  n,  der  dem  Laus 
und  damit  der  Oeffentlichkeit  mitteilte,  daß  ihm  Nachrichten 
zugegangen  seien,  die  die  Deutung  zulassen,  daß 
sehr  enge  Zusammenhänge  zwischen  be«  Mörbern  ««b 
der  Gauleitung  ber  Nationalsozialiste« 
bestehen.  Podeyn  hat  bas  Material  bet  Polizei  übergeben. 
Er  sprach  unter  starker  Zustimmung  die  Erwartung  aus,  daß 
die  Polizei  die  mitgeteilten  Anhaltspunkte  verfolgt  und  der 
Oeffentlichkeit  über  das  Ergebnis  Aufschluß  gibt. 
Es  wäre  keine  Aeberraschung,  wenn  sich  enge 
Beziehungen  zwischen  den  Mördern  und  der  Gauleitung  der 
Nationalsozialisten  bestätigen  sollten.  Keine  Aeberraschung 
nach  der  infamen  Erklärung,  die  der  Nazi-Abgott  Adolf 
L  i  t  l  e  r  zu  dem  Mord  abgegeben,  hat. 
Es  ist  Pflicht  und  Aufgabe  des  Staates,  seine  Organe 
gegen  den  Mordterror  einzusehen  und  die  Sicherung  der  Ord -
nung  und  des  menschlichen  Lebens  zu  gewährleisten.  Selbst -
justiz  der  Bevölkerung  oder  einer  betroffenen  Partei  wäre  der 
Beginn  einer  neuen  und  gesteigerten  Ansicherheit,  einer  Auf -
lösung  aller  Ordnung,  wäre  der  Abstieg  zu  Anarchie  und 
Bürgerkrieg.  Unter  diesem  höheren  und  für  die  augenblick -
liche  Situation  in  Deutschland  entscheidenden  Gesichtspunkt 
war  der  kommunistische  Akt  der  Selbstjustiz  an  den  National -
sozialisten  ein  politisches  Verbrechen,  genau  so,  wie  es  poli -
tische  Verbrechen  sind,  wenn  die  Kommunisten  irgendwo  auf 
der  Straße  ihre  Racheschwüre  verwirklichen  sollten. 
Für  die  Nationalsozialisten  sind  die  Mordtaten 
„politische"  Mittel.  Es  liegt  in  ihren  Plänen,  zu  zersetzen 
und  zu  zerstören.  So  hoffen  sie,  nachdem  ihnen  der  „legale" 
Weg  mehr  und  mehr  verschlossen  ist,  den  Kampf  um  die 
Macht  im  Staate  leichter  zu  erringen.  Auch  bei  den  Kom -
munisten  ist  Zersetzung  und  Zerstörung  Programmpunkt. 
Auch  sie  sehen  ihre  machtpolitischen  Hoffnungen  auf  die 
Trümmerstätte. 
Diese  Tatsachen  müssen  deutlich  gesehen  werben.  Zn 
ihrer  ganzen  Ruchlosigkeit  sinb  sie  durch  die  Kampfmechoben 
der  exttemen  Parteien  während  der  letzten  Monate  offenbar 
geworden.  Waren  diese  letzten  Monate  mit  ihren  furcht -
baren  Gewalttaten  schon  eine  stete  Mahnung  an  den 
Staat,  sich  endlich  auf  seine  Kraft  und  auf  seine  Pflicht 
zu  besinnen,  so  sind  die  Lamburger  Mordtaten  eine  neue 
Mahnung,  die  am  Mittwochabend  in  der  Lamburger 
neu  hinzmreiende  Bezielier  rocrüen  »le  Bereite  erschienenen  Kapitel 
dieses  Romans  aus  Wunsch  t  o  ft  e  n  I  o  s  nadigclicfcrt. 
Copyright  1930  by  .Der  BücherkreiS  @  m  B.  H.-  Berlin  sw  61. 
<Bo  tümpff  SPtarie! 
Das  Leben  der  Marie  Szameitat 
Bo« 
[53]  Josei  Maria  Frank 
Marie  sackt  zusammen.  Der  Arteiksspruchl  Verfluchtes 
Gehirn,  das  jetzt  noch  denken  kann!  Furchtbare  Sekunde 
Schweigens!  Da  geht  eine  Ahr,  da  summt  eine  Fliege, 
6(1  pfeift  ein  Atemzug.  Schrecklich  diese  Fliege,  ihr  Flügel- 
iUrren  dröhnt  wie  metallisches  Lärmen  eines  Riesenpropellers, 
*_ Q6  Ticktack  der  Ahr  schlägt  mit  Lammerschlag  auf  die 
^chädeldecke,  Maries  Atem  pfeift  heiß  und  brennend  wie 
Mt  aus  glühendem  Ofen.  Worte  wie  aus  weiter  Ferne: 
»Verstehen  Sie  mich  richtig:  warum  ich  es  nicht  tun 
kann,  ich,  verstehen  Sie.  Einer  wird  es  schon  können.  Einer 
von  den  vielen,  die  es  tun." 
