57. Jahrgang gitimmer 232 Montag, 24. August 1931 Preis 10 HamburgerEcho Ä Int tSgUch einmal, auker an 2.Feiertagen. vn voraus m ttngcigenprcij« verfiehen stey m Reltvsmart, die «3gefallene Nor» r.,0^ z«tg«n uii a Heilen Durch die Post zu gleichen L,c;ug-;prcUen zuzüglich BciicUacld. 1111111 1*1 llsl JI fl Q ■ E Jf 11111701111111 Ke Äle 3«X lv diS 14 Zeilen die Seile 35 4. «-rla.n-z-rl« 3.5« * Aedattion: Fehlandstr. II, I. stcrnipr.: Sammel-Nr. <: .1 Stephan 1701, aJj Illi B ■ UW I I U1 111 Br U jfc^WllHW Talll Illi Anzeigen wüsten im voraus oder lolon bezahii werden »»ÄÄÄSS WVIWVIHI* S»WÄXÄ «tephan sns. Truckereikontor: geblandstr. i l, 1. Fernspr.: Sammel-Rr. 0 4 n r „ , , g , c in den Filialen und tn allen anerkannten Anzeigen-Annahmeiiellen. Stephan 183L lstachlrui O 6 Stephan 3032 und 3683. Mtgtutttii Lola Play, und Datmvorichristen unverbindlich, Reglemng Marbvmlb tritt rmM Drei--Parteien- oder konservativ-liberale Regierung MmiWm SPD. London, 24. August. Der englische König, der am Sonntag von Schottland nach London zurückkehrte, hatte sofort nach seiner Rückkehr eine längere Unterhaltung mit Mac- donald. Anschließend ließ sich der König auf Veranlasiung von Macdonald von den Liberalen und Konservativen über deren Auffasiung von der Situation unterrichten. Abends um 7 Uhr trat dann das Kabinett wieder zusammen. Es befaßte sich Haupt- sächlich mit den Antworten der Liberalen und Konservativen auf den neuen bereits am Sonnabend angekündigten Spar - entwurf der Regierung. Am 11.30 Uhr abends verließ Mac- donald die Sitzung und begab sich wieder zum König, wo er etwa eine Viertelstunde blieb. Vom Buckinghampalast aus kehrte er in die Kabinettssitzung zurück. Später hatte er eine Unterredung mit den Konservativen Baldwin und Cham - berlain und als Vertreter des erkrankten Lloyd George mit dem Liberalen Samuel. Es ist seit dem Kriege und dem großen Generalstreik von 1926 das erste Mal, daß das englische Kabinett wieder eine Sonntagssitzung abhielt. Die Anteilnahme der Bevölkerung an den Beratungen war außerordentlich stark. Sie fand ihren Aus - druck in den großen Menschenansammlungen, die am Sonntag sowohl vor dem Buckinghampalast als auch in der Downing - street zu verzeichnen waren, und darin, daß der Rundfunk am Sonntagabend alle halbe Stunde seine Unterhaltungsdarbietungen unterbrach und Meldungen über den Stand der Lage verbreitete. Srwerkschiifttn unnatbglebig SPD. London, 24. August. Die englische Krise tritt heute in das Stadium der Entscheidung. Wahrscheinlich tritt das zweite Kabinett Macdonald im Laufe des Tages zurück. Ob ihm eine konservative Regierung beziehungsweise eine konservativ - liberale Regierung oder ein Konzentrationskabinett mit Mit- gliedern aller Parteien folgen wird, ist nvck völlig ungeklärt. Der Generalrat der Gewerkschaften hat inzwischen nochmals seine Auffasiung zur Situation schriftlich fixiert und der Oeffent- lichkeit bekanntgegeben. Er lehnt eine Kürzung der Sozialleistunge« ab. Sie würde keine Besserung, sondern eine Verschärfung der wirt - schaftlichen Lage bringen. Aus der City wird unterdessen immer mahnender darauf hingewiesen, daß die englische Währung vor einem außerordentlichen Gefahrenpunkte steht. Tat- sache ist, daß der erst vor wenigen Wochen in-Paris auf - genommene 50-Millionen-Pfund-Kredit bereits nahezu erschöpft ist. Das Pfund konnte in den letzten Wochen nur durch starke Stützungen gehalten werden. Diese Stützungen werden bis auf weiteres fortgesetzt werden müssen, wenn man das Pfund nicht gefährden will. Das bedeutet, daß England gezwungen ist, bald neue Kredite im Ausland anfzunehmen. Anter diesen Amständen verlangten die Führer der Konservativen am Sonntag in der mitternächtlichen Besprechung mit Mac- donald nochmals große Einsparungen am Sozialetat und Kür- zung der Anterstützungsbezüge. Macdonald und Snowden sind nicht grundsätzliche Gegner derartiger Einsparungen, sie stoßen jedoch bei den Gewerkschaftsmitgliedern auf außerordent - lichen Widerstand, so daß die Regierung bereits jetzt innerlich gebrochen ist. Die Ent scheidung über den Rücktritt dürfte in den vorgerückter Nachmitlagsstunden fallen. Rülkblilk und Ausblick des Sully Keralb WTB. London, 24. August.' Das Blatt der Arbeiter - partei, Daily Lerald, das in seiner Frühausgabe nur von dem bevorstehenden Rücktritt des Kabinetts sprach, veröffentlicht eine Sonderausgabe, auf deren erster Seite in Sperrdruck verkündet wird: Das Kabinett wird heute zurücktreten. Das Blatt sagt weiter: Das neue Kabinett wird, da sich die Konservativen und die Liberalen in der Frage der Sparmaßnahmen völlig einig sind, im Anterhaus über eine Mehrheit verfügen. Denn während die Arbeiterpartei 286 Sitze hat verfügen die Konservativen und Liberalen zusammen über 320 Sitze. Die neue Entwicklung ist das Ergebnis der schärfsten politischen Krisis seit 1914. Der entscheidende Faktor war die unbedingte Weige - rung von mindestens acht Mitgliedern des Kabinetts, die Arbeitslosenunterstützung um 10 % zu vermindern. Einige dieser Minister erklären, daß sie ihren Rücktrittsbeschluß nur sehr widerwillig gefaßt hätten; es sei ihnen aber unmöglich gewesen, ihr Einverständnis damit zu erklären, daß den Arbeits- losen neue Entbehrungen auferlegt würden. Die Kabinetts - mitglieder, die solchen Abstrichen zustimmten, taten es in der Aeberzeugung, daß eine jetzt erfolgende Verminderung eine andernfalls in absehbarer Zeit zu erwartende, noch viel 'weiter- gehende Verminderung folgen würde. Das Blatt schließt, der Premierminister wird heute vormittag wieder den König auf - suchen. Der konservative Führer Baldwin und der lieberale Führer Sir Äerbert Samuel werden ebenfalls in den Buckingham Palast gerufen werden. Mittags wird das Kabinett eine weitere, und zwar seine letzte Sitzung abhalten. Jas Sofer liegt, die Raden steigen nieder WTB. London, 24. August. Zur innerpolittschen Krise sagt Daily Telegraph, verschiedene Mitglieder der Arbeiterpartei hätten die Aeberzeugung ausgesprochen, daß die Laufbahn Mac - donalds als Führer der Partei ihr Ende gefunden habe. Die Ereignisse der letzten Wochen hätten eine weitgehende Spaltung und Erbitterung innerhalb der sozialistischen Bewegung herbei - geführt. Financial News übt in einem Leitartikel bittere Kritik an der Finanzpolitik der Arbeiterregierung. Diese Regierung habe sich während der zwei Jahre ihres Lebens unfähig gezeigt, mit einer Krise fertig zu werden, die eine selbstlose nationale Politik erfordere. Das Blatt sagt, die Krise sei unlösbar, wenn Maß - nahmen, die im Interesse der Gesamtheit lägen, mit allen mög - lichen Rücksichten auf eine bestimmte Partei oder eine bestimmte Klasse der Bevölkerung verquickt würden. MMt Fugend markiert „Es gibt feine größere rose Front, als unsere Front" SPD. Frankfurt a. M., 