.  Hoffnung,  neue  Hoffnung,  Marie!  Das  ist  nur  mehr 
«’ne  dumme  Fliege,  die  an  Maries  Gesicht  vorbeibrummt, 
ist  ja  nur  harmloses  Ticktack  einer  lächerlichen  Ahr,  nichts 
einfacher  warmer  Atem.  Marie  blickt  auf  und  hört 
gespannt: 
„Sehen  Sie.  Zch  habe  genau  überlegt.  Eben  die  Minuten. 
5a.  Ich  habe  es  tun  wollen.  Ich  wollte  es  zuerst  tun.  Trotz 
allem.  Der  Fall  liegt  ja  so  klar.  Vergewaltigung,  be- 
^unken,  krank  dabei  und  Sie  und  die  Kinder  entweder  vor 
dem  glatten  Ruin  oder,  wenn  man  es  macht,  gerettet  und 
gesichert.  Was  soll  ich  da  lange  zweifeln,  natürlich  gibt  es 
da  nur  das  Oder.  Für  Sie  und  für  mich.  Ich  habe  es  tun 
wollen.  Am  Sie  zu  retten,  damit  Sie  und  die  Kinder  nicht 
vor  die  Lunde  gehen.  Aber,  verstehen  Sie  mich  richtig,  ich 
habe  lange  nachgedacht,  ich  kann  es  nicht.  Ich  nicht.  Zch 
darf  es  aus  bestimmten  Gründen  nicht." 
Schwerfällig,  müde  Fuß  vor  Fuß  sehend,  nimmt  er  wieder 
seinen  ruhlosen  Marsch  auf. 
„Ich  komme  nicht  um  den  Paragraphen  herum.  Sagen 
Sie  mir  nichts,  ich  weiß,  ich  weiß.  Er  ist  dumm,  ungerecht, 
noch  mehr,  ein  Mordparagraph,  ja,  das  ist  er.  Lundert- 
tausende,  vielleicht  Millionen,  die  Jahr  für  Jahr  daran  kaputt- 
gehen.  Bei  lebendigem  Leib,  hier  in  den  Mietskasernen,  in 
Krankenhäusern,  in  Idiotenanstalten,  was  weiß  ich,  wo  noch 
sonst.  Ich  weiß,  ich  weiß,  ruinieren  die  andern  mit,  die 
Mütter,  Geschwister,  Familien,  Millionen  Existenzen.  Für 
nichts  und  wieder  nichts.  Nur  dafür,  daß  unsere  Fürsorge 
etwas  zu  tun  hat.  Daß  die  Waisenhäuser  voll  werden  und 
die  Krüppelheime  und  die  Jdiotenanstalten,  der  Arbeitsnach -
weis  und  das  Asyl.  Weiß  ich  alles.  Aber  —  was  ändert 
das?  Der  Paragraph  ist  da  und  ich  kann  nicht  um  ihn 
herum.  Ich  nicht,  verstehen  Sie." 
Maries  Augen  folgen  seinem  Gang  wie  die  Augen  einer 
Lypnotisierten.  Jäh  bleibt  er  wieder  vor  ihr  stehen.  Schwer 
liegt  seine  Land  auf  ihrer  Schulter. 
^„Sehen  Sie,  das  ist  so!  Ich  kann  es  darum  nicht  tun, 
nicht  aus  Feigheit,  nur  aus  Verantwortung.  Sie  werden  mich 
verstehen.  And  wir  werden  schon  einen  andern  finden,  der 
es  tun  wird.  Aber  ich  kann  es  nicht.  Sehen  Sie,  es  könnte, 
wenn  es  auch  nur  selten  vorkommt,  es  könnte  doch  eine  Kom -
plikation  eintreten.  Aus  irgendeinem  Grunde.  And  Sie 
stürben  mir  weg.  Dann  wäre  alles  aus.  Es  würde  heraus -
kommen,  es  kommt  dann  immer  heraus.  Dann  wäre  alles 
verloren.  Ich  meine  das  nicht  auf  mich  bezogen,  verstehen 
Sie.  Für  mich  würde  ich  das  Risiko  schon  übernehmen. 
Aber  —  was  sollten  dann  meine  Patienten  machen?  Ich 
würde  meine  Stellung  verlieren,  müßte  wahrscheinlich  ins 
Gefängnis.  And  was  sollten  die  dann  machen?  Irgend -
wo  anders  hingehen?  Leicht  gesagt.  Sie  wissen  doch,  ich 
habe  Ihnen  damals  geholfen,  ohne  —  aber  ich  sage  das 
nicht,  um  Sie  daran  zu  erinnern,  hören  Sie,  bitte,  nur  um 
mich  zu  rechtfertigen!  —  ohne  einen  Pfennig  von  Ihnen  zu 
nehmen.  And  das  «mß  ich  bei  vielen,  bei  den  meisten,  ja. 