24. August. Der Reichsjugendtag der Soziali st ischen Ar - beiterjugend fand am Sonntag mit einer mächtigen Demon- stration seinen Abschluß. Die gewaltige Schar von 20 000 jungen sozialistischen Menschen, die am Sonntagnachmittag vom Opernplatz in Frankfurt a. M. durch die Hauptstraßen zum Stadion zog, war eine einzige Manifestation für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung. Von Zehntausenden begrüßt, demonstrierten die jungen Arbeiter aller deutschen Gan« für Demokratie, gegen Faschis- mus und Kriegsgefahr. Mehr als zwei Stunden dauerte der Zug, an dessen Spitze der Parteivorfltzende Hans Bogel und Paul Löbe marschierten. Mit ungeheurer Begeisterung wurde die junge Armee des Friedens und des Sozialismus bei ihrem Einmarsch ins Stadion begrüßt, wo bereits Tausende die Ränge der Arena füllten. Als Fanfaren den Beginn der großen internationalen Kundgebung ankündigten, waren mehr als 5 0 0 0 0 Menschen anwesend. Zuerst sprach Albarda, Holland, der Vorsitzende der gemeinsamen Abrüstungskommission des Internationalen Gewerkschaftsbundes und der Sozialistischen Arbeiterinternationale, erinnerte die versammelte Jugend daran, daß ihr in erster Linie die Aufgabe zufalle, den Fridensgedanken hochzuhalten und zu verteidigen, denn nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutsch- land seien viele Kräfte am Werke, deren herausforderndes Auf- treten die Gefahren des Krieges in sich berge. In ähnlichem Sinne äußerte sich Karl Heinz, Wien, Vorsitzender der Sozialistischen Iugendinternationale, der in seinen Ausführungen unter andern: auch auf die enge Ver - bundenheit der deutschen und österreichischen Ar - beiterjugend hinwies und Grüße von der blauen Donau überbrachte. Mit lebhaftem Jubel begrüßt, bestieg darauf Reichstags - präsident Paul Löbe die Rednertribüne. Er richtete sich in der Hauprsacbe an die Jugend, die er zum treuen Festhalten an dem sozialistischen Ge - danken aufforderte. Verständigung und Zusammenschluß sei für alle Werttätigen das Gebot der Stunde. Denn die große Hoff - nung, der Völkerbund, sei noch lange kein Bund der Völker, sondern höchstens ein Bund der Regierungen. Eine der Hauptforderungen der arbeitenden Bevölkerung sei die Ab - rüstung. Auf diesem Gebiete sei bisher ttoh einer Aeberzahl von Verhandlungen und Konferenzen so gut wie gar nichts er - zielt worden, und erst, wenn die Völker die Abrüstung er - zwungen hätten, sei der Weg zum wahren Frieden frei. Wir stehen nicht allein in der Rot. Neben uns leiden Millionen, aber kämpfen auch Millionen gemeinsam für Frei- heit und Erlösung. Als ich hierher marschiert bin, riefen mir zwei Kommunisten „Rot Front" zu. Ick antwortete ihnen: Hier kommt fle, die rote Front! Seht sie, diese Mem'chen, lauter Proletarierkindcr. Es gibt keine größere rote Front als unsere Front. (Stürmischer Beifall.) Die gewaltige Kundgebung klang aus mit der Aufführung des Massenfestspiels „Das Weltrad sind w i_r“, das von 600 Teilnehmern des Reichszeltlagers Namedy der Sozialiftiscken Arbeiterjugend unter starkem Beifall aufgefübrt wurde. Mit dem Gesang der Internationale schloß die Veranstal - tung. Sie wird in der Erinnerung aller seiner Teilnehmer fort - leben als der stärkste Beweis für den Schwung der ewig jungen deutschen Sozialdemottatie. 6urooabunb auf Semrinfryafi We k Silber! Thomas in Berlin SPD. Paris, 24. August. Der Direktor des Internatio - nalen Arbeitsamts, Albert Thomas, bat dem Berliner Äavas-Korrespondenten ein Interview über den Zweck seiner Berliner Besprechungen gewährt. Thomas sagte unter anderm: „Ich bin nach Berlin gekommen, um über die Angelegenheiten des Internationalen Arbeitsamts zu verbandeln; aber vor allem hat unsere Idee von der Ausführung großer europäischer öffentlicher Arbeiten den Gegenstand meiner Unterhandlungen gebildet. Als zu Be - ginn dieses Jahres die Arbeitslosigkeit einen beim- ruhigenden Charakter annahm, hat man das Internationale Arbeitsamt gebeten, diese Frage zu prüfen und Abhilfemaß - nahmen vorzuschlagen. Wir haben verschiedene europäische Länder über unsere Idee befragt. 18 haben geantwortet. Jetzt möchte ich das Europakomitee befragen, wie große öffentliche Arbeiten dieser Art unternommen und wie sie finanziert werden können. Unsere Idee hat biologischen Charatter. Man wird den Europa - bund nur schaffen können, wenn man ihn auf einem gemeinsamen Werk aufbaut, aus dem alle Länder Nutzen ziehen." ————1^—?—*uiii in Englands Entscheidungsstunde WTB. London, 24. August. Das englische Kabinett ist zurückgetreten. Englands Volksmassen sind sich bewußt, daß die britische Weltgeltung Fnd damit auch der Lebensstandard jedes einzelnen Engländers auf dem Epiele steht. Die Rückkehr des Königs aus seiner Sommerfrische, seine je einstündige Verhandlung mit dem Chef der Regierung und den Oppositionsparteien, und diese Verhandlung wie auch die Kabinettskonferenz unter Bruch der durch Lebensauffassung und Tradition (Tradition des traditionsverhafteten Volkes!) geheiligten Sonntagsruhe: Zeichen schweren Ernstes; die in der Umgebung der Verhandlungsorte stundenlang harrende Volksmasse und die im Rundfunk immer wiederholte Ein - streuung, sei es noch so aphoristischer Nachrichten vom Stand der Krise, bezeugten das brennende Interesse aller Volks - schichten. Aber wenn jeder der Entscheidungsstunde sich bewußt ist, so scheiden sich doch die Wunschziele der Volksklassen; der größere Teil der Wählerschaft Macdonalds verlangt die Anziehung der Steuerschraube zwecks unver - kürzter Aufrechterhaltung der sozialen Lei st ungen; die politischen Gegner Macdonalds aber wollen zwar Quellen der Staatsfinanzen ergiebiger anzapfen, in der Hauptsache jedoch soll die Sanierung durch Trockenlegung bestimmter sozialer Leistungsgebicte erfolgen. Zwei Drittel des Budgetdefizits wollten die Oppositionellen durch Spar - maßnahmen beseitigen, nur ein Drittel mit Einnahme- erhöhung. Macdonald erzwang die Zustimmung zu halb und halb: je 50 % Einsparung und Einnahmeverstärkung. Ihm ist es auch gelungen, den Leistungsabbau schonend zu gestalten, jedenfalls würden die Arbeitslosen weit weniger getroffen, als es der Kommissionsbericht vorfah. And Snowden hat erfolgreich den Grundsatz des Freihandels verteidigt. Indes: Not kennt kein Gebot; die Gewerkschaftsführer nahmen es mit der Budgetsicherung nicht so genau wie verantwortungsbewußte Staatsmänner, und sie waren bereit, den Freihandel über Bord zu werfen zugunsten zwar nicht des Schutz-, aber des Finanzzolles, der minder gefährlich, dennoch zur Verteuerung der Lebenshaltung führen mußte. In der Verteidigung polittscher Grundsätze, müssen Macdonald und Snowden mit gebrochener Front kämpfen; da sie aber keineswegs als Führer einer Arbeiter- regierung durch bürgerliche Hilfe über einen Großteil der eigenen Partei siegen möchten — ein