Woher  sollten  die  denn  bezahlen,  die  haben  ja  meistens  selbst 
nichts.  And  sie  sind  auf  mich  angewiesen.  Für  die  muß 
ich  da  sein.  And  wichtiger,  muß  ich  bleiben.  Verstehen  Sie 
mich  jetzt?  Darum,  nur  darum  kann  ich  es  nicht.  Aber  ich 
werde  suchen.  Es  ist  ja  noch  Zeit.  Es  gibt  da  genug  Kollegen. 
Ich  werde  schon  einen  finden.  Also  Mut!" 
Marie  atmete  auf.  Wenn  auch  keine  Erfüllung,  so  ist 
das  doch  wenigstens  eine  .Hoffnung.  Marie  versteht  ihn  jetzt 
durchaus.  Wortlos,  aber  lange  und  beweisend  nickt  sie. 
Sie  strafft  sich.  Langsam,  schwer  wird  es,  steht  sie  auf. 
Schweigend  reicht  sie  ihm  die  Hand  und  wendet  sich  zur 
Tür.  Auf  halbem  Wege  holt  er  sie  ein,  legt  beide  Hände 
beschwörend  fest  auf  die  ihren. 
„Ich  schreibe  Ihnen  sofort  eine  Rohrpostkarte,  wenn  ich 
den  Kollegen  gefunden  habe.  And  ich  werde  ihn  finden, 
verlassen  Sie  sich  darauf.  Es  wird  alles  werden!  And  nun 
versprechen  Sie  mir  nur  das  eine:  Warten  Sie  auf  mich, 
das  wird  vielleicht  vierzehn  Tage  dauern,  und  lassen  Sie 
sich  durch  nichts  verleiten,  etwas  anderes  zu  unternehmen. 
Versprechen  Sie  mir  vor  allem,  auf  keinen  Fall  zu  einem 
Kurpfuscher  zu  gehen.  Das  wäre  das  Schlimmste.  Ver -
sprechen  Sie  mir  das!" 
Seine  Worte,  bisher  wohltuende  Wärme  und  Weichheit, 
sind  hart  geworden  und  befehlerisch.  Marie  glaubt  an  ihn. 
Er  wird  ihr  helfen.  Es  löst  sich  alles  in  Marie,  alles  wird 
leichter  und  frei  in  ihr.  Sie  hat  wieder  Mut.  Voll  und 
ganz  sieht  sie  den  Arzt  an,  laut  und  deutlich  sagt  sie  ihm: 
„Zch  verspreche  es,  ja,  ich  verspreche  es." 
Jetzt  lacht  er  auf,  das  erstemal  in  dieser  Viertelstunde, 
ein  warmes,  gütiges,  trostvolles  Lachen.  ,^sehen  Sie,  das 
Aus  dem  Inhalt 
Politik  und  allgemeiner  Teil: 
Tumult  in  der  Lamburger  Bürgerschaft.  —  Bedeutsame 
Erklärungen  des  Bürgermeisters  Roß. 
Stimmenthaltung  beim  Panzerkreuzer. 
Groener  gegen  v.  Seeckt. 
Tetzner  zum  Tode  verurteilt. 
Gegen^ie^  Lakenkreuzpropaganda  bei  der  Reichspost. 
Tagesbericht: 
Nur  ein  Beispiel. 
Was  wird  an  Obst,  Gemüse  und  Südfrüchten  verbraucht? 
Gewerbetteibende  und  Arbeiterschaft. 
Der  Etat  vor  der  Bürgerschaft,  (3.  Beilage.) 
Kun  st  und  Wissenschaft: 
Konzertschau. 
Zwei  Altonaer  Maler. 
Feuilleton: 
Letzter  Aufttitt. 
Aus  aller  Welt. 
Gewerkschaftliche  Umschau: 
Kommunistenpleite  soll  verdeckt  werden. 
ist  gut.  And  alles  andere  wird  auch  wieder  gut  werden.  Eine 
Frau  wie  Sie,  nein,  ein  Kerl  wie  Sie,  darf  nicht  kaputt- 
gehen!" 
Marie  lächelt  jetzt.  Sie  hat  wieder  Verttauen.  Damit 
erfüllt,  geht  sie.  Fort  an  ihre  Arbeit. 
* 
Wieder  erfährt  Marie  in  diesen  Tagen  die  Weisheit  der 
Tröstung,  daß  Arbeiten,  Schwerarbeiten  Befreiung  ist.  Man 
hat  keine  Zeit  zum  Spintisieren,  und  kommt  man  von  der 
Arbeit,  fällt  man  todmüde  ins  Bett  zu  bleiernem  Schlaf, 
der  die  Befreiung  vollendet. 
Alles  hat  sich  so  gemacht,  wie  Marie  es  geplant  hat.  Sie 
hat  die  Büroreinigungen  aufgegeben,  auch  das  Austragen 
der  Morgenzeitungen.  Marie  hat  ihren  neuen  Posten  in 
dem  Ballhaus  angetreten,  (Fortsetzung  folgt.)