Sieg, der die Partei innerlich zermürben und ihre Kraft in der kommen - den Wahl brechen würde —, so mußte ein Ausweg gesucht werden. So kam, und wird vermutlich verwirklicht, die Idee einer Koalitionsregierung. In den letzten Jahrzehnten hat, mit Ausnahme der Kriegs - und unmittelbaren Nachkriegszeit, in England eine Partei offiziell regiert; offiziell anerkannt war auch die Anwartschaft der Opposition zur Nachfolge. Aber die Demo - kratisierung des Wahlrechts hat die Voraussetzung des Zweiparteiensystems zerschlagen, seine sozialen Grundlagen zerfielen auch im Maße wie die Weltwirtschaftskrise den Gesellschaftskörper Großbritanniens zersetzte. Traditionell gelten noch die politischen Ideale, ebenso die Selbstverständ - lichkeit des Anspruchs auf Weltherrschaft. Der Anspruch ist zum Teil Atttappe geworden; Macdonald war so klug, im Marineabkommen mit Amerika sich den veränderten Be - dingungen anzupassen; Lvrdschaft und City haben sich damit abgefunden. Nun auch im Innern ihre Geltungsansprüche zurückzuschrauben, durch immer tiefer in ihren Körper schneidende Steueraderlässe sich nach und nach in eine be - scheidene Lebensführung zwingen zu lassen: das geht den Lords und den Großbürgern über die Kraft. Eie Reichtum und Elend im Faschistenstaat Der Neue Deutsche Verlag Berlin brachte heraus: Alfred Kurella, Mussolini ohne Maske. Der bolschewistische Verfasser hat dargestellt, was er auf einer Wanderung durch Italien sah und hörte; viel Tendenz steckt in dem Buch, Tendenz, die besonders das Gehörte bolschewistisch ausdeutet. Aber was er sah, beschrieb Kurella anschaulich. Er bestätigt, daß unter Mussolini das arbeitende Volk noch gedrückter als vorher lebt; streckenweise würde allerdings auch die Darstellung der Lebenslage der Arbeiter im Sowjetparadies ähnlich aus - fallen. Das Buch enthält viele Bilder, der Text umfaßt 320 Seiten. Kartoniert 3,50 M., gebunden 5 Ji. Lier eine Textprobe. Die ganze Po-Ebene von Venedig hinaus bis nach Piemont hegt da wie ein einziger ununterbrochener Garten. Reben, die an hoch oben zwischen Bäumen gezogenen Fäden ranken, durch - schneiden kreuz und quer das Land. Dazwischen liegen mit Korn und Mais bestellte Felder. Aber sie sind anders bestellt al6 bei uns. Die Reihen stehen in weiteren Abständen. Zwischen ihnen sieht man schon die Anfänge neuer Kulturen: da kommen Puffbohnen, alle Arten Kohl und andere Gemüse. Mann man auch diese Felder durchfährt und durchwandert — immer ist etwas los. Immer wird gepflügt, gehackt, gejätet, gehäufelt und geerntet. Ein dichtes Netz von Kanälen tmrchzieht das Land.' Das von den Alpen kommende Wasser wird durch Pump - werke, Staubecken, Haupt- und Nebenkanälen aus den von Dämmen eingefaßten Flüssen auf das Land geleitet und fließt durch ein feines Ney von Gräben und Furcken den Feldern und Pflanzen zu. So kommt es, daß auf diesem Lande drei, vier und fünf Ernten im Jahre gewonnen werden. Weiter im Süden ändert sich das Bild. Aber cs bleibt der Haupteindruck: Jeder Flecken fruchtbaren Landes wird von Menschen in der stärksten Weise ausqenutzt. Gewiß kommen weite Strecken von Sumps- ober Oedländern, kommen Hüael und Berge, an deren Abhängen kein Hälmchen sprießt. Aber in den Tälern und Ebenen lacht einen eine üppige Vegetation an, die die Frucht unendlicher Arbeit zahlloser tagein tagaus auf den Feldern beschäftigter Menschen ist. Cs wechseln die Kul - turen, es wechseln die'Formen und Methoden der Bearbeitung. Aber es bleibt der Eindruck eines schier unerschöpflichen Reich - tums. Es verschwindet auch nicht ganz im Süden, in Sizilien, dem viel verschrienen Lande der großen Dürre. Die weiten wogenden Kornfelder int Innern des Landes, die Weinberge mit den kunstvoll behäufelten tiefgehaltenen Weinstöcken, die schier endlosen dunkelgrünen Haine, aus denen Apfelsinen und Zitronen leuchten — auch sie erwecken den Eindruck ungewöhn - lichen Reichtums. Und er verstärkt sich nur noch, wenn man erfährt, daß hier bis zu 15 Doppelzentner Weizen und 60 bis 70 Doppelzentner Apfelsinen und Zittonen pro Morgen ge - erntet werden. Und bann verläßt man bas Lanb unb kommt in die In- buftrieftäbte. Unb wieder ist man erstaunt. Man findet sich vor ganz modernen Fabrikanlagen, deren Bauten aus Beton und Glas einen an Amerika denken lassen. Da sind die riesigen Maschinenfabriken in den großen Industriezentren des Nordens. Die Breda, Alfa-Romeo, Fiat und wie sie alle heißen. And selbst in kleineren Provinzorten, in denen man es gar nicht erwartet, wie in Biella oder Vercelli, stößt man auf ähnliche moderne Anlagen. Bis hinunter nach Sizilien begleiten einen die gewaltigen Mühlen und die großen Mattaronifabriken. In den Hafenstädten ragen die Kran- anlagen und Gerüste moderner Werften in den Himmel. Betritt man dann eine dieser großen Fabrikanlagen, findet man in ihnen die allermodernsten Maschinen, neueste Transportmittel und Fließbänder. Und wenn man auch in der Tagespresse Artikel gegen die Rationalisierung und für den Schutz des Kleinbetriebes findet, beweist der 91ugenfcbein, das, die in - dustrielle Konzentration und die ständige Modernisierung des Produktionsprozesses auch vor Italien nicht haltgemacht hat. Und noch etwas anderes kommt hinzu: In jedem Gespräch mit Arbeitern und Bauern erfährt man, daß es fast keine Fa - milie gibt, die nicht den einen ober anbern Verwandten im Ausland hat. Alle diese Auswanderer schicken regelmäßig Geldsendungen an ihre daheimgebliebenen Verwandten oder kehren eines Tages mit kleinen in Mark, Franken ober Dollar ersparten Ver - mögen zurück unb erwerben ein Stückchen Land ober ein kleines Geschäft. Sie bringen höhere Kulturansprüche, größeres Wisse» unb einen gewissen fortschrittlichen Geist mit. Woran kann es einem Lande fehlen, das über solche natur lichen und künstlichen Reichtümer verfügt? Muß Vieser Reick- tum nicht die Grundlage für einen ständig wachsenden Wohl - stand der Massen sein? Und stellt dieser Wohlstand der Massen nicht eine unvergleichliche Basis für ein immer weiteres Wackfen der Produttivttäste und des Wohllebens des ganzen Volkes bar? Unb auf einmal wandelt fick bas Bilb, unb man taucht in einem namenlosen Elend unter. Wendet man den Blick von den Feldern und Gärten, von den prächtigen Industtieanlagen unb ben Palästen unb Villen der vornehmen Stadtteile zu den Menschen, zu der Masse der Arbeitenden, so glaubt man sich in ein anderes Land ver - setzt. Gruppen von E l e n d s g e st a 11 e n, in deren Zügen die Spuren des Hungers und der Krankheit eingeprägt sind, stehen überall herum. Ihre Anzüge, die manchmal noch ein früher besseres Leben erkennen lassen, sind abgewetzt, geflickt ober gar zerlumpt. Das Sckuhwerk ist abgetragen unb brüchig. Auf ben Mürktplätzen her Stäbte bes Sübens stehen bie arbeitfuebenben Lanbleute herum, ein ausgebleichtes Cape ober ein zerschlissenes Plaid zum Schutze gegen die morgendliche Küble um bie Schul - tern. Die kleinen Pächter unb Tagelöhner, bie sich beim Morgen - grauen auf ben Felbern der Riesengüter Siziliens, Apuliens und Kalabriens einfinden, kommen in Bastsckiihen ober Leber - pantoffeln, bie Beine mit Lumpen umwickelt, bie von ein paar Stricken zusammengehalten werben. Sie tragen kurze Jacken aus Schaf- ober Ziegenfell, bie der Träger schon von feinem Groß - vater geerbt zu haben scheint. Und auch bie Masse, bie sieh an Eonn-'und Festtagen in ben Kirchen brängt, sieht um kein Haar besser aus. Die in Lumpen gehüllten mageren Gestalten bilben einen unheimlichen Gegensay zu der Pracht der in Hunderten von Kerzen schimmernden Altäre und zu den wohlgenährten rosigen Priestern, die ihnen von der Kanzel herab die Schrecken der Hölle und die Herrlickkeiten des ewigen Lebens ausmalen. Schier unendlich ziehen sick in den großen Städten, mit Ausnahme der wenigen modernen Industrie- unb Hanbels- zentten, wie Turin, Mailanb unb Bologna, hin bie Elendsquartiere, in denen Hunberttausenbe von Ar - beitern, kleinen Hanbwerkern und Oewcrbetreibenben mit ihren kinderreichen Familien hausen. Der Fremde pflegt in diesen großen Städten, in Genna, Neapel ober Palermo, von ben feinen Geschäftsstraßen aus, auf bie diese Viertel inünben, einen Blick in bie „malerische Schönheit dieser Gassen zu werfen. Schnell wirb der Kobak gehoben unb eine Aufnahme von her Straße gemacht, auf der unten zwischen den im Freien arbeitenden Handwerkern csdiarcn von Kindern berumtobe», von den Balkons an langen Seilen kleine Körbchen heruntersteigen, aus denen der Etraßenhändler. sich das Geld Aus dem Inhalt Politik und allgemeiner Teil: Rückttitt Macdonalds — Koalitionsregierung in England. Bayrische Sprünge: Reick mag zugrunde gehen. Tagesbericht: KPD. weist an zu Wablstörungen. Von moderner Philatelie. Hoheluftbrücke dem Verkehr übergeben. Reichsbanner in Bad Segeberg. KunstundWissenschast: Hauptmanns „Elga" im Altonaer Stadtthvater. Feuilleton: Reickttim und Elend in Italien. Aus aller Welt. Arbeitersportrundschau: Landballkampf Eimsbüttel—Rostock. nimmt, um ein paar Pfund Kartoffeln ober Zwiebeln hinein- julegen, währenb oben an Stricken, bie von Laus zu Laus unb von Balkon zu Balkon die Gassen mit einem dickten Nen über- ziehen, die ewige Wäscke gräulich gegen ben tiefblauen Simmel flattert. Das Bild des Elends der Massen wird noch klarer, wenn man erfährt, was diese Menscken essen. „Glücklicherweise ißt unser Bauer nur einmal täglich", hat Mussolini neulich in einer Rede gesagt. Und das nimmt. Ja, es ist sogar beinahe zuviel gesagt. Es gibt Zeiten, wo die Bauern die ganze lange Woche, vorn Laufe weit entfernt, in Stroh- und Lehmhütten auf den Feldern leben und sich während dieser Zeit fast ausschließlich von trockenen kalten Speisen er - nähren, die sie von Laus mitnehmen: von Brot, Käse, Zwiebeln und einem Schluck Wei». In den Gegenden mit ausgeprägtem Großgrundbesitz im Norden und im Süden wird die einzige Mahlzeit zu Lause eingenommen, wenn der Vater nack Sonnen- Untergang vom Felde zurückkommt. Nur in manchen Gegenden gibt es mittags auf dem Felde noch eine Suppe. In Mittel Italien, wo vor allein die Halbpackt verbreitet ist, wirb bie Ha vt mahlzeit mittags im Lause genossen. Ein kärglickes Frühstück und Abendbrot wird auf dem Felde verzehrt. Die Zusammen-